Wegweiser zu einem rationalen Umgang mit der AfD

Patzelt schreibt den arrivierten Parteien einen Strategiewechsel ins Stammbuch, er plädiert für eine Rückkehr zu Vernunft und Sachlichkeit. Frei übersetzt rät er: Nehmt die Sorgen der Bürger in Sachen Migration und Energie endlich ernst! Bindet die AfD ein und entzaubert sie damit auch ein Stück weit!

Ex-Kanzlerin Merkel (CDU) würde das neue Buch des bekannten Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt nicht lesen – weil sie es „nicht hilfreich“ fände. Mit solchen Worten hatte sie 2010 Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ weggewischt. Um dann im November 2024 zum Kaufpreis von 42 Euro (mittlerweile auch für 4 Euro erhältlich) selbst ein 736-Seiten-Buch mit dem rabulistischen Titel „Freiheit“ auf den Markt zu bringen. Ein Buch, das allenfalls Balsam für die aus der Zeit gefallenen ewiggestrigen Merkelianer ist. Merkel und ihre Parteigänger hätten Sarrazin wirklich lesen sollen. Dann wäre Merkel vor allem mit ihrer Politik der offenen Grenzen nicht zur Ur-Mutter der AfD geworden. Dann hätte sich die CDU nicht – ohne CSU – mittlerweile von oben den 20 Prozent genähert.

Internatsleiterin, gepresst und flambiert
»Frechheit« ersetzt »Freiheit« und geht weit darüber hinaus
Lesen bildet und schärft den Verstand. Das müsste auch für die arrivierte politmediale Elite gelten. Diese „Elite“ könnte jetzt nachholen, was sie vor mehr als zehn Jahren versäumt hat, als sie Sarrazins Buch – übrigens vor der Gründung der AfD – quasi für tabu erklärte und als die SPD das Parteimitglied Sarrazin 2020 gar aus der Partei ausschloss. Nachholen heißt: Lest das neue Buch von Patzelt, dann könnte die sich selbst und exklusiv als „demokratische Mitte“ adelnde Parteienlandschaft endlich kapieren, wie man ohne Brandmauern und ohne flehentlich herbeigesehnte Gutachten der Verfassungsschutzämter sowie ohne Parteiverbot aus Karlsruhe mit der AfD umgehen sollte.

Ob führende CDU-Leute Patzelts Mitte Februar 2025 erschienenes Buch über das „blaue Wunder“ AfD in die Hand genommen haben? Man weiß es nicht. Immerhin haben sich aktuell drei CDU-Leute der ersten Reihe vorsichtig an die Frage herangetastet, wie man zukünftig mit der in Umfragen jetzt oft auf Platz 1 stehenden AfD umgehen solle. CDU-Vize Jens Spahn meinte kürzlich, man solle die AfD bei organisatorischen Fragen behandeln wie andere Parteien auch. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) pflichtete ihm bei. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) will im Streit mit der AfD vermitteln.

Späte Einsichten! 2017 übrigens erzielte die AfD bei der Bundestagswahl 12,6 Prozent und wurde – erstmals in den Bundestag eingerückt – zur stärksten Oppositionspartei gegen die schwarz-rote „GroKo“. Am 15. November 2018 wollte Noch-Nicht-CDU-Chef Friedrich Merz die AfD halbieren.

Das Ergebnis dieser „Halbierung“ ist bekannt: Das mathematische Multiplikations- und Divisionszeichen scheinen verwechselt worden zu sein. Die AfD wurde bei der Bundestagswahl vom 23. Februar 2025 mit 20,8 Prozent zweitstärkste Partei; bei der „Sonntagsfrage“ rangiert sie je nach Umfrageinstitut gleichauf mit CDU/CSU bei 26 Prozent oder gar mit einem Prozentpunkt vor CDU/CSU. Merz wurde nach zwei erfolglosen Anläufen im Dezember 2018 und Januar 2021 erst im Februar 2022 Vorsitzender der CDU. Nun bricht er auf, zusammen mit der SPD und mit gemeinsamen 44,9 Prozent Wählerstimmen Bundeskanzler zu werden. Sein politisches Schicksal hat er an das Fortbestehen der Brandmauer gegen die AfD gebunden.

Die Merz-Koalition bleibt also gefangen in der Brandmauer-Wagenburg. Die ganz linken Parteien (SPD, Grüne, Links-Partei) halten Merz erpresserisch am kurzen Zügel. Heißt: Bloß keinen Parlamentsposten (Vizepräsident, Ausschussvorsitz) für die zweitstärkste Partei! Wenn die AfD sagt „2 plus zwei ist 4“, dann widersprecht und sagt, das ist 5. Folge: Die AfD wird weiter zunehmen. Nicht weil die komplette AfD-Wählerschaft zur glühenden AfD-Truppe geworden wäre, sondern weil es vielen Wählern dämmert, dass man nicht weiterhin mehr als zehn Millionen Wähler als angebliche „Nazis“ aussortieren kann.

Die AfD und der Populismus
Angst vor Deutschlands »blauem Wunder«?
Werner Patzelt analysiert und projektiert auf mehr als 300 Seiten ohne Zorn und Eifer („sine ira et studio“) sowie in abgeklärter wissenschaftlicher Neutralität, wie man anders mit der AfD hätte umgehen sollen und wie man zukünftig mit ihr umgehen könnte. Ein Ab- und Ausgrenzen Richtung AfD, so Patzelt, habe nichts gebracht und werde nichts bringen. Im Gegenteil. Patzelt schreibt den arrivierten Parteien einen Strategiewechsel ins Stammbuch. Und er plädiert für eine Rückkehr zu Vernunft und Sachlichkeit. Frei übersetzt empfiehlt Patzelt für den Umgang mit der AfD: Nehmt die Sorgen der Bürger in Sachen Migration und Energie endlich ernst! Bindet die AfD ein und entzaubert sie damit auch ein Stück weit!

Dass Patzelt von der AfD als „blauem Wunder“ schreibt, hat mit der von der AfD mittlerweile in Anspruch genommenen Farbe blau (gegen schwarz, rot, dunkelrot, gelb, grün) zu tun, ist aber schelmisch auch eine Anspielung auf die als „Blaues Wunder“ genannte Elbebrücke in Dresden gedacht. Dresden – das war von 1991 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2019 Patzelts Wirkungsstätte als Politikwissenschaftler. Unter anderem hatte er sich zuletzt einen Namen gemacht mit einer detaillierten Analyse der PEGIDA-Bewegung.

Seit 1994 ist Patzelt CDU-Mitglied, 2019 war er zur sächsischen Landtagswahl Mitglied der CDU-Programmkommission. Patzelt kann insofern aus dem Vollen schöpfen, wenn er die Union vor einer Repräsentationslücke rechts der CDU warnt und ihr den Rat gibt, die AfD politisch und programmatisch zu stellen. Den bisherigen Umgang der arrivierten Parteien mit der AfD hält Patzelt jedenfalls für missraten, kontraproduktiv, planlos, töricht, stümperhaft, intellektuell dürftig, selbstgefällig und im Endeffekt erfolglos.

Das „magisch-rituelle Haltung zeigen“ gegen die AfD und deren „Anbräunen“ hätten nichts gebracht, sondern die AfD – auch deren weitere Radikalisierung – befördert. Immer mehr Wähler würden deshalb Deutschlands Demokratie misstrauen. Wörtlich schreibt Patzelt: „Loswerden wollen AfD-Wähler weniger die Demokratie als vielmehr ihre gouvernantenhafte Politiker- und Journalistenschaft. Die belehrt unentwegt, weist zurecht und stellt vor die Wahl, entweder den Mund zu halten oder ausgegrenzt zu werden.“

Werner J. Patzelt, Deutschlands blaues Wunder. Die AfD und der Populismus. LMV, Paperback, 320 Seiten, 26,00 €.


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Kommentare ( 41 )

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Deutscher
8 Tage her

Nicht die Brandmauer muß weg, die neuen Einheitsparteien müssen weg!

Nibelung
8 Tage her

Die AFD ist ein liberal-konservative Partei und ist somit ein Mitbebewerber ihrer alten Parteien, der sie ja entsprungen sind und Aufmüpfige und Andersdenkende hat jede Partei was kein Alleinstellungsmerkmal für die AFD darstellt und eine weiterere perfide Feststellung ist, was man mit den Linken NGO`s und der Antifa sofort wiederlegen könnte. Das hat nun im Gleichklang mit allen linken Kräften dazu geführt, sie aus strategischen Gründen zu Nazis zu machen, was der untersten Schublade geistigen Unvermögens entspricht und das scheint aber nicht mehr zu fruchten, weil die Leute das falsche Spiel verstanden haben und sehr wohl wissen, wen sie vor… Mehr

LiKoDe
9 Tage her

Dr. phil. habil. Patzelt [CDU] versucht natürlich, die CDU vor einem weiteren Abstieg zu retten.

Denn die CDU wurde von Fr. Merkel und deren Förderern/Unterstützern sowie ihren Funktions- und Mandatsträgern und Mitgliedern ziemlich abgwirtschaftet.

Manfred_Hbg
9 Tage her

Naja, auch wenn ich Patzel’s Buch natürlich nicht gelesen habe, halte ich Patzel’s Weisheiten im Kampf gegen die AfD dennoch für überflüssig, denke das er mit sein Buch keinen normal denken könnenden Bürger ansprechen wird und das er damit auch keinen aus der vergrünten Merz-CDU erreichen wird weil auch sie hinter ihrer Brandmauer sitzend in ihrer selbst verordneten, immer grüner und sozialistischer werdenden, Ideologie und Haltung gefangen sind. Ich meine, „das blaue Wunder entzaubern“, was soll solch Geschwafel? Und vor allem auch, WIE soll das bitte vor sich gehen und WER genau bitte wie umsetzen??! Wenn hier zum Beispiel bei… Mehr

Montgelas
9 Tage her

Bei diesem Artikel kann man so ziemlich jeden Satz *) unterschreiben!
*) bis auf die Wortwahl „zu stellen“.. Dieser Begriff ist nicht gerade positiv besetzt.
(jemanden) stellen -. Assoziationen: (jemanden) jagen · (jemandem) nachsetzen · (jemanden) treiben · … festnehmen · aus dem Verkehr ziehen · dingfest machen · –
Zitat aus der Seite Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Last edited 9 Tage her by Montgelas
Ernst K.
10 Tage her

Aufgabe der aus Steuergeldern honorierten Politiker ist es nicht, die AfD zu stellen oder gar zu halbieren, sondern Politik für, und nicht gegen, den Wähler zu machen, egal, welche Kräfte den besten Lösungen zustimmen.
Herr Patzelt denkt hingegen darüber nach, wie man die AfD „entzaubern“ kann.
Fazit: Thema verfehlt.

Ron
10 Tage her

Seit Jahren höre ich, die AfD müsse man entzaubern, politisch stellen. Doch außer Ausgrenzung sehe ich nichts. Gegenargumentation kommt bestenfalls auf Kindergartenniveau. Bei allem Respekt Herr Kraus – ich schätze ihre Meinung sehr -, fühlen sie sich mit der CSU noch wohl? Wären sie und in Memoriam F.J. Strauss heutzutage nicht eher AfDler?

MartinKienzle
10 Tage her

Man dreht sich permanent im Kreis, indem man die Lösung der vorliegenden Problematik konsequent verschweigt: Die Weltanschauung der BRD-Partei (Mitte-)AfD, ergo Bewahrung der christlich-patriarchalen Gesellschaftsordnung, kurz: Konservatismus, wird durch die existierende bunt-feministisch-tolerante Welt der Bundesrepublik Deutschland niemals eingebunden, torpediert werden, da ansonsten das Letztere aufgrund fehlender Argumente binnen kürzester Zeit zusammenbrechen würde, das bedeutet, dass der sogenannte „Feminismus“ zur Gänze eine Annullierung erfahren muss, um dadurch die bunt-feministisch-tolerante Welt der Bundesrepublik Deutschland auflösen zu können, die eben auf der sogenannten (feministischen)“Befreiung der Frau“ basiert, das wiederum den Weg für konservative (männliche) Politik ebnet, da die weibliche sowie die männliche Sicht… Mehr

Klaus Uhltzscht
10 Tage her

Seit Prof. Patzelt für seine wissenschaftliche Arbeit über Pegida 2019 vom Staat gemassregelt wurde, stelle ich bei ihm eine gewisse Schreibhemmung fest. Er sagt und schreibt öffentlich nicht mehr alles, was er als Wissenschaftler sieht.
Schade.
Aber egal. Im AfD-Lager gibt es genug kluge Leute, die seinen Ausfall bei der politischen Lagebeurteilung kompensieren. Diese andere Generation ist auch nicht wie er in einer pathologischen Mutti-Bindung zur CDU verfangen.

Dr.KoVo
10 Tage her

Definitiv werde ich das Buch weder kaufen noch lesen. Mit Aufforderungen wie „entzaubern“ verrät der Autor, wo er wirklich steht. Das hatte ich bei Patzelt allerdings schon immer vermutet. Mal wirft er so ein Bonbon hin, dann zeigt er sich wieder als Opportunist.