In die staatliche Ideologie der DDR verstrickt

In „Margos Töchter“ stecken ein Frauen- und ein Familienroman, ein Agentenkrimi und ein politischer Thriller. Stephan ist Historikerin und Journalistin, die Fakten, auf denen sie ihre Erzählung aufbaut, hat sie sorgfältig recherchiert.

„Menschen wollen wissen, von wem sie abstammen, ob von Verbrechern, von Irren. Oder von Heiligen.“ In Cora Stephans spannendem Roman versucht Jana, Klarheit über ihre Herkunft zu erhalten. „Margos Töchter“: Da ist Clara, die Jana in der DDR auf die Welt gebracht hat, und da ist Leonore, die sie im Westen als ihr Kind großgezogen hat. Jana weiß nicht, wer ihre biologische Mutter ist, und Clara und Leonore wissen nichts voneinander. Vordergründig geht es um die geheimnisvollen Beziehungen zwischen Großmutter Margo und den beiden „Müttern“, die sich erst klären, wenn das Geflecht aus Lügen, Verrat und Missbrauch zerreißt, das zuvor nur einer durchschaut: Hans Stahl, Generaloberst der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit, der im Hintergrund die Strippen zieht. Die Autorin versagt sich Sentimentalität und moralische Bewertungen. Sie ergreift für keine ihrer Figuren Partei, alle – bis auf Hans Stahl – sind unwissentlich Opfer und unwissentlich Täter. Der Schauplatz des Romans ist das Deutschland vor und nach der Teilung, vom Kriegsende bis in die jüngste Gegenwart. Nicht was Ost und West trennte, steht im Vordergrund, sondern was sie verband.

Alte Bekannte tauchen erneut auf

Unter dem Pseudonym Anne Chaplet hat Cora Stephan Dutzende Kriminalromane veröffentlicht. Sie weiß, wie man Spannung dosiert steigert. Wer sich in den Bann begibt, wird das Buch bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand geben.

„Ab heute heiße ich Margo“ (2016) war Stephans erster Roman, den sie unter ihrem wahren Namen veröffentlichte. Im Mittelpunkt der Erzählung, die von den 1930er Jahren über die Nazizeit bis zur Jahrtausendwende reicht, standen Margo und ihre Freundin, Rivalin und Gegenspielerin Helene. Wer ihn gelesen hat, wird in „Margos Töchter“ alte Bekannte treffen, zum Beispiel auch den ehemaligen Spanienkämpfer Hans Stahl, den Dämon des Familiendramas. Man muss den ersten Teil nicht kennen, um dem zweiten folgen zu können, aber man wird den Wunsch verspüren, die versäumte Lektüre nachzuholen.

Sorgfältig recherchierte Fakten sind das Fundament des Romans

In „Margos Töchter“ stecken ein Frauen- und ein Familienroman, ein Agentenkrimi und ein politischer Thriller. Stephan ist Historikerin und Journalistin, die Fakten, auf denen sie ihre Erzählung aufbaut, hat sie sorgfältig recherchiert. Die späten 1960er Jahre und das „rote Jahrzehnt“ der 1970er, das einen großen Teil des Romans einnimmt, hat sie noch gut genug in Erinnerung, um gegen den Mythos der Befreiung anzutreten, der von der linken Publizistik genährt wird.

Cora Stephan: "Margos Töchter"
Ein Krimi der deutschen Geschichte
In der westdeutschen Szene ist die Stasi von Anfang an präsent. Leonore lässt sich in einer Münsteraner WG auf ein flüchtiges Verhältnis mit dem Terroristen Jost ein, der ihr die Brieftasche und die Personaldokumente klaut. Ein szenebekannter Anwalt rät ihr von einer Anzeige ab. Für die Genossen könnte das „üble Folgen haben“, bekommt sie zu hören, und dann, mit drohendem Unterton, „auch für dich“. Auf ihren Namen wird ein Wagen gemietet, der als Fluchtauto bei einem Banküberfall dient. Mit Mühe gelingt es dann Leonore, den Verdacht der Mittäterschaft auszuräumen.

Ein Sittengemälde des linken Milieus der Vorwendezeit in „Westdeutschland“

In der DDR verpflichtet sich Clara im Alter von 13 Jahren zur Zusammenarbeit mit der Stasi; sie geht später zwei Jahre lang freiwillig ins Frauengefängnis von Hoheneck, um die Legende zu untermauern, die ihr Führungsoffizier Hans Stahl für den Einsatz im Westen verordnet; sie stimmt sogar zu, dass ihr die Tochter weggenommen wird. Im Fall der Wiedervereinigung wird sie im Westen „unsere Sache vertreten und die Dinge in unserem Sinne beeinflussen“, denn eines Tages, sagt Stahl, „stellen wir Ministerpräsidenten und, wer weiß, den Kanzler!“

Bis es soweit ist, durchwandert Clara die Redaktionen linker Medien, vom anarchistischen „Indigo“ bis zum „Frankfurter Rundblick“, lernt Anwälte, Lehrer, Journalisten kennen, die mit der RAF sympathisieren und die DDR für das bessere Deutschland halten. Kurz gesagt, Cora Stephan bürstet so energisch gegen den Strich, dass manchem eingefleischtem Linken die Haare zu Berge stehen dürften.

Interessen der SED werden von Kadern und IMs der STASI noch heute gewahrt

Claras langfristige Verpflichtung, die Interessen der SED über den Bestand der DDR hinaus zu wahren, vor allem „ihr Eigentum“ zu sichern, wird mit der Wiedervereinigung schlagend. Sie hilft Stahl, Millionenwerte für die Partei zu retten. Hinter der Ermordung des Treuhandchefs, zu der sich die RAF bekennt, steht die Stasi; exekutiert wird die Tat von Jost, dem alten Bekannten Leonores. Dieses Wissen kostet Leonore das Leben, die bei einem inszenierten Autounfall ums Leben kommt.

Die SED verfügte ihren eigenen Angaben zufolge über 6,13 Milliarden DDR-Mark, die im Zuge der Währungsunion zum Kurs 2 : 1 auf D-Mark umgestellt wurden. Hinzu kamen, wie der Historiker Hubertus Knabe kürzlich schrieb, rund 90 Millionen D-Mark auf ausländischen Konten, deren Existenz die Partei verschwieg. Am 21. Dezember 1989 beschloss das Parteipräsidium, „wirksame Schritte gegen Angriffe auf das Eigentum der SED-PDS einzuleiten“. Die Fokussierung auf die Umtriebe der Stasi, sagt Cora Stephan, habe vor allem einen Zweck verfolgt, nämlich von der SED und ihrem Milliardenklau abzulenken. Wie die Parteioberen ihn bewerkstelligten, schreibt Knabe, biete Stoff für mehrere Krimis. Cora Stephans großer Roman steht hier an erster Stelle.


Diese Besprechung von Karl-Peter Schwarz erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Cora Stephan, Margos Töchter. Roman. Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 22,- €


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Kommentare ( 1 )

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ossiosser
3 Jahre her

Schwarz gibt den Roman trefflich wider. Ich hab ihn vor ein paar Woche gelesen und finde, er gäbe einen tollen Stoff für eine Netflix-Produktion ab. Unsere ÖR sind ja für so etwas weder inszenierungsprofessionell noch politisch (antikommunistisch! OmG!) in der Lage.