Wer eine Streitschrift gegen große Klappen und große Transformationen sucht, ist bei Erasmus von Rotterdam in besten Händen. In seinem „Lob der Torheit“ fährt er einerseits heftige Attacken gegen die Mächtigen seiner Zeit, anderseits gegen rechthaberische Besserwisserei im Allgemeinen

Der Theologe und große Humanist Erasmus von Rotterdam hasste scholastische Haarspaltereien und liebte altgriechische Satiren. Aus dem Geist der Komödie schuf er in lateinischer Sprache moderne europäische Literatur und wurde damit in den frühen Jahren des Buchdrucks zum Bestsellerautor. Sein beliebtestes Werk, „Lob der Torheit“ („Moriae encomium“), 1511 erschienen, ist bis heute ein gepfeffertes Lesevergnügen – und doch weit mehr als das. Es ist ein Werk der praktischen Vernunft.
Es spricht in dieser „Lehrrede“ die Torheit persönlich, selbstredend eine Frau, eine antike Göttin gar, Tochter des Pluto, Gott des Reichtums, und der betörenden Nymphe Jugend. Geld und Sex, die Dinge, die das Leben bestimmen, sind die Eltern der Torheit.
Ihre Lobrede ist freilich alles, nur nicht dumm. Selbst wenn die Torheit vermeintlich Törichtes von sich gibt, trifft sie die Wahrheit. Damit verwirrt Erasmus seine Leser. Tatsächlich ist dieses „Lob der Torheit“ von erfrischender Klarheit. Seine Leser können nicht anders, als sich selbst zu erkennen und sich mit der Torheit zu identifizieren. Es ist ein Buch für gebildete Toren, für die Eliten seiner Zeit – und jeder Zeit. Zu den unbestreitbaren Vorzügen der Toren im Sinne des Humanisten Erasmus zählt, dass sie ihr Leben genießen. Denn der Tor zweifelt nicht an sich selbst. Angsthasen und Zauderer sind nicht unter den Toren zu finden. Sie mögen närrische Angeber sein, nur Sorgen machen sie sich nicht. In diesem Sinne ist Torheit Bedingung von Lebenslust. „Nur im Unverstand ist das Leben angenehm“, von der Wiege bis zur Bahre, formuliert er.
Erasmus fasste den Begriff der Torheit weit: Häufig bedeutet er Blindheit. Etwa die Blindheit der Liebenden. Die Torheit „sorgt dafür, dass die Gattin dem Gatten angenehm bleibt und umgekehrt der Gatte der Gattin, dass Ruhe im Haus herrscht und die Verbindung dauerhaft bleibt“. Auch ohne Alterstorheit wären Lebensüberdruss und Todesfurcht unvermeidlich.
Dialektik der Lebenskunst
Ohne Torheit hielten weder Familien noch Staaten zusammen. „Das Volk erträgt den Fürsten nicht lange, der Herr seinen Knecht nicht, das Gesinde keinen Herrn, der Lehrer keinen Schüler, der Freund keinen Freund […], wenn sie nicht gemeinsam bald irren, bald schmeicheln, bald einander weise durch die Finger sehen, bald sich den Honig der Torheit ums Maul schmieren.“ Das ist die Dialektik der Lebenskunst, dass sie ohne Torheit nicht auskommt. Töricht ist klug und klug ist töricht. Mit schelmischer Gewitztheit porträtiert Erasmus den Wahnwitz des Lebens.
Selbst die Leidenschaft der Forscher, Unternehmer, Staatenlenker kommt ohne ein gerüttelt Maß törichter Überheblichkeit nicht aus. Torheit ist zweifellos eine der Triebfedern menschlicher Anstrengung. Kein Wunder, dass Kaiser und Päpste der Torheit huldigen. Die subversive Kraft von Erasmus’ Rede ist deshalb politisch. Er beschreibt genau, was auch heutige Politiker offenbaren: „Was gibt es schon Törichteres als einen Amtsbewerber, der vor dem Volk herumdienert, als das scheffelweise Einheimsen der Gunst, die Jagd nach dem Beifall des dummen Haufens, selbstgefällige Freude an öffentlicher Anerkennung, sich wie eine Trophäe unter den Augen des Volkes im Triumph herumfahren zu lassen? […] Solche Torheit gründet Staaten.“
Das „Lob der Torheit“ ist aber nicht bloß eine Satire über die Macht. Es führt vor allem die rechthaberischen Besserwisser, moralinsauren Korinthenkacker und verbissenen Dogmatiker ad absurdum. Da klingt Erasmus besonders aktuell. Sein Fazit: „Das gesamte menschliche Leben ist nichts anderes als ein Spiel der Torheit.“ Man muss sich dessen nur gewahr sein. Alles andere wäre wirklich dumm. So erweist sich das bissige Traktat als pragmatische Philosophie, in deren Tradition beispielsweise Paul Watzlawicks Bestseller „Anleitung zum Unglücklichsein“ steht.
Torheit als Versteck
Auch der Gesellschaftskritiker Erasmus schlüpft ins Gewand der Torheit, um sich zu verstecken. Seine Kritik an den wirklich Dummen, den Mächtigen, soll ihm keine Schwierigkeiten machen. Er will gewinnen, ohne allzu viel zu wagen. Es ist ja vermeintlich nur die Torheit, die da spricht, und das, was sie sagt, also nicht ernst zu nehmen. Damit versucht sich Erasmus herauszureden. Die Satire ist hier Methode – angreifen und zugleich unangreifbar bleiben.
Stefan Zweig, einer der großen Bewunderer des Erasmus, bringt dessen „Schwäche“ auf den Punkt. Sie bestehe darin, dass er „immer zu vernünftig und zu wenig leidenschaftlich fühlte, dass sein Nicht-Partei-Nehmen und Über-den Dingen-Stehen ihn außerhalb des Lebendigen stellte […], das eigentlich Produktive aber setzt tatsächlich immer auch einen Wahn voraus. Weil so wunderbar wahnlos, ist Erasmus lebenslang immer leidenschaftslos geblieben, ein kühler und großer Gerechter, der das letzte Glück des Lebens, die volle Hingegebenheit, die heilige Selbstverschwendung nie gekannt.“
Erasmus, von Luther wie von den Päpsten umworben, hielt sich raus. Und geht doch weiter als alle Reformatoren. Denn er kritisiert nicht nur das Establishment der Kirche, er geht ans Eingemachte des Glaubens: „Die christliche Religion hat allem Anscheine nach eine innige Verwandtschaft mit der Torheit und recht wenig mit der Weisheit gemeinsam […] Schließlich gibt es keine besesseneren Narren als die von christlicher Glaubensinbrunst einmal ganz erfassten […], sie scheinen jedes Gefühl für gesunden Menschenverstand eingebüßt zu haben.“ Genug? Noch lange nicht. Auch dass Christus sich ans Kreuz nageln ließ, kann Erasmus’ Ansicht nach nur „eine gewisse Art von Torheit“ gewesen sein.
Frontalangriff auf die Mächtigen
Die von Erasmus selbst verbreitete Legende, er habe sich das schmale Hauptwerk so nebenbei ausgedacht, als er auf dem Rückweg von Italien zu Pferd über die Alpen ritt, habe es in wenigen Tagen aufs Blatt geworfen, einen bloß oberflächlichen Spaß eben, ist falsch. Offenbar war ihm der Frontalangriff auf die Mächte seiner Zeit doch nicht ganz geheuer. Und er wurde ja auch heftig kritisiert dafür.
Tatsächlich schrieb er das Buch in aller Ruhe in England, zu Gast bei seinem Freund Thomas Morus. Der landete bekanntlich auf dem Schafott und als Heiliger im Himmel, weil er sich der Kirchenspaltung seines Königs, des berüchtigten Heinrich VIII., konsequent verweigert hatte.
„Ich liebe die Freiheit. Ich will und kann niemals einer Partei dienen.“ Das ist das knappe Glaubensbekenntnis des Renaissance-Geistesriesen. Man kann das als wankelmütig und ängstlich kritisieren, aber es ist zu Zeiten der Inquisition eine hohe Kunst. Heute würde seine Methode „Delegitimation“ oder „Verächtlichmachung des Staates“ genannt – und vermutlich käme er mit dem Hinweis auf die Freiheit der Satire bei seinen Gegnern nicht durch.
Erasmus ist, wenn man so will, der Hausheilige aller Skeptiker. Sein Traktat immunisiert gegen große Klappen und große Transformationen. Deshalb ist er gerade heute ein Vorbild.
Erasmus von Rotterdam (1466–1536) gilt als einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Er lebte und arbeitete in England, Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Im Gegensatz zu Luther bewahrte er sich die Hoffnung, dass man die Kirche erneuern kann, ohne sie zu spalten. Anders als Luther wählte er für seine Bearbeitung des Neuen Testaments nicht die Sprache des Volkes, sondern Griechisch, um zu den Quellen zurückzukehren.
Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit. Aus dem Lateinischen von Kurt Steinmann, Penguin Edition, Paperback, 240 Seiten, 10,00 €.
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Diese Erkenntnis des Gelehrten sollte man dem neuen Kanzler näher bringen, denn der hat in Frankreich erklärt, daß er sich geehrt fühlt der großen europäischen Sache dienen zu können und beim eigenen Volk läßt er nach der Wahl diese Worte vermissen, im Gegenteil, was die echten Konservativen anbelangt hat er doch auf die unfreundliche Art den Spruch von Götz von Berlichingen gegen einen großen Teil der Bevölkerung sich geistig zur Devise gemacht, „sie können ihn im Ar….. lecken und das ist das Gegenteil von Aussöhnung und Verständnis und wird diesem Herrn auf Dauer noch schwer auf die Füsse fallen, wenn… Mehr
Laus stultitiae – die Laus im Pelz der Dummen. (Moriae encomium, zu Deutsch: Lob der Torheit (oder Lob der Narrheit), ist der Titel eines der bekanntesten Werke des niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam. Das Werk, ein herausragendes, zu seiner Zeit wirkmächtiges Beispiel der Narrenliteratur, ist auch als Laus stultitiae bekannt), gucksdu wiki.
Lob der Torheit – wie wunderbar. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Narr sein ist eine Tugend und eine Kunst. Früher gab es noch richtigen Fasching und Karneval in seiner urprünglichen Bedeutung. Das war wahrer Humanismus. Heute machen die Irren das ganze Jahr über Fasching und bemerken ihre Armseligkeit noch nicht mal. Heute wird der Unsinn zur Staatsräson erhoben und die Dummheit feiert ihren Endsieg.
Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Die Narren werden obsiegen. Die Verklemmten und Verbissenen fahren sich fest.
Das war überfällig, diese Laudatio auf Erasmus von Rotterdam.
Wundert sich übrigens jemand darüber, daß ein gewisser Herr Luther ihn hasste bis aufs Blut?
Hätte nicht gedacht, so lange Zeit nach der Schule ihn nochmals erwähnt zu finden. Gibt es nicht mehr in Zeiten des großen grünen Rotzes…
arte zeigte gerade den Film „Die Verlegerin“, Resumee:
„Die Presse* sollte den Regierten dienen, nicht den Regierenden.“
So wie bei uns? Nee, bei uns ist es genau andersrum!
* Auch wenn Funk undTV nicht Presse sind, gilt das auch für diese!!!
Der Narren sind so viele, welche die Wirklichkeit nicht wahrnehmen wollen, wie heute im besten Deutschland aller Zeiten. Heine hat es in seinem „Wintermärchen“ für die Deutschen in Europa einstmals so treffend beschrieben:
Franzosen und Russen gehört das Land, das Meer gehört den Briten, wir (die Deutschen) aber besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten.
Hurra und weiter so, im Luftreich des Traums, auf dem Weg zur tolerierten Massenmigration und zum Klima-Wohlstand in Armut. Ähnlich haben sich schon unsere Vorfahren in Kriege treiben lassen, mit dem Eiapopeia vom Himmel.
Die AfD hat ja ihre Stiftung nach dem Mann benannt, nachdem die Erstidee von der Familie abgelehnt wurde (vergessen wer das war).
Ich vermute Gauland ist auf Erasmus gekommen.
Jedenfalls gibt es in der AfD, mich eingeschlossen, wohl nur wenige die mit der interessanten Figur was anfangen können. Oder war das Abiturstoff?
Seien Sie sicher: Die gibt es in den anderen Parteien auch nicht. Dort ist ein alter weisser Mann wie der andere.
Stresemann, der große Liberale der Weimarer Republik, der als deutscher Außenminister wieder ein gangbares Verhältnis mit Frankreich anstebte. Sein französischer Partner war Aristide Briand, der ebenfalls auf Verständigung setzte. A.Gauland bevorzugte den Namen Stresemann für die Stiftung in Andenken an einen verdienstvollen Politiker seiner Zeit.
Erasmus der große Philosoph und Theologe zu Zeiten der Reformation ist allerdings auch keine schlechte Wahl für den Namen der Stiftung sondern eine sehr gute