Karl Lauterbach warnt vor Hotels – mit mutwillig verdrehten Fakten

Karl Lauterbach behauptet, eine „neue Studie“ würde ein hohes Corona-Risiko von Hotels beweisen. Das ist gleich mehrfach falsch.

imago images / Gerhard Leber

Gehen Hotelgäste ein hohes Risiko ein, sich bei einer Übernachtung mit Corona-Viren an Bettwäsche, Handtüchern und Türgriffen zu infizieren? Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, dauerpräsent in Talkshows und Medien, behauptete vor wenigen Tagen genau das – unter Berufung auf eine „neue gut gemachte Studie“ aus China.

Auf Twitter schrieb Lauterbach: „Neue gut gemachte Studie zeigt, dass asymptomatische Infizierte große Virusmenge im Hotelzimmer ausbreiten. Kopfkissen, Bettdecke etc. Da sich das Virus dort lange hält werde ich selbst Hotelübernachtungen weiter auf das absolute Minimum beschränken …“

— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) August 7, 2020

Darunter verlinkte er ein aktuelles Papier, das die Geschichte von Hotels als Corona-Falle belegen soll. Möglicherweise hatte Lauterbach die Untersuchung nicht richtig gelesen. Oder er rechnet nicht damit, dass seine Twitter-Gemeinde sich in den Text vertieft. Tatsache ist: Die Veröffentlichung, die er meint, zeigt überhaupt nicht, dass von Hotelübernachtungen eine überdurchschnittliche Infektionsgefahr ausgeht. Bei seiner Warnung handelt es um hysterische Stimmungsmache. Denn die Autoren der Untersuchung „Detection of Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 RNA on Surfaces in Quarantine Rooms“ veröffentlicht in der neuesten Ausgabe von „Emerging Infectious Diseases“ – beschäftigten sich nicht mit dem regulären Hotelbetrieb und dort möglicherweise existierenden Corona-Risiken.

Die sieben Forscher (Fa-Chun Jiang, Xiao-Lin Jiang, Zhao-Guo Wang, Zhao-Hai Meng, Shou-Feng Shao, Benjamin D. Anderson und Mai-Juan Ma) wollten vielmehr herausfinden, welche Reste des SARs-CoV-2-Virus sich in zwei Räumen nachweisen ließen, in denen jeweils ein China-Heimkehrer seine Quarantänezeit verbracht hatte. Konkret handelte es sich um zwei Studenten, die jeweils am 19. und am 20. März 2020 ohne Symptome aus dem Ausland zurückgekehrt waren, und denen je ein Zimmer in einem zum Quarantäne-Heim umfunktionierten Hotel für die zwei Wochen Zwangsaufenthalt zugewiesen wurde. Während dieser Zeit wurden beide positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Drei Stunden nach dem Positiv-Test begann das Forscherteam, in beiden Räumen Proben von Bett- und Kopfkissenbezügen, Türklinken, Lichtschaltern, Handtüchern und anderen Oberflächen zu nehmen. Insgesamt erwiesen sich acht von 22 Proben als positiv.

Es drängt sich die Frage auf, welchen Sinn Lauterbachs Begriff „Studie“ für die Untersuchung ergibt. Denn sie konzentriert sich auf ein sehr kleines Feld: Zwei Personen, 22 Proben. Vor allem aber bezieht sich die Untersuchung ausdrücklich auf benutzte Bettwäsche, gebrauchte Handtücher und ein nicht gereinigtes Zimmer in einem umgewidmeten Hotel – also durchweg auf Bedingungen, denen kein Gast im regulären Hotelbetrieb ausgesetzt ist, wenn er in seinem fertig hergerichteten Zimmer ankommt. Möglicherweise reinigt die Servicekraft eines Hotels nicht jeden Lichtschalter und jede Türklinke perfekt. Nur: wer sich davor fürchtet, müsste den Nah- und Fernverkehr erst Recht meiden. Denn dort putzt niemand den Sitz und die Haltestangen, wenn ein Passagier aussteigt und der nächste seinen Platz einnimmt. Von Geldautomatentasten, Kartenlesegeräten im Supermarkt, Bargeld und Fahrstuhlknöpfen müsste sich jeder, der Lauterbachs Warnung vor dem Kopfkissenbezug ernst nimmt, erst Recht fernhalten.

Das führt zum zweiten Punkt: fanden die chinesischen Forscher tatsächlich eine „große Virusmenge“ auf Kopfkissen und Bezügen, wie Lauterbach suggeriert, also etwas hoch Ansteckendes? Das Wissenschaftlerteam schreibt in seinem Papier nicht von intakten Corona-Viren, sondern von SARS-CoV-2-RNA. Das Kürzel RNA steht für Ribonukleinsäure, einen DNA-ähnlichen Einzelstrang, der in der Regel dazu dient, genetische Informationen zu übertragen: „We collected a total of 22 samples from the 2 rooms of the quarantine hotel. Eight (36%) samples were positive for SARS-CoV-2 RNA. Ct values ranged from 28.75 to 37.59 (median 35.64). Six (55%) of 11 samples collected from the room of patient A were positive for SARS-CoV-2 RNA.“

„SARS-CoV-2 RNA gefunden“ heißt also nicht, dass ein intaktes Virus entdeckt wurde – sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit Überreste, die nicht mehr infektiös wirken.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen zur Überlebensfähigkeit des Virus auf Oberflächen. Fast alle kommen in Tests zu dem Ergebnis, dass SARS-CoV-2 vor allem über die Atemluft übertragen wird, aber auf Oberflächen – vor allem auf trockenem Material – nicht lange infektiös bleibt, auch wenn Spuren des Virus noch bis zu einem Monat später nachgewiesen werden können. Die Wahrscheinlichkeit, sich durch Berührung von Oberflächen anzustecken, die durch viele Hände gehen – etwa bei Papiergeld – sehen die meisten Wissenschaftler als gering an.

Fazit: Bei der von Lauterbach angesprochene Untersuchung handelt es sich um eine sehr kleine Stichprobe. Sie befasst sich weder mit dem normalen Hotelbetrieb, noch kommt sie zu dem Schluss, auf benutzten Kissenbezügen und in Handtüchern würden sich massenhaft intakte Viren tummeln.

Im Mai hatte Lauterbach behauptet, die so genannte „Kinderstudie“ des Virologen Christian Drosten würde mehr oder zwingend bedeuten, dass der Schulunterricht noch „mindestens ein Jahr“ ausfallen müsse.

Gegen diese Untersuchung von Drosten gab es von Kollegen erhebliche fachliche Einwände. Aber selbst Drosten hatte keine Schulpause von einem Jahr ins Spiel gebracht – der Kommentar kam exklusiv von dem SPD-Mann, der mit dem Papier des Virologen die Aufmerksamkeit für sich maximierte. Dabei scheint er dem Prinzip zu folgen: Lauterbach – keiner warnt besser.

Bahnfahren hält Lauterbach trotz Maskenpflicht für gefährlich, nebenbei schafft er es sogar, das von den Grünen geforderte Werbeverbot für Fastfood irgendwie mit Corona zu verknüpfen:

Dazu kommt im Wochenrhythmus die Ausrufung der „zweiten Welle“:

Mit seiner nach dem gleichen Muster gefertigten Pauschalwarnung vor Hotelübernachtungen trifft er eine Branche, in der viele Unternehmer jetzt schon ums Überleben kämpfen.

Lauterbach kämpft auf seine Weise auch: gegen die Gefahr, dass seine Medienpräsenz irgendwann auch wieder abnehmen könnte.

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