Breite Kritik an EU-Plänen für Chatprotokolle: „überschreitet alle Vorstellungen“

Die EU-Kommission hat ihre Pläne zu wahllosen Chatkontrollen vorgelegt – mit „Kindesmissbrauch“ als Anlass. In seltener Einigkeit laufen Tech-CEOs, Politiker und Netzaktivisten gegen die verheerende Idee aus Brüssel Sturm: Sie schädige die demokratische Gesellschaft.

IMAGO/Lobeca

Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Pläne für eine umfassende Chatkontrolle auf den Weg gebracht. Damit sollen Hoster und Messengerdienste dazu gezwungen werden können, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch aufzuspüren. Der Plan betrifft Dienste wie WhatsApp – und wäre für eine liberale demokratische Gesellschaft eine schwerwiegende Zäsur. Denn was die EU will, ist Einblick in die privaten und verschlüsselten Nachrichten ihrer Nutzer, koordninert durch eine Europol-„Zentralstelle“.

Die naheliegende Befürchtung: Das hochemotionalisierte Thema Kindesmissbrauch dient der EU womöglich als Dosenöffner – für die Büchse der Pandora. Schon in der Vergangenheit zeigte sich, dass für bestimmte Themen vorgesehene Maßnahmen schnell auf andere ausgeweitet werden können. So zum Beispiel in Großbritannien, wo ein staatlicher „Porno-Filter“ der Regierung plötzlich unangenehme Medienberichte einschränkte. Die Gefahr einer solchen Ausweitung besteht auch beim EU-Vorschlag: Für drei Arten von sexualisiertem Missbrauch soll es verschiedene Indikatoren geben, die in einer Datenbank verzeichnet sind. Wie genau die Betreiber die Indikatoren aufspüren sollen, spezifiziert der Entwurf nicht.

Die Anbieter sollen „geeignete Technologie“ einsetzen, um entsprechende Anzeichen zu erkennen. Das kann etwa bestimmte Software zum Scannen auf verdächtige Inhalte sein, zum Abgleich von Videos und Bildern mit bekannten Kindesmissbrauchsinhalten. Verdachtsfälle müssen dann den Behörden gemeldet werden. Anbieter sollen auch mittels Anordnungen zu Maßnahmen verpflichtet werden können. Wie schlecht dieses System funktioniert, zeigen Erfahrungen aus Amerika: Von den generierten US-Meldungen über angeblich illegale Inhalte enthielten die meisten in Wirklichkeit kein strafrechtlich relevantes Material. Das bedeutet, dass schon jetzt jeden Monat tausende unschuldige Bürger fälschlicherweise bei der Polizei gemeldet würden. Selbst echte positive Treffer führten regelmäßig zur Kriminalisierung von Kindern.

Die Kollateralschäden sind hingegen groß. Aktivisten, Politiker wie auch Tech-Firmen sind vereint in ihrer Ablehnung der Chatkontrolle und üben deutliche Kritik an Brüssels Plänen. Die Kommission wolle „mit Hilfe einer europäischen Big-Brother-Agentur die Onlinewelt überwachen“, kritisierte Moritz Körner, Innenexperte der FDP im EU-Parlament. Unternehmen dürften nicht gezwungen werden, Polizei zu spielen, ihre Kunden auszuspionieren und beim Staat zu melden. Körners Wortwahl ist klar und deutlich: „Diese Stasi 2.0 ist abzulehnen.“

Körner gehörte bereits im Herbst 2021 zu den lautstärksten Kritikern des EU-Vorhabens. Er zeichnete einen offenen Brief mit, in dem es hieß: „Wir sind sehr besorgt, dass private Kommunikation einer Massenüberwachung unterworfen werden könnte und Hintertüren zu Ende-zu-Ende-verschlüsselten Kommunikationsdiensten zwingend vorgeschrieben werden könnten“. Eine wahllose und generelle Kontrolle der Online-Aktivitäten aller Menschen „für den Fall der Fälle“ verursache verheerende Kollateralschäden: Eine solche weitgehende Maßnahme hätte „eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Grundrechte im Internet“.

Für die Kampagne „Chatkontrolle stoppen“, die heute mit ersten Protesten gegen die Maßnahme auf die Straße ging, steht fest, dass es sich um die größte Überwachungsinitiative seit Langem handelt: „Es ist jetzt an uns als digitaler Zivilgesellschaft zu zeigen, dass das absolut inakzeptabel ist.“

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Kommentare ( 36 )

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Ralf Schierhold
10 Monate her

Mir fällt dazu nur folgendes ein, ein Zitat von Bärbel Bohley: „Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die… Mehr

Luckey Money
10 Monate her

Es gibt wie immer einfache Lösungen, austritt aus der EU! Dann sollen die sich doch selbst finanzieren. Ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass ein „Neues Europa“ gegründet werden kann. Mit Ungarn, Österreich, Deutschland und sicher einigen skandinavischen und Balkanstaaten. Dann ist Brüssel mit seinen korrupten und antidemokratischen Lobbyisten am Ende. Für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum benötigen wir Brüssel nicht, so einfach ist das!

Last edited 10 Monate her by Luckey Money
Deutschmichel
10 Monate her

Machen wir uns nichts vor, alles was machbar ist, wird auch gemacht. Bei uns dauert es nur etwas länger als in China. Es wird Schritt für Schritt, völlig geräuschlos eingeführt. Gegen dieses s.g. demokratische System, kann sich auch niemand wehren. Ich nenne nur den Zensus 2022. Ein Konstrukt was die EU Kommission beschlossen hat, völlig frei von jeglicher demokratischer Legitimation.

Deutschmichel
10 Monate her

+++Unternehmen dürften nicht gezwungen werden, Polizei zu spielen, ihre Kunden auszuspionieren und beim Staat zu melden.+++
Das müssen Unternehmen schon lange machen.
Wer sein Auto beispielsweise für 20.000 € verkauft, die Summe in bar erhält und sie anschließend auf seinem Konto einzahlen möchte, der muss dem Bank angestellten genau erklären wo diese Summe herkommt. Er muss sogar den Kaufvertrag vorlegen. Bei Bareinzahlungen über 10.000 €, sind die Banken gezwungen, zu klären wo das Geld herkommt. Kann der Kunde dies nicht, lehnt die Bank die Einzahlung ab. Hier spielt also der Mitarbeiter der Bank, Ermittlungspolizist.

Renz
10 Monate her
Antworten an  Deutschmichel

Warum haben Verbraucher ein Problem mit einer Einzahlung auf dem Bankkonto? Dieses Bargeld kann man nutzen um bar zu zahlen. Je weniger Plastikgeld, je mehr Bargeld genutzt wir, um so besser. Das behindert die Einführung des Giralgeldes. Je mehr bar-Bürger um so weniger Gläserne Bürger. Btw. Ich habe gerade mein Auto bar verkauft, und werde mein neues bar bezahlen. Ich wette, dass der Händler die 50000€ bar akzeptiert.

Klaus D
10 Monate her

wer hats erfunden!…..Onyx (Abhörsystem) – In den Schweizer Ortschaften Leuk und Heimenschwand stehen Parabolantennen, welche den Satellitenfunkverkehr abhören. Die abgefangenen Unmengen an Daten Funkemissionen, E-Mails, Telefongesprächen und Faxübertragungen werden automatisch meist anhand gezielter Schlüsselwörter auf relevante Daten für ihren Auftraggeber hin gefiltert. Weitere Filterkriterien werden mit Grossrechnern mithilfe künstlicher Intelligenz, optischer Texterkennung oder Stimmprüfung erzielt. Die Resultate werden dann an die Zentrale in Zimmerwald weitergeleitet. https://de.wikipedia.org/wiki/Onyx_(Abh%C3%B6rsystem)

Renz
10 Monate her
Antworten an  Klaus D

Dagegen gibt es ein analoges Mittel. Nicht nur Briefe schreiben, sondern einen eigenen simplen Code entwickeln. Frage nach eingegangenem Geld: Wie wachsen deine Blumen im Garten….Danke, ich werde dir welche schicken mit fleurop. Wer will das knacken? Und noch einen Tipp: öfter mal das Smartphone, PC und email tauschen oder ändern. Prepaid Karten etc.

RS
10 Monate her

Die EU-Kommission zeigt Tendenzen zu Autoritarismus und Totalitarismus, sie gebärdet sich, als sei sie eine Art EU-Regierung. Sie ist demokratisch in keiner Weise legitimiert und niemandem rechenschaftspflichtig. Sie ist ein willfähriges Instrument geworden, die nationalen Verfassungsorgane, die nationalen Demokratien selbst auszuhebeln. Die Bürger haben keinen Einfluß auf ihr Tun. Immer wieder gibt es Ideen, das Einstimmigkeitsprinzip der EU zu kippen und sie damit noch weiter zu delegitimieren. Sie ist in ihrer heutigen Form eine unkalkulierbare, unbeeinflußbare Gefahr für die Bürger.

Autour
10 Monate her

Naja, nun gibt es ein bisschen Widerstand und falls er doch etwas zu groß wird packt man ihn dann wieder für ein paar Monate weg. Dann holt man ihn wieder heraus und probiert es noch einmal und siehe da… schwub die wub ist die Überwachungs-EU einen gewaltigen Schritt weiter.

Renz
10 Monate her
Antworten an  Autour

Interessant ist ja wie toll unsere Top2 Versagerin die vdL auf ihrer neuen Stelle nicht nur akzeptiert sondern geradezu gehuldigt wird.

Orlando M.
10 Monate her

Die Gefahr einer solchen Ausweitung auf kritische Medienberichte ohne Zusammenhang mit KiPo besteht auch beim EU-Vorschlag“
Gefahr ist gut, das ist vollkommen beabsichtigt, Zensur durch die Hintertüre!

Mausi
10 Monate her

Was heisst den „Pläne auf den Weg bringen“? Und Klage einreichen kann man ja wohl kaum gegen einen Entwurf.

Aber das Ziel ist klar. Gibt es eigentlich keine ernsthaften Juristen, die darüber nachdenken, wie die bisherigen Regeln mit dem Schutz des Einzelnen auf die virtuelle Welt übertragen werden können? Sowohl bei Briefgeheimnis, als auch bei Pressefreiheit für gedruckte Medien oder virtuelle Marktplätze.

Schoenberg
10 Monate her

Dringend nötig wäre eine digitale Sicherheitsarchitektur gegen Angriffe von Hackern aller Art (staatlich und/oder kriminell), die jährlich z.B. der Wirtschaft einen Milliardenschaden zufügen, insbesondere vor dem neuen Zustand eines Kalten Krieges 2.0. Was tut unsere Politik? Sie will private Chats überwachen. Ein weiteres Beispiel für die Unfähigkeit der Politik – hier eben der EU – , echte Probleme zu lösen. Sie können nur Steuergeld zum Fenster rauswerfen.