Arbeitsgruppe der FDP schlägt Verlängerung der Laufzeit deutscher Atomkraftwerke vor

Eine Arbeitsgruppe der FDP hat vorgeschlagen, dass die sechs in Deutschland noch laufenden Atomkraftwerke länger am Netz bleiben können. Für die sich anbahnende Ampelkoalition wird es zum ersten Test, welchen Charakter sie haben wird.

IMAGO / Bihlmayerfotografie

„Aufbruch“. Mit dieser Metapher haben FDP und Grüne bis zum Erbrechen deutlich gemacht, welchen Anspruch sie an die erste Bundesregierung nach Angela Merkel stellen: Gewohnheiten sollen aufgebrochen werden, Probleme nicht weiter ungelöst bleiben und auch unbequeme Einschnitte gemacht werden. Der Aufbruch wäre somit vor allem ein Bruch mit dem Stil Merkels.

Das Versprechen Merkels an ihre Wähler war: Es solle sich möglichst wenig ändern. Entsprechend handelte die Bundeskanzlerin am liebsten gar nicht. Und wenn dann nur, wenn ihr Meinungsumfragen große Zustimmung signalisierten. Ob die einzelnen Schritte dann einen Weg ergeben und ob der zu einem erstrebenswerten Ziel führen würde, spielte dabei keine Rolle.

So war es auch in Sachen Laufzeitverlängerung. Merkel war dafür und setzte sie im Herbst 2010 durch. Dann kam es im darauf folgenden Winter in Japan zu einem Tsunami und als dessen Folge zu einem Gau in Fukushima. In Deutschland bekam die Antiatomkraftbewegung Auftrieb – und Merkel Schiss, die anstehenden Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu verlieren. Also nahm sie über Nacht nicht nur die Laufzeitverlängerung zurück, sondern beschleunigte obendrein den Ausstieg aus der Atomkraft.

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Die Wahlen gingen verloren. Trotzdem. Und für die CDU gerade deswegen. In Rheinland-Pfalz flog die FDP sogar aus dem Landtag. Dort kommt Rainer Brüderle her und mit dieser Bürde ging er zwei Jahre später als Spitzenkandidat in die Wahl um den Bundestag – um dann auch aus diesem zu fliegen.

Soweit zur Geschichte. Nun ist die FDP zurück und will einen Aufbruch. Alles soll anders werden als bei Merkel. Deswegen greifen Christian Lindner und Volker Wissing die Initiative der Arbeitsgruppe gerne auf und bringen das Thema Laufzeitverlängerung in die laufende Koalitionsverhandlung ein. Das war natürlich nur ein Witz, eine ironische Zuspitzung. Denn in Sachen Laufzeitverlängerung merkeln Lindner und Wissing weiter wie bisher. Sprich: Sie lassen das unangenehme Thema einfach rechts liegen.

Eine Laufzeitverlängerung ist mit den Grünen nicht drin. Eine große Mehrheit ihrer alten Mitglieder ist mit dem Kampf gegen Atomkraft groß geworden. Dieses Feindbild lassen sie sich so wenig nehmen wie ein Vierjähriger den Glauben an den Weihnachtsmann. Die SPD-Fraktion wird seit dieser Wahl von einem starken Juso-Flügel geprägt. Dessen Mitglieder schwärmen lieber von Karl Marx, als Adam Smith zu lesen oder auch nur ein Sachkundebuch über wirtschaftliche Zusammenhänge. In ihrem in Gut und Böse simplifizierten Weltbild kommt Atomkraft nur als Feindbild vor, nicht als Faktor.

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Dabei lägen die Gründe für eine Laufzeitverlängerung auf der Hand: Neben der Energie sollen auch Mobilität und Heizen auf Strom umgestellt werden. Doch Deutschland steigt aus der Kohlekraft aus. Die Grünen wollen diesen Prozess noch beschleunigen. Und nun kommen noch die Meldungen von der Explosion des Gaspreises dazu. Eine Preisexplosion ist naheliegend. Ein Land, das auf Export angewiesen ist und jetzt schon den höchsten Strompreis aller Industrienationen hat, trifft das besonders hart.

Zudem steht die Versorgungssicherheit zur Diskussion. Dafür gibt es eine Merkel-Lösung. Eine, die auf Stimmungen statt auf Fakten setzt: Wind- und Solarenergie ausbauen. Und was passiert, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht? Wind- und Solarenergie noch mehr ausbauen. Das ist wie ein Auto, dem der Kraftstoff ausgegangen ist – und der Besitzer löst das Problem, indem er sich ein neues Auto kauft. Eine Antwort auf das Schließen von Versorgungslücken, die ohne Atom, Kohle und mit teurem Gas entstehen.

Für die FDP wird die Atomenergie zur Gretchenfrage: Sag, wie hältst du es mit dem Regieren? Greifen die Liberalen auch heiße Eisen an und formen sie? Oder regiert die Ampel im Bund, so wie sie es in Rheinland-Pfalz tut: Strittige Probleme in Arbeitskreise abschieben, diese mit chicen Namen wie „Task Force“ oder „Ovaler Tisch“ anhübschen und sich dann darauf verlassen, dass kein Journalist mehr nachfragt, womit sich das Problem bis zur nächsten Wahl erledigt hat. Das funktioniert in einem Land, dessen wirtschaftliche Kraftzentren außerhalb der Landesgrenzen liegen. Etwa in Luxemburg oder im Rhein-Main-Gebiet. Aber nicht auf Bundesebene. Die Explosion der Gaspreise wird aber selbst dann nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden, wenn keiner mehr darüber berichtet.

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Kommentare ( 63 )

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63 Comments
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Stephan Stahl
2 Jahre her

Erst haben sie dem Ausstieg aus dem Ausstieg zugestimmt, dann dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Jetzt wollen sie den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Da vergeht mir das Lachen. Jetzt wollen sie den Wiedereinstig teuer verkaufen. Der Wiedereinstig ist aber unverkäuflich.

Hepeman
2 Jahre her

Der Witz mit den Grünen und FFF ist ja, dass sie verlangen, jeder müsse sich und seine Lebensweise komplett verändern, um möglichst viel CO2 zu sparen.
Warum sich dann aber ausgerechnet die Grünen nicht ändern und weiterhin gegen die wichtigste CO2-arme Stromerzeugung sind, erschließt sich mir nicht.
Argumente für Kernkraft und insbesondere für einen Ausstiegt zuerst aus der Kohle, statt der Kernkraft gibt es genug.
Gern auch bei meiner Petition zum Thema vorbeischauen: https://openpetition.de/!kohlezuerst

Ruediger
2 Jahre her

Die Gelben und die Grünen – was für eine Paarung. Die Rückgratlosen verbinden sich mit den Unfähigen. Zwei Parteien, die angeblich für ganz andere Anschauen stehen. Das war gestern. Heute kuschelt jeder mit jedem. Wir haben uns alle lieb. Und wenns um Geld geht, haben werfen wir auch unsere letzten Prinzipien über Bord. Es ist unglaublich. Die Grünen, ehemals fast ein Synonym für Pazifismus. Es waren jene Pazifisten, die der ersten Regierung nach 45 angehörten, die es uns Deutschen endlich wieder ermöglichten an einen völkerrechtswidrigen Krieg teilzunehmen. Es sind ebenjene Umweltschützer die Jahrzehnte lang gegen AKW Stimmung machten. Mit ihrer… Mehr

jwe
2 Jahre her

Ich wüsste jetzt nicht, warum die zukünftige Regierung scheitern sollte. Sie wird dem Bürger doch nicht aufgezwungen, sondern er hat sie in vollem Bewusstsein zukünftiger Klimahysterie und Abzockmentalität gewählt. Das mit Rot/Grün Preise für alles (Energie, Lebensmittel, Mieten, Nebenkosten, …) extrem steigen werden, natürlich um das Weltklima zu retten, war jedem vor der Wahl bekannt. Ebenso zukünftige Verbote und Gängelung sind gewünscht wie Verbot von Verbrenner-Autos, Autofreie Innenstädte, Geschwindigkeitsbegrenzungen, extreme Verteuerung von Öl- und Gasheizung, …. Und trotzdem hat man sie gewählt. Der Deutsche giert fast danach, endlich mit Steuererhöhungen und Verboten überschüttet zu werden.

Silverager
2 Jahre her
Antworten an  jwe

Den Bürgern ist einfach nicht beizubringen, dass es lediglich zwei Parteien in Deutschland gibt

  1. die linksgrüne CDUCSUSPDFDPGrüneLinke und
  2. die AfD

Und 90% der Wahlbeteiligten haben sich nun mal für die Einheitspartei entschieden.
Da ist völlig egal, in welche Konstellation dieser Einheitsblock die Regierung bildet.

Last edited 2 Jahre her by Silverager
Richy
2 Jahre her

Strom- und Energiepreise so hoch wie sonst nirgendwo. Wie soll eine Industrienation so überleben? Wie sollen die „einfachen“ Bürger, Rentner und Beschäftigten in den unteren Lohnniveaus Heizung und Benzin/Diesel bezahlen? Und dann noch der Gesellschaftskampf von Stadt (hauptsächlich Grün-Wähler) und Land ausgehen? In der Stadt kein Windrad, merkwürdigerweise kaum Solarflächen (stört das Stadtbild). Dem Landbewohner, der vielleicht auch wegen der Natur dort wohnt oder hingezogen ist, kann man jedoch alles zumuten. Neben den negativen Auswirkungen der WKA auch die Optik. Bäume werden abgeholzt, dafür WKA errichtet. Tausende Tonnen von Beton (verbleiben wahrscheinlich ewig in den verdichteten Boden) für die Fundamente,… Mehr

Eberhard
2 Jahre her

Eigentlich ist es egal, wer Deutschland wieder Atomkraft fähig macht. Wenn wir unsere wirtschaftliche, technologische und dazu noch Weltrettungsbefähigung nicht völlig infrage stellen wollen, werden wir uns wieder neu mit der Atomkraft anfreunden müssen. Nicht einfach so mit Laufzeitveränderungen, sondern mit Sicherheitserhöhung durch Neuentwicklung und einem weitaus größerem Einsatzgebiet als nur für und mit der veralteten vorhandenen Kraftwerkstechnik. Solange es nicht gleichwertiges in Bezug auf Verfügbarkeit, Kohlendioxid senkend und Wirtschaftlichkeit gibt, wird kein Hochtechnologieland ohne Nutzung von Atomkraft auch wirtschaftliche Höchstleistung erreichen können. Die Zeit ist längst reif für einen Neuanfang und die wissenschaftlich-technologische Weiterentwicklung auch durch Deutschland dringend nötig.

fatherted
2 Jahre her

Geht nicht….die Grünen werden die heilige Kuh „Atomausstieg“ nicht schlachten. Genausowenig wie den Kohleausstieg. Lösung: Einkauf von Import-Strom (also Atomstrom) aus den Nachbarländern. Evtl. baut Frankreich bei einem festen Liefervertrag von 40 Jahren ja an der Deutschen Grenze noch 4-5 Atomkraftwerke und liefert dann für 50 Eurocent die Kilowattstunde nach Deutschland rüber.

Walde
2 Jahre her

…und wie wir von der Physik wissen: halbiert sich der Wind, resultiert daraus nur noch ein Achtel der Leistung. Haben wir z.B. nur ein Viertel der Nennleistung, haben wir nur noch ein Vierundsechzigstel der Leistung – also fast nichts.
Deshalb haben ist das alles andere als effizient.

Daimondoc
2 Jahre her

Gibt es doch noch einige wenige in der Deutschen Politik die etwas Grips in der Birne haben.

Christoph Mueller
2 Jahre her

Am schlimmsten sind die bei Berg am Starnberger See. Verschandeln die ganze Landschaft und produzieren fast nie Strom! Ich sehe jedenfalls nur ganz selten, dass sie sich drehen.