Vom Glauben zum Wissen: Hamed Abdel-Samads langer Abschied vom Himmel

Die Universität Augsburg hatte ihn 2001 als besten ausländischen Studenten ausgezeichnet, nun hat sie sein Gespräch mit Studenten abgesagT. An der Universität München lehrte er jahrelang jüdische und islamische Geschichte, nun gibt sie ihm keinen Raum mehr.

Das Buch gibt uns ein Bild davon, was es konkret bedeutet, aus einer archaischen, vom Islam durchdrungenen Gesellschaft nach Deutschland zu kommen. Ein schicksalhafter Schritt, der von hiesigen Gutmenschen in einem Maße verharmlost wird, dass man es eigentlich nur auf einen unglaublichen Mangel an Schulbildung zurückführen kann, der die Kinder heutzutage zu einer gefährlich provinziellen und unsensiblen Denkfaulheit und Fantasielosigkeit erzieht, die keinerlei Differenzierungen mehr kennt.

Ein Ägypter in Deutschland

Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad (übersetzt: der dankbare Sklave Gottes) ist einer der meist beachteten Islamkritiker Deutschlands. Er hat einige aufschlussreiche Bücher geschrieben, ist in vielen Talkshows aufgetreten (am 21.5.16 auch bei „Tichys Einblick“). Wenn man bedenkt, dass er nie ein Blatt vor den Mund genommen hat und sich um Tabus nicht schert, verwundert es, welch große Bühne man ihm noch bis vor kurzem in den hiesigen Medien  geboten hat.

Der Koran ist nicht modern interpretierbar
Hamed Abdel-Samad und Imad Karim sprechen gegen Islamisierung und Islam-Verbände
Er spricht Klartext, ist belesen. Sein Anliegen ist die Aufklärung über den Islam durch einen nach allen Seiten hin offenen Diskurs. Ich selber habe von ihm – und auch von den Deutschkurs-Teilnehmern als Dozentin am Goethe-Institut – viel über den gelebten Islam gelernt. Seine Autobiografie „Mein Abschied vom Himmel“ habe ich erst vor kurzem in die Hände bekommen und war erstaunt über die Schonungslosigkeit, mit der er seinen bewegten und bewegenden Lebensweg beschreibt – und damit ein Bild davon vermittelt, was es bedeutet, in der rückständigen und autoritären Tradition das Islams aufzuwachsen und sich dann als Erwachsener von seinen dogmatischen Wurzeln lösen zu wollen.

Vieles, was hierzulande über den Islam vermittelt wird, gibt mir das Gefühl, dass die Urteilenden sich nicht im Entferntesten bewusst sind, welch tiefe Gräben Kulturen trennen können. Sie gehen von der eigenen kulturellen Prägung aus und wollen absolut keine Anstrengungen unternehmen, über ihren  Tellerrand hinauszublicken. Ideologie trifft auf Ideologie! Abdel-Samad:

Die fragwürdigen Bräuche sind wie Krebsgeschwüre. Nur die Symptome zu behandeln ist nicht mehr als blinder Aktionismus. Wenn man sich nicht an den Tumor selbst herantraut, dann gibt es keine Chance auf Heilung. Unser Krebs sind die seit Jahrhunderten verankerten Gesellschaftsstrukturen. Solange dieses System selbst aus Verlegenheit ab und zu scheinheilige fortschrittliche Gesetze erlässt, um mit dem Westen zu flirten, bleibt das Problem ungelöst – und die Geisteshaltung der Menschen dieselbe. (S. 83)

„Gott der Allmächtige schwieg!“

1972 ist „der dankbare Diener Gottes“ in der Nähe von Kairo in einem Dorf geboren. Seine Vater ist das von niemandem hinterfragte Oberhaupt, der Imam einer 20.000-Seelen-Gemeinde. Der kleine Hamed ist begabt, aufgeschlossen, wissbegierig; er lernt leicht. Als er drei ist, bringt ihm sein Vater Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Mit vier kann er schon die ersten Kapitel aus dem Koran auswendig. Bis zwölf soll er ihn vollständig aufsagen können. Viele Heranwachsende im Dorf konnten den Koran rezitieren, ohne zu verstehen, was sie sagen, und das erwartet sein Vater auch von ihm.

Mit vier Jahren wird er zu seinem Großvater nach Kairo geschickt, um dort den Kindergarten zu besuchen, den es im Dorf nicht gab. „Unter dem Moloch Kairo sind viele Namenlose bei lebendigem Leibe begraben“, schreibt er. […] Weil sie das System im Stich lässt, fühlen sie sich nicht verpflichtet, einen Moralkodex und die Regeln des Systems mitzutragen. Selbstzerfleischung, aber auch die Zerstörung der anderen, der Schwächeren, ist ihre ‚Überlebensstrategie‘. Manche gehen betteln, manche betäuben sich mit Benzin oder Drogen, manche stehlen Geld und manche einem vierjährigen Jungen die Kindheit.“ (S. 91)

Gewalt ist allgegenwärtig. „Gott der Allmächtige schwieg“ überschreibt Hamed das Kapitel, in dem er schildert, wie ihn ein Automechaniker-Lehrling aus der Nachbarschaft vergewaltigt, während der Kleine verzweifelt aus dem Koran rezitiert. Danach verpflichtet der 16-jährige Vergewaltiger ihn unter Todesdrohungen zum Schweigen, und er hält sich trotz seiner tiefen körperlichen und seelischen Verletzungen daran. Er besteht darauf, in sein Dorf zurückzukehren. Und das Leben dort geht weiter, als sei nichts geschehen. Als wäre nicht ein Kind  für sein ganzes Leben geschädigt worden. Mit viereinhalb Jahren wird er eingeschult. Im Unterricht wird ihm beigebracht, dass Israel der Erzfeind ist – ein Hass, der von Kindheit an gezüchtet wird. Er sieht Erwachsene und Kinder Tiere quälen und beginnt, Spatzen einzufangen und ihnen das Genick zu brechen.

Doppelmoral

Im Laufe der Jahre nimmt er seine Umgebung genauer wahr und lernt, die allgegenwärtige Doppelmoral der Gesellschaft zu durchschauen. In der Moschee predigt der Vater „Frauen darf man nicht schlagen, denn ihre Flügel sind gebrochen“ – während er gleichzeitig auf Hamed und seine Mutter einprügelt, wann immer sie sich seiner Meinung nach unbotmäßig verhalten. Für ihn bricht eine Welt zusammen, als er merkt, dass die Mutter weiterhin bis zur Selbstverleugnung hinter ihrem Mann steht und einzig und allein sich selber die Schuld für die Schläge gibt. Was der Vater predigt, hält er selber nicht ein. Wenn alle schlafen, hört er Musik, sieht fern und raucht Haschisch. Hamed nimmt sich vor: Er will nicht wie sein Vater werden. Er will keine zwei Gesichter haben.

Abschied von der Kindheit

Durch die mannigfaltigen Gebote und Verbote wird besonders die Zeit des sexuellen Erwachens zu einer Qual. Mit zwölf wird er noch einmal von einer Gruppe von Jugendlichen vergewaltigt. Er muss im Dorf miterleben, wie ein neunjähriges Mädchen verpflichtet wird, mit 16 Jahren – um der Ehre willen – einen geistig zurückgebliebenen Mann zu heiraten, weil er sie vergewaltigt hatte. Seine üppig und laut gefeierte Beschneidung erschreckt und verstört ihn. „Das Messer war zum Einsatz gekommen“, schreibt er, „aber die Zange noch nicht. Was wird man mir noch abschneiden? Die Antwort folgte wenige Minuten später. Fathi (der Quacksalber) nahm den Topf mit der Zange mit ins Nebenzimmer, und bald hörte ich einen kurzen lauten Schrei, aber keinen Jubel danach. Obwohl ich mit dem eigenen Schmerz beschäftigt war, konnte ich erkennen, dass dieser Schrei von meiner älteren Schwester Sabah stammte. Aber was hat ihr dieser Mann abgeschnitten? Sie hatte doch keinen Penis.“  Obwohl die Beschneidung von Frauen in Ägypten verboten ist, müssen noch immer 95 Prozent aller Mädchen diese Tortur erleiden, damit sie „ruhiger werden“.

Mit 16 Jahren macht er das Abitur, liest alles, was ihm zugängig ist – Shakespeare, Goethe, Rilke, Dickens, Hugo – und will nur eins: Endlich der dumpfen dörflichen Welt voller unterschwelliger und offener Gewalt, seinem „Fleckchen Elend“ entfliehen. Er studiert Fremdsprachen in Kairo, verdient sein Studium als Klempnergehilfe und Touristen-Anwerber für Pauschalreisen am Flughafen. Er steckt voller Ideen und Tatendrang, stellt viele Fragen. Probiert manches aus – ist auf der Suche. Er kommt mit dem Kommunismus in Berührung und fühlt sich schließlich bei den Muslimbrüdern geborgen, die für ihn gottgläubige Marxisten sind und im Islam die Lösung für alle Probleme sehen.

Die Mehrheit der Ägypter hat ein positives Deutschlandbild, schreibt er. Viele zieht es ins gelobte Land der Ungläubigen. Das reiche Land, in dem die hübschen Blondinen wohnen, in dem Milch und Honig fließt. Das dunkle Nazi-Kapitel wird ausgeblendet, bagatellisiert oder sogar gut geheißen. „Mein Kampf“ ist beliebte Lektüre. Die Affinität und Zusammenarbeit zwischen Hitler und dem Gründer der Muslimbruderschaft Hassan Al-Banna und Haj Amin al-Husseini, dem Großmufti von Jerusalem, ist bekannt.

„Diese verfluchte Freiheit“

Mit 23 Jahren gelingt Abdel-Samad der Sprung nach Deutschland, wo ihn Antonia, eine Lehrerin, die er auf dem Kairoer Flughafen kennengelernt hatte, schon erwartet und ihn bei sich in Augsburg aufnimmt. Schon bald nach seiner Ankunft gerät er in einen Strudel von ambivalenten Gefühlen: „Deutschland war für mich wie ein kompliziertes Gerät, für das es keine Gebrauchsanweisung gibt.“ (S. 21) Er fühlt sich „entmannt“, versteht die Sprache und den Humor nicht – versteht die Welt nicht mehr. Ihn entsetzen die Sexualmoral und der Alkoholkonsum. Er leidet unter Gefühlsschwankungen und Wutausbrüchen. Wird völlig aus der Bahn geworfen. Wie ein Ertrinkender hält er sich an seiner Herkunft, an seiner Kultur und Religion fest und glaubt, mit der Einhaltung der Regeln des Islam wieder Ordnung in sein Leben zu bringen. Doch trotz aller Zweifel und inneren Zerrissenheit treibt ihn sein Ehrgeiz an. Er lernt sehr schnell Deutsch, und sein Studium der Politikwissenschaften in Augsburg läuft gut.

Da der Islam Gedankenfreiheit und Selbstbestimmung nicht vorsieht , fühlt er sich verloren. Er schimpft mit seinen Landsleuten über die Konsumorientiertheit der Deutschen, merkt aber gleichzeitig, welchen Nutzen er aus dem System zieht. Er erregt sich über die sexuelle Freizügigkeit und erkundet ausgiebig das Augsburger Nachtleben. Die Frage, warum er denn in Deutschland bleibe, wenn alles so furchtbar sei, bringt ihn zum Nachdenken. Er erkennt die Doppelzüngigkeit seiner Landsleute, die mit ihm ganz anders reden als mit den Deutschen. Er erlebt Religionsgelehrte aus islamischen Ländern, die in Deutschland den Dialog und die Toleranz beschwören und zu Hause offen zum Dschihad gegen den Westen aufrufen. Er wird gläubiger als er es je in Ägypten war und dann wiederum deutscher als die Deutschen selber. Zunehmende Wutausbrüche, ein Gefühl der totalen Entfremdung und schizophrene Anfälle führen ihn schließlich für lange Zeit in eine Borderline-Therapiegruppe in einer psychiatrischen Anstalt. Er ist ein Borderliner – im wahrsten Sinne des Wortes. Es wird nicht sein einziger stationärer Aufenthalt bleiben.

Hamed bleibt ein Heimatloser, ein Bindungsscheuer – auch in der Liebe. Seine Suche führt ihn schließlich nach Japan, wo er wiederum eine ganz andere Kultur kennenlernt. Er schreibt: „Japan ist eine isolierte Insel, die durch viele unübersichtliche Rituale und ungeschriebene Gesetz für einen Ausländer ein Rätsel bleibt.[…] Außenseiter werden zwar freundlich empfangen und höflich bedient, aber sie werden niemals dazu gehören.“ (S. 234) Er erkennt, dass es in Japan keinen Ausländerbonus gibt. Man erwartet strenge Anpassung, und er lernt endlich, dass sein Problem in ihm selber und nicht an der Umgebung liegt. Dass er Eigenverantwortung übernehmen muss.

Hamed Abdel-Samads besonderes Anliegen

Wenn weit verbreitet behauptet wird, so Abdel-Samad, der Islam sei eine friedliebende und tolerante Religion, so ist das zwar zutreffend, aber eben nur für einen Teil der Aussagen im Koran. Ebenso kann sich der, der das Messer, das Schwert oder die Kalaschnikow zückt und Ungläubige tötet, auf den Propheten und seine Lehren berufen. Die frühen Verse aus Mohameds Zeit in Mekka sind die milderen und spirituellen. Nach seiner Flucht nach Medina war Mohamed jedoch ein strafender Kriegsherr, der von Kriegsbeute lebte und die regiden Gesetze durchsetzte, die heute in Form der Scharia gelten.

Heute ist Abdel-Samad ein leidenschaftlicher Kämpfer für die westlichen Werte der Aufklärung, für das Recht auf persönliche freie Entfaltung. Jahrelang hat er im Rahmen der „Islamkonferenz“ vergeblich versucht, den Innenminister und seinen Stab davon zu überzeugen, dass die konservativen Islamverbände, die nur 20 Prozent der Muslime vertreten, sich hier festsetzen, Steuergelder kassieren und auch die moderateren Gläubigen beeinflussen dürfen. Noch im April hat Erdogan 970 DITIP-Imame, Transporteure seiner politischen Ziele, nach Deutschland geschickt.

Und die Kirchen? In Tübingen haben gerade regionale Ableger des „Bundes der Deutschen Katholischen Jugend“ und des „Landesjugendverbandes der türkischen DITIB“ großflächige Plakate mit folgenden Aufschriften angebracht: „Alle Christen glauben an Allah“, „Alle Muslime glauben an Jesus“, „Barmherzigkeit und Nächstenliebe sind im Islam und Christentum gemeinsame Werte“, „Mein Kopf ist bedeckt, mein Verstand nicht.“ – Was ist los in diesem Land?!

image3

Hamed Abdel-Samad lebt inzwischen unter der Fatwa, kann nur mit Polizeischutz in die Öffentlichkeit gehen. Die Stadt Dortmund hat ihn bei einer Veranstaltung wieder ausgeladen. Die Universität Augsburg, die ihn 2001 als besten ausländischen Studenten ausgezeichnet hatte, hat sein Gespräch mit Studenten abgesagt und die Universität München, an der er jahrelang jüdische und islamische Geschichte gelehrt hat, will ihm keine Räume zur Verfügung stellen. Währenddessen arrangieren sich Politik und Kirchen mit Verbänden, die unter ihrer harmlosen Tarnung und Doppelsprech die Verbreitung des politischen Islam ausbrüten. Frei nach Sure 3, Vers 110: „Ihr seid die beste Gemeinschaft, die für die Menschen hervorgebracht worden ist. Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche und glaubt an Allah. Und wenn die Leute der Schrift glauben würden, wäre es wahrlich besser für sie. Unter ihnen gibt es Gläubige, aber die meisten von ihnen sind Frevler.“ Und Sure 8, Vers 12: „So festigt diejenigen, die glauben! Ich werde in die Herzen derjenigen, die ungläubig sind, Schrecken einjagen. So schlagt (ihnen auf) die Nacken und schlagt von ihnen jeden Finger!“

Im Islam sind alle, die nicht dieser „besten Gemeinschaft“ anhängen, verachtenswerte Ungläubige, Kuffars. Was dahinter steckt, dass gerade diejenigen die uns ihre menschenverachtenden Regeln aufzwingen wollen, millionenfach in unser Land gelassen und auch noch vehement gegenüber Aufklärern wie Abdel-Samad verteidigt werden, kann man nur vermuten. Was bedeutet es, wenn Verbrechen wie die der Kölner Silvesternacht, der Mord an der jungen Frau in Freiburg und der brutale Tritt in der Berliner U-Bahn der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollen? Werden die Taten dann doch bekannt, stehen nicht die Opfer im Mittelpunkt des Interesses, sondern das Bemühen, „Flüchtlinge“ genannte Einwanderer bloß nicht unter Generalverdacht zu stellen.

Was steckt hinter diesem wie das Amen in der Kirche folgenden blinden Verteidigungsautomatismus, für den alle vorhandenen Talkshows (Alexander Wallasch und Stephan Paetow berichteten) sich dann tagelang zur Verfügung stellen? Was soll hier so vehement verteidigt werden, dass die wahren Opfer darüber vergessen werden? Was für ein Bündel von obskuren Interessen wird hier bedient, die nicht ans Licht kommen sollen? Es kann doch nicht einfach nur Naivität und Gutmeinertum sein.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 97 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

97 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen