Kay Ray: „Das sind die Leute, mit denen ich mich gern streite“

Er teilt an alle gleich aus – trotzdem wollen einige damit nichts zu tun haben. Der Stand-Up-Comedian und Travestiekünstler Kay Ray spricht über die Cancel-Unkultur im Kulturbetrieb, Denunziantentum und Gendern aus Geldgier.

© Andreas Elsner

Kay Ray kam als Kai Lüdtke im niedersächsischen Osnabrück auf die Welt. In frühester Jugend wurde er als Travestiekünstler engagiert, ging nach Hamburg und hat seither nicht aufgehört, als Entertainer aufzutreten. Heute lebt er, der schon immer bisexuell war, mit Frau und Tochter in Hamburg. Sein Leben als „Fummeltrine“ in einer schwulen Szene, die er immer weniger verstand, hat er für ein Familienheim eingetauscht. Seinen Geburtsnamen legte er bei seiner Heirat ab, um den Namen seiner Frau anzunehmen.

Aber Kay Ray ist weiterhin sein androgyner Bühnenname. Seine Shows und Auftritte bleiben Epizentren des provokativen und gefährlichen Humors, den man eigentlich nicht beschreiben kann. Es geht in wenigen Worten darum, dass alle ihr Fett wegkriegen. Schon 2013 ahnte er, dass Frauen irgendwann zu „Menschen mit Menstruationshintergrund“ werden würden, und erhielt vereinzelt Auftrittsverbote wegen zu guter Witze über Randgruppen.

In den letzten Jahren bemerkte der Künstler ein sich verschiebendes gesellschaftliches Klima, dem er sich bald widersetzte. Das führte zu verschiedenen Beispielen der berühmten Cancel-Unkultur, bei der Menschen mit vernehmbarer Stimme und klaren Ansichten aus der Öffentlichkeit gedrängt werden. Zuletzt führte eine Denunziation zur Beendigung seiner Zusammenarbeit mit den AIDA Cruises. 2020 hatte man ihn im Schmidts Tivoli auf der Reeperbahn wegen seiner unkorrekten Witze entlassen – obwohl man jahrelang damit und davon gelebt hatte. Tatsächlich steckte aber noch etwas anderes dahinter, wie Kay Ray im Interview mit Tichys Einblick verrät: Es war, wen wundert’s, das Geld. Ein Gespräch über das Anderssein und wieviel davon im Deutschland von 2023 noch möglich ist.

Tichys Einblick: Kay Ray, Sie traten seit frühester Jugend als Travestiekünstler auf, seit 1996 auch mit Solo-Programmen, in denen Sie sich immer stärker dem klassischen Stand-up zuwandten. Man darf wohl sagen, dass Sie die „Szene“ gut kennen. Zugleich hegen Sie laut ihrem Twitter-Feed Zweifel, dass es so etwas wie „schwangere Männer“ gibt. Sind Sie am Ende ein TERF oder besser ein TERT, ein trans-exklusionärer radikaler Travestiekünstler?

Kay Ray: Es waren mehrere Metamorphosen, die ich durchlaufen habe. Ich begann als Fummeltrine, mauserte mich zur Fummeltante, um mir dann mehrere Operationen am Kopf aus dem Kopf zu schlagen. Mit meiner großen Nase wäre ich als Travestiekünstler auf Steffi Graf oder Barbra Streisand festgelegt gewesen. Heute sind die Menschen ja oft so stark operiert, dass man sich wundert, wenn das digitale Haus die Tür noch öffnet. Ich glaube, OPs verschönern, aber verändern tun sie uns in unserem Innern nicht. Wer sich operieren lassen will, soll das gerne tun. Ich habe schon vor Jahren davor gewarnt, alles zu nutzen, was die Medizin ermöglicht. Wäre es möglich, aus Menschen einen Kaktus zu machen, finden sich welche, die von sich behaupten, sie seien eine Agave im Körper eines Menschen. Es gibt aber nur zwei Geschlechter. Kay Ray war schon immer eine Kunstfigur. Ich liebe den Tanz auf dem Vulkan und bin notorisch streitsüchtig. Der Zeitgeist ist mein Dealer.

Das heißt, Sie sind in gewisser Weise abhängig vom Zeitgeist und dem Stoff, den er Ihnen gibt?

Ich bin süchtig nach Streit. Und die Menschen, die dem Zeitgeist folgen, sind meine Dealer. Die Leute, die mit einem Mal anfangen zu gendern, die sich keine Gedanken über die Migrationspolitik machen. Das sind die Leute, die mich in den Wahnsinn treiben. Das sind die, mit denen ich mich gerne streite.

Sie sind kein typischer Bi- oder Homosexueller, auch kein typischer Travestiekünstler. Macht das Ihr Leben einfacher oder komplizierter?

Was ist schon typisch? Ich habe in so mancher Szenebar Menschen erlebt, die typisch angezogen waren, sich aber völlig untypisch verhielten. In der Bibel steht: „Eine lange Dürre wird kommen.“ Das bringt mich zu Olivia Jones. Die sieht tagsüber aus wie ein langweiliger Hetero. Ich vergleiche mein Leben nicht mit dem Leben der anderen. Kompliziert wird es für meine Kritiker. Ich passe nicht in ihre Schubladen, denn ich lebe jeden Tag zwei Leben. Das von Kay und das von Kai. Der Zweifel ist mein Maß aller Dinge.

Seit einiger Zeit protestieren Sie gegen Cancel Culture (die sich ja häufig gegen sogenannte „Rechte“ wendet) und warnen etwa vor dem muslimischen Hang zur Verschleierung. Kann man mit solchen Ansichten in der Travestie-, Satire- und Kleinkunst-Szene überleben?

Man überlebt überall, wenn man sich nicht durch Erfolg definiert. Ich wollte nie durch die großen Hallen tingeln oder eine Fernsehkarriere machen. Mein Ziel ist es, Menschen, die gegen den Strom schwimmen, zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Das gilt für meinen Humor, aber eben auch für die Einstellung, nichts wirklich ernst zu nehmen. Es ist mir wichtiger, in meinem Bereich einzigartig zu sein. Ich bin quasi Dieter Nuhr im Fummel, oder wie Torsten Straeter einst sagte: „Du bist Schindlers Liste. Das Musical!“ Außerdem bin ich „Conchita Wurst long before Conchita Wurst“. Ich stand schon vollbärtig im Kleidchen auf der Bühne, als die Kollegen noch Zarah Leander parodierten. Alles „Normale“ lässt mich zweifeln. Deutschland ist Weltmeister im Zeichensetzen und Gesichtzeigen. Da bleiben Fragen. Wie zeigt man vollverschleiert Gesicht?

Sollten Drag-Queens an Grundschulen und Kindergärten auftreten?

Nein. Eltern sollten entscheiden, ob sie mit ihren Kindern auf eine Drag-Lesung gehen möchten. Zu Zeiten, in denen man den Räuber Hotzenplotz zum „Einzel- und Intensivstraftäter Hotzenplotz“ macht, darf man zweifeln, ob Drags mit Namen wie „Big Clit“ die geeignete Märchentante für kleine Kinder sind.

Was ist der Unterschied zwischen dem, was Sie und andere auf der Bühne machen – also Travestie, Verkleidungskunst im weitesten Sinne –, und dem Thema Transgender und Geschlechtsangleichung?

Kay Ray lässt sich nicht einordnen. Jemand sagte einmal zu mir: „Bei dir sitzt man auf einem Schlitten und fährt mit! Wenn man sich auf allerlei Unsinn einlässt, wird es eine wilde Fahrt.“ Das beschreibt meine Shows ganz gut. Die Kollegen möchten ihrem Publikum gerne „etwas mitgeben“. Das möchte ich nicht. Meine Arbeit ist kein Parteiprogramm, sondern eine lustige Show für Erwachsene. Ehrlich gesagt bin ich auch nicht helle genug, um den Menschen etwas mitgeben zu können. (Vielleicht sollte ich doch in die Politik gehen.) Mein Publikum darf gerne genau so gestrickt nach Hause gehen, wie sie gekommen sind. Nur lächeln sollten sie dabei.
Ich wurde geboren zu einer Zeit, in der Amanda Lear noch als Peki d’Oslo anschaffen ging. Das Hamburger „Pulverfass Cabaret“, in dem ich begann, war der Schützengraben der Unterhaltung und eine Welt, in der man all das sein durfte, was sich Georgine Kellermann wünscht. Übrigens auch als Zuschauer. Dass diese Welt damals besser funktionierte als heute, lag vielleicht daran, dass es niemanden gab, der ALLEN Menschen gegen ihren Willen über die Straße helfen möchte. Ich bin ein Fan von Anohni, einem nicht-binären Künstler. Seine Musik ist phantastisch. Seine Popularität hat aber etwas mit „diesem Geheimnis“ zu tun, das ihn umweht. Angesprochen auf sein Geschlecht, sagte er einmal sinngemäß: „Unwichtig. Die Welt hat andere Probleme!“ Ein krasser Unterschied zu Frau Kellermann. Die wird nicht müde, sich als mediale Instanz der Geschlechtsangleichung aufzuspielen. Ich frage mich, was sie darin zum Fachmann macht. Ihr Aussehen ist es nicht. So viel steht fest!

Ich nehme das Trans-Thema sehr, sehr ernst, habe jedoch ein Problem mit dem Aktivismus dahinter. Dunja Hayali sagte einst: „Man kann in Deutschland eigentlich alles sagen. Man muss dann halt manchmal mit Konsequenzen rechnen.“ Zunächst ist man bereits Nazi, wenn man Hayali in diesem Zusammenhang zitiert. Man kann mit 2.000 Euro Strafe „rechnen“, wenn man Tessa Ganserer „Markus“ ruft. Menschen mit Geldstrafen zu belegen, weil sie der Biologie glauben, ist nicht fair. Menschen Auftrittsverbote zu erteilen, weil Sie sich über diesen Aktivismus lustig machen, auch nicht. Mir geschah das in der ufa-Fabrik in Berlin. Ich gelte dort als transfeindlich, weil ich bei Facebook zum Thema gefühltes Geschlecht schrieb: „Wenn ich mich auf einem Tretroller so fühle, als führe ich eine Harley Davidson, bleibt der Roller ein Roller. Ich lasse mir übrigens demnächst auf Kosten meiner Krankenkasse einen Fahrstuhl in mein Haus bauen. Ich fühle mich neuerdings behindert.“

Ich wünschte mir, Frau Kellermann und Frau Ganserer würden versuchen, die Menschen über ihre Aura zu erreichen. Starrsinn hat noch niemanden weiter gebracht. Wenn ein Publikum mich nicht mag, ändere ich meine Taktik. Ein Lächeln wirkt da oft Wunder, ganz abgesehen von dem Wald, in den man hineinruft.

Äußerlich sehen Sie auch heute noch relativ bunt aus, sobald Sie auf einer Bühne stehen. Sagt das eigentlich etwas über Sie als Privatperson aus? Oder sind Sie vielleicht „ganz anders“?

Ich bin privat eher zurückhaltend. Ich liebe Kaffeetassen mit Untertasse und freue mich über das Wort „Kinderstube“. Kai David ist anders. Ein unruhiger Geist, weil er ständig mit Kay Ray im Streit liegt. Kay hadert oft mit sich. Er weiß, dass er mit dem, was er lustig findet, nicht bei jedem gewinnt. Nicht alles, was er auf der Bühne sagt, muss stimmen. Wenn er sich dann Rat holt bei Kai David, kann der auch nicht helfen. Der will nämlich nur seine Ruhe.

Heute leben Sie als Vater einer Tochter mit einer Frau zusammen. Wie kam das? Könnte man das ein „zweites Leben“ nennen? Hatten Sie irgendwann einfach genug von der schwulen Szene?

Ich habe immer gespürt, dass die Szene sich dahin entwickelt, wo sie heute ist. Deshalb möchte ich keiner Szene angehören. Ich bin ein bisexueller Familienvater, mit einer toleranten Frau verheiratet und mit Menschen befreundet, denen das LGBTIQ-Gedöns auf den Sack geht. Dazu zählen übrigens auch Schwule, Lesben und Trans-Menschen.

Sie moderieren unter anderem die Internet-TV-Sendung „Kay Ray darf alles“. Das verstehe ich im Sinn von: Kunst darf alles.

So ist es. Einzig Ungesetzliches ist nicht erlaubt. Die Moralkeule ist übrigens auch im Falle von Till Lindemann völlig fehl am Platz. Kay Ray fragt sich, wer eigentlich den Menschen hilft, die sich gerne mit Alkohol und Drogen vom Rammstein-Chef vernaschen lassen möchten. Wenn es denn so war. Ich habe mit ihm gearbeitet und glaube es nicht.

Sie bekennen sich ja zu Ihrer Streitsucht. Ist das ein anderes Wort für Individualismus?

Das Label „streitsüchtig“ stammt von einer Kollegin, die, als Mann geboren, nun im Entertainment tätig ist. Ich schätze sie sehr und kenne sie mein halbes Leben lang. Bevor sie berühmt wurde, tat sie zeitgeistigen Unsinn gerne als Gedöns ab. Heute gendert sie. Ich glaube nicht aus Überzeugung, sondern aus Geldgier. Sie hat mich bei Facebook gesperrt, als ich ihr das vorwarf. Dieser Umstand bestärkte mich in meiner Streitsucht, denn wir sind nicht alle einer Meinung. Wir sind alle individuell. Nur ist eben niemand einen Deut besser, nur weil er sich dem Zeitgeist andient. Es wird immer Menschen geben, denen andere Menschen nicht passen. Ihnen einzureden, das wäre falsch, und sie deshalb auszuschließen, halte ich nicht für fortschrittlich, sondern eher für Mittelalter.

Auch auf der Bühne nehmen Sie kein Blatt vor den Mund, und das seit Beginn Ihrer Karriere. Heute erleben Sie immer mehr Schwierigkeiten damit. Wann ist das gekippt? Hängt das irgendwie mit dem berühmten Jahr 2015 zusammen? Sie deuteten so etwas gelegentlich an.

2015 veränderte sich vieles für Kay Ray. Meine Tochter war vier Jahre alt, und ich kam ziemlich zerzaust nach getaner Arbeit nach Hause zurück von meiner Tour. Die Zustände in Deutschland waren für mich unhaltbar geworden. Die Kultur und die Medien diskutierten nicht mit Gegnern der Merkelschen „Wir schaffen das!“-Politik. Ich sah immer mein Kind in der Zukunft fragen: „Papi, was hast Du eigentlich getan, als die Deutschen übereinander hergefallen sind?“ Da wollte ich nicht antworten: „Mein Kind, ich habe nackt auf der Bühne gestanden und eine Schildkröte aus meinen Genitalien geformt!“ Das war zu der Zeit meine Paradenummer. Ich holte mir therapeutische Hilfe, lernte einen phantastischen Autor kennen und begann mich mit dem Zeitgeist und der Politik zu beschäftigen. Das Buch „Mal eben kurz die Welt retten“ vom Markus Vahlefeld hat mir dabei sehr geholfen. Plötzlich war mir klar, warum ich mich immer neben der Spur fühlte. Ich war ein Querulant. Als Kind war ich immer die Nervensäge, als Schüler immer der Außenseiter und als Schwuler immer der Unangepasste.

Der Spuk von 2015 – also unbegrenzte Zuwanderung und Sprechverbote darüber, Cancel Culture auch in anderen Fragen –, wie geht er vorbei?

Das kann ich nicht sagen. El Hotzo (heute ein Mitarbeiter von Jan Böhmermann, Anm. d. Red.) hat gerade den Bayerischen Kabarettpreis bekommen. Der Mann ist eine Koryphäe auf Twitter und zwitschert unsinniges Zeug, zum Beispiel: Man kann sich vor linksextremer Gewalt recht einfach schützen, indem man zum Beispiel kein Nazi ist. Zusammen mit Herrn Grönemeyer und Frau Riemann setzt er sich für mehr Zuwanderung ein. Und jeder, der sich anders zu diesem Thema äußert, wird genau von diesen Menschen ins rechte Lager gerückt. Ich denke, da fällt es vielen Menschen schwer, laut und vernehmlich Nein zu sagen. Aber inzwischen fragen immer mehr nach dem Wie.

Es war allerdings nicht 2015, sondern 2020, als das Schmidts Tivoli die Zusammenarbeit mit Ihnen beendete – angeblich aufgrund „massiver Beschwerden zahlreicher Mitarbeiter“. War das der erste größere Fall eines gecancelten Engagements für Sie?

Ich war schon vorher von den Kulturwerken in Monheim verboten worden. Der Bürgermeister Zimmermann störte sich an einem Interview. Ich hatte der Presse gesagt: „Wenn der Klimawandel kommt, werden wir alle ersaufen. Gottlob merken wir es nicht, weil wir uns im Kampf gegen rechts befinden!“ Dieser Satz hat gereicht für das zeitgeistesgestörte Label „irgendwas mit rrrrechts“.

„Belästigt und beleidigt“ ist ja auch so eine starke Sprache des Tivoli. Können Sie verstehen, was damit gemeint ist? Stimmt es, dass Ihnen zugetragen wurde, es seien muslimische Mitarbeiter gewesen, die sich so beschwert hatten?

Ich war damals nach einer längeren Pause wieder im Schmidts mit meiner Show „Late Night“ engagiert und wir planten eine Zusammenarbeit für die nächsten Jahre. Meine Kollegin und Freundin Carolin Fortenbacher betrat seinerzeit das Programmbüro und wollte sich eine gemeinsame Show mit mir bestätigen lassen. Wir wollten am Weihnachtsabend eine Show machen, wie schon einige Jahre zuvor. Sie rief mich nach dem Gespräch an und erzählte mir völlig geschockt, man habe Ihr von einer Zusammenarbeit mit mir abgeraten, weil ich immer „so komische Sachen auf der Bühne sage“! Da wusste ich, dass ich unter Beobachtung stand. Das Programmbüro hatte ohne mein Wissen eine Delegation in meine „Late Night“ geschickt. Ich erfuhr es nach der Show und sagte zu meiner Managerin: „Es geht los!“

Besonders bitter war, dass auch mein Sidekick Henning Mehrtens, der damals schon künstlerischer Leiter an einem der Schmidt-Theater war, den ganzen Abend mit mir auf der Bühne war. Ihm war an dieser Show nichts negativ aufgefallen, am Ende sagte er so in etwa zu mir: Ach, war ja wieder ein super Abend. Wir gingen vergnügt auseinander. Um so seltsamer schien es dann, dass das Schmidts Tivoli plötzlich jeglichen Kontakt mit mir abbrach und die fünf (!) zur Unterzeichnung ausliegenden Verträge nicht zur Unterschrift geschickt wurden. Nach Monaten und unendlichen Versuchen, einen Termin für ein Gespräch zu bekommen, kam dann der Rauswurf per Mail. Ein Telephonat mit Henning Mehrtens brachte endlich Klarheit in die Sache. Er fiel demonstrativ aus allen Wolken: „Die haben dich per Mail rausgeworfen?! Ich hatte so gehofft, sie würden es anders machen… Die Kellner fühlten sich belästigt, weil sie dich noch nicht auf der Bühne gesehen hatten und deinen Humor nicht einordnen konnten!“ Mit allen anderen Kellnern sämtlicher Nationen, Sexualitäten und Geschlechter hatte ich gerne After-Show-Parties. Zum Kontakt mit den neuen Kellnern ist es leider nicht mehr gekommen.

Das Schmidt Theater schrieb in der öffentlichen Stellungnahme, dass andere Theater Sie vielleicht gerade wegen Ihres Stils engagieren.

Theater in denen ich spiele, buchen mich, weil sie Kay Ray schätzen. Über viele Jahre hinweg. Dass das Schmidt Theater mich loswerden wollte, hat einen finanziellen Grund. Sie brauchen Subventionen. Die wurden Corny Littmann (dem Theaterleiter, Anm.) in einem Interview mit dem Hamburger Kultursenator Carsten Brosda beinahe zugesagt. Die Kultur ist so wichtig im Kampf gegen die AfD. Ich nehme an, Corny kam ins Zittern, denn was vormals politisch unkorrekte Unterhaltung unter der Gürtellinie war, nennt man mittlerweile rassistische, sexistische Altherrenwitze. Aus Angst vor ausbleibendem Geldsegen suchte und fand man dann einen Grund im neuerdings muslimischen Personal, um mich herauszuwerfen. Es gibt jedoch Schlimmeres. Man munkelt, Corny Littmann darf sich auch nicht überall aufhalten. Aber das ist eine andere Geschichte. Was bleibt? Corny ärgerte sich einst über die Zensur vom Bayerischen Rundfunk. Heute ist er selbst der Bayerische Rundfunk. Auch Zwerge werfen große Schatten, wenn die Sonne der Kultur niedrig scheint.

Sie wurden es sicher schon einmal gefragt: Dieses Gecancelt-Werden macht ja mit Sicherheit auch etwas mit einem selbst. Gibt es da Spätwirkungen bei Ihnen?

Ich verlasse mich auf niemanden mehr. Denn das ist ja das Gemeine an dieser Cancel Culture. Es wird ja nicht mit dir gesprochen, und es ist völlig unberechenbar. Zum Beispiel habe ich mich einmal in Göttingen nach der Show noch mit einem schwarzen Kellner unterhalten, und zwar sehr nett. Vier Wochen später kam dann eine Mail von diesem Unterhaltungszentrum, in der stand: Der Mann hat Negerkuss gesagt auf der Bühne, und das wird bei uns nicht mehr gesagt. Und darüber wird auch nicht diskutiert… und haben mich rausgeschmissen: „Wir wünschen viel Erfolg. Bei uns nicht mehr.“ Auf der anderen Seite bin ich vor einem Monat in einem sozial-kulturellen Unterhaltungszentrum aufgetreten, wo ich wirklich damit rechnete, weil die so mega-öko und mega-links waren. Aber dort hat man mir nach der Show dann gesagt: Was hast du denn eigentlich? Du teilst an alle aus, da sind schöne Botschaften drin. Es ist das Gegenteil von dem, was manche Leute über dich sagen. Es ist also tatsächlich vollkommen unberechenbar. Und insofern bin ich vorsichtig geworden. Viele alte Freunde, gerade aus der schwulen Szene, die mir vor Jahren die Freundschaft gekündigt haben oder nicht diskutieren wollten, kommen inzwischen zurück. Und die sagen inzwischen: Du hast Recht gehabt. Aber das ist mir inzwischen egal.

Wie steht es wirklich um demokratische Vielfalt und Toleranz in unserem Land? Sind sie real? Oder geht die Toleranz in unserer Gesellschaft zurück?

Die bunte Welt spielt sich wie eh und je in der Gesellschaft ab. Aber das, was uns die Medien, viele Kulturschaffende und die Politik als „bunt“ verkaufen ist ein Niveadosendeckel mit ’nem Regenbogen drauf. Es schafft Profit, treibt die Gesellschaft jedoch auseinander. Das wird noch lange so bleiben und lässt mich hoffen, noch ein paar Jahre gegen diesen Unsinn anwettern zu können. Meine Streitsucht, Sie verstehen…

Befürchten Sie daneben, dass durch die muslimische Zuwanderung die Toleranz für Paradiesvögel, wie Sie einer sind, zurückgeht?

Ich glaube, die allgemeine Toleranz wird erst in dem Moment steigen, in dem wir zugeben, dass es hier Probleme mit der schlechten Integration der muslimischen Einwanderer gibt. Solange dieses Problem nicht benannt und daran gearbeitet wird, ist weder den Migranten noch uns geholfen. Und es ändert sich erst etwas daran, wenn man Regeln aufstellt, nicht wenn man – wie jetzt wieder Frau Esken bei Lanz – sagt, dass man bei der Jobvergabe weniger auf die Deutsch-Kenntnisse achten sollte. Da denke ich dann: Wenn du in ein fremdes Land kommst, dann solltest du doch zuerst einmal die Sprache lernen. Aber viele wollen das vielleicht gar nicht. Und auf der anderen Seite versteht man das auch ein bisschen: Wie soll sich denn ein Migrant in dieses Land integrieren, wenn er sieht, dass wir eine Horde von Idioten sind, die ständig übereinander herfallen? Wir sind so gespalten und streiten uns über so einen Mist. Und dann sollen die Migranten kommen und sagen: Wunderbares Land, sind auch so nette Leute…

Wie ist das mit Ihrem Engagement auf den AIDA-Schiffen? Sie sagten, dass das leider auch auslief. Gibt es hier eine belastbare Begründung?

Um es kurz zu sagen: Nein. Eine gewisse Dagmar Peterhänsel, hauptberuflich unterwegs für das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung, besuchte meine Show in der Dresdner Schauburg. Eines ihrer Hobbies ist anscheinend das Denunzieren von Künstlern. Als nicht promovierte Aktivistin in der Terror-Abteilung deutscher Denunzianten sah sie sich gezwungen, alle meine Theater bezüglich meiner Show anzuschreiben und eine Warnung auszusprechen. Das nahm man auf der AIDA zum Anlass, mich ins Rettungsboot zu setzen und auszuschiffen.
Selbstredend streitet man ab, Post von unserer hyperdoppelmoralinsauren Ex-DDR-Bürgerin bekommen zu haben. Das wiederum erweist sich als unglaubwürdig. Erstens hatten die AIDA Cruises mir meine Gage vor kurzem erst erhöht, was ich als Zeichen der Zufriedenheit deute. Zweitens haben Sie aber eine Woche vor Reiseantritt die Flüge umgebucht, um es unbequemer zu machen. Ich habe ihnen gesagt, sie mögen schnellstens eine gendergerechte Toilette einbauen, die Prog-Flag (Progress Pride Flag, Anm. d. Red.) hissen und die Indianerzelte im Kids Club in „indigene Behausungen“ umbenennen. Diesen Leuten scheint entgangen zu sein, was für ein Publikum sie haben. Es gab stehende Ovationen für meinen Satz: „Es gibt hier keine KünstlerINnen. Wir haben Künstlerinnen und Künstler und nur ein Klo!“ Ich sage lächelnd „Auf AIDAsehen“. Früher war das Lächeln auf den Schiffen zu Hause. Heute ist es die Angst der Kollegen, etwas Falsches auf der Bühne zu sagen und deshalb entsorgt zu werden. Mir bleibt der Slogan: „AIDA ist nicht mehr Mein Schiff“, und so nehme ich die Sache mit Humor.

Wird sich trotz, vielleicht wegen aller Cancel-Unkultur eine Gegenkultur verstärkt etablieren? Bleiben einige Akteure standhaft?

Es gibt ja in Deutschland eine berüchtigte Rückruderregatta. Da fahren Anke Engelke und Kaya Yanar und Janine Kunze mit, weil sie die Dinge „so heute nicht mehr machen würden“. Ich sitze auf einer kleinen Insel mit meinem kleinen Publikum und hoffe darauf, dass alles, worüber ich mich bereits seit 2015 lustig mache, langsam als das entlarvt wird, was es ist. Unsinn, der an den Sorgen und Nöten aller Menschen in diesem Land völlig vorbeigeht. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Mario Barth und Paul Panzer machen neuerdings Witze übers Gendern und über das Transgedöns. In ausverkauften Stadien. Wenn sie das auch im Fernsehen machen würden, in das ich nicht mehr eingeladen werde, kann die Sache gut ausgehen.


Anmerkung der Redaktion: Dagmar Peterhänsel ist die Leiterin des Programms „Starke Lehrer – starke Schüler“ beim Sächsischen Landesamt für Schule und Bildung. https://www.politische.bildung.sachsen.de/starke-lehrer-starke-schueler-4052.html Sie setzt sich dort gegen „Hate Speech, verfassungsfeindliche Symbole, politisch motivierte Gewalt und Verschwörungserzählungen“ ein und kooperiert in diesem Zusammenhang auch mit der ultralinken Amadeu-Antonio-Stiftung. https://transfer-politische-bildung.de/transfermaterial/im-gespraech/mitteilung/artikel/starke-lehrer-starke-schueler-interview-mit-dagmar-peterhaensel-saechsisches-landesamt-fuer-schule/

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Kommentare ( 30 )

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Andreas aus E.
10 Monate her

So einen finde ich sympathisch, in der Art kannte ich welche an der Uni, Schwule, Lesben, Bisexis.
Konnte man völlig normal mit feiern, tanzen, Essen und Angeln gehen.
Aber die waren stets weder übergriffig noch sonderlich penetrant – und darum verstand man sich insgesamt gut.

Im Übrigen: Beste Wünsche nach Sonneberg 🙂

A rose is a rose...
10 Monate her

Ich kannte bisher weder Kay Ray noch den Mann dahinter. Habe mir dann einiges von beiden angesehen und fand vieles sympathisch, lustig, kritisch und den Mann Kai Lüdtke authentisch und bodenständig.
Bis das Thema auf die einzig wirkliche Oppositionspartei kam. Leider fiel hier die Maske des angeblich so kritisch-freien Denkers. Plötzlich war es vorbei mit der vorher stolz propagierten, unvoreingenommenen Auseinandersetzung mit Reizthemen. Stattdessen nur die üblichen, undifferenzierten Phrasen, offenbar mehr oder weniger verbatim aus den Mainstream-Medien übernommen.

Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
10 Monate her
Antworten an  A rose is a rose...

Ich empfehle Ihnen, mal in den indubio-Podcast reinzuhören. Gerd Buurmann hatte Kay Ray mindestens zweimal zu Gast. Kay Ray ist ’ne absolute Granate. Ich konnte nicht mehr vor Lachen und habe es mir gleich mehrfach angehört.

JuergenR
10 Monate her

„Lieber ’ne Schwanzgierige als ’ne ganz Schwierige“ (Kay Ray in einem seiner YT-Videos auf seiner Website).

MeinNameistHase
10 Monate her

Alle Vertreter totalitärer „Ismen“ erkennt man daran, dass sie keinen Humor haben.

nachgefragt
10 Monate her

Kay Ray fand ich schon immer sympathisch wie auch verrückt bis verstörend. Die Kunstfigur Kay Ray kann man eigentlich inhaltlich kaum einordnen, man weiß nicht was kommt. Als Figur ist er in meinen Augen der klassische Hofnarr in Perfektion, absolut respektlos gegenüber jedem mit scharfer Zunge und heftigem Humor, von Grund auf ehrlich, aber nicht wirklich rücksichtslos oder gar böswillig. Ein Hofnarr, dem das Herz auf der Zunge liegt. Die Grundhaltung, die er verkörpert und vertritt, teile ich vollkommen. Die Art und Weise, Dinge vom Verstand aus zu betrachten, zu differenzieren, und zwar in alle Richtungen, geradeaus zu reden, Schund… Mehr

Sonos - das Palindrom
10 Monate her

Ihn kannte ich früher, lang ist´s her, aus dem Fernsehen.
Bei vielen seiner Witze musste man zischend durch die Zähne Luft holen.
Irgendwann war er dann nicht mehr zu sehen.
Dank des Interviews habe ich erfahren: m/w/? lebt! Gut so.
Aber ich glaube, K.R. auch ohne seine Sexereien ist den Öffentlichen und den Privaten zu heikel. Schade.
Und noch Alles Gute!

Spyderco
10 Monate her

Bei,,…geboren als…“hatte ich einen kurzen Beissreflex.
Jetzt bin ich froh,dem widerstanden zu haben.Mein Wissen wurde erweitert.
Sehr interessantes Interview!

Last edited 10 Monate her by Spyderco
Hanno Spiegel
10 Monate her

Alle Achtung. Kay Ray hat einen gesunden Verstand.
Diese(n) „Typen“ können wir in unserem Land sehr gut brauchen.

AngelinaClooney
10 Monate her

Interessantes Interview – danke dafür!

Lotus
10 Monate her

Danke für dieses Interview, das interessante Einblicke in den dt. Kulturbetrieb gewährt. Es zeigt auf, dass Künstler, die sich selbst treu bleiben wollen, u. U. einen hohen Preis dafür bezahlen müssen. Einer wie Kay Ray spürt die Spaltung des Landes sehr direkt. Und diese Spaltung ist nicht die Schuld der „Rechten“, sondern der linksgrünen Selbstge-Rechten.