Coaching: Überlegenheit und Schwäche

„Ich habe mit fünf Coaches Termine ausgemacht und werde mir den aussuchen, der mir am geeignetsten erscheint.“, knallt er mir kühl lächelnd hin, im offensichtlichen Vollgenuss seiner Macht. „Aber Sie können sich ja anstrengen.“ „Jetzt haben Sie nur noch vier.“, sage ich und lasse ihn weiterziehen. Coach Bernd Späth erzählt.

Bernd Zeller
http://www.zellerzeitung.de

„Sie machen mir gleich mal einen Zeitplan!“, sagt der Herr Geschäftsführer.
Er hat sich auf die Couch platziert, mich kritisch gemustert und befehlsgewohnt Kaffee bestellt.
„Nö.“, sage ich.
„Wie bitte?“
„Ich bin nicht Ihr Angestellter.“
„Ich bezahle Sie!“
„Nicht dafür, dass ich pariere. Das schminken Sie sich gleich mal ab.“
„Ja, was ist denn das?!“
„Man nennt es Coaching. Und es heißt nicht, dass Sie mich gleich mal in den Griff kriegen und wir hier Ihr System installieren.“
„Warum nicht?“
„Weil dieses System Sie hierher gebracht hat.“
Da fällt ihm dann doch das Gesicht herunter.

„Würden Sie mir mal mit drei Sätzen Ihren Vater beschreiben?“ Die Antwort ist ein weitschweifiger, seltsam verschwurbelter Monolog, der schnell etwas klar werden lässt: Der Vater war eine autoritäre, unterdrückende Figur, bei der es außer Parieren nichts gab, und bei der die Vorstellungen der Familienmitglieder absolut nichts zählten, nicht anders als ihre emotionalen Bedürfnisse nach Nähe, Wertschätzung, Anerkennung und dergleichen. Deren Kompensat war „Leistung“, – die einzige Möglichkeit, ein Minimum an positiver Aufmerksamkeit zu erwirtschaften. Der Sohn, der sogar die verbale Konfrontation mit dem zutiefst negativen Vater-Imago bis heute ängstlich vermeidet, hat hinter seiner Chef-Fassade ein sogenanntes „Vater-Introjekt“. Er beschreibt ihn nur indirekt und zeigt Tendenzen einer wenig realitätsgemäßen Idealisierung, mit der die bis heute unbearbeiteten Hassgefühle gegenüber dem Vater aufgefangen werden sollen.

Anders gesagt: Mein Besucher wurde nicht erzogen, sondern dressiert. Anderes als engmaschige Kontrolle, die jede Form von Autonomie als Abweichung ahndete und mit barscher Abwertung verband, hat er niemals kennen gelernt. Und jetzt sitzt er mit knapp Fünfzig hier und will, dass ich ihm „tools“ beibringe, – rein technisch natürlich -, denn die Firmengesellschafter haben moniert, er wisse nicht auf Menschen zuzugehen. Kein Wunder, bei der Riesenangst, die der Mann mit sich herumträgt.

„Ich habe mit fünf Coaches Termine ausgemacht und werde mir den aussuchen, der mir am geeignetsten erscheint.“, knallt er mir kühl lächelnd hin, im offensichtlichen Vollgenuss seiner Macht. „Aber Sie können sich ja anstrengen.“ „Jetzt haben Sie nur noch vier.“, sage ich und lasse ihn weiterziehen.

Ein Mensch, der einem Menschen nicht anders gegenübertreten kann als von oben herab kontrollierend, ist ein armer Mensch. Der Kern seiner Persönlichkeit ist stark geschwächt, das Selbstwertgefühl gering, und so verbleibt ihm für den Erhalt seines Selbstbildes nur eine Position: die des demonstrativ Überlegenen. Sie gibt ihm das dringend benötigte gute Gefühl, jedoch speist dieses sich nicht aus echter Souveränität – und damit Gelassenheit, die Augenhöhe verträgt -, sondern aus einer tiefsitzenden Selbstunsicherheit, die den Betroffenen pausenlos dazu zwingt, sich über andere zu stellen. Solche Klienten sind schwierig, denn sie zwingen den Coach auf jeden Fall: entweder zu dem, was der Klient wünscht; oder zu einer Reaktion, die klare Grenzen setzt. – Damit besteht die ernsthafte Gefahr, dass sich das Coaching in einem Kreis dreht, dessen Drehgeschwindigkeit der Klient bestimmt. Der Coach ist dann gefangen und muss achtgeben, dass er nicht von oben bis unten manipuliert wird.

Derartige Strukturen sind in aller Regel des Resultat eines langanhaltenden psychischen Missbrauchs, sei es durch autoritäre Väter oder Mütter oder deren Ersatz, wie zum Beispiel Pflegeeltern. Oft auch ist es ein ganzes soziales Milieu, das sich über autoritäre Anmaßung und entwertendes Verhalten gegenüber Kindern definiert. (Man denke nur einmal, wie viele Mitglieder meiner Jahrgänge, die unter den nach außen stets biederen Tätern der Nazizeit aufzuwachsen hatten, später psychisch erkrankten. Ich erschrecke bisweilen, wenn ich mir die Zahlen aus meinem eigenen Schuljahrgang ansehe.) Auch hier sind meist Introjekte aktiv.

Was also ist ein Introjekt? Vereinfacht gesagt, ist es die Aufnahme eines äußeren Wertes oder einer äußeren Person in das Innere eines Menschen. Negativ wird es dann, wenn es in die Kinderseele eines Klienten quasi gewaltsam hineingerammt wurde. Wenn also keine Möglichkeit bestand, beispielsweise den als liebevoll erlebten Vater als psychische Wirkgröße in sich aufzunehmen und sich im späteren Reifestadium damit zu identifizieren („Mein Papi kann alles!“) und ihm aus eigenem lustvollem Antrieb nachzueifern. Sondern, wenn der autoritär und aufdringlich herrschende Vater jede Ich-Grenze seines Kindes selbstherrlich ignoriert, um ihm seine eigenen Werte nicht zu vermitteln, sondern aufzuzwingen. – Fritz und Laura Perls, die Erfinder der Gestalttherapie, definieren es so: „Bei der Assimilation verwandelt der Organismus (als Gesamtheit von Körper, Geist und Seele) Neues aus der Umwelt in Eigenes, das er zur Selbsterhaltung und zum Wachstum benötigt. Bei der Introjektion wird das Neue aus der Umwelt ohne Prüfung und Umwandlung als Ganzes in den Organismus aufgenommen, da an der Kontaktgrenze u.a. die Bewusstheit herabgesetzt ist oder völlig fehlt. … Das so entstandene Introjekt bleibt im Organismus ein Fremdkörper.“ – – Nicht zuletzt bei der Entstehung einer Borderline-Störung, die ja immerhin schon mit präpsychotischen Schüben verbunden ist, spielen negatives Vater- und Mutter-Introjekt nach Otto Kernberg eine entscheidende Rolle.

Die so übernommenen Eltern-Bilder, also „Vater-Imago“ und „Mutter-Imago“ werden in aller Regel von den Betroffenen tabuisiert: Schon der bloße Gedanke an Kritik ist unzulässig und wird im Gespräch sofort blockiert. Die Eltern sind zum Teil des eigenen Ichs geworden. Ihre Entidealisierung würde nicht nur hypothetisch, sondern tatsächlich zum Zusammenbruch des Ichs führen, oft auch mit massiver körperlicher Symptomatik. Denn die erst äußerlich und später dann innerlich erzwungene Identifikation mit diesen Elternfiguren ist nichts Anderes als die schon von Anna Freud so genannte „Identifikation mit dem Aggressor“: Sie schützt das eigene psychische Systems und bildet eine Art „letzter Notbremse“ vor einem drohenden Zusammenbruch des Selbst angesichts überwältigender Attacken und nicht integrierbarer Affekte. Leicht vorstellbar, wie schädigend dieses System ist. Leicht vorstellbar auch, dass dieses bizarre Identifikationssystem meist lebenslang wirkt und so von Generation zu Generation weitergegeben wird. So erklären sich die meisten unseligen Familientraditionen, seien sie von Gewalt geprägt (Wilhelm II., Hitler, Himmler, Stalin u.a.), von Versagen, von Alkohol, von Promiskuität und Selbstschädigung (Kennedy-Clan), – die Liste ist letztlich endlos. Das „Glück“ in diesen Clans jedenfalls ist häufig ein neurotisch inszeniertes, bestimmt von Verleugnung und Gruppendruck.

Ich entsinne mich eines Klienten, bei dem jede Sitzung nach dem gleichen Muster verlief: Er brachte Material dar, dessen Grundtenor es war, dass seine außerordentlichen Fähigkeiten weder verstanden noch gewürdigt würden. Wir bearbeiteten die tiefe Kränkung, die seine Kindheit ihm vermittelt hatte: Ein ungehobelter bäuerischer Vater, dem die Hochbegabung seines Sohnes regelrecht zuwider war, und der folglich in ausgeprägter Geistesfeindlichkeit alles zertrat, was außerhalb seines sehr engen Horizontes im eigenen Kind zu sprießen begann. Der Klient reflektierte, verstand, wurde von heftigen Emotionen bewegt und fühlte sich endlich angenommen. Dann, unversehens, gab er mir jedes Mal Eine drüber, indem er mir mit einem hingeworfenen Halbsatz bedeutete, wo ich meinen Platz zu suchen hatte, – in etwa neben dem Hundenapf. Er gab also die erlittene Entwertung weiter und konnte sich so wenigstens für einen kurzen Moment überlegen fühlen, auch wenn es bald wieder kippte. Beeindruckend war, mit welcher Verbissenheit ein zweifach promovierter Akademiker pausenlos daran arbeitete, nur ja nie wieder „unten“ zu sein und dafür völlig unrealistische Huldigungen einforderte. Für eine rechtliche Auseinandersetzung vermittelte ich ihm als Anwalt einen ausgewiesenen Spezialisten des Fachgebiets, mit dem er umgehend Krach bekam, weil dieser sich weigerte seine rechtlichen Belehrungen anzunehmen. – Das zutiefst entwertende Vater-Introjekt in ihm leistete ganze Arbeit mit entsprechend verheerenden Folgen für das Leben des Mannes.

In recht mühseliger Arbeit gelang es, ihm bewusst zu machen, dass er seine bizarre Selbstüberhöhung benötigte, um sich von seiner Vergangenheit nicht in die Tiefe ziehen zu lassen, und dass die – wie er es gelernt hatte – gewaltsame Einforderung von Anerkennung und Wertschätzung rein angstinduziert war und genau das Gegenteil des Gewünschten bewirkte. Erst reagierte er sehr ärgerlich, dann wurde er sehr still. Dann entschuldigte er sich und meinte, er habe viel an sich zu arbeiten. Es war einer der kleinen Wendepunkte, die man bisweilen erreicht, und die einen freuen, so als Coach. – Sein Introjekt behielt er, aber es hatte aufgehört ihn zu vergiften. Und so probierte er mit zunehmenden Vergnügen den Verkehr auf Augenhöhe. Nur seinen Vater verfluchte er weiterhin.

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