Leitmedien entfernen sich von den Menschen

Wer nicht will, das Pegida wirklich zur Volksvertretung der Straße avanciert, sollte aufhören, die Bürger für dumm zu verkaufen. Das Misstrauen den Medien gegenüber ist gewaltig.

In meiner vorangegangen Analyse zur Flüchtlingsproblematik und der Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem und politischem Diskurs war bereits kurz angeklungen, wie schwer sich eine Analyse der öffentlichen Meinung gestaltet. Dies liegt zum einen an dem eigenen subjektiven Blickwinkel, der immer nur Ausschnitte des gesellschaftlichen Diskurses überblicken kann, zum anderen aber auch an der medialen Berichterstattung zum Thema, die einer stärkeren Objektivierung und Erweiterung der eigenen Sicht in der Flüchtlingsfrage fast kontraproduktiv gegenübersteht. Dabei erschwert sie nicht nur eine Analyse der Stimmungen und Meinungen in diesem Land, sondern auch und vor allem eine Analyse der Sachlage selbst. In der Folge verschärft sich die Flüchtlingsdiskussion nicht nur durch das Versagen der Politik und die Bedenken wirtschaftlicher und kultureller Natur seitens der Bevölkerung, sondern auch durch die Art und Weise der medialen Berichterstattung selbst.

Medien haben die Hälfte der Bevölkerung verloren

Nun zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach für die FAZ (16.12.2015), dass 51 Prozent in Teilen oder gänzlich unzufrieden seien mit der Berichterstattung zum Thema Flüchtlinge. Bei politisch Interessierten sind sogar 58% unzufrieden.  Es ist ein verheerendes Ergebnis. Es geht ja nicht um eine einfach Mehrheitsentscheidung für oder gegen ein Gesetz. Vielmehr muss man die Umfrage so lesen: Die Medien haben die Hälfte der Bevölkerung verloren – und das bei der wichtigsten Frage, die derzeit zur Debatte steht.

Das deckt sich mit meiner Beobachtung. Als Politikwissenschaftsstudentin hat man auch andere Möglichkeiten, Quellen und Methoden, sich mit dem Thema Flüchtlingspolitik auseinanderzusetzen. Nichts desto trotz ist man bei einem solch aktuellen Thema auch als Politikstudentin immer auf die tagesaktuelle Berichterstattung der Medien angewiesen, die einen mit konkreten Informationen versorgen, die man mit den eigenen theoretischen Überlegungen abgleichen kann. Bis jetzt hat das in den meisten Fällen gut funktioniert, zumal ich als ebenso angehende Historikerin im kritischen Umgang mit Quellen jeglicher Art erprobt bin und dadurch, so würde ich behaupten, nicht allzu sehr dazu neige, Informationen leichtgläubig und ungefiltert aufzunehmen. Jedenfalls war es mir so stets binnen kürzester Zeit möglich, erste wohlüberlegte Einschätzungen abzugeben.

Regionale und lokale Medien berichten anders als überregionale Meinungsführer

In der Flüchtlingsproblematik ist das anders und das hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass es sich hierbei um ein außerordentlich komplexes, vielschichtiges Thema handelt, sondern eher damit, dass ich mich nicht gut genug informiert fühle und dadurch größere Bedenken habe, mir vielleicht eine falsche Meinung zu bilden und in der Folge gar eine falsche Einschätzung abzugeben. Denn was man in den letzten Wochen beobachten konnte, war eine Spaltung der medialen Berichterstattung, wie ich sie bei kaum einen anderen Thema erlebt habe. Das Überraschendste für mich ist die Tatsache, dass die regionalen und lokalen Tageszeitungen dabei häufig besser abschneiden als die großen Meinungsmacher von Süddeutsche, über den SPIEGEL bis zum Springer-Flagschiff WELT. Nur was tun, wenn die medialen Informationen so auseinanderdriften? Wer täglich von der einen Seite das und von der anderen Seite das hört, der weiß am Ende nicht mehr, was er noch glauben kann. Wie in einer Dreiecks-Freundschaft, in der einem der eine gute Freund das erzählt und der andere das und man sich am Ende am Liebsten ganz aus dem Zwist heraushalten möchte. In Sachen Flüchtlingspolitik wäre eine solche Haltung allerdings fatal.

Was auch hier fehlt, ist der kritische, aber differenzierte Mittelweg. Zwar scheint dieser – ich hatte es erwähnt – im Diskurs der Bevölkerung längst angekommen, in den Medien lässt er aber, zumindest bei den großen Berichterstattern, noch häufig zu wünschen übrig. Was die kleinen regionalen Plattformen, die sonst den Großen oft hinterherhinken, heute schon machen, was die kleineren Online-Magazine und Nachrichtenseiten längst aufgenommen haben, hat den großen meinungsmachenden Journalismus noch nicht erreicht. Stattdessen übt man sich immer noch wahlweise im reihenweisen Posten von tendenziöser und polemischer Stimmungsmache à la FocusOnline oder in allzu zaghaften Versuchen einer realitätsnahen Berichterstattung, die sich am Ende doch nur zu oft in linksromantischen Fantasien ergießt. Da die meisten Menschen in Zeiten des Internets und der schier unendlichen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung jedoch alle Möglichkeiten zur Selbstinformation nutzen, entsteht unweigerlich eine Diskrepanz in der eigenen Wahrnehmung, die zu der Frage führt, welchem „Freund“ man denn noch glauben schenken kann.

Dass viele klassische Medien das Internet als „Feind“ begreifen, in dem nur Hetze oder Unqaulifiziertes stünde, zeigt nur, dass sie die neuen Herausforderungen nicht begriffen haben, die eine neue Form des Journalismus ermöglichen.

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Hieraus ergibt sich auf mehreren Ebenen eine Gefahr, die das öffentliche Klima und die den öffentlichen Diskurs weiter vergiftet. Zum einen ist da die Gefahr, dass sich Menschen, wie bereits erwähnt, genervt aus der Diskussion verabschieden. Dies betrifft wohl vor allem diejenigen, die ohnehin sehr vorsichtig mit der eigenen Meinung umgehen und ein vorzeitiges (Fehl-)Urteil fürchten. Wie in der Dreiecksfreundschaft steht dieser Typus Mensch am Ende zwischen den Stühlen, wendet sich aus lauter Überforderung genervt ab und überlässt es den anderen, den Streit unter sich auszutragen. Zum anderen – und das erscheint mir als die größere Gefahr – entsteht ein grundsätzliches Misstrauen (wenn nicht ohnehin schon vorhanden) gegenüber den großen Leitmedien, welches im Zweifelsfall eher dazu führt, sich den extremen Meinungen anzuschließen. In der Flüchtlingsfrage stellt die oben zitierte Meinungsumfrage fest, dass die Menschen tatsächlich bereits mehr persönlichen Berichten glauben als dem, was Leitmedien schreiben.

Seit mehreren Wochen studiere ich nun schon intensiv die Kommentarspalten der großen Leitmedien, um eventuelle Veränderungen und die Stimmung an sich zu analysieren. Wie in meinem ersten Kommentar beschrieben, lassen sich selbst bei eher linksliberalen Medien kaum noch unkritische Posts verfolgen. Selbst bei der Süddeutschen und Co. ist man dazu übergegangen, nahezu geschlossen gegen die Berichterstattung zu reden, statt dem jeweiligen Artikel zuzustimmen. Eine Stimmung, die ich insbesondere auf diesen Plattformen nie zuvor in einer solchen Intensität ausmachen konnte. Dabei sind mir vor allem jene Kommentare ins Auge gestochen, die immer wieder auf die Berichterstattung der eigenen Lokalpresse verweisen. Häufig lassen sich dort Berichte zu den jeweiligen Fällen finden, die deutlich dezidierter sind als jene der großen Leitmedien.

Halbe Wahrheiten und Verschwiegenes

Die logische Schlussfolgerung: Die großen Leitmedien erzählen – wenn überhaupt – nur die halbe Wahrheit oder verschweigen bewusst Informationen, um den sozialen Frieden zu wahren. So lässt sich feststellen, dass wir uns nicht nur mit dem Problem der Spaltung innerhalb der Leitmedien konfrontiert sehen, die es uns erschwert, eine fundierte Meinung zu bilden und unser Misstrauen gegenüber den Positiv-Schreibern weiter nährt, es ist vor allem auch die kritische Berichterstattung der Lokalpresse, die durch das Problem in ungewohntem Ausmaß in den Fokus rückt, die diese Problematik noch zusätzlich verschärft.

Die fatale Folge: Die Menschen fühlen sich nicht mehr nur von der hiesigen Politik für dumm verkauft, sondern auch in zunehmendem Maße von den großen Leitmedien. Zugeben, ein gesteigertes Misstrauen gegenüber der Leitpresse ist nicht erst seit der Flüchtlingskrise zu beobachten, dennoch erreicht es hier ein neues ungeahntes Ausmaß. Vor allem, weil es nun auch jene Bevölkerungsschichten erreicht, die diesen Medien bis dato relativ unkritisch gegenüberstanden und sich schlicht auf die Richtigkeit der Berichterstattung verließen.

Natürlich muss man hierbei auch die möglichen Beweggründe in die eigenen Überlegungen miteinbeziehen. Die Situation ist angespannt, die Stimmung nach Ansicht vieler längst gekippt. Es ist nur nachvollziehbar, dass man sich gerade bei den großen Presseorganen in der Verantwortung sieht, diese Stimmung nicht weiter anzuheizen. Zum Problem wird diese Haltung allerdings, wenn man dafür Dinge verschweigen oder beschönigen muss, die andere Medien ausplaudern und damit zeigen, dass unsere Presse doch nicht so „gleichgeschaltet“ ist, wie oft unterstellt. Ähnliches ist im Übrigen auch bei den Öffentlich-Rechtlichen zu beobachten, die einen Vorzeige-Flüchtling oder Migranten nach dem anderen in die Talkshows einladen. Was dabei entsteht, ist gar nicht unbedingt eine Bevölkerung, die sich komplett von den Leitmedien abwendet und nur noch der Lokalpresse in Sachen Informationsversorgung vertraut. Was dadurch entsteht, ist ein diffuses Gefühl des Misstrauens aus dem nicht selten ein diffuses Gefühl der Angst entsteht. Angst vor dem Fremden, Angst vor Flüchtlingen. Diesem Gefühl kommt man nicht mit vehementer Positiv- oder Verharmlosungs-Berichterstattung bei, sondern damit, dass man sich dem kritischen, differenzierten Diskurs, der in der Bevölkerung längst stattfindet, anschließt.

Schafft man das nicht, fühlt sich die Bevölkerung in der Flüchtlingsfrage nicht nur nicht von der Politik angemessen vertreten, sondern auch von der Presse nicht gehört und angemessen informiert. Wie solche Menschen agieren, lässt sich jeden Montag in Dresden beobachten. Wer nicht will, das Pegida wirklich zur Volksvertretung der Straße avanciert, der sollte also aufhören, die Menschen für dumm zu verkaufen.

Lesehinweis: Wie hätte sich Pegida entwickelt, wenn die Medien offen über das Phänomen berichtet hätten? Ein Beitrag, der nur 1 Jahr alt ist, zeigt die Entwicklung.

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