Tagesthemen-Kommentar: Warnung vor einem „Wut-Winter“ durch die „Querdenker-Szene“

Eine MDR-Journalistin wendet den neuen Begriff „Delegitimierer“ an. Sie nutzten „jede Gelegenheit, um die Demokratie und unseren Zusammenhalt an sich zu hinterfragen – und ja: anzugreifen“. Der Gegner ist klar, und klar ist auch die Botschaft: Wer zu diesen Leuten gehört, der ist raus aus der Gesellschaft.

Getty Images, Screenprint: ARD / Collage: TE

Die Tagesthemen warnen. Neuerlich. Dieses Mal ist es MDR-Chefredakteurin Julia Krittian, die von „Klumpen-Krisen“ redet. Sie „sägten“ an einem „elementaren menschlichen Bedürfnis“, nämlich Sicherheit. Politiker aller Parteien warnten daher vor einem „Wut-Winter“. Denn: „Die Querdenker-Szene kann eine breite Mobilisierungsstruktur nutzen – aufgebaut während der Corona-Proteste und jederzeit reaktivierbar. Das Thema ist längst egal.“

Es sind nur einige Schlüsselsätze eines bemerkenswerten Tagesthemen-Kommentars, der in die innere Psychologie und die politische Agitation eines öffentlich von jedem finanzierten Mediums blicken lässt. Man hat den Eindruck: Vor Corona gab es keine Demonstrationen in der Bundesrepublik. Und zweitens: Offenbar äußert sich das „elementar menschliche Bedürfnis“ nach Sicherheit nur bei Querdenkern in Protest. Der gute Deutsche bleibt daheim und friert wie geboten still für Kiew. Wut-Winter machen nur Radikale und Extremisten.

— tagesthemen (@tagesthemen) August 4, 2022

Vielsagend: Krittian führt die neue Bezeichnung der „Delegitimierer“ ins Feld. Man hätte sie auch „notorische Querulanten“ taufen können. Sie nutzten „jede Gelegenheit, um die Demokratie und unseren Zusammenhalt an sich zu hinterfragen – und ja: anzugreifen“. Dass noch ein paar Sätze vorher das Motiv „Sicherheitsängste“ eine Rolle spielte, hat Krittian wohl wieder vergessen. Doch egal – der Gegner ist klar, und klar ist auch die Botschaft: Wer zu diesen Leuten gehört, der ist raus aus der Gesellschaft.

Wer nicht im Sinne der Regierung demonstriert, ist Staatsfeind. Das so häufig dem „populistischen“ Milieu zugedachte Freund-Feind-Denken bricht sich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern Bahn. Es steht in der Tradition von Carl Schmitt, eines Denkers, der den Rechten zugeordnet wird, aber dessen Theorien insbesondere von der 68er-Generation aufgenommen, gepflegt und für eigene Zwecke verwendet wurde. Wer mitmarschiert, darf weiterhin für das Klima hüpfen oder Black Lives Matter unterstützen. Wer Kritik an der Politik äußert, muss mit der staatlichen Gewalt rechnen.

Mündige Bürger werden zu bloßen Unruhestiftern verdinglicht

Zu dieser Denkweise gehört auch die Darstellung eines breit gestreuten Unmuts in verschiedenen Teilen der Bevölkerung als verschwörungsartige Vernetzung böswilliger Konterrevolutionäre. Aus welchen Motiven und mit welchem Hintergrund jemand gegen die Regierung protestiert, spielt keine Rolle: Es geht nicht um die Lösung des Problems, um die Protestierenden zu besänftigen, sondern das Ausspielen von Mehrheiten gegen Minderheiten. Dass sich die Bundesregierung darauf gefasst macht, dass wegen mangelnden Gasdrucks in Millionen Haushalten die Heizung ausfallen könnte, ist schließlich noch lange kein Grund, an Weihnachten wie Opa Hoppenstedt ungemütlich zu werden.

Chronik einer angekündigten Depression
Die Angst der Regierenden vor dem Herbst
Der Topos, dass feindliche Gruppen den Staat unterwandern, um ihn zu zerstören, verdinglicht mündige Bürger zu bloßen Unruhestiftern. Sie sind Saboteure, deren diffuse, letztlich auf schlechten Charakter zurückgehende Wut Unruhe in der von der Obrigkeit bewahrten Ordnung bringt. Dass die Obrigkeit selbst für den Missstand verantwortlich sein könnte, muss als Gedanke durch die richtige Einordnung erstickt werden.

Historisch steht diese Propaganda weniger in der Tradition reaktionärer Regime, denn revolutionärer Regierungen. Die errungene Revolution muss gegen ihre Feinde verteidigt werden. Es sind „reaktionäre“ Umtriebe, die verhindert werden müssen, keine „revolutionären“. Es existieren frappierende Parallelen zur jakobinischen wie bolschewistischen Sprache.

Große Denker wie Aristoteles und Thomas von Aquin haben den Nutzen der Autorität unterstrichen, aber zugleich den Widerstand gegen eine Obrigkeit als legitim bezeichnet, wenn diese sich verbrecherisch verhält oder ihre Herrschaft unerträglich wird. Wenn der Gehorsam zur Sünde wird, dann wird Widerstand zur Pflicht. Papst Benedikt XVI. hat im Deutschen Bundestag (!) ein Wort von Augustinus wieder salonfähig gemacht: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“ Weder Aristoteles noch Aquino noch Augustinus waren überzeugte Demokraten.

Der Volksfeind von gestern ist der „Delegitimierer“ von heute

Die überzeugten Demokraten von heute sind dagegen so überzeugt, dass ihre „Demokratie“ einen solchen Unantastbarkeitsanspruch hat, dass jede Regierungskritik blasphemischer als die Infragestellung des Kaisers ist. Die christlichen Staaten der Vormoderne waren solchen Vorstellungen deswegen enthoben, weil sie sich stets als „Übergang“ bis zur Apokalypse verstanden: Alles ist eitel, alles ist vergänglich. Jakobiner und Bolschewisten gehen dagegen davon aus, dass sie selbst das Paradies auf Erden schaffen – oder geschaffen haben. Sie „heiligen“ die real-existierende Staatsform. Stichwort: bestes Deutschland aller Zeiten.

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Wo der Verfassungsschutz die „Delegitimierung des Staates“ wirklich bekämpfen könnte
Der Volksfeind von gestern ist der „Delegitimierer“ von heute. Der diffuse Begriff kann auf jeden ausgeweitet werden: den dreifach geimpften Postboten, der alle Corona-Regeln mitgetragen hat, aber jetzt gegen die Neuauflage im Oktober aufbegehrt; die mehrfache Mutter, die keinen transsexuellen Azubi im Kindergarten will und sich gegen das Selbstbestimmungsgesetz stemmt; die linksliberale Theaterdarstellerin, eigentlich Anhängerin der Matcha-Tee-Fraktion, aber wegen der kalten Wohnung nun auf der Straße für Atomkraft demonstriert; die altlinke Lehrerin, die früher gegen Amerika protestiert hat, aber wegen der Sprit-Preise nicht einmal mehr zur brandenburgischen Schule fahren kann.

Sie alle werden zum konturlosen Phantom „Delegitimierer“ herabgewürdigt, denen der Ruch der Staatszersetzung anhaftet. Statt Pluralität gilt Einheitsdenken. Es ist das genaue Gegenteil dessen, was eine „Demokratie“ verspricht: Die „Menschen im Land“, denen man in der Vorzeigestaatsform „zuhört“, werden zum amorphen Mob, die einen „Wut-Winter“ herbeisehnen, und sich bereits lange mit Netzwerken der „Querdenker“-Lager abgesprochen haben. Üblicherweise lautet die Definition für eine solche Paranoia: Verschwörungstheorie.

Aber angesichts des letzten Verfassungsschutzberichtes, der Ankündigung von Innenministerin Nancy Faeser, „vorbereitet“ zu sein und solcher Sendungen wie „Jung, rechts, gewaltbereit“ hat man eher den Eindruck, dass sich Politik und Medien auf den „heißen Herbst“ mit jedem Mittel wappnen, das ihnen zur Verfügung steht. Im Zuge der Cancel Culture könnten dann auch endlich die störenden Werke von Aristoteles, Augustinus und Aquino ihrer Bestimmung zugeführt werden. Die Vordenker der Legitimität gelten nichts, wenn morgen jeder zum vogelfreien Delegitimierer bestimmt werden darf.

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