Bei Lanz: Viel Mimimi, wenig Meinungsfreiheit

Sieben Monate Haft für ein Meme ist unbedenklich für Renate Künast. Und die Neurowissenschaftlerin Maren Urner belehrt den Lanz-Stuhlkreis, dass die Verengung des Meinungskorridors doch nur ein „Gefühl“ sei. Boris Palmer und Ulf Poschardt verbünden sich schnell.

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

Markus Lanz liest seinem Stuhlkreis am Mittwochabend die neuesten Zahlen vor. Ungefähr 40 Prozent der Deutschen sagen, dass sie das Gefühl haben, alles sagen zu dürfen. Das bedeutet, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung dieses Gefühl nicht haben. Die Grünen-Politikerin Renate Künast lenkt das Gespräch sofort in die von ihr gewünschte Richtung. Seit 2015 begann der Begriff „Lügenpresse“ zu kursieren und die Debatte um die Einschränkung der Meinungsfreiheit wurde als Geschäftsmodell missbraucht, so Künast. Drei Mal dürfen Sie raten, wer sich angesprochen fühlen darf. Richtig, jeder der die Migrationspolitik kritisiert hat. Künast selbst geht seit mehreren Jahren gerichtlich gegen Beleidigungen und üble Nachrede im Netz vor. Auch mit der Mahnung von J.D. Vance kann Künast nichts anfangen – solle dieser sich doch erst einmal um sein eigenes Land kümmern. Ein reichlich ironischer Vorschlag für eine Grünen-Politikerin.

Ulf Poschardt dagegen kann mit der Warnung schon ein wenig mehr anfangen und nennt die Zahlen ein Desaster. Konkret nennt er auch das Faeser-und das Schwachkopf-Meme. Das erstere bedeutete sieben Monate Haft für David Bendels – für Künast „das eine Mal“ kein Drama. Poschardt kritisiert: „Dass Robert Habeck wegen einem Schwachkopf-Meme sozusagen Polizei anrücken lässt, also nicht er persönlich, aber dass die Politiker so dünnhäutig geworden sind, finde ich problematisch. Und wir müssen uns überlegen, wenn wir die Zahlen sehen, ob wir so weitermachen.“ Er selbst hätte nur einmal jemanden wegen „linksradikalen Tötungsfantasien“ angezeigt und betont, dass Angela Merkel in all ihren Jahren kein einziges Mal Strafanzeige gegen jemanden wegen Beleidigung gestellt habe. Von Künast kommt Widerspruch: „Wer weiß was sie heute tun würde. Die Zeiten haben sich geändert.“ Von Poschardt und Palmer kommt gleichzeitig ein deutlicher Widerspruch. Der Beginn einer Verbrüderung.

Lanz muss den Kontext des Schwachkopfs-Memes selbstverständlich noch einmal für die ÖRR-Zuschauer einordnen. Nicht das der gute Habeck wieder einmal verunglimpft wird. Künast liefert ebenfalls ganz selbstverständlich nach, wie wichtig das Bundeskriminalamt ist, um Netzstellen des Hasses, der Verleumdung und der üblen Nachrede zu überführen. „Ist das für Sie Hass? Schwachkopf?“ wirft Poschardt ein. „Wie bitte?“ „Ist das Hass?“ Künast umgeht eine Antwort, wie es zu erwarten ist und kommt wieder zurück zum Anfangspunkt – Hass und Hetze in rechtsextremen Kreisen. Wieder ist es Poschardt der einwirft, dass das bei linken Kreisen ganz genauso sei. Künast knickt genervt ein: „Das stimmt, das gibt es da mittlerweile auch.“

Das zeigt Markus Lanz dann auch deutlich an einer Aufzählung von Strafanzeigen von Politikern. Angeführt von der liberalen Strack-Zimmermann mit knapp 2000 Anzeigen. Poschardt grätscht Lanz höhnisch dazwischen: „Crazy, das ist auch keine richtige Liberale.“ Lanz setzt seine Liste fort: „Habeck 800, Baerbock 500. Sind wir dünnhäutiger geworden? Oder wird das zu Recht gemacht?“ Eine Antwort soll die Neurowissenschaftlerin Maren Urner geben. Diese erklärt „ihren wissenschaftlichen Blick“ auf diese Zahlen und hakt schon in der Fragestellung der Umfrage ein. Bei der Formulierung „Haben Sie das Gefühl“ würden „sämtliche Alarmglocken im Gehirn“ von Neurowissenschaftlern losgehen, so Urner. „Das heißt, was wir hier abfragen, […] das ist das Gefühl. Und woher kommen unsere Gefühle? Aus unserer Umgebung, aus dem was wir wahrnehmen. Und dies ist massiv beeinflusst von den Informationen, die wir konsumieren. Also die wir in unser Hirn reinlassen.“

Dieses Gefühl, die eigene Meinung nicht mehr äußern zu können, sei also geschichtlich gesehen eine Ablenkungsstrategie, um Demokratien zu zerstören. So viel zu ihrem „wissenschaftlichen Blick“. „Und ich möchte Sie hier in der Runde fragen, wo durften Sie in diesem Land Ihre Meinung nicht sagen? Und was ist Ihnen dann passiert?“ Auf Urners Gesicht macht sich ein selbstgefälliger Ausdruck breit. Nach der vorangegangenen Diskussion über Hausdurchsuchungen und Haftstrafen für Memes nähern sich nun Boris Palmers und Ulf Poschardts Gesichtszüge der Fassungslosigkeit. Palmer erwidert: „Ich spreche Wörter aus, die im Duden stehen und dann geht ein Shitstorm in ganz Deutschland los und sagt, der Mann ist untragbar.“ Urner unterbricht ihn überheblich: „Aber da wurde doch gerade gesagt, dass das aushaltbar sein muss.“ Die Runde ist sichtlich vor den Kopf gestoßen.

Palmer versucht es also erneut: „Ich bin nicht mehr in meiner Partei wegen dieser Sprach-Jakobiner.“ Und erzählt weiter von Begegnungen mit Menschen, die ihn für ermutigen und loben, dass er seine Meinung so offen vertritt. Wieder versucht Urner zu unterbrechen, bis Lanz einschreiten muss. Urner reagiert schnippisch: „Das ist anekdotische versus empirische Beweisbarkeit.“ Poschardt schaltet sich genervt ein: „Naja, wenn Sie fragen nach Anekdoten, dann gibt’s Anekdoten!“ Das sollte auch nicht der letzte bissige Kommentar gegen Urner bleiben.

Die beiden liefern sich immer wieder persönliche Seitenhiebe und Poschardt wird nach mehrmaliger Unterbrechung zickig: „Es ist eine Art und Weise, Diskurse einfach zu zerhacken, indem man Leute, wenn sie versuchen, was zu erklären, einfach nicht ausreden lässt und dann mit so halbschlauen Ableitungen versucht, das zu unterbinden.“ Und fügt wieder Richtung Lanz hinzu: „Wenn wir anfangen, Leute für Memes mit Haftstrafen zu belegen, wenn wir wie Frau Strack-Zimmermann und Habeck und Baerbock, und wie sie alle heißen […] Dass man sozusagen so eine Anzeigekultur hat, dann wird es toxisch.“

Der infantile Wahnsinn ist aber an diesem Punkt noch immer nicht beendet. „Es sind ganz viele Beleidigungen gerade in meine Richtung gegangen.“, nörgelt Urner. Lanz wird zum pädagogischen Betreuer und fragt etwas irritiert welche Beleidigungen sie meine, etwa die „halbschlauen Ableitungen“? Und so wird durch ihre eigenen Sabotageakte Urners pochen auf eine ernsthafte Debatte fortdauernd unterbrochen.

Einen tieferen Einblick in Urners Gesinnung zeigt schließlich ihr ausgeprägtes Engagement, Wörter wie „Klimakrise“ in der Debattenkultur zu verankern oder ihre Entrüstung über die „Abschaffung der Demokratie in den USA“. In diesem Punkt kann Poschardt – zum Schock für Lanz – mal wieder nicht an sich halten: „[Amerika] ist für mich immer noch die großartigste Demokratie. Die hat viel ausgehalten und die wird auch jemanden wie Donald Trump aushalten.“

Poschardt und Urner mussten in dieser Sendung am Mittwochabend vor allem persönliche Seitenhiebe aushalten. Für Poschardt – der auch keinerlei Reue angesichts seiner sehr persönlichen Kritik an Heidi Reichinnek zeigt – ist das kein Problem. Für Urner dagegen sehr, wie der Abend zeigt. Trotz der Unterbrechungen zur beständigen pädagogischen Betreuung des Stuhlkreises entstand eine einigermaßen erfolgreiche Debatte. Dank Palmer und Poschardt wurde deutlich, dass Meinungsfreiheit sehr wohl noch existiert – es bedarf nur mehrerer tausend Euro oder ein paar Monate freier Zeit in Haft, um sie sich zurückzukaufen.

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Kommentare ( 64 )

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64 Comments
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November Man
26 Tage her

Das wirksamste Mittel gegen den Erfolg des Linksextremismus sind wir Bürger. Unsere Demokratie, FDGO und Meinungsfreiheit ist bei Linksextremisten nicht selbstverständlich, sondern etwas, für das wir, die Anständigen, jeden Tag kämpfen müssen.

Monostatos
20 Tage her

Könnte es sein, dass die Frau Urner Professorin für Neurotologie ist. Dann werden mir ihre Einlassungen und ihre wissenschaftliche Kompetenz verständlicher.

Kassandra
25 Tage her

Vielleicht noch Bernd Zeller dazu: Merkeltheorie Daran, wie jetzt weitergemerkelt wird, nach Merkel, ohne Merkel, ist zu sehen, dass wir der DDR unrechtgetan haben, wenn wir das Merkelwesen mit der Sozialisation unter sozialistischen Bedingungen erklären wollten. Da ist nichts DDR und nichts SED und schon gar nicht Sicherheit, höchstens in einem sehr abstrakten umschreibenden Begriff, den man aber in der DDR-Zeit eher verloren hat, als dass er die Schadsoftware erzeugt hätte, gar für Jahrzehnte. Solche Leute gibt es in der Politik, es sind ganz andere Personalgestalten, Petra Pau oder solche, die Unterschiede sind augenfällig. Merkel hat von da gedacht, wie… Mehr

Peterson82
26 Tage her

Ich schaue diese ganzen TV Debatten nicht. Aber anhand der Zusammenfassung lässt sich klar erkennen wie gesund es ist, wenn in einer Runde eben auch Gestalten mit unterschiedlichen Meinungen sitzen die Contra geben. Der Presseclub war ja neben vielen anderen Sendungen genau das Gegenteil. Auch immer wieder schön…. über die AfD herfallen aber selbst nicht den Mumm haben jemanden von der AfD einzuladen der blödsinnige Behauptungen widerlegen könnte.

Simplex
26 Tage her

Wenn ca. 120 Sicherheitskräfte am HH-HBF laut HH-Mopo potentiell kriminelle Bürger am Mittwochnachmittag.2.600 Fahrgäste filzen und 17 Gegenstände feststellen, dann riecht das nach einem übergriffigen Staat, der die Bürger einschüchtern will. Nicht eine „gefährliche“ Person wurde festgenommen! Der NDR berichtet nur über 1.000 Gefilzte. Als ob die schizoide Täterin ein Gefährder gewesen wäre! Die Psychiatrie hat sie oB entlassen! Dafür werden dann massenweise unbescholtene Reisegäste gefilzt, müssen auf dem Bahnsteig die Koffer aufmachen etc. pp. Wie viele dadurch ihren Zug verpasst haben, wurde (natürlich) nicht gemeldet! Der Staat macht sich wohl über die Bürger lustig! Das ist unglaublich, was hier… Mehr

Kassandra
25 Tage her
Antworten an  Simplex

Tja. Die Uniformierten dürfen ja nicht mehr die erkannten Gefährder aus der Masse holen – sondern müssen sich auch um Tante Grete bemühen, die Richtung Nordstrand und Ferien unterwegs ist.
Die Polizisten wissen, dass sie in einer „mission impossible“ unterwegs sind ,denn die kennen ihre Pappenheimer – wobei man sie von außen nur rauskriegt, wenn die Vornamen veröffentlicht werden, wie hier:
„Antwort der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 782 vom 25. Oktober 2022
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Drucksache 18/1735
Zuständigkeiten der Polizei auf und in Bahnhöfen in Nordrhein-Westfalen
mit der Liste der Vornamen: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-2152.pdf
 

Simplex
26 Tage her

„Dieses Gefühl, die eigene Meinung nicht mehr äußern zu können, sei also geschichtlich gesehen eine Ablenkungsstrategie, um Demokratien zu zerstören.“ Klarer Fall von Verdrehung der Tatsachen – wieder nach dem Model „Täter-Opder-Umkehr“. Vielleicht setzt sich diese Expertin mal mit den Zahlen der Meldestellen, den BKA-Einstufungen und Weiterleitung an die Amtsgerichte auseinander. Was die Neurowissenschaftler angeht, vermischen sie ihre empirischen Verfahren mit ideologischen Inhalten. Eine solche Vermischung ist unwissenschaftlich. Das war immer schon ein Problem dieser Disziplin. Wenn ich die Gehirnströme eines Probanden in einer konkreten Gehirnregion messe und stelle bei der Nennung bestimmter, rechtsextremer Begriffe eine Spannungserhöhung fest, so wird… Mehr

Last edited 26 Tage her by Simplex
verblichene Rose
26 Tage her

Künast vermutet hinter der Meinung eines Menschen eine gewisse Absicht. Natürlich nur bei denen, die nicht ihrer Meinung sind. Dabei sollte sie doch wissen, daß eine Meinung zunächst einmal völlig wertfrei ist. Naja, eine Grüne eben.
Aber dann die Neurowissenschaftlerin. Fr. Urner tadelt Poschardt dafür, daß er grinst. Da möchte man sie wirklich fragen, ob sie überhaupt schon einmal etwas von Neuronen gehört hat und wie die im menschlichen Körper so funktionieren.
Und Palmer? Ich warte immer noch auf eine Entschuldigung für seine Ausfälle zu Zeiten von Corona. Eine Meinung lasse ich bei ihm erst dann wieder zu 😉

Nibelung
26 Tage her

Man könnte auch von Mimikry sprechen, tarnen und täuschen, aller Ganoven täglich Brot und wer solche Typen auch noch wählt mu0 total bescheuert sein und betätigt sich sogar noch als Zuhälter für unanständige sozialistische Angebote, die in der Regel wie man wei0, meist im Elend enden.

Kassandra
26 Tage her

Ist doch gut für andere zu sehen, wie sich solche quasi durch „ihre Profession“ selbst in einen Zustand debiler Ignoranz hinsichtlich der Realität versetzen können.
Wie kriegen wir aber die, die durch deren Arbeit dumm gehalten werden, aus solchem Zustand wieder heraus?

spindoctor
26 Tage her

Einfach ihre eigene Seite lesen, die sagt alles, aber auch wirklich alles über diese FH-„Neurowissenschaftler*In“ aus:
„Alles beginnt in unserem Kopf“
https://maren-urner.com/

Zitate erspare ich mir – könnten „falsch“ aufgefasst werden.
Die Studiengänge der FH-Münster findet der geneigte Leser hier:
https://www.fh-muenster.de/de/studiengaenge

Kassandra
26 Tage her
Antworten an  spindoctor

„Wir haben den Klimanotfall –also lasst uns entsprechend handeln!”Maren UrnerFindet man dort, nachdem man lesen kann:„Alles beginnt in unserem Kopf!“Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Autorin (frei formuliert) Gehen sie sich also selber auf den Leim, wie Hannah Arendt schon vor Zeiten formulierte? „Die Intellektuellen gingen ihren eigenen Einfällen in die Falle“. https://www.youtube.com/watch?v=ykVcQ-3MNbQ&ab_channel=PhilosophieKanal Dazu kommt inzwischen: „Sie [die Massen] leiden an einem radikalen Schwund des gesunden Menschenverstandes und seiner Urteilskraft sowie an einem nicht minder radikalen Versagen der elementarsten Selbsterhaltungstriebe.“ Angeblich gibt es 37 Studiengänge für solches alleine in Deutschland, dazu dann noch deutlich mehr für Psychologen, die ja auch in solche… Mehr

Last edited 26 Tage her by Kassandra
Simplex
26 Tage her
Antworten an  spindoctor

Wenn Sie mir nachweisen, dass ein bestimmter Stromstoss rechtsextrem ist, dann haben Sie gewonnen. Die Neurobiologen vermischen ihren Erkenntnisgegenstand, das menschliche Gehirn, mit ungeprüften und nicht überprüfbaren ideologischen Prämissen über die politische Einstellung einer Person.

Sterling Heights
24 Tage her
Antworten an  spindoctor

Limerick: in Münster da gibt es Gespünster🤭

Last edited 24 Tage her by Sterling Heights
Juergen Semmler
26 Tage her

In late March 1988, President Ronald Reagan cracked one of his hillarious jokes: An American tells a Russian that people in the USA have the freedom of speech and that he even could go to the White House and shout: „Go to hell, Ronald Reagan!“ The Russian answers: „Oh, we also have freedom of speech. I, too, can go to Kremlin and shout: “ Go to hell, Ronald Reagan!“ Heute, 37 Jahre später, stelle ich mir vor, wie ich einem Amerikaner stolz berichte, dass auch wir in Deutschland ins Kanzlerbüro gehen und mit der Faust auf den Schreibtisch hauen und… Mehr