Thilo Sarrazin: Die Lehren aus Moria

Die Frage nach dem Umgang mit den Flüchtlingen in Moria hat die Debatte um Flucht und Migration wieder neu entfacht. Meinungen gibt es viele, fundierte Analysen nur wenige. Thilo Sarrazin zeigt die Defizite der aktuellen Flüchtlingspolitik auf und macht konkrete Vorschläge für Reformen.

imago Images/ANE Edition

Die Vorgänge rund um das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos und die Reaktionen darauf in Deutschland und der Europäischen Union zeigen die innere Widersprüchlichkeit und die konzeptionellen Defizite der deutschen und europäischen Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Aus unterschiedlichen Motiven – teilweise getrieben von Kriegen und daraus resultierenden Fluchtbewegungen, großenteils aber motiviert durch das Bestreben, aus armen rückständigen Ländern in die wohlhabende EU und insbesondere nach Deutschland zu gelangen – baut sich an den Grenzen der EU seit Jahren ein wachsender Einwanderungsdruck aus Afrika und dem westlichen Asien auf.

Es ist davon auszugehen, dass dieser Einwanderungsdruck aufgrund des starken Bevölkerungswachstums in den Herkunftsländern in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen wird und säkularen Charakter hat.

Das Einfallstor ist insbesondere das Recht auf politisches Asyl, des Weiteren auch die Schutzsuche nach der Genfer Flüchtlingskonvention.

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Stark vereinfacht besagt das geltende Recht, dass derjenige, der den Boden eines EU-Landes betritt, grundsätzlich das Recht auf ein Verfahren zur Zuerkennung von politischem Asyl oder auf die Gewährung eines Aufenthaltsstatus im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention hat. Die Verfahren sind zeitlich aufwendig. Wer keinen Status als Flüchtling oder kein Recht auf politisches Asyl zuerkannt bekommt, muss die EU bzw. das betreffende Land grundsätzlich wieder verlassen. Das wird de facto aber kaum umgesetzt, wie die geringe Zahl der Abschiebungen zeigt.

Der Zustrom steigt weiter an. Ein großer, in vielen Ländern sogar überwiegender Teil der Bevölkerung in den Herkunftsländern ist grundsätzlich auswanderungswillig, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.

Zu solchen Gelegenheiten verhelfen die vielen Schlepperorganisationen. Zusätzliche Anreize schaffen die Berichte jener Glücklichen, die den Weg nach Europa bereits bewältigt haben. Erreicht man die Grenze eines EU-Landes und gelingt es, dessen Boden zu betreten, so gewährt in den meisten Fällen der Antrag auf politisches Asyl oder der Schutzstatus als Flüchtling zumindest ein vorläufiges Aufenthaltsrecht.

Dieses führt aller Erfahrung nach in der weitaus größten Zahl der Fälle zum Recht auf dauerhaften Aufenthalt. Dazu tragen die Länge der rechtlichen Verfahren und das weitgehende Unvermögen bei, illegal Eingereiste, deren Aufenthaltsbegehren abgelehnt wird, wieder in ihre Herkunftsländer zurückzubringen.

Die Probleme wären schon schwerwiegend genug, wenn es in Europa ein einheitliches Einwanderungs-, Asyl- und Aufenthaltsrecht gäbe und wenn dieses einheitlich exekutiert würde.

Für größte Probleme sorgen auch in diesem Fall

  • der unzureichende oder gänzlich fehlende Schutz der Grenzen, der Grenzübertritte leichtmacht und so einen grundsätzlich unbegrenzten Zustrom von Schutzsuchenden generiert,
  • die Dauer der Asylverfahren und
  • die weitgehende Unmöglichkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder zurück in ihre Herkunftsländer zu schaffen.

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Speziell für Deutschland stellt sich auch bei einem europaweit einheitlichen und auch einheitlich angewandten Asyl- und Aufenthaltsrecht das Problem, dass die Einwanderer nach einer Übergangszeit die Freizügigkeitsregeln der EU in Anspruch nehmen können und deshalb in den Ländern mit dem höchsten Lebensstandard und den großzügigsten Sozialleistungen ihren bevorzugten Aufenthalt nehmen. Das bedeutet, dass in jedem Fall am Ende vorwiegend Deutschland die Aufenthaltslast für Flüchtlinge und Asylbewerber in der gesamten EU übernimmt.

Es gibt aber in Europa kein einheitliches Asyl- und Aufenthaltsrecht und schon gar keine einheitliche Rechtsanwendung. Das verschlimmert die Probleme weiter:

Ein Land wie Griechenland ist aufgrund seiner geographischen Lage und seiner Inseln vor der türkischen Küste eine bevorzugte Anlaufstelle für Migranten aus Afrika und dem westlichen Asien.

Wenn es die europäischen Bestimmungen ernst nimmt, ist ihm verwehrt, die Anlandung von Booten mit Migranten an seinen Küsten gewaltsam zu verhindern. Einen Katzensprung von den türkischen Küsten entfernt, ist es diesem Zustrom vielmehr hilflos ausgeliefert und insoweit von der Gnade und Kooperationsbereitschaft von Politik und Behörden in der Türkei abhängig. Mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei vom April 2016 wurde die Türkei durch Zahlung im Milliardenumfang zu einer gewissen Kooperation in Flüchtlingsfragen bewogen. Wie der anhaltende Zustrom auf die griechischen Inseln zeigt, ist der dadurch bewirkte Schutz aber sehr löchrig und unvollständig.

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Griechenland ist zudem wegen interner Verwaltungsmängel mit der Durchführung von Asylverfahren hoffnungslos in Verzug. Das befördert einen Stau in den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln. Wenn es gelänge, diese Engpässe aufzulösen, könnte in den Lagern auf den Inseln schneller Platz geschaffen werden. Die Lebensbedingungen in den Lagern würden sich verbessern. Aufgrund der bestens funktionierenden Kommunikationsketten der Migranten untereinander und mit ihrer Heimat würde sich dies schnell bis Afghanistan, Pakistan und Eritrea herumsprechen. Der Zustrom würde weiter zunehmen. Gleichzeitig gäbe es dann auf dem griechischen Festland einen Stau anerkannter Flüchtlinge und Asylbewerber. Der Druck auf einen europäischen Verteilungsmechanismus würde steigen. Unabhängig davon, ob es diesen gibt und wie dieser aussieht, würde die Mehrheit der Aufenthaltsberechtigten letztendlich sowieso in Deutschland landen.

Ungelöst bleibt auch in diesem Fall die Problematik jener, die kein Aufenthaltsrecht bekommen, aber auch nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden können.

Das alles zeigt, dass folgende Maßnahmen nötig sind:

  • Europa braucht einen wehrhaften Grenzschutz, der unerwünschte Grenzübertritte durch illegale Einwanderer weitgehend unterbindet.
  • Schutz und Fürsorge für Flüchtlinge außerhalb Europas müssen auf den jeweiligen Kontinenten, möglichst nahe bei den Herkunftsländern der Flüchtlinge organisiert werden.
  • Anträge auf politisches Asyl können nur von außerhalb der Landesgrenzen oder aus exterritorialen Transitzentren gestellt werden. Jede illegale Einwanderung führt zum Ausschluss des Rechts auf Asyl.
  • Illegale Einwanderer, denen der Aufenthaltsstatus verwehrt wird, werden notfalls unter militärischem Schutz in ihre Herkunftsländer zurückgeführt.

Wenn sich in den Herkunftsländern herumspricht, dass der Weg nach Europa sehr schwierig bzw. fast unmöglich ist, werden auch die Zahlen jener, die sich auf den Weg machen, dramatisch zurückgehen.

Solange die oben umrissenen Maßnahmen nicht in der ein anderen Form getroffen werden, bleiben alle Aktionen rund um die Probleme der Flüchtlinge und Asylbewerber in Griechenland im Wesentlichen nur Symbolpolitik. Dazu zählt auch die Aufnahme von 1.550 anerkannten Flüchtlingen und Asylbewerbern aus Griechenland in Deutschland. Es ist bezeichnend, dass sich außer Luxemburg kein anderes europäisches Land an dieser Initiative beteiligt hat.


Mehr zum Thema:

Thilo Sarrazin, Der Staat an seinen Grenzen. Über Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart. Langen Müller Verlag, 480 Seiten, 26,00 €.


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Kommentare ( 39 )

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Gert Friederichs
3 Jahre her

„Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesell- schaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der Gipfel der Verlogenheit! Eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Deshalb werden wir auch weiter eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung fordern.“ Da muss man natürlich darüber sprechen, dass es den Missbrauch des Asylrechts gibt. Da muss man natürlich sagen, die Folge kann nur sein, Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung. Alles andere wird keine Akzeptanz… Mehr

Ananda
3 Jahre her

So würde jemand verfahren, der tatsächlich illegale, unqualifizierte Migration in unsere Sozialsysteme unterbinden wollte.
Migrationspakt und der neue EU „Asylrecht“ Freibrief sprechen eine andere Sprache. Diese „Elite“ arbeitet nicht zu unserem Wohl.

Petra Horn
3 Jahre her

Wäre es möglich, daß Sie eine Quelle nennen?

Wolf Koebele
3 Jahre her

„Es ist bezeichnend, dass sich außer Luxemburg kein anderes europäisches Land an dieser Initiative beteiligt hat.“ Es ist außerdem bezeichnend, daß Luxemburg 10 (zehn) Migranten aus Moria aufzunehmen bereit ist (Auskunft Asselborn bei Anne Will).

Winni
3 Jahre her

Lieber Herr Sarrazin, einen Aspekt haben Sie leider nicht erwähnt: Korruption, die auch und gerade im Süden Europas allgegenwärtig ist. Deutschland kann sich nur dadurch schützen, indem es unmißverständlich erklärt, daß es niemanden aufnimmt, der von einem sicheren Staat hier einreist und wer sich nicht ausweisen kann, d.h. seine Abstammung und Identität verschleiert, dessen Ansinnen wird nicht einmal geprüft.

Bernd Simonis
3 Jahre her

Leute, niemand will unser genörgel auf dieser Seite hören. Die Karawane zieht weiter. Die Mehrheit will es . Ja, ich lasse hier auch immer Dampf ab. Ist aber im Grunde uncool. An guten Tagen erkenne ich das.

Frank v Broeckel
3 Jahre her

Ich habe mich wohl etwas missverständlich ausgedrückt : Reiche(!) Staaten, wie zum Beispiel Deutschland werden selbstverständlich NIEMALS in demographischer einhergehend in gesellschaftlicher Hinsicht zusammenbrechen, da es immer genügend junge Menschen weltweit geben wird, die in das reiche(!) Deutschland einwandern WOLLEN! In den ärmeren EU Staaten ist die Lage jedoch völlig anders! Wenn ZU viele der ohnehin WENIGEN jungen Menschen aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Polen usw Richtung Deutschland oder die anderen wohlhabenden westlichen Staaten abwandern, können diese Staaten durchaus in demographischer einhergehend in gesellschaftlicher Hinsicht vollständig zusammenbrechen! Denn gehen die Boomer Jahrgänge in diesen Staaten erst allesamt in Rente, müssen die… Mehr

giesemann
3 Jahre her
Antworten an  Frank v Broeckel

Einwanderung in die Sozialsysteme der „reichen“ Staaten ist kritisch zu betrachten, @Frank v. Broeckel. Derzeit wollen alle nur in EINEN Staat in der EU einwandern , bekannt. Und nochmal: Es geht NUR und allein um muslimische Männer, die uns zu allem Überfluss auch noch bedrohen, göttlich gefordert, Quelle: Quran. Verbindlich für jeden Moslem, der seine Ideologie ernst nimmt. Ihre anderen Überlegungen kann ich gut nachvollziehen, insbesondere die Politik der Visegrads, aber auch zunehmend anderer Länder der EU. Außer LU macht eh keiner mehr mit mit den Deutschen. Die Abwanderungen aus der Peripherie der EU sind in der Tat ein Problem,… Mehr

Politkaetzchen
3 Jahre her

Meine persönliche Lehre aus Moria ist, dass das deutsche Volk nix dazu gelernt hat.

Manfred_Hbg
3 Jahre her
Antworten an  Politkaetzchen

Und das, „dass das deutsche Volk nix dazu gelernt hat“, wird dann auch noch dadurch bestätigt, wenn man sich die gead gewesenen Wahlen wie in NRW anguckt. Obwohl, wieviel „deutsches Volk“ gibt es eigentlich noch in NRW?

giesemann
3 Jahre her

Nur DE will die muslimische Zuwanderung, die übrigen EU-Länder machen eher nicht mit.

Gottfried
3 Jahre her

Die Lehren aus Moria: Fehlanzeige! Es wird sich nicht viel ändern. Luxemburg hat übrigens meines Wissens die Aufnahmen von 10 Migranten zugesagt. Wouh!

Manfred_Hbg
3 Jahre her
Antworten an  Gottfried

Na ja, damit der Quasselkopf Asselborn sein Gewissen beruhigen kann, dafür sind 10 „Flüchtlinge“ ausreichend.