Der Parteienstaat absorbiert ein weiteres Mitglied

Der alles durchdringende Parteienstaat ist zur Karrieremaschine und zum Selbstbedienungsladen der Parteien missraten. Aber eines kann er, neue Parteien assimiliert sein System zuverlässig.

© Sean Gallup/Getty Images

Mit der Übernahme des Vorsitzes in drei Ausschüssen durch Abgeordnete der AfD tut die im Bundestag neue Partei den ersten Schritt zur Einfügung in den deutschen Parteienstaat, der sich seit der ersten großen Koalition in der Bonner Republik immer größere Teile von Staat und Gesellschaft gefügig gemacht hat.

Seit Richard von Weizsäcker sein inzwischen historisches Wort von der Machtversessenheit und Machtvergessenheit der Parteien sprach, ist alles nur noch schlimmer geworden. Der alles durchdringende Parteienstaat ist zur Karrieremaschine und zum Selbstbedienungsladen der Parteien missraten. Um politische Entwürfe geht es längst nicht mehr, sondern nur noch um die Begünstigung der bedingungslos Gehorsamen und die Ausgrenzung und Benachteiligung derer mit eigenem Willen.

Die erklärten Feinde der AfD beschwören dieselbe als Wurzel allen Übels und als Ende der Demokratie. Die erklärten Freunde der AfD erwarten von ihr die Lösung aller Probleme und das Ende des Übels. Beide werden schneller, als viele denken, erleben, dass die AfD eine Partei wie alle anderen deutschen Parlamentsparteien wird.

Der Parteienstaat ist in einer einzigen Hinsicht nahezu perfekt: als Einschleifmühle neuer Parteien. Diese Perfektion hat kein genialer Kopf geschaffen, sie ist einfach das Egebnis des betörenden Charmes des Berufs Politik als fünfte Sparte des öffentlichen Dienstes, als allerhöchster Dienst: der einzigen ohne Eingangsvoraussetzungen und zugleich der höchst bezahlte.

Der nächste Schritt der Domestizierung ist eine eigene politische Stiftung für die AfD. Das markierte auch den Break Even Point bei den Grünen. Am längsten dauerte es, bis die damals schon länger etablierten Parteien die Grünen in ihren Kreis aufnahmen, deutlich kürzer bei der PDS – heute Die Linke. Bei der AfD wird es noch schneller gehen.

Die Anhänger der AfD werden das empört zurückweisen, klar, sonst wären sie ja keine Anhänger. Aber die Lebenserfahrung hat mich gelehrt, dass auf die Zugänglichkeit der Zeitgenossen für Annehmlichkeiten deutlich mehr Verlass ist als auf Prinzipientreue und Ablehnung von Privilegien, die sich solange gut scharf verurteilen lassen, so lange sie nicht erreichbar sind. Sie erinnern sich: der Fuchs und die sauren Trauben.

1994 schrieb ich für die Kolumne „Standpunkt“ des Focus einen Beitrag zum Zustand der FDP. Ich war damals noch CEO der Naumann-Stiftung und ständiger Gast des Präsidiums der FDP (wo ich fast 20 Jahre nahezu jede Woche politischen Nahunterricht erlitt). Zur Erinnerung: Eine Bundestagswahl stand vor der Tür und bei der nächsten ging es so aus, wie ich in diesem Standpunkt prognostizierte. 1998 wurde zum ersten Mal eine Bundesregierung glatt abgewählt. In meinem Text begründete ich, warum die FDP eine Zukunft nur als radikale Programmpartei hätte und nicht als kleines Volksparteilein, das sein Monopol als politischer Mehrheitsbeschaffer an die Grünen verlor und nun die PDS als weiterer Mehrheitsbeschaffer auf den Plan tritt. Was ich über die FDP schrieb, interessierte Helmut Markwort nicht, aber dass die PDS auch Koaitionspartner werden könnte, empfand er damals als verblüffend neuen Gedanken. Nur deshalb erschien mein Text. Hier ein Auszug:

«Dann nahmen die Grünen der FDP ihr Monopol als Mehrheitsbeschaffer: Damit begann die existentielle Bedrohung der arithmetischen Koalitionsfunktion. Nun kommt auch im Westen die PDS hinzu: als „echte“ sozialistische Partei. Sie reduziert die FDP zum Mehrheitsbeschaffer im „bürgerlichen Lager“. Das wird am 16. Oktober in Bonn noch einmal reichen – etwa mit der Botschaft: Drei Zentner Kohl brauchen Diät – Zweitstimme FDP.

Für die FDP, die am 17. Oktober einfach so weitermachte, käme das Aus. Die PDS wird SPD und Grünen „Linke“ wegnehmen. Wechseln Jusos zur PDS und Julis zu den Grünen? SPD und FDP haben Jugendorganisationen schon einmal verloren. Die Tarnkappen-Allianz von SPD und PDS (Lambsdorff: PDSPD) treibt alte SPD-Wähler zur CDU. Für „Sozialliberale“ werden so SPD und Grüne noch wählbarer: Partner der „Besserverdienenden“ geben ihre Zweitstimmen nur noch den Grünen. Schwarz kann mit Grün regieren oder mit den Radieschenroten oder allein. – Kein Markt mehr für die alte FDP.»

Ohne FDP und Grüne
Maischberger: Die verstörte Republik
Nun wiederholt sich der Prozess der Eingliederung neuer Parteien in den Parteienstaat mit der AfD. Ein sicheres Indiz ist die Süddeutsche Zeitung: Sie schreibt nicht mehr, die AfD darf in keinem Bundestagsausschuss den Vorsitz übernehmen, sondern kritisiert nur noch die Personen. Das ist auch eine Form der Anerkennung.

Das notwendige radikale Aufbrechen des Parteienstaats als Voraussetzung für die Repolitisierung der entpolitisierten Republik wird dadurch auf den Tag verschoben, an dem eine wirklich neue politische Kraft in die deutsche Politik tritt. Ich meine damit keine Partei, denn der würde es genau so ergehen, wie es nun der AfD vorgezeichnet ist. Trotzdem oder besser deswegen bin ich sicher, dass weitere neue Parteien entstehen werden. Je schneller die AfD vom System Parteienstaat assimiliert wird, desto früher.

Eine wirklich neue Kraft hingegen braucht eine Person mit dem nötigen Charisma und einen virtuosen Umgang mit den neuen Medien. Dort findet die öffentliche Willensbildung statt. So wie die Parteien diese Rolle an die Massenmedien verloren, vor allem an das Fernsehen, verlieren die alten Medien ihre Rolle an die neue Kommunikationswelt, die erst begonnen hat, sich zu entfalten. Facebook, Twitter und so weiter sind nicht die neue Kommunikationswelt, wie die alten Medien mit ihren naiven Online-Ablegern meinen. FB und Co sind nur der erste kleine Schritt. Entwickelt wird diese neue Welt in den U.S. und in China. Der Rest der Welt steckt im alten Kommunikationszeitalter und merkt es nicht einmal.

It's twitter, stupid
Donald Trump: State of the Union address
Donald Trump, übrigens, ist nicht derjenige, der die United States von ihrem Irrweg auf den Pfad der Freiheit zurückführt, der einst ihr Ausgangspunkt in der „Neuen Welt“ war. Aber er erschüttert das US-Establishment in seinen Grundfesten so sehr, dass kein Weg in die Zeit vor Trump zurückführt  – mit und ohne The Donald.

Dass sich der ganze Westen in einer tiefen Krise befindet, lässt sich von Washington bis Peking verfolgen, am wenigsten im deutschen Hauptstadt-Berlin und dem EU-Funktionärssilo Brüssel. Aber nur Mut, das wird schon. Unerwartet, wie meist in der Geschichte.

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Kommentare ( 188 )

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Volker Richter
6 Jahre her

Das Parlament erzieht ein Stück weit den Parlamentarier. Das ist so und wird in einer Demokratie auch so bleiben. Unser Problem in Deutschland sind aber nicht die Parteien an sich, sondern die Führungen der Parteien, die anders handeln als sie reden. Darin liegt das eigentliche Problem und Ihrer Analyse wäre nur dann zuzustimmen, wenn die AfD sich vom Ziel der Volksabstimmungen verabschieden würde. Dieses Ziel hatten andere Parteien auch und es ihrer eigenen Machtgier geopfert, denn Volksabstimmungen nehmen nun mal die Macht aus den Händen der Mächtigen. Sowie sich die AfD von dieser wichtigen Forderung verabschiedet weiß man, was die… Mehr

Prof. Dr. Frank E. Münnich
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Goergen: Wie oft im Politischen kann man Ihrer Analyse voll zustimmen, nicht aber den Schlußfolgerungen daraus (das »Sahra-Wagenknecht-Dilemma«). Die Bundesrepublik hat sich über die Jahre zu einer Parteien-Oligarchie entwickelt, die, wie früher der Adel, seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Position mit aller Macht verteidigt. Es käme daher in der Tat darauf an, die Zustände nicht länger nur zu interpretieren, sondern zu verändern. Interpretoren gibt es reichlich, sie äußern sich stilistisch brillant in vielen Blogs und Foren. Wo aber sind diejenigen, die die Änderung in Gang setzen? Für eine grundlegende Änderung der faktischen Verfassung gibt es nur drei Wege,… Mehr

Der Ketzer
6 Jahre her

Ich teile diese Auffassung nicht. Es ist für die AfD wichtig, in die Ausschüsse zu kommen, um dort Informationen zu erhalten, die sie ansonsten über zahllose kleine Anfragen an die Ministerien in Erfahrung bringen müssten.
Und eine Stiftung ist notwendig,um zu einer „Waffengleichheit“ zu gelangen …

Franz O
6 Jahre her

Naja, nachdem die AfD mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit jetzt die Phase der Piraten-Eintagsfliege überlebt hat, halte ich die Analyse im Artikel für erwartungsgemäß. Trotz allem: Die AfD ist für mich nur stärkstes Symptom und (ganz wichtig) Katalysator einer gesellschaftlichen Veränderung. In diesem Sinne bin ich natürlich Anhänger, dass aus der AfD von ganz alleine aber große Wunder geschehen, damit brauchen wir nicht zu rechnen. Da ist der Bürger selbst gefragt. Außerdem halte ich es für ganz angemessen, den Leuten, die sich für die AfD ins Rampenlicht stellen und damit den gesellschaftlichen Hass der totalitären Antitotalitären auf sich ziehen, entsprechend zu… Mehr

Schwabenwilli
6 Jahre her

Herr Goergen sie machen mir Angst. meine letzte Hoffnung zerstören sie mit diesem Artikel.

Alex Georg
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Goergen, wenn Sie wie ich den Parteienstaat ablehnen, warum leistet TE nicht einen kleinen Beitrag dazu und erweitert seine Kommentarfunktion um die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme der Kommentierenden? Technisch geht das, SPON hatte diese Möglichkeit ursprünglich auch. Das böte politisch Interessierten die Möglichkeit sich auszutauschen, zusammenzuschließen und Initiativen zu bilden!

Michael Sander
6 Jahre her
Antworten an  Alex Georg

Jaja, das Kommentarsystem. Ich kann mich noch erinnern, dass da so einiges in Aussicht gestellt wurde…

Leonardo
6 Jahre her

Herrn Goergens Diagnose der Verparteiung der Politik ist schwerlich wegzudiskutieren. Die Tatsache, daß es diesen Trend zur strukturellen Verfilzung gibt, ist aber nach meiner Meinung nicht zu ändern. Wie es schon ein anderer User anschnitt; das ist Ausdruck von menschlicher Arbeitsteilung. So wie es Leute gibt, die reparieren (und andere nicht), es Leute gibt, die gern für Andere kochen (und andere nicht), so gibt es auch Leute, die für Andere politische Probleme lösen wollen (und andere nicht!). Daraus ergibt sich ein Spezialisierungsprozeß, der irgendwann auch zur strukturellen Verfettung führt, wenn es die Umstände zulassen (Monopole, Mafia, Parteien). Es geht also… Mehr

Alex Georg
6 Jahre her
Antworten an  Leonardo

Und Sie glauben wirklich, daß die Neueinsteiger bei den sogenannten „demokratischen Parteien“ dem Staate dienen wollen und nicht eher trotz geringer Qualifizierung ein angenehmes Plätzchen suchen? „Politische Arbeit“ ist einfach zu gut bezahlt, das zieht die falschen Leute an.

Die Urteile des Verfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung und Abgeordnetenbesoldung waren verheerend. Aber kein Wunder, denn wer ernennt denn die Verfassungsrichter? Auch dies ein Punkt der dringend geändert werden müsste.

Leonardo
6 Jahre her
Antworten an  Alex Georg

Ich habe mich nirgendwo auf irgendwelche Neueinsteiger bei den Altparteien bezogen, kann daher ihre Widerrede nicht so richtig einordnen.
Über die Qualität des Personals der Altparteien sind hier wohl alle einer Meinung. Ich wollte lediglich darlegen, daß es möglich ist, mit willigen Amtsträgern (aus einer Reformbewegung) durch taktisches Zuspitzen eine Klärung zu erzwingen. Wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, kann sich aber jeder selbst ausrechnen, da es letzten Endes auf einen Wettlauf zwischen abnehmendem Reformwillen und zunehmender Reformträgheit hinausläuft.

Donna
6 Jahre her

Schon immer habe ich mich gefragt, weshalb bei anstehenden bzw. erfolgten Wahlen in den Medien immer die Personalienfrage in Verbindung mit dem Machterhalt so sehr in den Vordergrund gestellt wird. Es wird nie danach gefragt, ob nun die Politik zum Zuge kommt, die dem Wohl des Volkes dient, sondern lediglich ob er oder sie im Amt bleibt. Auch bei den aktuellen Koalitionsgesprächen ist das wieder sehr schön zu beobachten. Da wird geschachert auf Teufel komm raus. Mir persönlich sind die Karrieren einer Frau Merkel oder eines Herrn Schulz oder sonstwessen völlig schnuppe. „Wichtig ist was hinten rauskommt“.

Emma Mathieu
6 Jahre her

Vom Parteienstaat wird unpolitisches Verhalten nicht nur heimlich geschätzt, sondern aktiv unterstützt und selber verbreitet, bis hin zur Wahlenthaltung, die man dann hinterher als demokratiefeindlich, gesinnungslos und brandgefährlich brandmarken kann – zutreffend und heuchlerisch zugleich. Im BT Wahlkampf hat Frau Merkel das Prinzip “asymmetrische Demobilisierung” zur höchsten Vollendung geführt. Eine Wahlkampfstrategie, bei der durch das Unterlassen einer Stellungnahme zu kontroversen Themen (wie Flüchtlingspolitik *) vermieden wird, die potenziellen Wähler des politischen Gegners zu mobilisieren. Kanzleramtsminister Altmaier rief unentschlossene Bürger auf lieber nicht zuwählen, als ihre Stimme der AfD zu geben. AfD-Spitzenkandidat Gauland bezeichnete ihn daraufhin als „Schandfleck der freien Wahlen“.… Mehr

Sonni
6 Jahre her

In einem Staat, den sich die Parteien zur Beute gemacht haben, wird eine Erneuerung von innen nicht mehr möglich sein. Die Parteien haben sich die Machthoheit über die Medien (ÖR), die Rechtsprechung (Einsetzung der Richter) und die Bildung (Nudging) verschafft und somit einer objektiven Erneuerung des Systems jeglichen Riegel vorgeschoben. In der Wirtschaft nennt man das Management by out (glaube ich) und wird von Investoren mittlerweile gar nicht gern gesehen. Lieber sollen völlig „Fremde“ von außen kommen (Management by in), um den alten Filz aufzubrechen und neue Wege einzuschlagen, zu denen das Altmanagement nicht in der Lage ist. Es ist… Mehr