Krachts Erinnerungskaskaden sind sprachliche Filigranarbeiten

In „Eurotrash“ reist der Erzähler mit seiner Mutter durch die Schweiz – und in die Abgründe der eigenen Familiengeschichte. Bei Kracht überlagern sich das Ernste, Tragische und Komische, werden ineinander verwoben: das ist große Kunst und allein das Lesen wert. Von Monika Maron

Eigentlich hätte ich das Buch schon vor zwei Jahren, als es erschienen ist, gelesen. Weil ich aber, wenn ich mich gerade an einem eigenen Buch abmühe, gute oder gar überragende Bücher nicht lesen kann, ohne an meinen Unzulänglichkeiten zu verzweifeln, musste „Eurotrash“ zwei Jahre warten. Denn Christian Kracht, davon ging ich aus, hätte mich vermutlich wenigstens vorübergehend aus allen Gewissheiten gestürzt, weil er etwas kann, was ich nicht kann, weil er überhaupt kann, was außer ihm eben niemand kann. Mit anderen Worten: Er ist ein bewundernswerter Schriftsteller.

Schon mit „Faserland“ hat er die Feuilletonisten in Aufruhr versetzt, begeistert oder empört, wobei ich damals nicht verstanden habe, wie einige Kritiker in dieser Reise eines Namenlosen von Party zu Party, von Rausch zu Rausch, den Ekel und die Traurigkeit über dieses sinnentleerte Leben überlesen konnten.

In „Eurotrash“ bleibt der Erzähler nicht namenlos, er heißt Christian Kracht. Im ersten Teil des Buches wird die abgründige Familiengeschichte erzählt. Ein Großvater, ehemaliger SS-Sturmbannführer mit perversen sexuellen Neigungen, ein Vater, aufgestiegener Sohn eines Taxifahrers „mit den Allüren eines Parvenus“, der mit inhaltsleerem Luxus seine als defizitär empfundene Herkunft zu kompensieren versucht, ein Leben zwischen Villen und großen Namen, in dem kein Glück gedeiht.

Krachts Erinnerungskaskaden sind sprachliche Filigranarbeiten, in denen das Ernste, Tragische und Komische sich überlagern. Wenn er erzählt, wie er als Kind dem Nachbarsjungen Rölfi, den er nicht besonders mochte, eine Flasche Most bringen wollte, dabei über eine Wurzel stolperte, sich an der zerschlagenen Flasche die Pulsader aufschnitt, daran wegen der Unbedarftheit der Kinderfrau fast verblutet wäre, dass darum niemand jemals seine Kehle berühren durfte, ihm vom Anblick eines Rasiermessers übel wurde und er beim Film „Caché“ von Michael Haneke, an dessen Ende eine Rasierklinge auftaucht, gedacht habe zu sterben, wenn Kracht das über zwei Seiten erzählt, ist es so ernst wie komisch, gerade weil er bei jedem Wort auf dem Ernst der Situation besteht.

Unverzichtbare Stimme unserer Zeit
Vom Glück der Unberechenbarkeit
Anlass aller Erinnerungen ist ein Besuch der Romanfigur Christian Kracht bei seiner Mutter, einer todkranken, alkohol- und tablettensüchtigen Frau, mit der er eine aberwitzige Reise im Taxi durch die Schweiz unternimmt. Der Autor Christian Kracht gibt diese Mutter unerbittlich preis in ihrer Trunksucht, ihrem irrsinnigen Kaufzwang, mit den fettigen Haaren, ihrem von einem Sturz zerschrammten und blutverkrusteten Gesicht und den zu wechselnden Beuteln ihres künstlichen Darmausgangs, und immer rettet er sie gleichzeitig durch ihren anarchischen Witz und sein Wissen um die Wurzeln ihres Unglücks.

In dem von Alkohol gedunsenen und zerstörten Gesicht seiner Mutter kann er nur das Gesicht sehen, wie er es als kleines Kind gesehen hat, „das Gesicht der jungen, in hoffnungsvoller Erwartung dem Leben zugewandten Mutter“. Wie Kracht die Schrunden und Süchte der Mutter unter seinem zärtlichen Verstehen vergessen lässt, wie auch hier das Komische und Tragische ineinander verwoben sind, ist große Kunst und allein das Lesen wert.

Ihre gemeinsame Reise beginnt an einem Bankschalter. 600.000 Franken werden in einer Plastiktüte verstaut, um sie zu verschenken, am besten, dieses viele überflüssige Geld, von dem das ganze Unglück gekommen ist, an irgendeinen, den man zufällig trifft. Während ihrer Fahrt in Christians Erinnerungslandschaft, zum Schluss auf einen Gletscher, wo die Mutter Edelweiß finden will, wird nur in Tausendern bezahlt, bis am Ende der Wind ein Bündel dieser Tausender vom Gletschergipfel weht.

Die Gespräche zwischen Mutter und Sohn während ihrer Reise, auch über die gemeinsame, verschieden erlebte Vergangenheit, sind von so absurder Komik wie die Geschichten, die sich die Mutter von ihrem Sohn gern erzählen lässt, obwohl sie ihm rät, doch lieber Bücher zu schreiben wie Marcel Beyer oder Daniel Kehlmann oder Knausgård und nicht sein eigenes unnützes Zeug.

Ich liebe diese Kracht’sche Komik, die so tut, als wisse sie nichts von sich selbst, die aber auf paradoxe Weise in allem steckt, sogar im Tragischen.

Christian Kracht, Eurotrash. Roman. Kiepenheuer & Witsch. Hardcover mit Schutzumschlag, 224 Seiten, 22,00 €.


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Kommentare ( 1 )

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Hieronymus Bosch
1 Jahr her

Leider ist Kracht ein völlig überschätzter Autor, der von den Medien hochgejubelt wird. Eurotrash ist ein schwacher Abglanz von Krachts erstem Roman, größtenteils langweilig und uninspiriert. So schreibt jemand, dem nichts Neues mehr einfällt. Die Atitude des Popliteraten ist mittlerweile ausgereizt, der ewige Dandy verwelkt. Der deutsche Gegenwartsroman hat leider wenig zu bieten, Kracht ist einer seiner wenig rühmlichen Protagonisten!