Kein Kartellamt mehr, sondern Wirtschaftslenker

Im Windschatten einer alle öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchenden Energie-Debatte hat Wirtschaftsminister Habeck einer Behörde zusätzliche Befugnisse gegeben, die das Wirtschaftsleben verändern werden. Durch das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz wird die Machtfülle des Bundeskartellamtes erhöht. Von Detlef Brendel

IMAGO / bonn-sequenz
Bundeskartellamt in Bonn

Nach Abschaltung der Atomkraft, staatlich verordneten Heizungsinvestitionen in privaten Kellern und anderen erfolgreichen Rigorismen der Grünen hat sich die Verbotspartei auch bei der grundsätzlichen Lenkung der Wirtschaft durchgesetzt. Und alle Ampel-Koalitionäre machen mit. Populistisch lässt sich auch das verkaufen. Mehr Wettbewerb soll es ermöglichen, dass die Verbraucher bessere Qualität zu besseren Preisen erhalten. Preissenkungen und Qualitätsverbesserungen provozieren kaum Widerspruch. Da die Unternehmen offenbar nicht über diese Erkenntnis im Wettbewerb oder die geeignete marktwirtschaftliche Einstellung verfügen, wird ihnen dieses künftig durch die Bonner Behörde zur Lenkung der Volkswirtschaft erklärt.

Und diese Verfahren werden massiv sein und sogar solche Unternehmen überraschen und erschüttern, die immer auf die strikte Einhaltung des Kartellrechts geachtet haben. Das war auch in der Vergangenheit schon schwierig. Ein Gespräch zwischen Wettbewerbern über den zunehmenden Preisdruck bei Rohstoff- oder Energiepreisen und eine deshalb notwendig erscheinende Preisanpassung im Markt konnte auch bisher schon als Kartellverstoß geahndet werden. Unabhängig davon, ob es tatsächlich zu Preisanpassungen gekommen ist. Es wird brutaler werden.

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Das Kartellamt soll künftig missbrauchsunabhängige Eingriffsbefugnisse erhalten. Was ein Verstoß ist, entscheidet in Zukunft allein die Behörde. Eingriffe können also auch solche Unternehmen betreffen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Das ist eine Besonderheit im deutschen Rechtsverständnis. Es geht dann nach dem Grundsatz: Sie sind zwar unschuldig und haben sich korrekt verhalten, aber Ihr Umfeld missfällt uns. Die eigentlich im Recht gebrauchte Unschuldsvermutung wird künftig in Kartellverfahren durch eine praktizierte Schuld-Unterstellung der Kartellbehörde ersetzt.

Damit wird eine neue Dimension im deutschen Recht geschaffen: Die Verfolgung von Straftaten, die nicht stattgefunden haben. Es ist wie zu Zeiten der Inquisition. Menschen, die weder hexen konnten noch wollten, wurden verfolgt, gefoltert und exekutiert, obwohl sie keine Schuld hatten. Und schließlich wurde auch noch ihr Vermögen einkassiert. Die Arbeit des Bundeskartellamtes kann künftig missbrauchsunabhängig stattfinden.

Ein Blick auf die Angriffe des Kartellamts auf Unternehmen und Branchen während der zurückliegenden Jahre zeigt, dass die Atmosphäre, in der ein Teil der Wirtschaft in Deutschland agieren muss, durch den Aktionismus des Bundeskartellamtes vergiftet worden ist. So hat es für manche Verfahren schon ausgereicht, dass Wettbewerber die Absicht hätten haben können, Preise oder Marktsegmente abzusprechen. Auch wenn dies ihnen nachweislich nicht gelungen ist, schützte sie das nicht vor einer Behörde, die sich zu einem Profitcenter entwickelt und dabei jegliches Augenmaß verloren hat.

Sie wurden zu einer Form des Wettbewerbs getrieben, der aus Sicht der Kartellbehörde nur dann gut ist, wenn er sich durch konsequente Konfrontation im Markt und durch eine auf niedrige Preise fokussierte Konkurrenz auszeichnet. Dieser Weg birgt erhebliche Risiken für die Unternehmen, für den zumeist funktionierenden Wettbewerb, für die Arbeitsplätze und letztlich für die gesamte Gesellschaft, weil er Faktoren wie hochpreisige Markenpolitik, qualitativen Anspruch oder Serviceorientierung in Frage stellt. Diese Faktoren haben maßgeblich zur Stärkung der deutschen Wirtschaft beigetragen.

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Das Kartellamt ist nicht der Verursacher eines gegen die Unternehmen gerichteten Meinungsklimas. Die Behörde nutzt allerdings Grundstimmungen in der öffentlichen Meinung und verstärkt sie dadurch. In der Öffentlichkeit werden Kartellverfahren durchaus mit positiver Resonanz, die maßgeblich auch durch Medienberichterstattung geprägt wird, bedacht. Durch die zu Recht in starker Kritik stehende Geschäftspolitik mancher Banken, durch eine sich zum kontinuierlichen Thema entwickelnde Diskussion der Steuerflucht und der Steuerhinterziehung, durch die mangelnde Corporate Governance mancher Konzerne und ähnliche Entwicklungen mehr ist das Vertrauen in die soziale Verantwortung der Unternehmen beeinträchtigt worden. In diesem Meinungsklima werden die Initiativen des Bundeskartellamtes als positive Maßnahmen zur Regulierung eines unterstellten unternehmerischen Wildwuchses empfunden. Auch hier nehmen die wachsende Staatsgläubigkeit und die damit verbundenen Forderungen nach Verboten und Regulierungen zu.

Konsumsteuerung bis zu Werbeverboten

Es ist ein defensives Verständnis von Freiheit, das der Regulation den Vorzug gibt, um ein vermeintliches Gefühl von Gerechtigkeit und damit auch Sicherheit zu erhalten. Damit beginnt eine gefährliche Entwicklung, in der staatliche Absicherung gefordert wird, um sich von Existenzängsten zu befreien. Wenn die Politik dieses Stimmungsbild aufgreift, um die Bürger vor missliebigen Produkten, vor verführerischen Verpackungen, vor unerwünschter Werbung, um die sich der grüne Minister-Kollege Özdemir kümmert, und ähnliche Aktivitäten der Wirtschaft mehr zu schützen, fördert sie ein unsere Gesellschaft schädigendes Meinungsklima. Sie beschneidet unternehmerische Freiheiten und entmündigt zugleich die Verbraucher durch Maßnahmen, die als Konsumsteuerung charakterisiert werden können. Hier werden gesetzliche Regelungen initiiert, denen ein unternehmensfeindliches Denken zugrunde liegt, und die dazu dienen sollen, Unternehmer und Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu bringen.

Die Aufgabenbereiche der Wettbewerbsbehörde sind bisher durch vier Segmente klar definiert. Die Durchsetzung des Kartellverbots, die Fusionskontrolle, die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen und seit 1999 auch die Überprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes. Seit 2005 hat die Behörde zusätzlich die Option, sogenannte Sektorenuntersuchungen durchzuführen. Damit wird unabhängig von konkreten Einzelverfahren die Wettbewerbssituation in Branchen analysiert.

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Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) definiert als verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen solche „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken“. Jeder verantwortungsbewusste und marktwirtschaftlich denkende Unternehmer wird dieser grundsätzlichen Definition zustimmen. Wettbewerb ist der Motor der Marktwirtschaft. Die gesunden Regulationskräfte des Marktes sollten ihre Gültigkeit behalten. Die Behörde kann eine mit Augenmaß und Verständnis für die Wirtschaft betriebene Kartellpolitik praktizieren, statt massiv mit bürokratischen Vorstellungen in den Wettbewerb einzugreifen.

Renaissance der Inquisitionsprozesse

Das jetzt durch das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz zusätzlich gestärkte Amt war immer schon eine machtvolle Behörde. Die auf unserer Verfassung beruhende Gewaltenteilung ist ein Prinzip des Rechtsstaats, dem sich das Bundeskartellamt unmerklich entzogen hat. Das Amt ist bei seinen Verfahren in Personalunion Fahnder, Ankläger und Richter. Zudem nimmt es für sich in Anspruch, auch noch das Opfer des angeblichen Kartellverstoßes, den Verbraucher, zu repräsentieren.

Das ist in der Summe eine sehr rationelle Form von Gewaltenkonzentration, bei der Synergien unausweichlich sind. Die Annahme, dass bei dieser Konzentration von Macht die Unparteilichkeit bei Verfahren gegeben ist, darf zu den rechtsstaatlichen Enttäuschungen gezählt werden. Prof. Dr. Wernhard Möschel, emeritierter Ordinarius für Wirtschaftsrecht an der Universität Tübingen und ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission, stellte in einem 2010 formulierten Gutachten unter dem Titel „Kartellbußen und Artikel 92 Grundgesetz“ fest: „Die gegenwärtige Praxis eines ‚Inquisitionsprozesses‘ im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren ist verfassungswidrig.“

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Von der grünen Ampel wird ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Habeck als eine der größten Reformen des Wettbewerbsrechts der letzten Jahrzehnte anpreist. Diese Reform, deren Verfassungsmäßigkeit sicher noch geprüft werden wird, sieht die missbrauchsunabhängigen Eingriffe vor. Wenn das Kartellamt meint, in einem Markt sei der Wettbewerb verfestigt, soll es diesen entflechten dürfen. Da kommen spannende Eingriffe auf die Wirtschaft zu. Auf der Liste der Kartellwächter stehen etwa die Mineralölkonzerne, denen bislang keine kartellrechtswidrigen Absprachen nachgewiesen werden konnten. Der Markt, so wird im Bundeswirtschaftsministerium mit Bedauern festgestellt, ist sehr transparent. Das ist eine völlig neue Dimension von Verstoß. Die Preise der Wettbewerber sind an jeder Tankstelle in großen Lettern zu sehen. Das könnte künftig ein ausreichendes Verschulden sein, weil es ein Parallelverhalten im Markt provoziert. Unabhängig von einem nachgewiesenen Verstoß gegen das Kartellrecht könnte die Entflechtung eine Konsequenz sein.

Bislang limitierte die Rechtslage auch die erheblichen wirtschaftlichen Folgen einer Vollstreckung durch das Amt. Es war notwendig, einen Kartellverstoß nachzuweisen und den daraus erzielten Vorteil detailliert zu analysieren und zu berechnen. In der bisherigen Praxis hat das Kartellamt diese Schwierigkeiten oft durch geradezu erpresserische Deals umgangen. Ohnehin entspricht der Terminus Vorteilsabschöpfung nicht der rechtlichen Realität. Der Kartellrechtler Möschel erinnert hier an den Artikel 92 GG, nach dem die Verhängung von Strafen Gerichten vorbehalten ist. Dass eine mit 20 Euro bebußte Ordnungswidrigkeit einen qualitativen wie quantitativen Unterschied zu einer 300 Millionen Euro schweren Strafe aufweist, ist augenfällig. Die bisherigen rechtlichen Hürden werden durch das neue Gesetz gesenkt, um die Vorteilsabschöpfung zu erleichtern, die dann der Staatskasse zufließt. Und nicht zuletzt sollen die Sektorenuntersuchungen schlagkräftiger werden, um daraus missbrauchsunabhängige Entflechtungen abzuleiten. Das, was hier vollzogen werden soll, ist ein enteignungsgleicher Eingriff in die Geschäftsmodelle von Unternehmen.

Damit können keine Unternehmen und keine Branchen bei der sehr ambitionierten Vorgehensweise des Kartellamtes künftig sicher sein, nicht Kartellverfahren, Entflechtungen und Abschöpfungen ausgesetzt zu werden. Eine durch Misstrauen und Feindlichkeit gegenüber der Wirtschaft geprägte Grundhaltung wird dabei durch Verbraucherschutz maskiert. Die Offenheit gegenüber unternehmerischer Verantwortung und gegenüber der Funktionsfähigkeit von Marktwirtschaft existiert nicht. Recht und Freiheit müssen dafür geopfert werden.


Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.

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Kommentare ( 6 )

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Teiresias
1 Jahr her

Habeck hat zu genüge bewiesen, daß er von Wirtschaft rein gar nichts versteht.
Dementsprechend kann das nicht auf seinem Mist gewachsen sein, er versteht nicht genug davon, um sich so etwas auszudenken.
Welche Thinktanks oder NGOs im Hintergrund steuern diesen Mist?
Agora Energiewende kann das nicht allein sein.
Diese Angriffe auf die deutsche Wirtschaft sind zu präzise und zu effektiv, als daß grüne Nichtskönner dahinter stecken können.
Habeck ist eine Marionette. Wer zieht die Fäden?

1 Jahr her

Tja, das wird wohl vor kurzem das letzte Mal gewesen sein, dass der Verbund der Familienunternehmen gegen die Politik den Mund aufgemacht hat (wenn auch zu spät). Das nächste Mal werden die Unternehmer dann vom Kartellamt schikaniert, wenn die zu aufmüpfig werden.

NochNicht2022
1 Jahr her

Da fliegt den Wirtschaftsbossen (wer auch immer das auch sein mag?) und den CDUCDUFDP-affinen Mittelständlern nun eine Menge „um die Ohren“. Da wird auch der schlaue württembergisch-grüne Trikotproduzent stauen … Es wird aber noch mehr auf diesen Personenkreis zukommen. Den Ampelmännern wird da noch eine Menge einfallen … Fest steht: Es ist erst der Anfang. Dank dem Wessi-Wähler – nicht nur anno 2021 – sondern auch dem der Jahrzehnte davor: Der „Lebe-schön-„Wessi wird jetzt tatsächlich zum Ossi 2.0 …

Nibelung
1 Jahr her

Mt diesem Amt habe ich schon seit Jahrzehnten so meine Probleme, denn wo sind sie denn, wenn es offensichtlich wird, wenn Marktmacht mißbraucht wird und der Kunde dabei ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans, ohne jegliche Reaktion oder mit Begründungen, die der eigenen Stellung wiederprechen, wenn man ihren Auftrag ernst nimmt, oder schlimmstenfall garnicht versteht, weil man es so will. Da gibt es auch einen sogenannten Autoclub, der nach allgemeinem Verständnis vordergründig für den Autofahrer dasein müßte, zumindest dem Namen nach und sich nun auch dem Zeitgeist verdingt hat und zum regen Befürworter der Radfahrer in den Städten geworden ist und… Mehr

Ananda
1 Jahr her

Schon wieder ein (Wettbewerbs)durchsetzungsgesetz. Die Sozialisten machen offensichtlich keine halben Sachen. Warum nur den Bürger abkassieren und nach seiner Pfeife tanzen lassen, wenn man die Wirtschaft auch noch übernehemen kann.
In Kürze : Das richtige Wahlergebnisdurchsetzungsgesetz. Denn wie schon Honecker wusste „es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ .
Die totale Kontrolle und Planwirtschaft der Ideologie „Durchsetzten“. Oh Deutschland, was ist aus Dir geworden.
„Wollt Ihr das totale Fiasko?“ Jaaaa.

Selbstdenker
1 Jahr her

Die Grünlinken stehen mit dem Rücken an der Wand und werfen jetzt alles in die Schlacht, was ihnen noch an Drangsalierung einfällt. Den Zugriff auf die Wirtschaft kennen wir schon aus der Zeit der NSDAP und der Kommunisten. Sei’s drum, sie werden scheitern. In Scharen wachen nicht nur sogenannten kleinen Leute auf sondern auch diejenigen Mittelständler, die bisher noch verzweifelt an eine Restvernunft glaubten. Ein Beispiel:
https://www.youtube.com/watch?v=ShmrcVDjGdA
Das Herrschaftssystem zerstört sich selbst. Schauen wir also, was an Neuem wächst.