Der Elefant im Raum, Abschied von der Marktwirtschaft, Börsianer cool

An der Börse stand in der vergangenen Woche mehr als die Situation auf den Energiemärkten der EZB-Zinsentscheid vom Donnerstag im Mittelpunkt. Eine allzu große Überraschung war die Zinserhöhung um 75 Basispunkte allerdings nicht. Die Mehrheit der Marktteilnehmer hatte damit gerechnet.

IMAGO / Silas Stein
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In Europa gibt es gegenwärtig einen Mangel an günstigem Strom. Doch anstatt alles zu tun, um das Angebot auszuweiten, plant die EU, einerseits den Herstellern von erneuerbaren Energien und Erdölkonzernen einen größeren Teil ihrer Gewinne wegzunehmen und anderseits Energiehändlern Liquiditätshilfen zu gewähren. So sollen die hohen Energiepreise sinken. Die Marktwirtschaft wird wieder einmal ad acta gelegt.

Es ist widersinnig: Um die Nachfrage zu decken, müssen derzeit oft Erdgaskraftwerke einspringen. Dass mit dem hohen Gaspreis auch die Strompreise steigen, ist so unausweichlich. Doch die Weiternutzung der letzten drei deutschen Aromkraftwerke und die Wiederinbetriebnahme der vorletzten drei ist aus ideologischen Gründen in Deutschland nur schwer möglich. Dies führt zu so absurden Konstellationen, dass der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal jüngst anbot, Atomstrom nach Deutschland zu exportieren – Nuklearstrom aus einem Land im Krieg für ein Land, das wegen Sicherheitsbedenken aus der Nukleartechnik ausgestiegen ist.

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Es handelt sich um den berühmten Elefanten im Raum, der wohl allen Kollegen von Wirtschaftsminister Robert Habeck bewusst ist, der aber (noch) nicht angesprochen wird. Die Energieminister beschäftigten sich bei ihrem Treffen am Ende der Woche stattdessen mit den Vorschlägen der Kommission, die einerseits am Preis von Gas und Strom drehen und andererseits auch beim Strom Einsparziele vorgeben will. Wie sich die Produktion erhöhen ließe, steht in Brüssel – wohl mit Rücksicht auf die Deutschen nicht zur Debatte.

Dagegen steht viel Dirigismus auf der Agenda. Zum Beispiel sollen Hersteller mit geringen Grenzkosten bei der Stromproduktion künftig nicht mehr den Marktpreis im Spotmarkt an der Börse erhalten. Vielmehr soll der entsprechende Preis eine Obergrenze erhalten – die Financial Times berichtet von 200 Euro pro Megawattstunde anstelle eines Marktpreises von circa 440 Euro. Das würde den Produzenten von günstigem Strom, etwa aus erneuerbaren Energien, Atomkraft und Kohle, einen Anreiz geben, ihren Strom nicht mehr zum gedeckelten Preis an der Börse, sondern zum höheren Marktpreis sonst irgendwo zu verkaufen. Diese Gefahr sieht wohl auch die Kommission, die deshalb die Differenz zwischen gedeckeltem Preis und Marktpreis abschöpfen will. Die einzelnen Staaten sollen dann mit dem Geld den am stärksten betroffenen Bürgern und Firmen eine Art Energiepreisausgleich zahlen.

Die Minister wollen ferner eine Art Solidaritätsbeitrag von Erdölkonzernen einziehen – die deutsche Idee der „Übergewinnsteuer“ hat somit auch Einzug im EU-Europa gehalten. Auch national angepasste Stromsparvorgaben für Zeiten mit hoher Stromnachfrage sollen eingeführt werden. Ferner ist eine allgemeine Preisobergrenze für Erdgas vorgesehen. „Nur: Wie will man so noch verflüssigtes Erdgas (LNG) vom Weltmarkt beschaffen“, fragt sich zurecht die Neue Zürcher Zeitung. Schließlich haben die Europäer in den vergangenen Wochen ihre Speicher nicht zuletzt dadurch gefüllt, dass sie den LNG-Weltmarkt quasi leer gekauft haben. Und das nicht mit einer Preisobergrenze, sondern indem sie im Gegenteil sehr hohe Preise bezahlt haben – Marktwirtschaft eben, die man nun zuhause nicht mehr zulassen will.

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An der Börse stand in der vergangenen Woche mehr als die Situation auf den Energiemärkten der EZB-Zinsentscheid vom Donnerstag im Mittelpunkt. Eine allzu große Überraschung war die Zinserhöhung um 75 Basispunkte allerdings nicht. Die Mehrheit der Marktteilnehmer hatte damit gerechnet. Ein kleinerer Zinsschritt wäre eine böse Überraschung und angesichts der weiter steigenden Inflation ohne Wirkung gewesen. Im Gegensatz zur US-Notenbank blieb die Europäische Zentralbank mit Aussagen zur weiteren Zinspolitik im Nebel.

Alle großen Wall-Street-Aktienindizes haben sich gleichwohl mit deutlichen Gewinnen ins Wochenende verabschiedet. Vor allem an der Technologiebörse Nasdaq legten die Kurse besonders stark zu. Der Auswahlindex Nasdaq 100 gewann 2,2 Prozent und schloss bei 15.588 Zählern. Aber auch der Dow Jones, der Leitindex der Standardwerte, rückte deutlich um 1,2 Prozent vor auf 32.151 Punkte. Der marktbreite S&P-500-Index, in dem sowohl Standard- als auch Technologieaktien enthalten sind, stieg um 1,5 Prozent auf 4.067 Punkte.

Zuvor hatte schon der DAX im Tagesverlauf die Marke von 13.000 Punkten überwunden und war um 1,4 Prozent höher bei 13.088 Punkten aus dem Handel gegangen. Das Tageshoch lag bei 13.121 Punkten. Im Wochenvergleich schaffte der deutsche Leitindex damit ein kleines Plus von 0,3 Prozent.

In einem Umfeld steigender Zinsen gehörten Banken zu den natürlichen Gewinnern: Das Kreditgeschäft wird lukrativer, die Einnahmen steigen. Im DAX zog die Aktie der Deutschen Bank über drei Prozent an. Im MDAX stiegen Papiere der Commerzbank auf den höchsten Stand seit Ende Juni; am Ende legten sie 3,8 Prozent zu.

In den USA sieht Ökonom Ralf Umlauf von der Helaba die Chance auf eine Wende in der Inflationsentwicklung. Bei weiter hoher Teuerung gebe es für die US-Notenbank Federal Reserve allerdings noch keinen Grund, von der aggressiven Zinswende abzurücken, schränkte er ein. Fed-Chef Jerome Powell hatte zuletzt weitere Straffungen in Aussicht gestellt. Richtungsweisend dürften die Inflationsdaten in der kommenden Woche sein, die Hinweise auf das Tempo der Zinserhöhungen durch die Fed liefern dürften. Am Dienstag werden die Verbraucherpreise aus dem August erwartet. Die hohe Inflation dürfte sich zum zweiten Mal in Folge abschwächen, erwarten die Analysten der Commerzbank.

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Kommentare ( 3 )

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Waldorf
1 Jahr her

Brüssel vereint alle Nachteile französischer und deutscher Politik, bzw Bürokratie. Staatsdirigismus und Interventionen, statt Zurückhaltung, Zentralismus statt starke Regionen, hohe Steuern und viele Subventionen statt Liberalismus, kleinteilige Regelungen statt klare Prioritäten usw. Klassisch liberale Länder werden damit automatisch vor den Kopf gestoßen, die neuen Mitglieder mit Erfahrung zu real existierenden Sozialismus und „Moskau“ auch. Kein früher von Moskau gesteuertes Land hat sich der EU angeschlossen, um sich dann von Brüssel Steuern zu lassen. Orban ist nur der, der es am deutlichsten ausspricht, im Kern denken aber viele (alle?) neue im Osten so. Die EU hat für manche noch klare ökonomische… Mehr

Der Endgegner
1 Jahr her

Die machen doch das selbe, wie vorher auch, nur etwas offensichtlicher. Sie regulieren den Markt (oder was davon noch übrig ist) kaputt, und dann werden sie sich hinstellen und nach noch mehr Kontrolle schreien, denn „der Markt regelt es ja nicht“.

Wenn die Mainstream-Journalisten nicht komplett inkompetent und/oder korrupt wären, würden das auch die Verbraucher verstehen. Aber gegen das grüne Rauschen aus dem ÖRR kommt halt keiner an, und wer was anderes sagt, ist sowieso Nazi.

Wer Geld hat, ist fein raus. Wer keines hat, wird weiter fiskal vergewaltigt. Im Westen nichts Neues.

Maunzz
1 Jahr her

Mangelwirtschaft war noch nie ein Garant für Entwicklung, Prosperität und Wohlstand. Fehlen diese Standbeine einer Wirtschaft ist mit gravierend negativen, politischen Folgen (salopp: Unruhen) in der Gesellschaft zu rechnen. Hört man derzeitigen Ministerinnen und Ministern zu, dann entsteht der Eindruck, das Gejammer und Schulterzucken mehrheitsfähig seien. Das kommt davon, wenn man dem Volk gutgemeinte Flöhe in die Ohren setzt und von diesem Beifall kommt, wenn die Lebenshaltungskosten nicht mehr bezahlbar sind. Dann ist der durchschnittliche Intelligenzquotient in der Bevölkerung drastisch gesunken. Sicherlich stört es niemanden, das Brot statt beim Bäcker im Supermarkt zu kaufen – gab es im Sozialismus schon,… Mehr