Anne Will auf der Suche nach dem Wir-Gefühl

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hält eine Ruckrede, nach der kein Ruck durchs Land geht. In der Talkshow Anne Will suchen die Gäste nach Gründen dafür - und offenbaren so nur ihre Weltfremdheit.

Screenprint: ARD/Anne Will

Anne Will ist keine Fernsehsendung, Anne Will ist ein Ritual. Zu diesem Ritual gehört die Zeit-Redakteurin, die unbedingt die grüne Politik verteidigt und neuerdings die Ampelkoalition lobt, obwohl sie sich darin an der FDP stört. Diese Rolle hat die Redaktion dieses mal mit Petra Pinzler besetzt. Doch sie trägt gleich zu Beginn der Sendung einen Gedanken vor, der aus dem üblichen Rahmen fällt: Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe zwar diese Woche zum Volk gesprochen und ein Sozialversprechen abgegeben. Doch Pinzler vermisst ein „Wir-Gefühl“, das sich aus solchen Auftritten ableiten soll. EIne Botschaft, die lautet: „Wir brauchen Euch.“

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Das ist durchaus richtig beobachtet. Und die Frage, warum dieses Wir-Gefühl fehlt, ist berechtigt. Viele Antworten würden sich aufdrängen: Warum entsteht in einem Land kein Wir-Gefühl, in dem in den letzten Jahren jeder gesellschaftlich ausgegrenzt wurde, der eine Meinung vertreten hat, die bei Anne Will nicht vorherrscht? In dem Nazi war, wer keine Menschen ohne Pass ungeprüft ins Land lassen wollte. In der Klimaleugner war, der den Nutzen des E-Autos in Frage gestellt hat. Und in dem Covidiot war, der vor möglichen Nebenwirkungen von „Impfungen“ gewarnt hat. In dem sich selbst dann keiner bei denen entschuldigte, die er „Covidiot“ genannt hat, als Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) selbst diese Nebenwirkungen einräumen musste. Ein Land, in dem sich gegen Faschismus-Vorwürfe schon rechtfertigen muss, wer nur sein Fußballteam unterstützt. Und in dem die Nationalmannschaft das „National“ so wegwirft, wie es die Kanzlerin mit der schwarz-rot-goldenen Fahne getan hat, die „Einigkeit und Recht und Freiheit“ symbolisiert.

Dass ein solches Land kein Wir-Gefühl kennt, ist ein interessantes Thema. Wie wir zurück zu einem Wir finden, ist eine spannende Frage. So interessant und so spannend, dass diese Fragen von Anne Will nicht aufgegriffen, sondern durchlaufen gelassen werden. Sie will das Ritual zelebrieren, das für den späten Sonntagabend vorgesehen ist. In dem Politiker mit Politikern Politikerfloskeln austauschen. In dem eine grüne Journalistin und drei Ampelvertreter einem von der CDU gegenüber sitzen – und in dem die Redaktion für die Rolle der Opposition einen wie Norbert Röttgen aussucht, der so viele Wahlen wie kaum ein anderer verloren hat. In der Partei und beim Wähler.

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Und so geht es dann bei Anne Will nicht darum, wie wir das Wir-Gefühl verloren haben – und erst recht nicht darum, wie wir es zurückgewinnen können. Zumindest nicht direkt. Wer aber dem von der Redaktion ausgesuchten Personal eine Stunde lang zuhört, weiß schon, wo das Wir-Gefühl geblieben ist und auch bleiben wird. Zumal in den Talkshows ein Trend auffällt: Die erste Reihe geht nicht mehr hin. Das mag teilweise dem Sommer geschuldet sein oder wie dieses mal bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einer Corona-Infizierung. Trotzdem fällt die Tendenz auf. Zumal sie damit einhergeht, dass Talkshows Zuschauer und folglich an Bedeutung verlieren.

Zu dieser zweiten bis xten Reihe gehört Nina Scheer (SPD). Sie ist bekannt dafür, dass sie die Nachfahrin eines Vordenkers ist. Der Rest ihrer Politkarriere baut auf der Frauenquote auf. Als sie gemeinsam mit Lauterbach um den SPD-Parteivorsitz kandidierte, wurden die beiden auf Platz vier durchgereicht. Scheer verwaltet die Gedanken ihres Vaters zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Nur nicht so weitsichtig. Nicht so pointiert dargestellt. Und mit jedem Tag, mit dem Nina Scheer das geistige Erbe ihres Vaters verwaltet, rückt es einen Tag näher der Gefahr, überholt zu sein. Sie selbst kommt auf Ideen wie: Wenn Menschen ihren Energieverbrauch nicht reduzieren wollen, um Geld zu sparen, muss man ihnen Geld geben, damit sie ihren Energieverbrauch reduzieren.

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Scheer stört sich an Pinzlers Formulierung vom „Wir-Gefühl“. Die Sozialdemokratin will stattdessen einen „gemeinsamen kollektiven Akt“. Das klingt nach Planwirtschaft und nach einem Politbüro, das seine Entscheidungen fernab der Menschen und der Wirklichkeit trifft. Das ein Wir-Gefühl nicht erwecken muss, weil es ihm genügt, das Gefühl zu befehlen – und alle marschieren los mit wehenden Fähnchen. Damit ist Scheer näher an der Runde als Pinzler.

Die Zeit-Journalistin gießt der Ampel weiteren Wermut ins Glas. Nach knapp einem halben Jahr Krieg habe Habeck immer noch keine Strategie entwickelt, wie das Land Gas sparen könne. Seine Kampagne, mit Vorschlägen wie kürzer Duschen, verpuffe ohne Wirkung. Stattdessen wirke die Bundesregierung „wie ein Nikolaus mit einem dicken Sack, wo jeden Tag ein anderer reingreift“, um soziale Versprechen abzugeben. Dafür, wie wenig vorausschauend die Bundesregierung agiert, gibt Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ein bestmögliches Beispiel. Sie ist Vizepräsidentin des Bundestags. Dass „halt mal ein Hallenbad zumachen muss“, sei in diesem Winter möglich. Aber die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke komme für sie erst in Frage, wenn Krankenhäuser ihren Betrieb sonst nicht mehr aufrecht erhalten könnten. Dass der Entschluss, die Atomkraftwerke weiter betreiben zu wollen, dann zu spät käme, kommt der Studienabbrecherin nicht in den Sinn – Anne Will übergeht das auch. Genau so wie sie die Grüne mit Tatsachen verschont wie dem Widerwillen anderer EU-Länder, sich Habecks Stromsparplänen anzuschließen. Oder seiner Unfähigkeit, den Transport der Kohle zu organisieren, mit der Kohlekraftwerke als Ersatz für Gaskraftwerke laufen sollen.

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Die Frage der Laufzeitverlängerung ist schon allein praktisch wichtig. Sie steht aber auch für einen Effekt, der ein Wir-Gefühl verhindert. Da verkündet der Bundeskanzler im Frühjahr in einer durchaus mitreißenden Rede eine „Zeitenwende“. Und was passiert? Die Grünen verstehen darunter, die Einführung eines Tempolimits, für das sie schon immer sind. Und die FDP will, wie Alexander Graf Lambsdorff bei Anne Will, die Atomkraftwerke vorerst am Netz lassen, was die FDP auch schon immer wollte. Die eine Partei ist jeweils gegen den Vorschlag der anderen Partei. Eine Zeitenwende ist das nicht. Das ist eine Fortsetzung alter Debatten mit anderen Vokabeln.

Dass die Will-Sendung Themen nicht weiterbringt, ist nichts Neues. Wollte sie das, müsste die Redaktion andere Oppositions-Vertreter als Röttgen einladen, der sich gegen die dauerhafte Laufzeitverlängerung ausspricht und sich auch sonst von den anderen vier Gästen überfahren lässt. Und doch bringt die Sendung Erkenntnisse. Sie führt vor, warum Dinge bei uns scheitern. Woche für Woche hält Will an dem Thema Pendlerpauschale fest. Hält es künstlich am Leben. Es ist ein Thema, das die FDP in der öffentlichen Debatte verloren hat, weil sie den Meldungen der ersten Tage über die vermeintliche Wirkungslosigkeit nichts entgegen zu setzen hatte.

Als es um die Pendlerpauschale geht, findet Pinzler wieder in die ihr zugedachte Rolle der Grünen-Versteherin zurück: Die Pauschale sei böse. Sie fördere Autofahren, Flächenzersiedlung und sei somit ein Klimakiller. Dagegen stottert Röttgen hilflos an. Dann fordert die Runde, die Grundsicherung anzuheben. Da widerspricht Röttgen nicht. In der wichtigsten Talkshow des Landes ist es kein Wort wert, dass die Leute, die Morgen für Morgen zur Arbeit fahren, dieses Land am Leben erhalten. Erwähnt werden sie nur im Zusammenhang mit der Zerstörung des Klimas. Während die gleiche Runde darüber redet, wie das von diesen Menschen Erarbeitete dann an andere verteilt werden soll. Es geht also kein Ruck durch ein Land, in dem Arbeit als etwas Schlechtes dargestellt wird und Nicht-Arbeiten belohnt werden soll. Im Studio von Anne Will versteht das keiner – außerhalb tun das immer mehr.

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Kommentare ( 178 )

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Deutscher
1 Jahr her

Naja, jetzt muß man das halt täglich neu aushandeln.

Vorschlag: Eint doch alle Migranten als neues „Wir“. Aber die verprügeln sich in ihren Unterkünften schon gegenseitig, wenn sie nur verschiedenen Gruppen desselben Volkes angehören.

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
Deutscher
1 Jahr her

Doch Pinzler vermisst ein „Wir-Gefühl“, das sich aus solchen Auftritten ableiten soll. Eine Botschaft, die lautet: „Wir brauchen Euch.“

…aber WIR brauchen EUCH nicht, Herr Scholz & Co! Ganz im Gegenteil! IHR seid der Klotz am Bein, der Stein um den Hals, die angezogene Handbremse!

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
Mausi
1 Jahr her

Das Wir-Gefühl? War das nicht ganz schlimm rächts? Und das suchen die jetzt? Echt? Waren die nicht gerade froh über Diversität und Regenbogen? Tägliches Verhandeln „jeder gegen jeden“?

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Innere Unruhe
1 Jahr her

Verkehrte Welt! Wo war Herr Scholz in der Griechendlandkriese und in der Migrationskrise? Wo war der Versuch, Deutsche zu einen? Sie zu fragen, ob sie es in Ordnung finden, Bail-Out für Griechenland zu unterstützen? Wer hat die Deutschen gefragt, ob sie die Syrer hier oder lieber in der Türkei unterstützen wollen? Wer fragt die Deutschen, ob sie die in Griechenland anerkannte Migranten in DE unterstützen wollen? Wo war Herr Scholz als Merkel die Deutschen als „schon länger hier lebende“ bezeichnet hatte? Und nun sollen die Deutschen ein WIR mit Herrn Scholz bilden? Der Vesuch ist ehrenhaft, das Problem wurde erkannt,… Mehr

amendewirdallesgut
1 Jahr her
Antworten an  Innere Unruhe

In einer repräsentativen Demokratie gibt man nun einmal vier Jahre lang , seinen Einfluß auf Entscheidungen die vor der Wahl nie zum Thema gemacht wurden oder zur Debatte standen und mit der ich die von mir gewählte Partei niemals beauftragt hätte ,in die Hände von prinzipienlosen Koalitionären ,die dann , Minderheitsinteressen in faulen Kompromissen durchsetzen , wieso es nicht Wahl zur nicht repräsentative Autokratie heißt ist mir auch ein Rätsel

amendewirdallesgut
1 Jahr her
Antworten an  Innere Unruhe

Falsche Fragen zu liken , könnte morgen vielleicht schon als Delegitimierung des Staates und seiner Institutionen ausgelegt werden .

amendewirdallesgut
1 Jahr her

Ganz einfach , das Erste was im auswüchsigen Sozialismus den Bach runter geht ist das Wir Gefühl ,im ausgleichenden Maße steigt dafür das Ich Gefühl. Mit sinkender Tugendhaftigkeit ,wächst eben auch die Untugend . Außerdem versprechen Untugenden mehr Spaß , und was läßt sich besser verkaufen als gegenleistungslose Überflußversorgung , wer braucht da noch ein wir Gefühl Die damit einhergehende zunehmende Dekadenz und Abhängigkeit , die verlorene Freiheit , die Spaltung der Gesellschaft , die Leistungsungerechtigkeit ,sind doch eher gewollt ,was den triumphalen und hochmütigen satanischen Zynismus in der Fragestellung an sich entlarvt , denn von einer blauäugigen Naivität kann… Mehr

Riffelblech
1 Jahr her

Sehen wir uns doch mal Vorurteilsfrei das WIR Gefühl und stellen den Patriotismus daneben . Nachdem Deutschlands Fahne durch die Übergöttin schmählich in die Ecke flog glaubte jeder WIR haben Patriotismus ,weil Nazi,Rechtsradikal usw nicht nötig . Und nun können unsere WIR — Gläubigen in Berlin im Grünroten,Grünschwarzrn,Grüngelbem Kleide mit Blick auf die Ukraine vom Patriotismus für sein Land nicht genug bekommen . Ukraine darf Patriotismus Leben in ,Deutschland wird die Deutsche Fahne kassiert. Wir falsch ,wie dämlich verblendet ,wie hinterhältig diese Truppe . WIR — und jetzt meine ich vox popul brauchen doch die derzeitigen da oben gar nicht… Mehr

Der Ketzer
1 Jahr her

Ach ja! Ich hab‘ da eine Idee für’s Stromsparen: Fernseher ausschalten, wenn Will, Maischberger oder Lanz ausgestrahlt werden. Sind zwar nur ein paar Watt aber jeder fängt mal klein an und auf die o.g. zu verzichten, tut nicht weh und stärkt zudem das psychische Wohlbefinden. ?

Der Ketzer
1 Jahr her

„Wir-Gefühl“ … „Wir brauchen Euch.“?
Wir war das noch, als Erich Mielke „Ich liebe doch alle, alle Menschen“ sagte? Schallendes Gelächter in der Volkskammer …

Ralf Poehling
1 Jahr her

Das funktioniert so natürlich nicht. Wenn man ein „Wir-Gefühl“ hervorrufen möchte, dann muss man vorher definieren, wer mit „Wir“ überhaupt gemeint ist: Also „Wir“: Kaninchenzüchter Pferdeliebhaber Hundebesitzer Autofahrer Fahrradfahrer Fußgänger Alte Junge Christen Juden Moslems Atheisten Linke Liberale Konservative Rechte Großgrundbesitzer Mieter Gewerkschaftler Industrielle Biertrinker Abstinenzler Fleischesser Vegetarier Veganer etc…. Man scheut sich in Deutschland einfach zu sagen: Wir Deutschen! Es braucht aber dringend eine gemeinsame Schnittmenge aller da oben genannten Gruppen, die von den Oberen dieses Landes auch klar benannt werden muss. Wenn man sie nicht benennt, dann fühlt sich jede einzelne Gruppe einzeln für sich selbst angesprochen. So… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Ralf Poehling
Innere Unruhe
1 Jahr her
Antworten an  Ralf Poehling

Wer ein WIR definiert, definiert auch, wer nicht dazu gehört.
Das ist ein großes Problem in DE.
Herr Scholz und die seinen sollen erstmal definieren, wer zu den wir gehören soll und wer nicht.

Alexis de Tocqueville
1 Jahr her
Antworten an  Ralf Poehling

„Nimmt man den Menschen in Deutschland den Orientierungspunkt „Deutsche Nation“ weg, ist nichts mehr da, was sie eint.“
Doch, eigentlich schon. Sprache, Kultur, Traditionen. Aber das hat man ja auch weggenommen.

Peter Silie
1 Jahr her

Frühere Ideologien haben sich gegen bestimmte Gruppen gerichtet. Die heutige, grüne Ideologie richtet sich gegen den Menschen ganz allgemein. Der Mensch ist das Böse. Die Natur ist das Gute. Der Eingriff in die Natur, daß Zurückdrängen der Wildnis, die Kultivierung und Zivilisierung – alles böse. Kein Scherz, daß ist der Wahnsinn grüner Ideologie. Das nahezu alle Protagonisten dieser Ideologie in einer mittelalterlichen Welt voller Öko und Schischi schon längst ihr qualvolles Leben ausgehaucht hätten, dazu reicht ihre Intelligenz nicht.