Die Zinswende könnte in der Eurozone schneller kommen als in den USA

Es wird immer wahrscheinlicher, dass die EZB im Juni den Rückwärtsgang einlegt – vor allem, um das Schuldendesaster eines großen Mitgliedslandes wenigstens zu mildern. Anleger sollten sich schon jetzt auf die neuen Bedingungen einstellen.

IMAGO / Hannelore Förster
EZB-Präsidentin Christine Lagarde, Pressekonferenz, Frankfurt, 07.03.2024

Lange eilte die amerikanische Notenbank der EZB bei der Zinserhöhung voraus, mit der die Zentralbanken die Inflation zu bremsen versuchen. Die Fed steigerte das Zinsniveau schrittweise auf einen Bereich zwischen 5,25 und 5,50 Prozent. Damit liegt der Preis für das Geld in den USA heute deutlich höher als in der Eurozone mit 4,75 Prozent. Jetzt lautet die entscheidende Frage: Wer unternimmt 2024 den ersten Schritt zurück?

Fed-Chef Jerome Powell erklärte schon Ende 2023 den Zinserhöhungszyklus für abgeschlossen. Die EZB ließ bei ihrer letzten Sitzung am 7. März die Zinsen erwartungsgemäß unverändert. Allerdings meinte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, man werde die Entwicklung der wirtschaftlichen Daten genau verfolgen: „Wir wissen im April etwas mehr, und im Juni sehr viel mehr.“ Das nahmen Marktbeobachter als weiteres Indiz, dass die Zinsen in der Eurozone im Juni den Rückwärtsgang einlegen könnten – zeitgleich mit den USA oder sogar noch etwas früher.

Dafür sprechen vor allem zwei Gründe. Erstens leidet die gesamte Eurozone anders als die USA unter einer Wachstumsschwäche. Die Rezession des wirtschaftlichen Schwergewichts Deutschland, in dem die Wirtschaft 2024 höchstens um 0,2 Prozent, vielleicht aber auch gar nicht wächst, zieht den gesamten Währungsraum nach unten. Mehr als bescheidene 0,8 Prozent für die Eurozone erwarten die Experten für 2024 nicht. In den USA dürfte das Wachstum nach Schätzung der Swiss Re 2024 dagegen bei 2,2 Prozent liegen, Standard & Poor rechnet sogar mit 2,4 Prozent. Eine leichte Zinssenkung zur Wirtschaftsbelebung wäre im Euro-Gebiet also deutlich dringender als in den Vereinigten Staaten.

Und es gibt für die Währungswächter in Frankfurt noch einen zweiten gewichtigen Grund: Frankreich. Deutschlands westlicher Nachbar erlebt gerade seine beschleunigte finanzielle Strangulation. Jeder Zehntelprozentpunkt einer Zinssenkung würde dem Land in dieser Not ein wenig Luft verschaffen. Der Blick über den Rhein empfiehlt sich auch für alle deutschen Politiker, die gerade versuchen, die Schuldenbremse abzuschaffen, oder wie sie es formulieren, „zu reformieren“. Das Beispiel Frankreich zeigt, was einem Staat passiert, für den es lange zur Routine gehörte, in Schulden und noch mehr Schulden auszuweichen, und dem jetzt die hohen Zinsen systematisch die Luft abdrücken.

Im Jahr 2023 erreichte Frankreich als erster EU-Staat eine Staatsschuld von drei Billionen Euro. Zwei der drei Billionen türmten sich in den Jahren seit 2003 auf. Allein in der Ägide von Emmanuel Macron, der eigentlich versprochen hatte, das Defizit zu bändigen, kamen 800 Milliarden Euro an neuen Schulden dazu. In den Jahren der Null-Zinsen konnte Frankreichs Regierung damit einigermaßen leben: Im Jahr 2021 zahlte das Land gerade 40 Milliarden Euro an Zinsen, also etwa so viel, wie Deutschland 2024 aufbringen muss. Mit dem rapiden Zinsanstieg setzte sich der Hebel dann in Bewegung. In diesem Jahr muss Finanzminister Bruno Le Maire 52 Milliarden Euro für den Schuldendienst einplanen. Laut Haushaltsplanung fallen dafür 2027 schon 84 Milliarden an, trotz aller Bemühungen in Paris, die Staatsausgaben zu kürzen.

Die Zinszahlungen machen inzwischen den größten Budgetposten Frankreichs aus, insgesamt verschlingt er so viel wie für Verteidigung und Justiz zusammen. Die reine Staatsverschuldung Frankreichs steht 2024 bei 112 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dazu kommt allerdings noch die hohe Schuldenlast der Staatsunternehmen. Die direkte und die indirekte Verschuldung zusammengenommen reichen mittlerweile an die Rate Griechenlands heran, die bei gut 150 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. Zum Vergleich: Bei der zwar horrend verschuldeten, aber wirtschaftlich starken USA beträgt das Gesamtdefizit gerade 122 Prozent.

Unter diesem Druck präsentierte Le Maire für 2024 erstmals seit 2015 einen niedrigeren Ausgabenplan als im Vorjahr: Das Haushaltsvolumen sinkt um 4,2 auf 428,8 Milliarden Euro. Die Hoffnung der Regierung Macrons und seines neuen Premierministers Gabriel Attal, der als Kandidat in die kommende Präsidentschaftswahl gehen soll, ruht jetzt auf Lagarde und dem EZB-Direktorium. Die meisten Marktbeobachter rechnen mit einer ersten Zinssenkung im Juni von 25 Basispunkten, also 0,25 Prozent. Für das zweite Halbjahr erwarten die meisten Analysten den gleichen Schritt in den USA.

Was bedeutet die erneute Zinswende für Anleger? Zunächst einmal: Anleihen werfen künftig weniger ab. Der Finanzmarkt nimmt schon viel von der Entwicklung vorweg, was sich an der Rally für Gold und Bitcoin ablesen lässt. Je nachdem, wie schnell dem ersten Senkungsschritt weitere folgen, könnte der Unzenpreis 2024 oder 2025 auf das Rekordhoch von 2500 Dollar klettern. Wer 2023 und früher Gold einkaufte, sollte also mit der Gewinnrealisierung noch etwas warten. Auch viele Aktien dürften profitieren, gerade im Technologiesektor – besonders dort brauchen Unternehmen für ihr Wachstum viel Kapital vom Finanzmarkt. Sparer müssen damit rechnen, dass die Inflation langfristig über zwei Prozent bleibt, trotz Rezession.

Um die Wirtschaft etwas zu beleben und Frankreich in seiner Schuldenfalle zumindest die fiskalischen Schmerzen etwas zu erleichtern, werden die Euro-Hüter wohl das Ziel opfern müssen, die Geldentwertung wieder unter die Marke von zwei Prozent zu drücken. Aber selbst eine stufenweise Zinssenkung auf 4 Prozent im Euroraum würde Frankreich den finanziellen Spielraum früherer Zeiten nicht wiederbringen. Denn das Defizit steigt weiter, 2028 beträgt es voraussichtlich schon 3,6 Billionen Euro. Die Strangulation verliefe mit tieferen Zinsen nur etwas langsamer. Die Schuldenpolitiker in Berlin können an dem linksrheinischen Beispiel studieren, welche Verhältnisse Deutschland ein paar Jahre später drohen würden, wenn sie die Schuldenbremse abmontieren.

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Kommentare ( 32 )

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32 Comments
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Guzzi_Cali_2
1 Monat her

„Wer 2023 und früher Gold einkaufte, sollte also mit der Gewinnrealisierung noch etwas warten.“ Wow. Der Autor hat den Sinn einer Goldanlage nicht begriffen. Gold ist keine Anlage, mit der man spekuliert, sondern die man HAT, um sein Vermögen – egal wie groß oder klein es ist – vor Inflation und staatlichem Zugriff zu schützen. Wer sein Gold verkauft, nur weil 3 Euro 50 „Gewinn“ winken, dem ist leider nicht zu helfen. „Gier frißt Hirn“ heißt es immer so schön. Ich würde TEILE meiner Edelmetalle erst dann wieder eintauschen, wenn der Euro abgeschafft und durch eine goldgedeckte Währung ersetzt worden… Mehr

Last edited 1 Monat her by Guzzi_Cali_2
GR
1 Monat her

Ist doch nicht so schlecht. Dann steigt der Dollar, der Schweizer Franken und Gold. Euro halte ich nicht. Ich bin nicht für diese Politik, aber man muß immer das Positive sehen.

Haba Orwell
1 Monat her

> Unter diesem Druck präsentierte Le Maire für 2024 erstmals seit 2015 einen niedrigeren Ausgabenplan als im Vorjahr: Das Haushaltsvolumen sinkt um 4,2 auf 428,8 Milliarden Euro.

Erstaunlich, dass bankrottes Frankreich von Eroberungsfeldzügen in Osteuropa träumt – oder gerade deswegen? Da französische Generäle der heutigen Grande Armee die Kampfkaft eines „Cheerleader-Teams“ bescheinigt haben, würde ich vom zweiten Marsch auf Moskau abraten.
Den „Green Deal“ will Macron immer noch?

Timur Andre
1 Monat her
Antworten an  Haba Orwell

Frankreich verliert gerade seine Einnahmequellen in Afrika, es sollen ca 100Mrd im Jahr sein. Das Land ist höher verschuldet als Italien (Daniel Stelter).
Frankreich, Deutschland, Grossbritannien usw., die Region schafft sich ab.

Micci
1 Monat her

Sie fallen vom Hochhaus und überlegen, ob sie sich mit den Füßen oder mit den Händen abstützen sollen.

Und auch, wie sie den ‚Schwurblern‘ den Mund stopfen können, die ihnen hinterherrufen. sie hätten ja rechtzeitig vor dem Besteigen des Hochhauses gewarnt!

Teiresias
1 Monat her

Die Deindustrialisierung Deutschlands führt genauso zur Überschuldung wie Schuldenmacherei a la francaise. Die Kombination aus Schuldenmachen und Deindustrialisierung, wie sie von allen grünen Pareien gefordert wird, ist der schnellste Weg zur Staatspleite. Schulden würden Sinn machen für langfristige Investitionen wie z.B. AKWs. Geld – ob geliehen oder nicht – für kurzlebige Wegwerfprodukte wie Windräder, Solaranlagen oder E-Auto Subventionen zu verpulvern ist dagegen genauso dumm wie die Konsumfinanzierung für illegale Einwanderer. Jedem dürfte das klar sein. Man kann sicher sein, daß solche simplen Tatsachen von der EZB komplett ignoriert werden. Die Insolvenzverschleppung der Eurozone wird weitergehen, die Brüsseler werden weiter das… Mehr

Rolfo
1 Monat her

Verstehe nicht, wieso Staaten sich dermaßen verschulden, dass sie dann viel zu hohe Raten abzahlen müssen. Kein Häuslebauer würde das machen.

Guzzi_Cali_2
1 Monat her
Antworten an  Rolfo

Versuchen Sie niemals, die Handlungsweisen von „Staatenlenkern“ nachzuvollziehen. Vernunft verhakt bei denen nicht.

Teiresias
1 Monat her
Antworten an  Rolfo

Des Rätsels Lösung heisst „Legislaturperiode“.
Mit geliehenem Geld werden Wähler geködert, die Rechnung fällt später an.
„Get elected now, pay later.“
Die Rechnungen für die Wählerbespassung türmen sich von Legislatur zu Legislatur – bis am Ende nichts mehr geht.

Endlich Frei
1 Monat her

Fakt ist: Heute ist Deutschland optisch die Müllhalde der EU (man blicke z. B. auf die Infrastruktur, Kleidung der Bewohner und den Straßenasphalt. D ist heute das Schlusslicht bei privaten Vermögen, Eigentumsquote und Renten. Das war vor dem Euro anders herum.

Finde den Fehler.

Last edited 1 Monat her by Endlich Frei
Timur Andre
1 Monat her
Antworten an  Endlich Frei

Pensionen sind durchaus ansehnlich, auch ist unser Bürgergeld mit allen Facetten im oberen Bereich.

EsKnallt
1 Monat her
Antworten an  Endlich Frei

„Schlusslicht bei privaten Vermögen, Eigentumsquote und Renten. Das war vor dem Euro anders herum.“ Für diese historischen Vergleich gibt es doch bestimmt Quellen und Statistiken die verlinkt werden können? Vom Jahr 1995 z. B. und dann ein Jahr nach Euro? „Kleidung der Bewohner“ Die Sioux-Werbung auf TE sind doch aber ganz schick oder? Auch wenn im Allgemeinen mausgraue Konservative nicht unbedingt für ihren Kleidungsstil bekannt sind. Infrastruktur und Straßenasphalt kann man objektiv EU-weit vergleichen um solche komplett biasfreien (nur Linke sind voreingenommen, wir hier sind rein objektive Rationalisten) Aussagen zu untermauern. Auch merkwürdig wie Rechte bei Linken sofort „ja denn… Mehr

Rene 1962
1 Monat her
Antworten an  EsKnallt

Ich glaube da verwechseln sie was. In Qualitätsmedien, lese ich immer öfter „dann geht doch“. Das sind aber Linke, die das sagen!

WGreuer
1 Monat her

Nun beginnt es also. Es war klar, dass das früher oder später passieren würde. Steigende Schulden und die zugehörige Zinslast erdrücken die westlichen, hochverschuldeten Staaten. Die enormen Schulden werden die westlichen Staaten nie mehr zurück zahlen können.
Trotzdem verschulden sich die vorwiegend linksvergrünten Regierungen immer weiter und begeben sich so in immer größere Abhängigkeit. Zinssenkungen verlängern dieses „Leiden“ noch einmal, aber das Ende ist unabwendbar. Irgendwer wird das alles bezahlen. Und wer wird das logischerweise sein? Natürlich der Steuerzahler per Lastenausgleich, Vermögensabgabe, etc., am Ende zugunsten der Banken und damit der superreichen Globalisten. Ich halte das nicht für einen Zufall.

Philoktet
1 Monat her

Wie soll sich denn die französische Wirtschaft entwickeln? Handelsbilanzdefizit von 200 Milliarden im Jahr 2022, 2020 war es etwas weniger als die Hälfte. Frankreich ist der tatsächliche kranke Mann Europas. Das ist auch kein Wunder, der letzte Franzose der einen Kopf für Finanzen und ein Herz für die Industrie besaß war Jean Baptiste Colbert.

Harry Charles
1 Monat her

RAUS AUS DEM EURO,

der inzwischen ein Anachronismus ist und vor allem uns in Deutschland nur schadet. Währungsunion jetzt, weg damit!