Keine halben Sachen mehr? – Dem Fall Credit Suisse muss eine völlig neue Bankenregulierung folgen

Nach der Finanzkrise 2008 war man sich einig: Das Argument „too big to fail“ solle niemals mehr herangezogen werden dürfen. Durch die Übernahme der Credit Suisse ist die UBS zu einem Institut „too big to fail“ geworden. Ihre neue Bilanzsumme wird fast doppelt so groß sein wie die Schweizer Wirtschaftsleistung eines Jahres. Von Frank Werner

IMAGO / Rupert Oberhäuser
Hauptverwaltung der Credit Suisse Bank in Zürich, Schweiz

Staaten sollten nie mehr marode Banken retten müssen, schworen sich die Regierungen nach der Finanzkrise, die das Weltfinanzsystem im September 2008 im Zuge der Insolvenz der 1850 gegründeten New Yorker Investmentbank Lehman Brothers an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte. Das Argument „too big to fail“ – „zu groß, um zusammenzubrechen“ – solle niemals mehr herangezogen werden dürfen.

Nachdem sie mit hunderten von Milliarden Euro Eigenkapitalhilfen und Staatsgarantien am Leben erhalten worden waren, wurden die überlebenden großen, sogenannten „systemrelevanten“ Banken von den Aufsichtsbehörden gezwungen, ihr Geschäft mit deutlich mehr Eigenkapital zu unterlegen. Sie mussten zudem Notfallpläne erstellen, wie kriselndes von gesundem Geschäft im Fall der Fälle abgetrennt und der Zahlungsverkehr aufrechterhalten werden könnte, und sie mussten sich jährlich einem sogenannten Stresstest unterziehen, in dem die Bankenaufsicht bestimmte Zinserhöhungs- und Kreditausfallszenarios in ihren Auswirkungen auf Bilanzqualität und Liquidität simulierte.

Analyse
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Am vergangenen Wochenende war der Ernstfall da – und alle Maßnahmen waren offensichtlich das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben waren. Denn die Credit Suisse (CS), das zweitgrößte Bankhaus der Schweiz und zu den 30 weltweit systemrelevanten Finanzinstituten gehörend, konnte nicht geordnet abgewickelt werden. Nachdem es trotz einer Liquiditätshilfe in Höhe von 50 Milliarden Franken durch die Schweizer Notenbank zu weiteren Mittelabflüssen kam, hätte man – wenn die neuen Regularien wirksam wären – eigentlich zuschauen müssen, was passiert. Im schlimmsten Fall wäre die CS in die Insolvenz gegangen.

Doch so viel Stress wollten Regierungen, Notenbanken und Aufsichtsbehörden dem System nicht zumuten. Als ob es nie einen solchen Stresstest gegeben hätte, fürchtete man einen Flächenbrand wie nach der Lehman-Insolvenz. Unter Anwendung von „Notrecht“ wurde am Wochenende durch die Behörden die Übernahme der CS durch die Nummer 1 in der Schweiz, die UBS, verfügt. Damit schluckt die UBS ihren Konkurrenten, ohne dass die Eigentümer der beteiligten Institute gefragt worden wären. Der Preis soll drei Milliarden Franken betragen; am Freitag war die CS an der Börse noch mit sieben Milliarden bewertet, was schon nur noch ein Bruchteil der vor der Lehman-Krise stolzen 100 Milliarden war.

Die Schweizer Regierung hilft mit umfangreichen Garantien, und die Schweizer Nationalbank stellt Liquidität von über 100 Milliarden Franken zur Verfügung. Dass die UBS damit erst recht zu einem Institut „too big to fail“ geworden ist, scheint niemand aufzufallen. Ihre neue Bilanzsumme wird fast doppelt so groß sein wie die Schweizer Wirtschaftsleistung eines Jahres. Die Ironie der Geschichte: Die UBS selbst musste vor 15 Jahren – im Gegensatz zur CS – vom Schweizer Staat gerettet werden. Das stellte sich für den Schweizer Steuerzahler im Nachhinein als sehr gutes Geschäft heraus.

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Es stellt sich deshalb die Frage, warum nicht auch dieses Mal der Teilverstaatlichungsweg gewählt wurde. Die CS hätte Zeit gehabt, ihre Risiken über die Zeit abzubauen, sie hätte einzelne Teile des internationalen Investmentbanking- und des Vermögensverwaltungsgeschäfts verkaufen können und hätte so die Inlandsbank – Marktführer bei Mittelstandskrediten und ein geachteter Wettbewerber im Privatkundengeschäft – erhalten können. Auch die Gläubiger der Lehman Brothers erhielten in einem 14 Jahre währenden Insolvenzverfahren große Teile ihrer Forderungen, in Deutschland wurden sie sogar zu 100 Prozent befriedigt. Doch das alles sollte nicht sein.

Das Scheitern der CS hatte noch vor Monaten niemand für möglich gehalten. Wenn man Anfang der Woche gefragt hätte, „wird es die Credit Suisse in fünf Tagen noch geben?“, wäre man ausgelacht worden. Die Kennzahlen zu Eigenmitteln und Liquidität waren ordentlich, die Aktie schien bei einem Kurs/Buchwert-Verhältnis von 0,2 ein Schnäppchen zu sein. Dass die Saudi National Bank erst im Herbst mit knapp zehn Prozent als größter Aktionär eingestiegen war, schien zusätzliche Sicherheit zu geben. „Ein Unfall allerdings ist es nicht“, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung – und spielte damit auf zahlreiche Skandale und Schieflagen der letzten Jahre an. Die Selbstüberschätzung der CS bestand wohl darin, dass man glaubte, gerade auch im Investment Banking eine lukrative Nische gefunden zu haben. Das Risikomanagement versagte jedoch mehrfach, wie die Anhäufung von Milliardenverlusten zeigt.

Dass die Finma (die der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vergleichbare Aufsichtsbehörde in der Schweiz) nicht einschritt, wurde von Marktteilnehmern als Qualitätsausweis gewertet. Sollte es dort allerdings zu Fehlern gekommen sein, könnten Sammelklagen gerade aus den USA noch eine teure Angelegenheit für die Eidgenossenschaft werden. Erste Großinvestoren haben bereits einschlägige Andeutungen zu Schadenersatzklagen gemacht. Sie wollen auch nicht akzeptieren, dass über Nacht ihre Eigentumsrechte einfach ausgehebelt wurden. Sie haben das Gefühl, dass der UBS ein riesiges Schnäppchen zugeschanzt wurde. Ob die Politik aus Überforderung oder mit Vorsatz so handelte, wollen sie am liebsten Gerichte klären lassen.

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Das Beispiel Credit Suisse zeigt, dass eine Bank, die ihr Vertrauen verspielt, im heutigen regulatorischen Umfeld immer noch too big to fail ist. Bei der CS beschleunigte sich der Prozess der Geldabhebungen und die Unwilligkeit anderer Banken, Routinegeschäfte abzuwickeln, zuletzt exponentiell. Und dann lässt er sich nicht mehr aufhalten. Es spielt dann auch keine Rolle mehr, ob das Eigenkapital drei oder fünf oder zehn Prozent beträgt. Und somit muss der Fall CS der Ausgangspunkt für eine völlig neue Bankenregulierung sein, weil es auch im EU-Raum und in den USA offensichtlich jederzeit einen vergleichbaren Fall geben kann.

Deshalb ist der Vorwurf wohl gerechtfertigt, dass man jahrelang falsch reguliert hat. Der Regulator konzentriert sich heute auf die Aktivseite der Bilanz und prüft, ob eine Bank die „richtigen Assets“ hat. Früher kontrollierte die Bundesbank die Passivseite. Wollte man das Geschäft ausweiten, musste man eine Kapitalerhöhung durchführen.

Und last but not least: Im guten alten Trennbankensystem der USA durften Geschäftsbanken Kapitalgesellschaften sein, hochrisikoreiche Investmentbanken mussten dagegen in der Form einer Personengesellschaft geführt werden, bei denen die geschäftsführenden Gesellschafter mit ihrem gesamten Privatvermögen für Fehlentscheide hafteten. Das wäre ein guter Anknüpfungspunkt.

Es gibt viel zu tun. So weitergehen kann es jedenfalls nicht.

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Kommentare ( 31 )

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Kuno.2
1 Jahr her

In einer Marktwirtschaft ist es völlig normal, das auch mal eine oder mehrere Banken zum Konkursrichter müssen. Aber weil der Aktiensturz vom Herbst 1929 mit dem Konkurs der Donatbank in Deutschland begann, vermeiden Regierungen und Zentralbanken fanatisch genau diese Marktbereinigung. Die Anleihebesitzer der jetzt betroffenen Banken wurden jetzt finanziell bestraft, die Eigentümer (also die Aktionäre) hingegen nicht. Das sollte aber keine Schule machen! Wer sich nicht ausreichend informiert und einmal gekaufte Aktien behält, selbst wenn die Dividende ausfällt, der sollte bei Schieflage dafür „bestraft“ werden. Die Aktieninhaber der russischen Gesellschaft Gazprom wurden doch auch von heute auf morgen fast enteignet… Mehr

Teiresias
1 Jahr her

Statt der 2008/2009 angekündigten Regulierung zur Lösung des „too big to fail“- Problems hat sich die Politik auf die Seite der Hochfinanz geschlagen.

Sie streben die Inflationierung der Schulden durch Klima-Corona-Sonstwas-Politik an, Bargeld und Demokratieabschaffung inklusive.

Nicht Bankenregulierung, sondern der „Great Reset“ soll das Problem lösen.
„Ihr werdet nichts besitzen….“

Die jetzigen Lippenbekenntnisse sind genauso verlogen wie die von 2009.

LiKoDe
1 Jahr her

Die Banken wurden ja ab den 1970ern und dann später noch einmal ‚dereguliert‘ [= Abschaffung des Trennbankensystems, Abschaffung der Haftung, Zulassung von CDS …], Parlamente und Regierungen sorgten also dafür, dass Banken und Börsen wieder hochriskante Wettgeschäfte zu Lasten der Steuerzahler ausführen konnten.

Edwin
1 Jahr her

Bereits 2008 habe ich gesagt, dass das Geschäft der Banken wieder auf das klassische Bankengeschäft, so wie es mal im Kreditwesengesetz verankert war, zurückgeführt werden muss. D.h. neben dem Verbot von Investmentbanking auch die Abschaffung der für die Industrie sinnlosen Derivatgeschäfte („reine Zockergeschäfte“, wenn sie zocken wollen, sollen sie doch ins Casino gehen) mit Ausnahme des klassischen Devisentermingeschäfts. Ich erinnere mich noch vor ein paar Jahren, es ist noch nicht so lange her, dass sich die Crédit Suisse und die UBS sich ihrer Größe als Global Player brüsteten. Ein weiterer Kandidat hierzu übrigens die Banco Santander. Alles Kandidaten für nächsten… Mehr

Timur Andre
1 Jahr her

Unser Finanzsystem ist nicht mehr zu retten. Die Zahlen sind einfach zu groß, ob Derivate, Staatsverschuldung, Renten usw. Keiner hat mehr einen Durchblick und zu kontrollieren ist es auch nicht.
Das wissen die Zentralbänker auch, die Blase muss zusammenfallen. Was haben die vor? Digitales Zentralbankgeld soll beim Zusammenbruch die Massen beruhigen und kontrollieren, aber auch einem sehr niedrigen Niveau.
Da die BRICS+ nicht mitmachen werden, wird es ein Finanzsystem für den Westen geben.

Astrid
1 Jahr her
Antworten an  Timur Andre

Genau das ist aus meiner Sicht ebenfalls zum Scheitern verurteilt, denn was machen die BRICS-Staaten? Sie gehen in eine goldgedeckte Währung. Was wäre im Westen ein digitales Zentralbankgeld? Genau der gleiche Mist wie vorher nur digital, denn was wäre denn der Gegenwert? Heute hat China mit Russland ihre strategische Partnerschaft durch ein Abkommen weiter ausgebaut. Wie soll der Westen zukünftig mit diesen Ländern zusammenarbeiten und Rohstoffe bezahlen? Mir fehlt hier die Fantasie.

Landdrost
1 Jahr her

Die aktuelle Entwicklung wurde allein durch die Politik und die Notenbanken ausgelöst. Negativzinsen damit es nicht zu Staatsbankrotten kommt und die Politiker in den nicht vom Staatsbankrott bedrohten Ländern das Geld für Migranten, Corona-Spielchen und anderen Kram aus dem Fenster werfen konnten. Deutschland und Co. haben ja sogar noch Geld dafür bekommen, Schulden aufzunehmen. Da jetzt den Schwarzen Peter den Banken zuzuschieben, ist doch ein Witz. Die bewegen sich nur innerhalb der Rahmenbedingungen die die Politik und die Notenbanken geschaffen haben. Die Regulatoren sind doch auch nur von der Politik beeinflusst. Demnächst fließen dann Gelder vermehrt in die „Grüne Wirtschaft“,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Landdrost
Edwin
1 Jahr her
Antworten an  Landdrost

Durch die Niedrigzinspolitik wurden die Banken in andere Geschäftsfelder wie Versicherungen, Wertpapierhandel etc. mit höheren Risiken geradezu gedrängt, weil im klassischen Kreditgeschäft nichts mehr zu verdienen war, so immer meine Banker mit denen wir in der Firma zusammenarbeiten. Die Aktien sind maßlos aufgebläht und wenn ich dann im Kommentar höre, dass die Regulierungsbehörden nur auf die Aktivseite schauen, dann kann man erahnen, welche Zeitbombe da tickt. Zudem sind in den Bilanzen der Zentralbanken, die jetzt auf Staatsanleihen von Bankrottstaaten sitzen, ebenfalls immense Blasen. Wer schon mal eine Seifenblase generiert hat, der weiß, dass diese irgendwann platzt. Hier wird es auch… Mehr

Kampfkater1969
1 Jahr her
Antworten an  Landdrost

Genau das ist das Problem! Die Probleme mehren sich, seit der Euro eingeführt wurde. Bereits 2008 war die Ursache für die Verwerfungen eine Zinspolitik, die nicht mehr dem Diktat der Stabilität unterworfen war. Die Bundesbank war entmachtet, jegliche Kontrolle über die Inflation fehlt seither. Seit 2008, besonders ab 2015 begann die hemmungslose Inflationierung des Geldes über die Staatschulden und kommt jetzt in der Wirtschaft an. Jahrelang hat sich die EZB weggeduckt, wenn es um die Inflation ging. Schon 2020 hätte man den Zinssatz um 1% anheben sollen, den Negativzins nie einführen dürfen, nie Staatsanleihen auf die Bücher nehmen dürfen. Jetzt… Mehr

Reinhard Peda
1 Jahr her

Da gabs doch mal so ein komisches Fremdwort:
Trennbanken – Definition, Vergleich & Übersicht – GeVestor
Ich möchte das mein Geld bei der Bank wieder mir gehört, und nicht der Bank!

StefanB
1 Jahr her

Am besten lässt man die Bankenregulierung ganz weg. Dann wachen die Einleger selbst ganz anders darüber, was die Banken so mit ihrem Geld treiben. Ergänzend lässt man auch gleich die Zentralbanken weg, denn die sind es, die die Märkte künstlich verzerren und – wie zuletzt im Fall der Credit Suisse wieder – die Banken für ihre schiefgegangenen Spekulationen retten. So kann kein Markt funktionieren.

Aegnor
1 Jahr her

„bei denen die geschäftsführenden Gesellschafter mit ihrem gesamten Privatvermögen für Fehlentscheide hafteten“ Gute Idee. Aber ich fürchte dann wird halt der Portier offiziell als Geschäftsführer gelistet und die eigentlichen Entscheider verstecken sich dann in irgendwelchen Gremien. Und selbst wenn das nicht so extrem läuft, macht der Geschäftsführer halt Privatinsolvenz (vermutlich mit irgendeinem Sicherheitsnetz was nach Ablauf der Sperrfristen der Privatinsolvenz greift) und ist raus aus dem Schneider. Echte Haftung kann es gar nicht geben, weil dann keiner mehr den Job machen will. Es gibt leider nur eine Kur: Insolvente Banken Pleite gehen lassen und die Folgen aushalten. Auch wenn es… Mehr

Aegnor
1 Jahr her
Antworten an  Aegnor

PS: Und als Privatanleger gilt die goldene Regel: Hände weg von Bankaktien. Das ist russisches Roulette pur.

Waldorf
1 Jahr her

Die diversen „EU“ Rettungspakete und „Facilitys“ wurden schon von der Finanzindustrie vorformuliert und von der „Politik“ einfach übernommen und eingesetzt und das sog. Regulieren wird ebenfalls von den Regulierten vorgegeben. Wie sich die BigTech-Giganten bis heute auch jeglicher Regulierung entziehen, die den Namen verdienen könnte, gilt das gleiche für die Finanzwelt. Nach Lehmann wurden ein paar kosmetische Regeln und ein paar Baueropfer geliefert und die Party ging sofort zu alten Spaßregeln weiter, nachdem die jeweiligen Rettungen wunschgemäß erledigt waren. Trennbankensystem war schon 2008ff im Gespräch, kam natürlich nicht. Die Einlagesicherung deckt nach wie vor nur Mindestsummen ab, nicht alle Kundeneinlagen… Mehr