Die Deutsche Autoindustrie rechnet mit Tempolimit

Jahrzehntelang kämpften deutsche Autokonzerne gegen die Einführung einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Mit der Aussicht auf die Elektromobilität gibt die Industrie – VW voran – den Widerstand allmählich auf.

IMAGO / Olaf Döring

Seit dreißig Jahren kommt in immer wiederkehrenden Zyklen die öffentliche Diskussion über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. In der Regel stets vor entscheidenden Wahlen und in der Regel mit den gleichen Positionen: Die Autohersteller und die Konservativen waren dagegen, die Verkehrssicherheitsfanatiker und Auto-Asketen sowie die grünen Umweltaktivisten waren vehement dafür. Der Vormarsch der Elektroautos gibt den Befürwortern nun neuen Auftrieb. Dagegen scheinen die Tempolimit-Gegner auf dem Rückzug – auch wenn Amin Laschet jüngst ein Tempolimit für unlogisch erklärte.

Die deutsche Autoindustrie jedenfalls stellt sich auf die Einführung von Tempolimits auf Autobahnen nach der Bundestagswahl ein. Für ihren Absatz sehen die Hersteller laut einem Bericht des Handelsblatts keine große Bedrohung mehr. VW-Chef Herbert Diess ist ein prominentes Beispiel. Er schient eingeknickt zu sein: „Wir verkaufen unsere Autos auf der ganzen Welt, auch in den Ländern mit Tempolimit. Insofern bedarf es keiner besonderen Vorbereitung.“

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Nun muss man Diess als Herrscher auch über die Sportwagen-Marken Porsche, Bentley und Bugatti attestieren, dass er bei Dienstantritt am 13.April 2018 kein Freund des Tempolimits war und ist, alles andere wäre unglaubwürdig. Aber seit er seinen Konzern konsequent auf Elektromobiliät trimmt, argumentiert er anders.  „Worauf wir uns natürlich vorbereiten, ist die E-Mobilitätswende und das autonome Fahren“, sagte Diess dem Handelsblatt. In der elektrischen Welt werde ohnehin langsamer gefahren, weil die Fahrzeuge bei höheren Geschwindigkeiten schneller an Reichweite verlören. „Bei 160 ist der Reichweitenverlust schon beachtlich, Tempo 200 fährt man nur für kurze Zeit (…) Auch deshalb frage ich mich, ob wir überhaupt ein Tempolimit brauchen“, so Diess im Handelsblatt. Diess muss es wissen, da der VW-Chef laut Zeitungsberichten mit dem Elektroauto in den Urlaub nach Italien gefahren ist, aber mit Sicherheit nicht nach Kalabrien. Wieviele Lade-Stopps und Kaffeepausen er dabei eingelegt hat, wurde nicht berichtet.

Offensichtlich rechnet Diess also nach der Bundestagswahl mit einer gesetzlichen Änderung. Das ist den Tempolimit-Befürwortern natürlich Wasser auf die Mühlen. SPD und Grüne verweisen auf Sicherheitsaspekte:

  • Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter erneuert die Forderung nach einem Tempolimit. Sämtliche andere Industrieländer hätten längst eine vernünftige Geschwindigkeitsbegrenzung, sagte er dem Handelsblatt. Das „Sicherheitstempo 130“ erhöhe die Sicherheit auf Autobahnen, es senke Lärm, Schadstoffe und Kohlendioxidausstoß. „Und es wäre auch hilfreich, um Innovationen im Straßenverkehr wie die Elektromobilität und autonomes Fahren voranzubringen“, sagte Hofreiter weiter.
  • Auch die SPD ist für ein Tempolimit. „Geschwindigkeitsbegrenzungen führen zudem zu weniger Unfällen und somit zu weniger Verkehrstoten und Verletzten“, sagte Parteichefin Saskia Esken laut Handelsblatt. Weniger Unfälle bedeuteten auch weniger Staus. „Ein Tempolimit schont zusätzlich den eigenen Geldbeutel und senkt das Stresslevel beim Fahren.“
  • Armin Laschet hält ein Tempolimit dagegen für unlogisch, weil E-Autos beim Fahren ohnehin kein CO2 ausstoßen. Und die E-Auto Flotte wächst.
  • Die IG Metall, die mehrere hunderttausend Beschäftigte in der Autoindustrie zählt, erklärte sich bei dem Thema „neutral“. Die Gewerkschaft hofft auf eine „wohlüberlegte Entscheidung“ des Gesetzgebers.

Was ist die Faktenlage heute?

  • Es gibt weltweit außer Deutschland nur fünf Länder ohne Tempolimit auf Autobahnen: Nepal, Tibet, Uganda, Liechtenstein und Andorra. Alle Industrieländer außer Deutschland haben generelle Tempolimits.
  • Die Verkehrssicherheit in Deutschland hat sich in den letzten fünfzig Jahren gewaltig erhöht, die Anzahl der Verkehrstoten ist von 21.322 im Jahr 1970 auf 2.724 im vergangenen Jahr drastisch gesunken. Und das, obwohl der Automobilbestand sich im gleichen Zeitraum von 15,1 Millionen PKW auf 47,5 Millionen verdreifacht hat. 
  • Die Mehrzahl der Verkehrsunfälle und -toten waren auf Landstraßen, nicht BABs zu verzeichnen. 
  • Die CO2-Einsparungen durch ein Tempolimit bewegen sich im Promillebereich, sind also unerheblich.
  • Der Verkehrsstress auf BABs hat objektiv und vor allem subjektiv wegen steigendem Durchschnittsalter der Pkw-Lenker höherer Verkehrsdichte, zunehmenden Staus und Baustellen deutlich zugenommen. Ein Tempolimit könnte für Entspannung sorgen und wäre eine Vorbedingung für die Zulassung von Roboterautos.

Ergebnis: Die Frage ob Tempolimit oder nicht, ist eine politische Entscheidung, nicht eine Frage der Fakten. Die Fakten sprechen eher dagegen. 

Es kommt darauf an, was die Bevölkerung will. Die nächste Bundestagswahl wird wohl auch das entscheiden.


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Kommentare ( 35 )

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the ministry of silly walks
2 Jahre her

Die Qualität deutscher Autos in technischer Präzision, passiver und aktiver Sicherheit und Langlebigkeit beruht nicht darauf, dass jeder damit täglich wo immer möglich oder unmöglich mit 250 km/h dahinbrettert, sondern darauf, dass das Fahrzeug darauf ausgelegt und konstruiert ist, diese Belastung sicher zu meistern, was alle Belange auch im Normalbetrieb massiv unterstützt und sichert – aber eben auch potentiell diese Geschwindigkeit ermöglicht. Aber Hauptsache „dieses Land“ wird 2045 klimaneutral – dreimal dürfen Sie raten, wann: am 08. Mai… Im Übrigen wäre ich schon froh, wenn sich das Wohlstandsniveau Deutschlands im Ergebnis an den Durchschnitt seiner direkten Nachbarländer (DK, NL, B,… Mehr

Last edited 2 Jahre her by the ministry of silly walks
Mike76
2 Jahre her

Wozu überhaupt jetzt eine erneut hitzige Diskussion über die Einführung von Tempolimits auf deutschen BABs? Auf welcher deutschen Autobahn lässt es sich denn überhaupt noch mal 20 km am Stück wirklich schnell fahren? Meistens wird an den BABs herumgeflickt, was Baufirmen zuvor mit viel Pfusch und Zeitnot hingeklotzt haben, da werden Mähkanten und überbegrünte Mittelstreifen während der Verkehrsspitzenzeiten gepflegt, Dichtungs- und Dehnfugen auf Betonstreifenbahnen erneuert, Plankungsarbeiten durchgeführt, Böschungen nachträglich gegen Abrutschen gesichert oder verwaschene Fahrbahnmarkierungen, scheinbar auf Wasserfarbenbasis, nach kürzester Zeit erneuert. Und das alles bei oftmals tagelanger, großzügiger Vorabsperrung, also Tagen, an denen gar keine Arbeiten ausgeführt werden. Dann… Mehr

Jan
2 Jahre her

Was VW (Audi, Porsche), BMW und Mercedes verdrängen: Die Attraktivität ihrer Premium-Fahrzeuge lebt vor allem durch die technische Überlegenheit ihrer Verbrennungsmotoren. Ein Porsche 911 ist ohne Verbrennungsmotor wie Queen ohne Freddy Mercury: völlig sinnlos. Ganz zu schweigen von Ferrari und Lamborghini. Ebenso bei einigen US-Ikonen mit blubberndem V8: Mustang, Camaro, Corvette. Da wird ganz viel an Automobilkultur verloren gehen, von welcher die Autoindustrie und das umfangreiche Umfeld an Zulieferern jahrzehntelang gelebt haben. Und das alles wegen ein paar CO2-Hysterikern von Al Gore bis zu Greta, denen mittlerweile die ganze Autoindustrie auf den Leim gegangen ist. Herbert Diess ist das jüngste… Mehr

Gerro Medicus
2 Jahre her

Nein, Diess ist nicht wirklich eingeknickt! Einem Tempolimit hat er nie ausdrücklich widersprochen oder sich etwa für „Freie Fahrt für freie Bürger“ eingesetzt. Diess ist Chef eines Autokonzerns, in dem das von der SPD geführte Land Niedersachsen aufgrund ihres Aktienanteils einen erheblichen Einfluss hat. Die Welt vom 21.05.2021 titelte: SPD für Tempolimit auf deutschen Autobahnen Der politische Einfluss der SPD ist also nicht von der Hand zu weisen und käme allerspätestens bei der Ernennung zum Aufsichtsrat (meist logische Fortsetzung der Karriere, wenn man als Vorstand abdanken muss) zum Tragen. Deshalb ist alles, was VW macht, zu einem erheblichen Teil nicht… Mehr

Chromatograph
2 Jahre her

Herr Dies möchte höchstwahrscheinlich das Selbstwertgefühl seiner E-Auto-Kunden schützen, denn es fühlt sich auf Dauer sicherlich schei$$e an, wenn man als E-Auto-Fahrer immer und immer wieder von Verbrennern überholt wird. Mein Diesel fährt auch 600 km weit, wenn ich das Gaspedal ununterbrochen durchgedrückt halte. Der Verbrauch steigt dann zwar auf 7 bis 8 Liter pro 100 km, aber wenn man mit dem ICE fährt, zahlt man auch Expresszuschlag.
Außerdem hat offenbar noch niemand wissenschaftlich hergeleitet, welches Tempolimit das beste wäre. Schrittgeschwindigkeit verursacht sicherlich die wenigsten schweren Unfälle.

StefanH
2 Jahre her

So, und jetzt müsste man dem internationalen Kunden nur noch klarmachen, warum er sich einen VW oder BMW und keinen halb so teuren Hyungdung Dingsbums kaufen soll. Aber um das zu verstehen, muss man wahrscheinlich Betriebswirtschaft studiert haben …

schmidthomas
2 Jahre her

Es geht den meisten meiner lieben tempolimitfordernden Mitbürger darum, ihren latenten Sozialneid auszuleben. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Fakten spielen, insbesondere bei den weiblichen Freiheitsfeinden, eh keine Rolle.

Felicitas21
2 Jahre her

Egal, wie es ausgehen wird. Deutschland ist das einzige EU Land, auch die USA hat Tempolinit, indem es noch keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gibt. Und viele, die da mit 170 und noch mehr auf den Autobahnen rumrasen, oft noch ohne Sicherheitsabstand, selbst bei regennasser Fahrbahn und schlechter Sicht, überschätzen sich und ihr fahrerisches Können. Solche halte ich schon für ein Sicherheitsrisiko.

AlexR
2 Jahre her
Antworten an  Felicitas21

Ich halte solche Leute für ein Sicherheitsrisiko, die stur mit 100 km/h auf der mittleren Spur fahren, obwohl die rechte Spur vollkommen frei ist. Und dadurch natürlich den schneller fahrenden belehren müssen, dass 100 km/h auf der Mitte bei freier rechten Spur ausreichend ist.
Wahrscheinlich gehören Sie auch dazu.

Ach ja, ich weiß: die rechte Spur ist nur für LKW.

F4yt
2 Jahre her

Ich bin selbst eher pro Tempolimit als dagegen. Die „Faktenliste“ zum Ende finde ich in Teilen durchaus interessant, da die Gewichtung der einzelnen Punkte durchaus eine Rolle spielt, ich daher von „sprechen eindeutig dagegen“ nicht unbedingt sprechen würde: Ist weder wirklich pro noch kontra. Einerseits müssen wir sowas nicht einführen, nur weil es andere machen; andererseits sind die aufgeführten Länder nicht wirklich mit Deutschland zu vergleichen und den anderen Industrienationen scheint das Tempolimit zumindest nicht zu schaden. Im gleichen Zeitraum hat sich die Technologie in den Fahrzeugen aber auch deutlich weiterentwickelt. Das ist beinahe naturgegeben. Ich fühle mich auf Autobahnen… Mehr

Wolfgang M
2 Jahre her

„Die Mehrzahl der Unfälle sind auf Landstraßen und nicht auf BAB zu verzeichnen.“ Da müsste man als Basis die Straßenkilometer oder sogar die gefahrenen Kilometer mit nutzen. Man müsste auch über die Schwere der Unfälle reden. Die Mehrheit der Massenkarambolagen finden mit Sicherheit auf der Autobahn statt. „Die CO2-Einsparungen durch ein Tempolimit bewegen sich im Promillebereich, sind also unerheblich.“ Promille von was? Promille des gesamten CO2-Ausstoßes (Energieerzeugung, Verkehr, Heizen)? Promille des im Verkehr ausgestoßenen CO2? Die Argumente sind ungenau. Tatsache ist, dass ich bei Überlandfahrten mit Dörfern und Städten beim Durchschnitt von 65 km/h im Durchschnitt 6 Liter auf 100… Mehr

nomsm
2 Jahre her
Antworten an  Wolfgang M

Es ist unerheblich wo Massenkarambolagen stattfinden. Die Frage ist ob diese mit einem Tempolimit zu vermeiden wären.
Dazu heißt es klar nein. Die meisten Unfälle passieren nunmal in Stausituationen, also wenn viel Verkehr ist und wenn sowieso ein de facto Tempolimit herrscht.