Während sich Medien und Politik in Europa an Donald Trump und am Handelskrieg zwischen den USA und China abarbeiten, enthüllt sich ein weiterer Konflikt. Am Anleihenmarkt kollidieren europäische und amerikanische Interessen. Von Thomas Kolbe

Der April 2025 wird als einer der volatilsten Monate in die Geschichte der Anleihenmärkte eingehen. Donald Trumps Zoll-Vorstoß wirbelte die Märkte mächtig durcheinander. Aktien verkauften ab, Zinsspreads zwischen sicheren und riskanten Anleihen stiegen sprunghaft und am Anleihenmarkt schoss die Volatilität, gemessen am MOVE-Index, auf ungewöhnliche 140 Punkte. Ein Zeichen extremer Verunsicherung und ein Menetekel für die globale Finanzarchitektur, deren Kreditgeschäft zu 45 % mit US-Staatsanleihen besichert ist.
Das Problem: Gerät das Sicherungsobjekt derart in Schwingung, steigen Kreditabsicherungskosten. Zudem kann es bei extremer Volatilität zu Margin Calls und Verkaufskaskaden kommen, um im Einzelfalle Liquidität und Zahlungsfähigkeit zu sichern. Eine solche Kaskade konnten wir am 7. April beobachten. Der massive Abverkauf von US-Anleihen ließ die Rendite um 60 Basispunkte steigen und führte zum Zusammenbruch des sogenannten Basis Trades, eines Arbitragegeschäfts, das Hedgefonds eingehen, um Zinsspreads zwischen US-Anleihen am Spot- und Futuresmarkt zu monetarisieren. Dieses Geschäft lohnt sich nur hoch gehebelt – der Anstieg der Volatilität katapultierte die beteiligten Akteure in Rekordzeit aus dem Markt. Die Verkaufskaskade setzte ein.
Good Cop, Bad Cop
In den Tagen der akuten Anleihekrise entfaltete sich derweil ein interessantes Medienspiel im Weißen Haus. Während Präsident Trump in seiner bisweilen bizarren Art an der Eskalationsschraube im Handelskrieg drehte, nahm Finanzminister Scott Bessent immer wieder Druck vom Kessel. Bessent stellte mehrfach klar, dass Staat und Notenbank im Falle extremer Panik den Anleihenmarkt stabilisieren würden, was allerdings zu keiner Zeit in Erwägung gezogen worden sei. Good Cop Bessent gelang es so, die Wogen zu glätten und zur Tagesordnung überzugehen. Diese materialisierte sich in den folgenden Tagen in stabilen US-Anleiheauktionen. Trump und Bessent navigieren ihre Zollpolitik bislang souveräner, als es in den Medien dargestellt wird.
Wie aus dem Nichts tauchte in den Chaostagen am Anleihenmarkt eine unerwartete Erzählung auf. Ein neues, nicht uninteressantes Narrativ, das seinen Ursprung in Europa hatte, lautete etwa folgendermaßen: Trump sät Chaos und das Kapital sucht einen neuen sicheren Hafen. Und dieser sollte ausgerechnet Deutschland sein! Das Land, das sich in einer strukturellen Krise festgefahren hat, ökonomisch ausblutet und gerade vor wenigen Wochen ankündigte, sich mit einem historisch einzigartigen Schuldenprogramm mit neuen Schulden von einer Billion Euro tief in die roten Zahlen stürzen zu wollen.
Die Spindoctors aus Frankfurt
Wer könnte ein Interesse daran haben, eine solch abenteuerliche Story in die Welt zu setzen? Und dies genau zu dem Zeitpunkt, als in Brüssel und den Hauptstädten der EU dämmerte, dass man ins Visier des US-Handelskonflikts geraten war? An dieser Stelle betreten wir das Reich der Spekulation. Aber wir können die Bewegung an den Märkten deuten: Große Kapitalsammelstellen rotierten hohe Summen aus US-Anleihenbeständen hinein in deutsche Staatspapiere und lösten so am Devisenmarkt eine simultane Abwertung des Dollar aus. Während also US-Zinsen stiegen und der Dollar in den Keller rauschte, werteten Euro und Bundesanleihen auf.
Im sogenannten TIC-Report, der mit zweimonatiger Verzögerung die Bilanzpositionen der Notenbanken abbildet, werden wir im Juni sehen können, ob sich der Verdacht erhärtet, dass es die EZB war, die mit ihren Außenstellen nationaler Notenbanken (die sich übrigens auch in der Karibik wiederfinden) ein wenig an den Zinsschrauben gedreht hat, um diese abwegige Story in die Welt zu setzen. Stand heute ist klar: Der Versuch, den amerikanischen Anleihenmarkt zu destabilisieren, ist gescheitert. Die Märkte sind wieder zur Tagesordnung übergegangen, und die USA scheinen in der Lage zu sein, ihre breit angelegte Zollintervention und Neuausrichtung des globalen Handels ohne Crash am Schuldenmarkt umsetzen zu können.
Klassisches Playbook
Auch die kurzfristige Schwäche des US-Dollars sollte niemanden wundern. Wir folgen einem lehrbuchartigen Krisenmechanismus: Zu Beginn einer Vertrauenskrise in das Kreditkollateral halten die Verkäufer der US-Anleihen ihre Liquidität in heimischen Währungen, um dann in vermeintlich sichere Häfen zu rotieren – diesen Prozess können wir gut nachvollziehen: Der Dollar wertete schnell ab, Euro, Yen und vor allem der Schweizer Franken wurden nachgefragt.
Bemerkenswert: Die im Vergleich zur Eurozone ökonomisch wesentlich stabilere Schweiz wehrt sich gegen ihre Rolle als Cashspeicher Europas mit Niedrigzinsen von 0,25 %. Assistiert die Schweizer Nationalbank ihren Kollegen im Frankfurter EZB-Tower und versucht so, massive Kapitalflucht aus der Eurozone bereits im Keim zu ersticken? Nichts liegt näher, räumlich wie technisch, als sich im Falle einer neuen Finanzkrise in Europa in die Schweizer Alpen zu flüchten und den Sturm aus sicherer Distanz an sich vorüberziehen zu lassen.
Kontinentaldrift am Anleihenmarkt
Zoomen wir etwas heraus. Unter der aufgewühlten Oberfläche der Anleihenmärkte vollzieht sich seit Längerem eine säkulare Umschichtung und Risikobewertung. Notenbanken der BRICS tragen langsam aber sicher ihre US- und Euro-Anleihenbestände ab und rotieren die Erlöse in wachsende Goldbestände. „Safety first“ ist das Motto der Stunde. Allerdings vollzieht sich dieser strukturelle Umbau der Notenbankbilanzen wie die Kontinentaldrift – niemand kann sich einen Kollaps der amerikanischen Staatsschulden erlauben. Ein drastischer Wertverlust würde den kaskadenartigen Kollaps nationaler Bankensysteme initiieren und lokale Währungen unter extremen Inflationsdruck versetzen. Aus amerikanischer Sicht könnte es sich als Fehler herausstellen, dass man in der Vergangenheit die Abhängigkeit des Weltfinanzsystems von der eigenen Dollar-Infrastruktur geopolitisch ausgenutzt hat, um Druck auszuüben.
Der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Zahlungssystem sowie das Einfrieren von Vermögenswerten der russischen Zentralbank waren ein Weckruf für Antagonisten des amerikanischen Machtpokers. China und den Vertretern der BRICS-Gruppe dürfte die Fragilität ihrer strategischen Position bewusst geworden sein. Seither wächst der Zuspruch für Chinas digitale Variante (e-CNY) zu SWIFT, wenngleich sich die starke Position des US-Dollars nicht wesentlich aufgeweicht hat.
Der Wille der BRICS, ein Gegengewicht zum Dollarimperium aufzubauen, ist real. Und die USA scheinen nicht abgeneigt, dieser ökonomischen Bifurkation der Welt und dem schleichenden Ende des Dollars als Weltreservewährung auch eine gute Seite abzugewinnen. Fed-Präsident Jerome Powell jedenfalls kann sich für die Zukunft eine multipolare Währungsordnung vorstellen. Angesichts dieser materiellen Verschiebung der Macht hin in den pazifischen Raum wirkt die Erzählung des sicheren Hafens Deutschland wie eine Randnotiz, eine Komödie in der Peripherie.
Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.
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Die Frage ist, ob die beteiligten Akteure dieses System selber noch wirklich durchschauen. Gibt es kausal begründete Entscheidungen oder sind da viele Vermutungen mit nachgereichten klugen Worten?
Tja, Herr Kolbe, bitte mehr Fakten. Wie weit hat Merz die Spreads der 10jährigen Bundesanleihen bisher ausgeweitet.
Respekt, das ist mal ein hochwertiger Beitrag auf TE. Gerne mehr davon!
„Good Cop“ Bessent dazu am 27. April: „There was a story 10 days ago that said this is the worst April for the stock market since the Great Depression.
Fast-forward to today: The Nasdaq is up on the month of April. And I haven’t seen a story that says, “Stock market has biggest bounce-back ever.” https://x.com/SecScottBessent/status/1916545379077918874
Da auf beiden Seiten vom Atlantik Schuldenjunkies sitzen, ist ein Wettbewerb zu erwarten, wer die höchsten Zinsen für seine Schrottanleihen bietet. Der Staatsbankrott kommt immer näher.
Herr Kolbe hat offenbar alles durchschaut. Jetzt im Nachgang. Ein Artikel wie dieser wäre vor drei Wochen vielleicht beeindruckend und mutig gewesen. Nun ist er keines von beiden.
Die Spielwiese der Superreichen im Geldbetrugssystem. Für 96% der unbeteiligten Bevölkerung unbekannt und unverstanden. Sie bemerkt es nur als ständigen Wertverlust, besser Kaufkraftverlust des zu benutzenden Spielgeldes, als heimliche Abschöpfung privaten Reichtums zu Gunsten weniger.
Statt echter Goldmünzen gab es Glasperlen, dann wertloses Papier und bald das Große Nichts als Zahl auf dem Monitor.