Wie Christine Lagarde das Glaubwürdigkeitsdefizit der EZB verstärkt

Die irrlichternden Äußerungen von Christine Lagarde, der Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), sind weit mehr als ein Kommunikationsgau. Sie künden von der Agonie der EZB.

IMAGO / Rainer Unkel
EZB-Präsidentin Christine Lagarde, 21. Juli 2022

Madame Lagarde liebt seit jeher die Mondänität. Bilder von ihr in Hochglanzmagazinen gelegentlich ihrer Interviews zu Allerweltsthemen waren schon vor ihrer Ernennung zur EZB-Präsidentin ein Markenzeichen ihrer Kommunikation. Freimütig gab sie Auskunft über ihr Privatleben und ihre Karriere als Frau. Geschickt verstand sie es, dabei zu verschweigen, dass sie zweimal bei der Aufnahmeprüfung für die Pariser Elite-Schule E.N.A. scheiterte. Dies scheint aber ihrem überbordenden Selbstbewusstsein nicht geschadet zu haben.

Erstaunlich ist indes, dass sich an dieser Selbstentblößung ihres Narzissmus trotz ihres EZB-Amtes nichts geändert hat. Im Gegenteil: Je mehr die EZB dafür Anlass gibt, an der Rationalität ihrer geldpolitischen Entscheidungen zu zweifeln, umso mehr wagt sich die EZB-Präsidentin, deren Auftritte in der EZB-Presskonferenz fachlich unsicher wirken, auf neue Politikfelder. So geschehen im Interview mit Figaro Madame, das sogar einen Platz auf der offiziellen Webseite der EZB fand.

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Hierin schienen Madame Lagarde die Inflationsraten und der Verfall des Euro-Außenwertes schlimmstenfalls ein Detail. Währenddessen meinte sie über Diversität, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, grüne Anleihen, ihren Glauben an die Menschen und ihre Urlaubslektüre beredt Auskunft geben zu müssen. In Paris mögen solche entrückten Äußerungen als hauteur de vue angesehen werden, um das Sommerloch zu füllen. In Deutschland misst man Zentralbanker an ihrer Stabilitäts-Leistung. Wo die Bilanz so unbestreitbar negativ ist wie bei Lagardes EZB, wären verbale Zurückhaltung und persönliche Bescheidenheit imperativ geboten.

Doch diese Zentralbankertugenden sind Madame Lagarde fremd. Wahrscheinlich bereitet sie eine Rochade vor, weil sie sich insgeheim zugestehen muss, bei der Inflationsbekämpfung die EZB in die Glaubwürdigkeitsfalle geführt zu haben. Kein Vertreter der deutschen Nationalökonomie kann die Politik der EZB mit ihren gewillkürten Fehlprognosen zur Inflationsentwicklung, ihrer Beschönigung der eigenen Fehlleistungen und ihrer offenkundigen Unterstützung der Hochschuldenländer noch nachvollziehen. Doch Madame Lagarde sieht sich nicht einmal verpflichtet, zum Gipfel der Zentralbanker nach Jackson Hole zu fahren. Angesichts der Öffentlichkeit, die sie dort erwartet, hätte es wieder peinlich werden können. Auch Philippe Lane, ihr ökonomischer Mephisto, hat sich aus der Öffentlichkeit verzogen.

Stattdessen hält Isabel Schnabel in Jackson Hole eine lange Rede und schwört die EZB auf Inflationsbekämpfung ein. Dies ist exakt das Gegenteil von dem, was sie noch im September 2021 gefordert hatte. Damals erschienen ihr und den EZB-Ökonomen die schon auf Sturm stehenden Zeichen der Inflation ein vorübergehendes Phänomen und sie warnte angesichts der Bankenbilanzen vor abrupten Zinserhöhungen. Nun ist die EZB von der Realität eingeholt worden. Ihre Glaubwürdigkeit – das höchste Gut einer Zentralbank – steht mehr und mehr in Frage, zumal über die Zinssubventionierung für italienische Anleihen nachgedacht wird, aber die Zinserhöhungen hinter der Fed zurückbleiben.

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Derweil zieht es Madame Lagarde vor, sich zu Feuilleton-Themen und persönlichen Präferenzen zu äußern und bei der Pflichtveranstaltung in Jackson Hole zu kneifen. Während Millionen Haushalte und Unternehmen mit Preiserhöhungen ringen, und massive Wohlstandsverluste infolge der EZB-Politik zu erdulden haben, meint Madame Lagarde mitteilen zu müssen, dass sie an „gender diversity“ glaubt.

Während die EZB-Präsidentin so entrückt von den Sorgen und Nöten der Wirtschaft wie eine Pharaonin Politik-Ratschläge erteilt, eskaliert die Politik der „Entlastungspakete“. Diesen fiscal stance hatte Lagarde gefordert und verteidigt ihn noch heute, obschon diese Politik prozyklisch wirkt und die Inflationsursachen nicht beseitigt.

Mit diesen kommunikativen Blamagen wird die EZB ihr Glaubwürdigkeitsdefizit verstärken und dem Ruf nach einem personellen Wechsel an ihrer Spitze Vorschub leisten. Hinzu kommen schwere handwerkliche Versäumnisse: Das Transmission Protection Instrument – also der eventuell massive Ankauf von Anleihen aus Hochschuldenländern – ist seit seiner Verkündung am 21. Juli 2022 immer noch nicht im EU-Amtsblatt als Rechtsakt veröffentlicht worden. Hat Lagarde die EZB noch im Griff? Vielleicht sieht der französische Staatspräsident Macron den Missgriff der Ernennung von Lagarde als EZB-Präsident selbst ein. Dann könnte alles sehr schnell gehen. Doch die Inflation wäre damit nicht aus der Welt.

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Kommentare ( 27 )

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fatherted
1 Jahr her

LG hatte es nicht nötig in Jackson Hole dabei zu sein. Dafür schickte sie Schnabel. Sie selbst macht sich Gedanken übers Gendern und ließt derweil „James Joyce“….ob ihr Ulysses zu mehr Einsicht verhilft…wohl kaum. Egal. LG reiht sich in die Lange Reihe derer ein, die derzeit das Schicksal Europas und der EU bestimmen und die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Eigentlich ein Wunder, dass das ganze System trotz dieser Versager noch nicht komplett gegen die Wand gefahren ist….aber sie arbeiten ja alle mit Hochdruck dran. Unfähigkeit wird durch überbordende Arroganz ausgeglichen. Wer zu viel von sich hält ist… Mehr

Kuno.2
1 Jahr her

Solange die FED die Zinsen weiter erhöht, solange steht die EZB auf verlorenem Posten. Ich persönlich werfe der Lagarde vor nicht begriffen zu haben, dass die FED (im Gegensatz zur EZB) eine Weltleitwährung zu verteidigen hat.
Die glaubt, beim US Dollar handele es sich nur um eine Währung.
Aber dem ist nicht so. Sollte unter dem Druck Russlands, Chinas und weiterer Länder der US Dollar weiter an Bedeutung verlieren, kollabiert das Weltfinanzsystem. Gleichzeit müssten die USA einen großen Teil ihrer heutigen Bedeutung abgeben. Dies zu verhindern ist die jetzige und künftige Aufgabe der FED und das ist gut so.

Flavius Rex
1 Jahr her

Mir fällt generell auf, dass seit in den letzten Jahren immer mehr Frauen Spitzenpositionen bekleiden, Stabilität, Harmonie, Wohlstand und Frieden in Europa und der Welt immer neue Höhepunkte erreichen, sozusagen … äh … hmmm, also genauso, wie man uns das immer versprochen hat, von berufener Seite.

Gerhard Ledermann
1 Jahr her
Antworten an  Flavius Rex

Ich sehe die Risiken, wenn einseitig „weibliche“ Kompetenzen politische Strategien gestalten. Aber die männlichen haben sich im 20. Jh nun wirklich nicht mit Ruhm bekleckert, sondern mit 2 Weltkriegen und Stellvertreter-Kriegen des Ost–West-Konflikts viel Leid über den Planeten gebracht.

Thomas Hellerberger
1 Jahr her

Die Bedeutung von Lagarde innerhalb der EZB wird vollkommen überschätzt. Ich kenne einige höhere Manager der EZB, das haben sie mir immer bestätigt. Im Gegensatz zu ihr war Mario Draghi zwar selbst Banker, er verstand das Geldhandwerk – aber er war nicht der „Boss” der EZB. Und kein EZB-Chef sagt auf einer Pressekonferenz auch nur ein Wort, das er selbst aufgeschrieben hat. Die EZB ist eine rein politische Institution, ähnlich der EU-Kommission. Innerhalb von beiden gibt es eine erhebliche Personalrotation. Interne Positionen als festangestellter Mitarbeiter bei der EZB bekommt man nur, wenn man aus diesem EU-Zirkus kommt, oder einen kennt,… Mehr

gast
1 Jahr her

Spiegel 2016: „IWF-Chefin Christine Lagarde ist in einem Strafprozess für schuldig befunden worden, erhält aber wegen ihrer „Persönlichkeit“ keine Strafe.“
Es ging da, glaube ich, um eine Art der Steuerveruntreuung, wie das auch bei Scholz derweil in Frage steht. Mondän soll sie sein, im Sinne von lässig überlegen. Das fällt natürlich nicht schwer, wenn aufgrund der eigenen Persönlichkeit Straftaten nicht geahndet werden.

Last edited 1 Jahr her by gast
ersieesmussweg
1 Jahr her

Was macht die Dame, wenn Deutschland als Hauptbeitragszahler wegfällt?

Thorsten
1 Jahr her

Es ist doch einfach nur naiv zu glauben, dass Lagarde das Problem der EZB ist. Mit der gleichen Logik wäre doch Merkel das „Problem“ der CDU gewesen wäre. Die Realität ist jedoch, dass beide Frauen NUR die Repräsentant:innen einer Organisation sind, die diese Poltik verfolgt. Europa ist überschuldet, da die realistischen Zinslasten nicht tragbar sind. Um dieses Problem zum einem zu kaschieren und prolongieren, aber auch zur „schleichenden Entschuldung“ werden die Zinsen zu niedrig bleiben müssen. Das Problem ist das der schwache Euro im Ergebnis Inflation importiert und Kapital exportiert. Wenn dieser „Teufelskreis“ eine Eigendynamik entwickelt, dann wird es gefährlich.… Mehr

Jens Lueck
1 Jahr her

Wie sagte mein Opa früher (er wahr Fahrlehrer):
Frau am Steuer – das wird teuer!
Und so ist es in der Politik und Wirtschaft. Überall

Odysseus JMB
1 Jahr her

Die Geltungssucht der französischen Bourgeoisie und der von kompletter Unwissenheit geplagten Merkel hatte in Lagarde die perfekte Darstellerin für die leitende Zentralbänkerin gefunden. Nur dass es aktuell so schlimm kommen würde mit der Inflation und den Energiepreisen hatte selbst die französiche „Elite“ so wohl nicht erwartet. Ob ihnen („Vergessen-ist-mein-zweiter-Vorname“) Scholz mit seinen Vorschlägen zu einer EU-Parlamentsreform oder der Verabschiedung im EU-Rat der EInstimmigkeitsregel auch Anlass für Gespräche über Lagarde gibt, muss man fast annehmen, obwohl die „Gesundung“ der öffentlichen Haushalte bei 10% Inflation und darüber eine schöne Sache ist, nur in Hinsicht auf eine Wiederwahl vielleicht als störend empfunden werden… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Odysseus JMB
taliscas
1 Jahr her

Diese ausgemergelte Spaßbremse gehört in eine lange Reihe von Frauen, die es zum Nachteil Europas und seiner Völker geschafft haben, ohne fachliche Kompetenz über den Feminismus bis an die Spitze wichtigster Posten zu gelangen. Eine Aufzählung erspar ich mir, die wäre nicht gut für meine Peristaltik.