Bahn tröstet sich mit Gewinnen über strukturelle Probleme

Die Bahn hat im ersten Halbjahr über 800 Millionen Euro Gewinn eingefahren. Doch dieses Geschenk ist vergiftet – gleich an mehreren Stellen.

IMAGO / Eibner

Eine kleine Idee für den Ampel-Fanshop: ein Krisen-Kalender. Jeder Monat bildet einen anderen Bereich ab, in dem es in Deutschland nicht klappt. Ein Monat könnte der Bahn gewidmet werden. Sie ist die Hoffnung in der Verkehrswende. Wenn alle Pendler umsteigen, retten wir das Klima und die Mobilität. So der grün-linke Wunsch. In der Realität ist das Netz überlastet und marode. Das macht wiederum neue Baustellen nötig, was die Überlastung steigern wird. Einen Vorgeschmack darauf hat das Neun-Euro-Ticket gegeben. Aber auch ohne große Umstiegswelle häufen sich die Verspätungen der Bahn.

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In der Bilanzpressekonferenz konzentriert sich die Bahn auf das Positive: 876 Millionen Euro Gewinn hat sie in der ersten Hälfte des Jahres gemacht, 2021 gab es zur gleichen Zeit noch ein Defizit von über einer Milliarde Euro – bei einem Umsatz von jetzt 28 Milliarden Euro. Fahrgäste kehren nach der Pandemie zurück. Vor allem aber boomt der Güterverkehr. Die Speditionstochter DB Schenker hat einen Gewinn von 1,2 Milliarden Euro eingefahren – ohne sie wäre der Konzern also weiter in den roten Zahlen. Nichtsdestotrotz: Betriebswirtschaftlich bedeutet das für das Staatsunternehmen einen Erfolg.

Volkswirtschaftlich ist dieser Erfolg indes vergiftet. Derzeit sind Frachtkapazitäten weltweit knapp: auf der Straße genauso wie auf dem Wasser oder in der Luft. Deswegen kann DB Schenker deutlich höhere Preise nehmen. Was dem Staatsunternehmen die Kassen klingeln lässt, befördert also gleichzeitig die Inflation. Nun ließe sich dieser zusätzliche Umsatz nutzen, um mehr Verkehr auf die Schiene zu holen. Doch so einfach ist auch das nicht. Aus mehreren Gründen.

Zwar bemüht sich Bahn-Chef Richard Lutz auf der Bilanzpressekonferenz um Aufbruchstimmung: „Die Trendwende ist gelungen“, verkündet er mit dem Gewinn im Rücken. Doch da beschwört er mehr die persönliche Trendwende als die seines Unternehmens. Denn der neue Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat ihn ins Visier genommen, macht ihn verantwortlich für tiefer liegende Probleme der Bahn, die der Gewinn jetzt nur verdeckt. Zwar ist die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr im ersten Halbjahr auf 59 Millionen gestiegen, das sind aber immer noch 13 Millionen weniger Fahrgäste als vor der Pandemie. Der Rekord von 725 Millionen Fahrgästen im Nahverkehr lässt sich relativ leicht auf das Neun-Euro-Ticket zurückführen. Was nach dessen Auslaufen bleibt, ist abzuwarten.

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Da sind aber auch noch die 30 Milliarden Euro Schulden des Konzerns. Vor allem aber sein vernachlässigtes Schienennetz. Der Fahrgastverband „Bahn für alle“ wirft der Bahn vor, mit dessen Zustand nicht ehrlich umzugehen. Zwar sei das Schienennetz seine Geschäftsgrundlage, sagt Carl Waßmuth vom Fahrgastverband im ZDF-Frühstücksfernsehen MoMa. Aber die Bahn nehme das Netz nicht im Konzernbericht auf. Auf diese Weise habe sie den über Jahre gewachsenen Sanierungsbedarf verschleiert.

Das marode Netz verhindert ein weiteres Wachsen des Verkehrs auf der Schiene. Die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) und die Bahngewerkschaft EVG sprechen sich schon jetzt gegen eine Fortführung des Neun-Euro-Tickets aus: „Die Belegschaft hat die Belastungsgrenze erreicht und teilweise überschritten“, sagt EVG-Vizechef Martin Burkert. Mit dem Ticket seien keine Pendler gewonnen worden, sondern Reisende. „Das tut dem System nicht gut, weil es sowieso schon auf Verschleiß gefahren wird. Jetzt sind wir zusätzlich noch völlig überlastet“, sagt GdL-Chef Claus Weselsky im RBB-Inforadio. Derzeit setzt die Bahn nach eigenen Angaben jeden Tag 51.000 Züge ein – mehr gehe nicht.

„Qualität und Pünktlichkeit sind derzeit nicht akzeptabel“, räumt Lutz auf der Pressekonferenz selbst ein. Das Netz sei überaltert und störanfällig. 30 Prozent der Fernzüge fahren sechs Minuten oder mehr Verspätung ein, sagt Lutz. Ein Jahr davor waren es nur 20 Prozent. Die Bahn wolle zwar das Netz sanieren und ausbauen, verspricht der Chef. Doch das beginnt frühestens in zwei Jahren. Außerdem reicht das Geld nicht aus, das der Bund dafür bereit stellt, kritisiert die EVG.

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Ein marodes und überlastetes Bahnnetz ist ein Ärgernis, weil es Verspätungen bedeutet und zusätzliche Angebote verhindert. Es kann aber auch zur Todesfalle werden. Wie mutmaßlich bei Garmisch-Partenkirchen, wo fünf Menschen bei einem Unfall starben. Die GdL macht dafür das staatseigene Unternehmen und die Politik verantwortlich.

Die Bahn sei ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, folglich müsse es eine gesellschaftliche Aufgabe sein, das Netz zu pflegen – statt diese Aufgabe zu einer Sparte zu machen, die Gewinne abwerfen müsse. Wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung berichtete, waren brüchige Betonschwellen der Auslöser für den tödlichen Unfall in Burgrain bei Garmisch.

Solche maroden Bahnschwellen gibt es all überall. So hat die Bahn jüngst Strecken im Harz gesperrt, in Berlin und in Bayern. Ferienziele wie Thale sind vorerst ganz vom Netz genommen; wer nach Wernigerode will, muss einen Umweg über Goslar nehmen. An 42 Stellen müsse die Bahn jetzt schon langsamer fahren, berichtet die Süddeutsche Zeitung. 200.000 Schwellen seien insgesamt betroffen, meldet die Bahn. Die EVG geht sogar von einer Million maroder Schwellen aus.

Und was plant die Politik? FDP und Grüne möchten das profitable Gütergeschäft auslagern. Es sei ein „Fremdkörper“ in der Bahn. Warum Privat- und Güterverkehr kein Ganzes ist, das zusammen nur mit einem funktionierenden Schienennetz funktionieren kann und dieses daher pflegt und ausbaut? Die gelb-grüne Antwort auf diese Frage dürfte der gleichen Logik entstammen, in der Gas verstromt wird, Gas fehlt, aber Atomkraftwerke vermeintlich nicht gegen Gas-Knappheit helfen. Aber das ist ein anderer Monat im Krisenkalender der Ampel. Angesichts der Fülle an Krisen könnte das aber auch ein Wochenkalender werden.

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Kommentare ( 3 )

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Andreas aus E.
1 Jahr her

FDP und Grüne möchten das profitable Gütergeschäft auslagern. Es sei ein „Fremdkörper“ in der Bahn.“

Ja, ganz schlimmer Fremdkörper.
Solche Vollprofis sollten sich einfach eine Modelleisenbahn in den Keller ihres klimafaschistischen Eigenheims stellen (lassen), dann kämen sie vielleicht auf etwas gesundere Ideen.

alter weisser Mann
1 Jahr her

Ein marodes, überlastetes Netz, eine Belegschaft am Anschlag, politisch gewollte stärkere Auslastung bei zuwenig Geld für immer nötiger und teuerer werdende Sanierungen und Ausbau, die von Personlamangel und der behördlichen Regulierungswut sowie Einzelinteressen beeinträchtigt werden. Eine schöne Mischung und am Ende gibt es 20 Jahre später eine Renommierstrecke als Denkmal für einen schon vergessenen Landes-MP, der auch Haltestellen bestimmte oder einen jahrzehntelangen Ausbau a la Rheintalstrecke.
Vielleicht sollten wir das Schienennetz an China auslagern?

Last edited 1 Jahr her by alter weisser Mann
Mocha
1 Jahr her

Ist es nicht so, dass die Kosten für die Strecke beim Steuerzahler geblieben sind? Kleine Reparaturen muss die Bahn erledigen, große Reparaturen der Steuerzahler.