Polen in Schieflage

Leider stellt sich die polnisch-katholische Amtskirche dem Ansinnen der Kaczynski-Partei eines politisch-katholischen Integrismus nicht konsequent entgegen. Warnt Agnieszka Gehringer.

© Dean Mouhtaropoulos / Getty Images
Ministerpräsidentin Beata Szydlo

Nach Victor Orban in Ungarn versucht nun die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein autoritäres Regierungssystem zu installieren. Das verspricht für Polen nichts Gutes. Denn die parlamentarische Mehrheit wird missbraucht, um die Gewaltenteilung, die Pressefreiheit sowie Minderheitsrechte zu beschädigen. Das Ziel besteht darin, politische und weltanschauliche Konkurrenz in der Gesellschaft auszuschalten und gesellschaftlichen Pluralismus zurückzudrängen. Dadurch werden Recht und Freiheit in Polen ernsthaft gefährdet. Polen hat in seiner Vergangenheit oft unter der Beschädigung von Recht und Freiheit gelitten und unter einem Staat, der seinen Bürgern nicht einmal den Bau von neuen Kirchen erlauben wollte. Karol Wojtyla hatte gegen diese Herrschsucht und Anmaßung des Staates den Bau der Kirche in Nowa Huta durchgesetzt. Er hat die Freiheit der Kirche gegen die Anmaßungen des Staates verteidigt. Dass heute in Polen eine Partei, die sich Recht und Gerechtigkeit nennt und sich auf die Nähe zur katholischen Kirche viel einbildet,  innerhalb weniger Monate nach einer gewonnenen Wahl Recht und Freiheit mit Füßen tritt und die Anmaßungen des Staates zu neuen Höhen treibt, hätte ich mir vor einem Jahr nicht vorstellen können.

Im Mai 2015 wurde der PiS-Kandidat, Andrzej Duda, in den Stichwahlen zum Präsidenten der polnischen Republik gewählt. Fünf Monate später, im Oktober 2015, gewann die Kaczynski-Partei die absolute Mehrheit im polnischen Parlament.

Seit Anfang diesen Jahres finden zahlreiche Demonstrationen in ganz Polen statt. „Für deine Freiheit!“, „Demokratie schützen!“ und „Rights“ heißen die Forderungen auf den Plakaten. Auch international wachsen die Sorgen. Zuletzt sind die Rechtsexperten des Europarates der Venedig-Kommission zum Schluss gekommen, in Polen sei der demokratische Rechtsstaat gefährdet. Der radikale Tonwechsel im Land, das bis vor kurzem als ein Erfolgsbeispiel einer aufsteigenden Macht in der EU gesehen war, beunruhigt mich zutiefst.

Auch die Sorgen von Investoren werden an der Warschauer Börse bereits spürbar: Seit Mai 2015 verlor der WIG Aktienpreisindex rund 20 Prozent.

Macht statt Recht

Was ist in Polen plötzlich los? Will man doch nicht nur „die polnische Gesellschaft in einen Zustand von Gleichgewicht und Gleichheit bringen“? (so Jaroslaw Kaczynski in einem Interview im Februar 2016). Will man stattdessen einfach nur Macht? Absolute Macht für eine Partei? Hätte Karol Wojtyla das gewollt?

In den ersten hundert Tagen an der Macht hat die PiS-Regierung von Ministerpräsidentin Beata Szydlo vornehmlich Gesetze verabschiedet, die der Regierung die Kontrolle über die wichtigsten polnischen Institutionen gewähren. Neben dem sogenannten „kleinen“ Mediengesetz, das die führenden polnischen Medien unter Regierungskontrolle stellte, wurde ein Gesetz über die Geheim- und Sicherheitsdienste so formuliert, dass die zuständigen Organen ihre Kontrolle ohne Gerichtsüberwachung durchführen können. Unbeachtet aller Kritik wurden die Führungspositionen in den Sicherheitsdiensten mit Personen besetzt, die in der Vergangenheit rechtliche Kompetenzen mehrfach überschritten haben. Zum neuen Koordinator für die Spezialdienste wurde Mariusz Kaminski, ein enger Vertrauter von Jaroslaw Kaczynski, ernannt, obwohl er im März 2015 wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Gefängnis und zehn Jahren Ausschluss von allen öffentlichen Ämtern verurteilt worden ist. Dieser „Schönheitsfehler“ wurde dann vom Präsidenten der Polnischen Republik durch Begnadigung aus der Welt geschafft. Das Instrument der Begnadigung ist in der polnischen Verfassung allerdings nur Mittel für humanitäre Zwecke vorgehen, nicht für die Begünstigung politischer Mitstreiter.

Auf ähnlich wackligen Füßen steht die Position der Regierung im Streit um die Reform des Verfassungsgerichts, die bisher für die größte Kontroverse in der Öffentlichkeit sorgte. Das Verfassungsgericht hat die Aufgabe, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und selbst einer demokratisch gewählten Regierung im Allgemeininteresse Grenzen zu ziehen, wenn sie die Verfassung verletzt. Für die PiS ist das Verfassungsgericht jedoch eines der größten Hindernisse, um die eigene Macht unbegrenzt weiter ausweiten zu können. Das Verfassungsgericht würde vermutlich die Kernbeschlüsse der beiden Gesetze über Medien und Sicherheitsdienste beanstanden.

Kaczynski bei der Verschmelzung von Glaube und Macht

Die Unbequemlichkeit des Verfassungsgerichts hat für Kaczynski und seine Partei jedoch noch eine wichtigere Dimension. Seit Jahren verlangt Kaczynski eine Verfassungsänderung, durch welche nicht nur das Parlament geschwächt, sondern der polnische Staat in einen christlichen Gottesstaat verwandelt werden soll. Dabei gehen Kaczynski und seine Partei sogar soweit, die Grundeinsichten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu verraten. Im Einklang mit der Verurteilung der sogenannten Theologie der Befreiung durch unseren Papst Johannes Paul II. schreibt Papst Benedikt XVI. 2007 im ersten Band seines Jesus-Buches: „Der Kampf um die Freiheit der Kirche, der Kampf darum, dass Jesu Reich mit keinem politischen Gebilde identisch sein kann, muss alle Jahrhunderte geführt werden. Denn der Preis der Verschmelzung von Glauben und politischer Macht besteht zuletzt immer darin, dass der Glaube in den Dienst der Macht tritt und sich ihren Maßstäben beugen muss“ (S. 69). Doch Kaczynski und seine Partei wollen gerade diese Verschmelzung von Glauben und Macht. Sie schlagen die Mahnungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in den Wind, leugnen, dass der Glaube nur freiwillig angenommen werden darf, und wollen die Verschmelzung von Glauben und Macht in der polnischen Verfassung erzwingen, um der polnischen Gesellschaft einen christlichen Lebenswandel durch Zwang vorzuschreiben. Deshalb war und ist für die PiS-Regierung die Ausschaltung des Verfassungsgerichts unverzichtbar. Vorerst führte dieser Versuch aber zur Verfassungskrise in Polen.

Initiiert durch einen Streit über die Zusammensetzung der Verfassungsrichter, nahm die Spannung zwischen der PiS und dem Verfassungsgericht deutlich zu, als die Regierung nicht nur die Entscheidungen des Gerichts ignorierte, sondern seine Funktionsweise so änderte, dass das Gericht in seinen zentralen Aufgaben entmachtet wurde. Die Rechtsfälle sollen nun sequenziell und nicht nach der vom Verfassungsgericht definierten Wichtigkeit ablaufen. Das Gericht soll immer mit einem Quorum von 13 aus 15 Richtern und in voller Besetzung entscheiden, obwohl bisher rund 90 Prozent der Fälle in kleinen Einheiten von drei bis fünf Richter zur Prüfung standen. Schließlich ist nun zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit eine Zweidrittelmehrheit notwendig. In seiner Prüfung vom 9. März hat der Verfassungsgerichtshof das Gesetz aufgrund von „höchst irrationalen Kriterien“  zur Erfüllung seiner Aufgaben als verfassungswidrig erklärt. Auch dieses Urteil wurde von der Ministerpräsidentin Szydlo – trotzt der verfassungsrechtlichen Veröffentlichungspflicht – bis heute ignoriert.

Damit hat die Regierung ihr wichtigstes Kontrollorgan ausgeschaltet und den Verfassungsstaat lahmgelegt. So ist der Weg für PiS frei, um die polnische Gesellschaft Schritt für Schritt im Sinne ihres politisch-katholischen Integrismus gleichzuschalten. Leider stellt sich aber auch die polnisch-katholische Amtskirche diesem Ansinnen eines politisch-katholischen Integrismus nicht konsequent entgegen. Dieser politisch-religiöse Integrismus hat indes wenig mit der Lehre der römisch-katholischen Kirche gemein, sondern vielmehr mit der evangelisch-protestantischen Einheit von Thron und Altar. Ich glaube nicht, dass  Karol Wojtyla das gewollt hätte.

Gastautorin Agnieszka Gehringer ist Senior Research Analyst am Flossbach von Storch Research Institute in Köln.

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