Die Inflation frisst die Mittelschicht auf – und die Politik schaut zu

Die aktuelle Inflation wird das Schrumpfen der Mittelschicht weiter beschleunigen. Der Staat schützt sie nicht davor, sondern trägt mit seiner horrenden Abgabenlast noch dazu bei. Von Julian Marius Plutz

IMAGO / Westend61
Symbolbild

Die Erzählung der alten Bundesrepublik zum Wort Mittelschicht geht etwa so: Früher konnte sich ein jeder Handwerker ein Eigenheim leisten. Die Ehefrau brauchte auch nicht zu arbeiten, es sei denn, sie wollte unbedingt. Ihre Aufgabe galt der Heimarbeit und der Erziehung. Entsprechende Fernsehwerbungen, etwa von Dr. Oetker, manifestierten dieses Bild.

Was Mittelschicht bedeutet, ist am einfachsten am Einkommen festzumachen. So gilt ein Single zur Mittelschicht, wenn er zwischen 1620 und 2040 Euro netto verdient. Bei Paaren ohne Kind beläuft sich der Wert zwischen 2430 und 4560 Euro. Mit jedem Kind erhöht sich der Definitionswert auf bis zu 6380 Euro monatliches Einkommen.

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Heute, so scheint es, hat die Erzählung des einfachen Handwerkers, der nach der Lehre und ein paar Jahren sein eigenes Haus baut, keine Bedeutung mehr. Und in der Tat liegt die Wohneigentumsquote in Deutschland bei nur rund 50 Prozent. Zum Vergleich: In Rumänien liegt diese bei 96 Prozent, in Spanien bei 77 Prozent, in Frankreich immerhin noch bei 66 Prozent. Nur die Schweiz ist mit knapp 43 Prozent darunter. Woran liegt das?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen hat Deutschland traditionell hohe Bau- bzw. Kaufnebenkosten. So liegt die Grunderwerbsteuer je nach Bundesland zwischen 3,5 und 6,5 Prozent des Preises. Hinzu kommen Maklercourtagen und Notargebühren, die den Erwerb künstlich verteuern. So scheitern gerade junge Familien an den hohen Hürden der Finanzierung. Der immer noch historisch niedrige Zinssatz hilft da wenig, wenn bereits die Kaufnebenkosten unüberwindbar hoch sind.

Dies allein kann jedoch kein Argument sein, dass die Mittelschicht immer kleiner wird, waren doch die Kosten für den Bau und Erwerb von Wohneigentum in Deutschland schon immer recht hoch. So lag der effektive Jahreszins 1980 bei 11,5 und 22 Jahre später, 2002, bei immer noch 5,5 Prozent. Heute können potenzielle Bauherren je nach Bonität unter 2 Prozent einen Kredit aufnehmen.

Löhne können die Inflation nicht kompensieren

Dennoch ist die Wohneigentumsquote in Deutschland in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger konstant geblieben. Und dennoch schrumpft laut einer aktuellen Studie von Bertelsmann die Mittelschicht. 2018 zählten 64 Prozent der Bevölkerung zur oben definierten mittleren Einkommensgruppe, was im Vergleich zu 1995 – mit damals 70 Prozent – ein Schrumpfen um sechs Prozentpunkte bedeutet.

Allein zwischen 2014 und 2017 sind 22 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 64 in die untere Einkommensschicht gerutscht – und waren damit laut der Studie arm oder zumindest von Armut bedroht. Und das, obwohl die Zahl der Erwerbstätigen seit 2011 kontinuierlich steigt.

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Der Verdacht liegt nahe, dass die Löhne nicht in dem Maße gestiegen sind, dass sie die Inflation kompensieren könnten. Zwar erhöhte sich das Einkommen von 2002 bis 2021 von rund 2700 Euro auf 4100 Euro. Inflationsbereinigt dürfte davon jedoch wenig übrig bleiben. Überhaupt ist der Median des Einkommens nur bedingt aussagekräftig, weil sich innerhalb des Durchschnitts die Zusammensetzung der Gehälter ändern kann. So werden tendenziell immer weniger Stellen in der Breite der gut bezahlten Industrie erschaffen, dafür immer mehr im eher schlechter bezahlten Dienstleistungssektor. Ferner steigen die Löhne bei den höheren Einkommen exponentiell, bei den mittleren Einkommen dagegen weniger.

Bei der aktuellen Inflation, die zu galoppieren droht, kann der Lohn unmöglich kompensatorisch wirken. Denn die knapp 8 Prozent bilden auch nur die halbe Wahrheit ab. Schon vor 10 Jahren konnte die individuelle Inflation bei 6 bis 8 Prozent liegen, obgleich die veröffentliche Teuerungsrate bei rund 2 Prozent lag, was simpel erklärbar ist: So entspricht der „staatliche“ Warenkorb, der die Preissteigerung berechnen soll, nicht selten dem eines Individuums. Eigenheimbewohner sind stets im Vorteil, was die Inflation angeht, gegenüber beispielsweise einem Bürger, der in einer Großstadt lebt und mit horrend steigenden Mieten leben muss. Auch diese Erhöhungen können Lohnsteigerungen oft nicht auffangen.

Der Staat trägt einen hohen Anteil

So erhöhte sich das Durchschnittseinkommen von Einzelhandelskaufleuten in 20 Jahren von rund 2100 Euro auf lediglich 2600 Euro. Inflationsraten von knapp 8 Prozent fressen de facto den Wohlstand dieser Beschäftigten auf. Ähnlich sieht es bei Friseuren, Industrie- und Bürokaufleuten aus. Jedoch gibt es auch andere Beispiele. Das Einstiegsgehalt bei Krankenpflegern beträgt je nach Träger zwischen 2400 Euro und 2900 Euro. Nach 10 Jahren Berufserfahrung kann die Fachkraft mit einem Gehalt von rund 3700 Euro rechnen. Doch auch bei diesem vergleichsweise hohen Sprung dürfte bei einer Inflationsrate von 8 Prozent und mehr kaum mehr etwas übrig bleiben.

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Klar ist aber auch, dass der Staat mit seiner horrenden Abgabenlast einen großen Anteil trägt. Ein Single mit mittlerem Einkommen muss rund 39 Prozent seines Gehalts in Form von Steuern und Sozialbeiträgen an den Fiskus abführen. Das ist die höchste Belastung unter allen OECD-Ländern, deren gesamter Schnitt bei 25 Prozent liegt. Rechnet man Mehrwertsteuer, Grundsteuer, Beiträge zur Müllentsorgung und zum Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, Kfz-Steuer und der Dinge mehr dazu, so kann es sein, dass eine einzelne Person bis zu 80 Prozent Belastung ertragen muss. Hier hätte der Staat Spielraum.

Und auch wenn es Ausnahmen gibt, so kann man der These einer schrumpfenden Mittelschicht nur zustimmen. Die Baukosten bleiben hoch, während die Löhne zwar steigen, aber von den steigenden Verbraucherpreisen aufgefressen werden. Der Staat indes trägt sein Übriges dazu bei, indem er nicht bereit ist, von seiner hohen Abgabenlast abzusehen und die Bürger zu entlasten. Das würde der schrumpfenden Mittelschicht sofort helfen. Neben dem ökonomischen kommt auch der soziale Druck hinzu. Menschen fühlen sich abgehängt und von der Politik im Stich gelassen. Dies evoziert entweder sinkende Wahlbeteiligung oder den Erfolg radikaler Parteien.

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Kommentare ( 82 )

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Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Na ja, aber die meisten Bürger wählen umverteilende Parteien und Politiker. Anscheinend wollen sie es so.

Ante
1 Jahr her

Währungspolitik macht die EZB. Ausgabenkürzungen sind das A & O, wenn Einnahmen nicht einfach erhöht werden können. Ausgabenkürzungen bedeuten Umverteilung. Das ist nicht gewollt.

Mausi
1 Jahr her

„Hier hätte der Staat Spielraum.“

„Der Staat“, sprich unsere Regierungen haben überhaupt nur Spielraum, wenn sie sich um die Kürzung und nicht die Ausweitung der Ausgabenseite kümmern würden.

Solange sie das nicht tun, haben die uns Regierenden und damit der Staat niemals Spielraum.

Solange das den Bürger für die Wahlen nicht interessiert, gibt es keine Spielräume. Nur die Pleite.

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Helfen.heilen.80
1 Jahr her

Zu Mittelstand rechne ich u.a. Leute, die versuchen bleibende Werte zu schaffen und diese weiterzugeben. Sie bauen im Lauf des Lebens evtl. ein Haus oder gründen eine Firma. Zwangsläufig sind sie eher konservativ, bringen starke Leistung und Verzicht. Mir fällt keine Partei ein, die diese Menschen heute noch vertreten würde. Was soll sich eine familiengeführte Bäckerei, Glaserei, Apotheke etc. von der CDU erwarten? Der Parteivorsitzende scheint, eingedenk seiner Vita „in grösseren Dimensionen“ zu denken, Söder gleich im Windschatten. Mittelstand? Vergangenheit! Viele haben sich von der FDP in einem Anflug von Nostaligie was völlig anderes erwartet, als diese Show. Der FDP… Mehr

hoho
1 Jahr her
Antworten an  Helfen.heilen.80

Ich weiß, dass es nur eine Anekdote ist, aber der einzige Unternehmer den ich kenne wählt grün. Ich meine echt grün und nicht schwarz das dann doch grün wird oder so. Er wählt aus Überzeugung grün und kämpft gegen Nazis noch dazu. Interessanterweise er spricht sogar mit mir. Sein Umgebung ist da weniger verständnisvoll, deshalb halte ich mich eher fern.

Last edited 1 Jahr her by hoho
Elli M
1 Jahr her

Da die bundesdeutsche Wählerschaft ja zu über 80% die Verursacher wieder und wieder wählt, scheint die Ausplünderung der Bürger sowie umfassende Zerstörung der deutschem Wirtschaft und Gesellschaft ja kaum jemanden zu stören. Wenn jetzt noch der allerletzte Rest funktionierender Infrastruktur und Lebensmittelproduktion zerstört wird, haben die nationalen und internationalen Deutschland- und Deutschen(selbst)hasser ja endlich ihr Ziel erreicht. Die staatstragende und -sichernde Mittelschicht sowie der Mittelstand waren da schon lange im Weg.

Werner Geiselhart
1 Jahr her

Der größte Teil ist auf die ideologisch gewollte Verknappung und Verteuerung der Energie, genannt Energiewende, zurückzuführen. Dieser Prozess dauert schon einige Jahre, wurde aber in den letzten Jahren durch massiven Rückbau von billigen und sicheren Kern- und Kohlekraftwerken und zusätzlichen immensen Abgaben auf diese Energien und die Mineralöle exponentiell verteuert. Putins Aggression setzte dem nur noch einen Batzen drauf. Dem deutschen Energiemarkt fehlt durch die linksgrünen Kahlschläge jegliche Resilienz, die kleinste Krise bringt ihn zum Stottern, eine größere zum Einsturz. Letztendlich ist Energiemangel und Verteuerung der alles auslösende Faktor für Inflation, jegliche Produktion ist energieabhängig, Düngemittelherstellung benötigt Kohlenwasserstoffe als Rohstoff… Mehr

Dieter
1 Jahr her
Antworten an  Werner Geiselhart

wenn man bedenkt, das viele der Faktoren, welche aktuell die Inflation hervorrufen durch unsere eigene Politik offensichtlich bewußt gemacht werden… Die Energieversorgung mit Gas und Öl wäre sicher, wenn wir sie nicht selbst abdrehen würden. Russland hat die Verträge immer eingehalten, die Abnahme wird von uns verweigert im Tausch gegen die Abnahme aus diversen Ländern, die nicht einmal moralisch besser dastehen. Die aktuellen Treibstoffpreise sind Reingewinn für die Ölmultis und den Staat (Umsatzsteuer..) da der Rohölpreis nur ca 60% des Preises von 2008 beträgt. Damals waren wir bei über 150$/Barrel, heute sind wir gerademal bei 100.$/Barrel. Und insbesondere aus diesen… Mehr

Kaltverformer
1 Jahr her

Solange Sie noch Geld für den Kampf gegen Räächts, für Batterieautos, Windkraft und Photovoltaik haben, solange noch „Wir haben Platz“ geschrien wird und alle Minderleister dieser Welt herzlich eingeladen werden, am Sozialbeutel Deutschlands anzudocken, solange ist noch genug Mittelschicht da.

Proll27
1 Jahr her

Der Ruin der Mittelschicht ist genau das Ziel dieses Regimes. Um etwas anderes geht es nicht. Die Abhängigkeit vom Staat muss vergrößert werden. Wer selber denkt und plant wird zum Staatsfeind erklärt.

erwin16
1 Jahr her
Antworten an  Proll27

Glaube ich nicht, das ist reine Unfähigkeit! Heute wird wie zu Ostzeiten „Wirtschaftspolitik“ von Leuten gemacht, die null Erfahrung und Wissen vom wirtschaftl. Betrieb haben/hatten, aber eine „Haltung“ hauptamlicher Parteiadel. Der Unterschied zum Osten, der Osten war mehr oder weniger autark und Fehlentscheidungen haben alle zu spüren bekommen! Trotzdem führte das zum Bankrott. Die Politik hat aus reinem moralischem Anspruch ganz viele Entscheidungen getroffen, die große wirtschaftl. Auswirkungen haben und die werden jetzt immer mehr sichtbar…..der große Wellenberg kommt noch! Beim Tsunami ist auch erst das Wasser weg und dann kommt der steile Wellenberg! Ich arbeite in der Lw und… Mehr

Last edited 1 Jahr her by erwin16
Demokrat1
1 Jahr her
Antworten an  Proll27

Unsere Freiheitliche Grundordnung ist denen ein Dorn im Augo.

Dieter
1 Jahr her

ich sehe eine deutliche Zunahme der Insolvenzen und Pfändungen. Jede Woche trudelt wieder ein neuer „gelber Brief“ ein. Das hat in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Ergebnis: warum soll ich mich bei der Arbeit noch anstrengen um Boni o.ä zu erreichen, wird doch eh alles gepfändet, oder bei „zu viel“ verdienen werden Wohngelder , Familienunterstützungen etc gestrichen, so das teilweise Lohnerhöhungen von seiten des Arbeitgebers abgelehnt werden.Bei diesen würde nahezu die Hälfte eh abgezogen werden, und 200€ mehr Lohn bedeuten heute ggf 1000€ weniger staatliche Transferleistungen für die ganze Familie. Bei Einigen stellt sich dann irgendwann die Frage: warum überhaupt… Mehr

H. F. Klemm
1 Jahr her

Ein Blick in die Währungshistorie Deutschlands und die Erzählungen der Generation der Erlebenden, z.B. meiner Grosseltern – neudeutsch Grosselter 1 bis Grosselter 4 – hat mir schon als Jugendlicher ausgereicht, festzustellen das „Inflation“ nichts Gutes sein kann, wenn zum morgendlichen Broteinkauf auf dem Hinweg zur Bäckerei der Brotkorb als Transportbehälter des Bargelds nötig war. Überbleibsel der Währung befanden sich als Papiergeld jahrelang noch in einer Küchenschublade, mit RM-Werten, in denen heute die monatlichen Diäten unserer Politikergeneration mit einem Schein täglich ausgezahlt werden könnten. Als aber mit Einführung des „€uro“ nicht nur die Preissteigerungen, z.B. in der Gastronomie eine nahezu 1:1-Übernahme… Mehr

Last edited 1 Jahr her by H. F. Klemm