Der Nerv des Jürgen Trittin

Bei „Markus Lanz“ (ZDF) wurde der Altgrüne Jürgen Trittin plötzlich mit unerwartetem Widerspruch konfrontiert: ein Historiker machte ihm klar, dass seine Partei das Klima erzeugt hat, unter dem sie jetzt auch ein bisschen leidet

Screenprint: ZDF/Markus Lanz

Für die ganz neue Erfahrung, dass sie, die Grünen, heute nicht mehr trillernd und rufend draußen stehen, wenn die Vertreter der Macht sich irgendwo versammeln, sondern sie selbst – zu einer Art mentaler Dominanz im Land aufgestiegen – pfeifende und rufende Protestler aushalten müssen, haben Grüne Spindoktoren schnell einen neuen Spruch gefunden: „Die Demokratie hat ein Problem, nicht die Grünen.“ Dieser Satz fiel auch in der letzten Sendung von Markus Lanz, an der die Verkörperung der Partei schlechthin teilnahm, nämlich Jürgen Trittin, auf der anderen Seite der Mainzer Historiker Andreas Rödder, einer der Liberal-Konservativen in der CDU, der vielen Funktionären heute peinlich ist. In der Sendung ging es um die Proteste gegen eine Grünen-Veranstaltung in Biberach (wo es eine Strafanzeige gegen einen Teilnehmer gab, keine 17 wie in Münster, als fast zeitgleich ein buntes Bündnis gegen eine AfD-Veranstaltung protestierte). Im fränkischen Aidenbach hupten einige Traktorfahrer vor dem Versammlungsort des Grünen-Kreisverbandes.

„Ich glaube“, meinte Trittin, „dass wir vor einer Situation stehen, wo die Demokratie sich fragen muss, ob sie die Wehrhaftigkeit hat, die sie braucht, um gegen solche Gewalttäter vorzugehen.“ Er fand, wenn heute Ricarda Lang, Omid Nouripour und Cem Özdemir Pfeifkonzerte erleben müssten, dann, so der Altgrüne, „tobt sich wirklich blanker Rassismus aus“. Welche spezielle Form von Rassismus seiner Ansicht nach Ricarda Lang trifft, erklärte er nicht näher.

Rödder erinnerte an eine andere Veranstaltung: den Protest gegen das Habecksche Heizgesetz in Erding im Sommer 2023, als viele Leute außerhalb der grün-urbanen Zentren ihrem Ärger über die Bevormundung durch die Transformationspolitiker Luft machten. „Erding“, so Rödder, „war ikonisch.“ Dort hätten die Leute „nichts anderes getan, als das anzusprechen, dass eine zunehmende Zahl der Menschen den Eindruck hat, sie können ihre Meinung nicht mehr frei äußern.“ Und: „Er hat diesen Nerv getroffen, dass demoskopisch gemessen mehr und mehr Menschen in diesem Land den Eindruck haben, dass sie ihre Meinung nicht mehr offen sagen können.“

Trittin hielt die Kundgebung in Erding ebenfalls für einen wichtigen Umschlagpunkt: Das sei die „Einleitung eines Prozesses zur Enthemmung des politischen Diskurses“ gewesen. Damit machte er eigentlich gar nicht mehr nur indirekt deutlich: Was Diskurs ist, und worüber er geführt wird, bestimmen in diesem Land die Grünen zusammen mit eng alliierten Medienvertretern. Jedenfalls erheben sie diesen Anspruch. Wer davon abweicht, der „enthemmt“. Trittin argumentierte mit der Standardphrase, natürlich dürfe „man“ in Deutschland alles sagen. (An der Stelle fragte sich der eine oder andere Zuschauer vielleicht, warum er dann mit seinem Steuergeld dutzende Meldeportale für Äußerungen „unter der Strafbarkeitsgrenze“ finanzieren darf). Ein Profi-Politiker der Union oder FDP hätte vermutlich an dieser Stelle Trittin vollinhaltlich zugestimmt. Rödder nicht. „Natürlich dürfen Sie alles sagen“, meinte er: „Es geht nicht darum, ob man etwas sagen darf, oder nicht. Sondern die Frage ist: darf ich etwas sagen und kriege dafür vielleicht Widerspruch, oder darf ich etwas sagen und ich werde dafür als Nazi, als Menschenfeind, als Klimaleugner, als transphob oder als Rassist etikettiert? Und mehr und mehr Menschen fühlen sich ausgegrenzt durch diese Art der Moralisierung. Und das ist das, was die Stimmung insgesamt so anheizt.“

Damit hatte er im Wesentlichen beschrieben, wie öffentliche Debatten in Deutschland üblicherweise orchestriert werden: Immer nach der gleichen Melodie, die der wohlmeinende grün-mediale Komplex vorgibt. Mit dieser Feststellung traf er wiederum den Nerv des Jürgen Trittin. Statt über Sinn und Unsinn von Wärmepumpen zu streiten – um auf Erding zurückzukommen – läuft die Auseinandersetzung bei dem geringsten Widerspruch gegen grüne Pläne auf einen Endkampf zwischen gut und böse zu, besetzt nach Schema F: dort die protestierenden Demokratiefeinde, da die Bewahrer der politischen Kultur.

Auch wenn Trittin jetzt nach 25 Jahren im Bundestag in Pension geht – das extrem verzerrte Selbstbild der Grünen als Kämpfer gegen die dunkle Macht ist ungebrochen. Sie möchten zwar autoritär bis in den Heizungskeller und den Kühlschrank der Bürger hineinregieren – aber gleichzeitig gemocht werden, als wären sie noch die etwas verzottelte Strickliesel-Truppe, die zu Helmut Kohls Zeiten in den Bundestag zog.

Irgendjemand muss der Generation nach Trittin schonend beibringen, dass nicht beides geht.

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Kommentare ( 57 )

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57 Comments
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murphy
9 Monate her

Leo Tolstoi sagte dazu:
Dogmatiker –
mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren,
man kann ihnen Nachsicht angedeihen lassen,
sie bedauern,
zu heilen versuchen,
aber man muss sie als Geisteskranke betrachten und
darf mit ihnen nicht streiten.
… und Lanz müsste es wissen, und sollte es klar sagen. Aber 1,9 Mio € im Jahr machen die Anwendung dieser immer schon vorhandenen Erkenntnis etwas schwierig.

Last edited 9 Monate her by murphy
CaTo23
9 Monate her

Jetzt kommen mir aber die Tränen Herr Trittin bei der ganzen grünen Larmoyanz. Ich bin alt genug, um mich an die „wundervolle“ und „kreative„ Protestkultur der Grünen in den 80er und 90er Jahren zu erinnern. Die DNA der Grünen ist Protestpartei. Da war Gewalt gegen Personen und Eigentum immer probates Mittel um grüne Ziele durchzusetzten. Stichwort Startbahn West, Brockdorf, Wackersdorf und nicht zu vergessen Gorleben. Dort wurden 1986 Angestellte des Atom Zwischenlagers in Schach gehalten und konnten das Gelände tagelang nicht verlassen, Polizisten wurden mit Steinschleudern und Molotowcocktails verletzt. Das Gleisbett der Bahn wurde „geschottert“, also die Steine entfernt, um… Mehr

joker13
9 Monate her
Antworten an  CaTo23

Bei dessen Salär nach 25 Jahren im Bundestag und den „kleinen“ Nebeneinkünften braucht man sich nicht zu wundern daß er und seinesgleichen auf die „normalen“ Bürger scheis….
Deutschland ist mittlerweile das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“: Vom Tellerwäscher zum Millionär? Paaaah… Bei uns gilt: Vom Callcenter-Mitarbeiter über die Talkshows in den Bundestag bzw. von der Uni direkt ins Parlament …

steadyrollingman
9 Monate her

Die Angst, aufgrund seiner Meinung kaltgestellt zu werden, zeigt der Mahner Rödder selbst. Ziemlich gegen Ende der Sendung wird er von Lanz gefragt, ob sich ein CDU-Politiker mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen wählen lassen sollte. Da fängt er an rumzueiern anstatt klar „ja“ oder „nein“ zu sagen. Ziemlich naiv fand ich auch seine Meinung zum Abstimmungsverhalten bei Gesetzesvorlagen Als gäbe es keine Hintergrundgespräche zwischen Politikern.

Klaus Uhltzscht
9 Monate her

„Grüne“ erzieht man nicht. „Grünen“ entzieht man die Finanzströme; zerstört ihre Symbiose mit dem Finanzkapital und der Kommunistischen Internationale. Nie wieder darf es eine Machtergreifung der „Grünen“ geben, diesem Vogelschiß in der deutschen Geschichte.

August der Starke
9 Monate her

Der Volksvertreter Trittin – 25 Jahre Bundestag mit diversen Nebenpöst- chen ergeben, wenn man 15 000 monatlich im Durchschnitt berechnet, die hohe Wahrscheinlichkeit, daß der Herr Millionär ist. Außer an un- sinnigem Flaschenpfand (8 cent!) und den für Dosen, kann ich mich kei- ner besonderen Leistung seinerseits erinnern. Auf meine Rente nach 51Jahren zum Teil schwerster Arbeit, muß ich im Jahr 1200€ Steuern blechen, obwohl mein erwerbliches Einkommen bereits versteuert wurde. Ja, Deutschelande bietet Auserwählten wahrhaft paradiesische Verhältnis- se. Warum werden Abgeordnete nicht nach Leistung bezahlt? Wie kann es sein, daß Bundestagsanfänger mit 23 Jahren den warmen Sessel im Parlament… Mehr

maien40
9 Monate her

Das erinnert mich an denen Spruch eines Autofahrers nach einer Verkehrsfunk-Durchsage:

Nicht ein Geisterfahrer Tausende

Jack
9 Monate her

Menschen sind unterschiedlich.
Der Grundbau Professor in meinen Ingenierstudium pflegte zu sagen dem Sinne nach: „wenn sie reden wollen, gehen sie drei Flure weiter, da sitzen die Sozialwissenschaftler, da können sie den ganzen Tag reden, hier müssen sie belegbare Entscheidungen treffen und dafür dann auch die Verantwortung übernehmen“. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt hatte, in welche Positionen diese Sozialwissenschaftler kommen können und dabei keine wirkliche Verantwortung übernehmen. Eine ungute Entwicklung war, dass wir Ingenieure und andere MINT-Absolventen oft das Feld der Rede den Anderen überlassen haben.

Last edited 9 Monate her by Jack
Apfelmann
9 Monate her

Ich bin so gespannt wenn die CDU dann an der Reihe ist. Z.b. das Heizungsgesetz, jetzt haun die CDUler drauf rum. Ich bin gespannt wenn sie das mal abschaffen, was ich nicht glaube, weil ihnen halt auch nichts besseres einfällt.

H.D.
9 Monate her
Antworten an  Apfelmann

Zum Heizungsgesetz braucht einem nichts Besseres einfallen. Das gehört ersatzlos gestrichen. Wie so viele andere Dinge.

Last edited 9 Monate her by H.D.
Apfelmann
9 Monate her
Antworten an  H.D.

Genau, lassen wir doch den Gebäudesektor aussen vor und drücken die CO2 Einsparung noch zusätzlich der Industrie und den Landwirten drauf. Tolle Idee.

Michael Palusch
9 Monate her
Antworten an  Apfelmann

Wozu sollte denen „besseres einfallen“? Es genügt vollauf, dieses Gesetz einfach in den Papierkorb zu werfen und den vorherigen Stand wiederherzustellen.

Luise L.
9 Monate her

Das Letzte, was die Grünen brauchen, sind „schonende“ Infoformationen.
Das krasse Gegenteil ist die einzige Sprache, die dieser Haufen arroganter Ignoranten und Komplettversager versteht.
Sie hatten ihre Chance….total vergeigt…will man in diesem Land und für dieses Land noch zumindest das Geringste retten, muss umgehend Schluss sein mit dieser Truppe an den Schalthebeln der Macht!

Der einzige Platz für die Grünen ist maximal die APO.

Kuno.2
9 Monate her
Antworten an  Luise L.

Das reicht nicht, denn die Sozialdemokratisten und der DGB marschieren infolge der selbst falsch gestellten Weiche auf demselben Irrweg! Auch der DGB „fordert“ 500 bis 600 Milliarden von den Unternehmen in Bereiche zu investieren die keinerlei Gewinn abwerfen werden.

bkkopp
9 Monate her

Dabei war schon die Strickliesel-Truppe eine Verhöhnung und Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie. Die Stricklieseln fühlten sich nämlich nicht als verantwortliche Vertreter der Bürger, oder gar ihrer Wähler, sondern als Machtinhaber zugunsten ihrer ideologischen Programmatik, und der Parteigremien. Sie begannen die Abgeordneten Quotenregelungen der Partei zu unterwerfen, was durch keine Verfassung vorgesehen ist, und sie begannen Mandate innerhalb der Amtszeit zu rotieren. Diese staats- und bürgerfeindliche Ideologie haben sie nie aufgegeben. So kommt dann ein als Frau verkleideter Mann, langjährig mit einer Frau verheiratet und Vater von zwei Kindern, auf der Frauenquote auf die Parteiliste und dann in den BT. Der… Mehr