Kritischer 3sat-Beitrag zur Corona-Politik: Auftakt zur kritischen Aufarbeitung?

Ein Beitrag im Spartensender 3sat lehrt das Wundern über einen öffentlichen Diskurs, der fest eingemauert schien. Nach der Politik zeigen auch die Öffentlich-Rechtlichen erste Spuren des Zweifels an drei Jahren „Pandemie-Politik“. Die Kritiker werden gehört. Der Ruf nach Aufarbeitung wird lauter, vielleicht sogar im Deutschen Bundestag.

Screenprint: 3sat kulturzeit
Und plötzlich funktioniert das Zuhören wieder. Zumindest in den kleineren Kanälen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dringen gelegentlich Splitter einer anderen Weltsicht, als man sie dort gemeinhin dem zahlenden Volk serviert, durch. Ein Beitrag im täglichen Kulturmagazin Kulturzeit des deutsch-schweizerisch-österreichischen Spartensenders 3sat macht vor, wie Aufklärung in Sachen Pandemie-Politik angehen könnte – wie sie gegangen sein könnte.

Ausgangspunkt sind hier die Stimmen der Kritiker an den bekannten „Maßnahmen“. In Bertolt Brechts gleichnamigem Stück (Die Maßnahme, 1930) geht es bekanntlich darum, dass sich ein junger sowjetischer Kommunist von seinen Genossen töten lässt, um eine Propaganda-Operation in China zu tarnen. Die Frage wird gestellt: Wie weit darf die Revolution in der Verletzung moralischer Grundsätze gehen, um den eigenen Erfolg zu sichern?

Der Kulturzeit-Beitrag beginnt mit einer Erzählung: „Vor drei Jahren“ machte der Lockdown „den Ausnahmezustand zum Alltag“. Ausgangssperren, Schulschließungen führten zu einer eingesperrten Gesellschaft, die sich noch heute mit den Folgen herumschlägt. Marcus Klöckner, Mitautor der Corona-Anthologie „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen. Das Corona-Unrecht und seine Täter“, beklagt, dass es „im Grunde genommen keinerlei staatliche oder demokratische Schutzräume“ gab – und meint sicher nicht den Schutz vor einem Virus, sondern den Schutz vor den staatlichen Maßnahmen wie einer offiziellen oder auch unausgesprochenen, von allen großen Spielern (Parlament, Justiz, Medien, Kirchen, Gewerkschaften usw.) betriebenen „Impfpflicht“. Den Macher des 3sat-Beitrags nennt Klöckner „mutig“. Den Weg zu wirklicher Aufarbeitung des Corona-Unrechts schätzt er als lang ein.

Klöckner liest Exemplarisches aus seinem Buch vor: „Was es jetzt braucht, ist nicht Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet.“ Bald dürften die „Impfgegner“ als „gefährliche Sozialschädlinge“ nicht mehr in die Öffentlichkeit. So hatten Politiker und Medienschaffende in der Hochzeit von Corona getönt.

Auch im Bundestag klang es ganz ähnlich, wenn Karl Lauterbach von der „Geiselhaft“ der Geimpften durch die Ungeimpften sprach und der so sanfte Robert Habeck davon sprach, dass eine Minderheit nicht der Mehrheit diktieren könne, wie sie zu leben habe. Minderheitenschutz, Gewissensfreiheit, Unversehrtheit des Körpers? Fehlanzeige! Aussagen wie diese bebildern das Versagen der Demokratie, einen – so Klöckner – „hochgradig faschistoiden Moment in Politik und Gesellschaft“, für den sich mindestens eine laute Minderheit anfällig zeigte. Das einsame Dahinsiechen und Sterben in Krankenhäusern und Altenheimen beschreibt Klöckner als eine Konsequenz dieses Moments, die Zerstörung ökonomischer Existenzen als eine andere. Der Raub der Jugend an einer ganzen Generation stellt einen dritten Fall dar.

Die späte Erkenntnis der Medien-Mittelmäßigen

Ranga Yogeshwar warb mit Pflaster auf dem Arm für einen innovativen medizinischen Eingriff, weil „Impfen schlauer ist“. Heute ist Yogeshwar schlauer. Er hätte kritischer sein müssen, gibt er im Gespräch mit Kulturzeit zu: „Ich hätte kritischer sein müssen in Bezug auf offizielle Stellen, ganz konkret zum Beispiel die Art und Weise, wie auch ein, zwei Jahre nach der Pandemie mit Daten umgegangen wird. Das finde ich bis heute nicht okay.“ Der Off-Kommentar ergänzt an dieser Stelle, der Wissenschaftsjournalist würde gerne wissen, wer „an oder mit Corona“ gestorben ist. Zahlen fehlen, wie auch Wolfgang Kubicki durch beständiges Nachfragen nach eben diesen Zahlen immer wieder gezeigt hat.

Daneben gibt es laut dem 3sat-Beitrag auch nur wenig Erkenntnisse – geschweige denn Zahlen – zur Wirksamkeit der Maßnahmen. Wieder denkt Yogeshwar erst im Nachhinein nach: „Nicht auf eine Parkbank gehen zu dürfen, ist absurd.“ Heute erwägt er, dass er damals vielleicht „mehr die Fahne heben müssen“ hätte: „Reden wir hier von Wissenschaft und der tatsächlichen Möglichkeit einer Infektion? Oder wird hier ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen?“ Solche Kommentare darf man getrost als Ausdruck einer inneren Harmlosigkeit ansehen, die beim nächsten Grundrechtseingriff erneut monatelang nicht verstehen wird, worin er eigentlich besteht und dass er (nicht nur ein bisschen) „übers Ziel hinausschießt“. Die Medien-Mittelmäßigen ringen sich so zur Erkenntnis durch, dass „irgendetwas“ an diesem „Pandemie-Management“ nicht stimmte. Den genauen Kipp-Punkt haben sie damit noch nicht erfasst oder benannt. Und ihre eigene Unterstützung für die „Maßnahmen“ blenden sie so geschickt aus. Dabei waren es öffentliche Figuren wie Yogeshwar, die an der Ausgrenzung anderer Positionen seit der Frühphase der Pandemie mitwirkten.

Deutlichere Worte findet da die Rechtsanwältin Jessica Hamed, die den Richtern vorwirft, „hasenfüßig“ gewesen zu sein, als sie sich an die eigentlichen „großen Fragen“ nicht herantrauten: „Sie sind damit ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden.“ Richter seien sie geworden, weil sie entscheiden wollten: „Und als es darauf ankam, wie vielleicht noch nie davor, wollten sie nicht mehr entscheiden.“ Laut Hamed wurden Prozesse unnötig in die Länge gezogen und stellen heute viele davon einfach ein. Begründung: Die Corona-Maßnahmen sind ja längst abgeschafft! Jessica Hamed gehörte zu den Klägern und hat sich gemeinsam mit ihren Mandanten zur Veröffentlichung der Schriftsätze entschieden, damit die Gedanken der Kläger für jeden nachvollziehbar werden. Einer Einstellung nach dem Motto „Man wusste vieles nicht, man konnte das und jenes nicht tun“. Der Blick in die Schriftsätze strafe diese Haltung Lügen, so Hamed.

Ein „Schwamm drüber“ darf es nicht geben

Laut ihrem Twitter-Profil kämpft Hamed mit ihren Mitklägern derzeit darum, dass ihre Klagen aus der Corona-Zeit als „zulässig“ angesehen werden. Hameds wichtigste Punkte:

Es gab „nie eine Pandemie der Ungeimpften“. In dem Moment, in dem klar war, dass auch „Geimpfte“ sich infizieren können, fand Hamed weder eine Impfpflicht noch 3G-Regelungen einleuchtend und hat früh gegen die verschiedensten Regelungen Klage eingereicht.

Ein „Schwamm drüber“ der Justiz und Rechtswissenschaft dürfe es nicht geben.

„Ein Staat, der keine Kontrolle durch sein höchstes Gericht zu erwarten hat, ist gefährlich.“ Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Corona bis „Klima“ sieht sie als gefährlichen Paradigmenwechsel an.

— Jessica Hamed (@jeha2019) May 24, 2022

Wolfgang Kubicki strebt eine Enquete-Kommission des Bundestages zur Aufarbeitung der Corona-Politik an. Das ist im Grunde vornehm ausgedrückt für Untersuchungsausschuss, für den man nur ein Viertel der Bundestagsstimmen braucht. Wird ein Untersuchungsausschuss dann von der Mehrheit des Bundestags abgesegnet, wachsen freilich seine Rechte. Der Forderung der FDP hat sich nun auch die Union im Bundestag angeschlossen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Ziel müsse sein, aus Fehlern zu lernen und das Land für künftige Gesundheitskrisen zu wappnen.

Kubicki und Gesundheitsexperte Andrew Ullmann (beide FDP), der allerdings nicht durchgehend als liberale Stimme in Erinnerung geblieben ist (Stichwort „gestaffelte Impfpflicht“), wollen angeblich erreichen, dass „sich weitreichende Grundrechtseingriffe nicht mehr wiederholen“. Es soll laut Kubicki allerdings nicht darum gehen, „den Stab über Politiker zu brechen“, also anscheinend nicht über „die Politik“ und nicht über bestimmte Politiker. Inzwischen hat, wie bekannt, sogar Karl Lauterbach zahlreiche Fehler der Corona-Politik zweier Bundesregierungen eingeräumt. Das Schwarze-Peter-Spiel darf also beginnen: War es Spahn oder Lauterbach oder irgendein anderer?

Auch Marcus Klöckner, der über Corona ausgewandert ist, fordert Untersuchungsausschüsse in Bundestag und Länderparlamenten, für die auch öffentlich Druck zu erzeugen sei. Auch angesichts der schon abzusehenden Selbstlähmung der Parlamente in diesen Fragen wird die gesellschaftliche Aufarbeitung und Diskussion von besonderer Bedeutung sein. Nur das wird, wenn überhaupt, den Boden für eine gründliche politische Abrechnung bereiten können.

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