Der mediale Feldzug gegen Harald Schmidt

Wegen eines Fotos auf einem Sommerfest soll Harald Schmidt zum neuen Outlaw werden. Offenbar haben einige Medien eine Rechnung mit dem unbequemen Entertainer offen. Doch es geht um eindeutig mehr: darum, dass die Narrenfreiheit in Deutschland aufgelöst werden soll, deren Aushängeschild „Dirty Harry“ war.

IMAGO/Eibner
Die Medien wollen Harald Schmidt vernichten. Nicht ihn persönlich. Aber das, wofür er steht. Der Mythos Harald Schmidt ist ein Denkmal, das die woke Linke seit Jahren stürzen will. Sie hat Winston Churchill vom Sockel gestoßen. Wie sollte da der Nürtinger mit sudetendeutschen Wurzeln widerstehen können? Schmidt konnte es. Weil er in grenzenlosem Zynismus jeden Anwurf, jede Falle, jede Fangfrage gekonnt austrickste.

Die neusten Ereignisse um ein harmloses Sommerfestfoto kommentierten Medien und Journalisten in sich empörendem Überschwang. t-online etwa fragte: „Feiert er (Schmidt) mit Rechstextremen?“ Der Kölner Stadtanzeiger schrieb einen „Wirbel um Foto mit Matussek und Maaßen“ herbei. Journalisten vom Spiegel und öffentlich-rechtlichen Anstalten verteilten mahnende Worte oder tadelten, dass er nicht wenigstens den Eindruck erwecke, nicht „rechts“ zu sein.

Für zahlreiche Kommentatoren und Komiker neueren Schlags ist und war Schmidt ein Ärgernis. Er ließ jene, die ihn politisch entlarven wollten, seinen überlegenen Intellekt spüren. Für Freund wie Feind war er ein Pendant zu Benedikt XVI. Linke Anhänger sehen in Jan Böhmermann eine Art spirituellen Anführer, dem sie an den Lippen hängen. Aber irgendwie bleibt er doch im Hintergrund: Schmidt, der alte Eremit, dem zahlreiche Fans die Füße küssen und die Böhmermanns und Bosettis dieser Welt als Emporkömmlinge betrachten.

Das Symbol Schmidt ist dabei größer als er selbst. Denn es steht für einen Typus Entertainer, dem Politik im Grunde egal ist. Für einen guten Sketch verkauft er die Großmutter – und wenn der Auftraggeber gut zahlt, auch die andere. Bei Schmidt weiß im Grunde niemand, was er wirklich denkt. Aber gerade diese Anarchie macht ihn verdächtig. Jemand, der jeden verspottet, ist unberechenbarer als jemand, dessen Lagerbeziehung klar ist. Schmidt gehörte nie einem Lager an. Er war sein eigenes Lager. Und das Lager Schmidt eröffnete das Feuer fröhlich gegen jeden, der seinen Weg kreuzte.

Das ist in einer immer komplizierter werdenden Welt, die man sich mit der richtigen Haltung zu vereinfachen versucht, eine Form der Häresie. Jedem linken – und auch rechten – Komiker droht das Fallbeil: Harald Schmidt konnte das besser. Viele haben versucht, sein Late-Night-Format zu kopieren. Alle sind gescheitert. Dieser unruhige Geist von „Dirty Harry“ steht bei jeder Perfomance im Raum. Mit Haltung kann man weder Humor noch Talent kaufen. Kreativität setzt auch immer eine gewisse Form von kreativem Chaos voraus. Dazu kommt die Bürde: Es gibt kaum einen Gag, den Schmidt nicht gemacht hat.

Schmidt ist – und da gibt es wieder die Parallele zum Papa emeritus – ein Orientierungspunkt für viele geworden, die wissen, wie Unterhaltung, wie Fernsehen, wie „Comedy“ eigentlich funktionieren müsste. Er ist mehr als eine nostalgische Erinnerung. Als Comicus emeritus ist er jedoch unangreifbar, da er nicht mehr wöchentlich im großen Rahmen auftritt. Schmidt erinnert an eine Zeit, als Komiker Narrenfreiheit hatten. Als für einen guten Gag alles erlaubt war. Eine Vergangenheit, die den einen Sehnsuchtsort, den anderen Grauen war. Schmidt repräsentiert diese Vergangenheit wie kaum ein anderer. Und er erinnert daran: Das ist – anders als es uns die Chronisten weismachen wollen – keine graue Vergangenheit, sondern nur wenige Jahre her.

Der Anlass zur Narrenjagd zeigt die Verzweiflung des juste milieu. Liest man die Schlagzeilen, so müsste man davon ausgehen, Schmidt sei dabei erwischt worden, wie er Blumen an Mussolinis Grab gebracht hätte. Oder sich mit einem rechtsextremen Gewalttäter ablichten lassen. Oder schlimmer noch: mit Beatrix von Storch.

Doch nein: Es geht um ein simples Foto vom Sommerfest der Weltwoche. Dort hatte sich offenbar Matthias Matussek den reservierten Schmidt geschnappt und aufs Foto zusammen mit Hans-Georg Maaßen gezerrt. Wirklich überzeugt wirkt Schmidt auf diesem Schnappschuss nicht. Eher überrumpelt. Doch es reicht als Beweis. Als Beweis für was? Dass drei Personen mal bei einem Fest zusammenstehen, das kann passieren. Schmidt, Maaßen und Matussek haben sich nicht konspirativ getroffen, sondern zufällig auf einem Fest mit etwa ein paar hundert Gästen.

Aber für die Meute, die so dringlich auf irgendein Indiz hofft, um Schmidt endlich an den Kragen zu gehen, und damit die Erinnerung an das beschwingte Narrentum vergangener Zeiten zu tilgen, ist dies zweitrangig. Früher hat der König die Narrenfreiheit gewährt, selbst wenn der Narr über ihn spottete. Heute muss der Narr mindestens Parteimitglied sein. Die Partei ist dabei egal. Denn Narren kann die real-existierende Dystopie linksbürgerlicher „Der-muss-weg!“-Spießer und der aufgeregten Studienrätinnen, die empört zur Frauengruppe rennen, nicht ertragen.

Dabei zeigt der Fall vor allem eines. Der „Skandal“ kann in der Böhmermann-Republik nur auf dem Niveau einer Böhmermann-Kindergarten-Kasperei stattfinden. Der vielleicht wichtigste deutsche Komiker nach dem Ableben Vicco von Bülows und Heinz Erhardts soll von der woken Meute endlich erlegt werden, weil er einmal nicht den Fallschlingen ausweichen konnte. Weil er zusammen mit Leuten auf einem Foto – nein, nicht posierte, sondern hineinstolperte, die im besten Deutschland aller Zeiten als Geächtete gelten: ein ehemaliger Chef des Bundesverfassungsschutzes und ein ehemaliger Spiegel-Autor. Das allein fasst den Stand der Humorlosigkeit in Deutschland zusammen. Was noch letzte Woche mit Warnhinweisen beim WDR für Aufregung sorgte, soll wohl nun zu Ende gebracht werden.

Das, um was es geht, ist größer als ein paar Witze über dicke Kinder, Playmobil-Spiele und den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Wobei: Probleme mit der Vergangenheit haben die Deutschen immer noch. Gerade das zeigt der Umgang mit Schmidt, Feuerstein, Otto und Co. Eine gewisse Form der Kulturzerstörung der Elterngeneration muss wohl jede Generation durchmachen. Darunter machen es linke Weltverbesserer bekanntlich nicht.

Abzuwarten bleibt jetzt vor allem eins: wie Schmidt reagiert. Distanzierung war nie seine Sache. Im Grunde wäre ihm nur eines zuzutrauen: die Anschuldigungen zu bestätigen und nun zu behaupten, man hätte sich zwecks Parteigründung getroffen. Vielleicht eine Partei für Anarchie, Narrenfreiheit und Parteilosigkeit.

— Claudio Casula 🇮🇱🇮🇹🇬🇧🏴󠁧󠁢󠁳󠁣󠁴󠁿🇬🇷 (@shlomosapiens) August 24, 2023

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