Der Traum vom Arbeiter, der von der grünen Zukunft träumt

Die Klage gegen den verfassungswidrigen Haushalt, so die Beschwerde der Grünen, zerschlägt die Hoffnung der Hüttenarbeiter auf klimagerechten Stahl. Die neuen Anführer der Proletarier sind im Prinzip die gleichen wie früher.

IMAGO / Jacob Schröter
Robert Habeck, Britta Haßelmann und Annalena Baerbock bei der Klausur der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag am 21. März 2023 in Weimar

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu der Rechtswidrigkeit des Haushalts – genauer: dem Trickversuch, den Coronafonds von 60 Milliarden Euro einfach umzuetikettieren – nach diesem vor allem für die Grünen niederschmetternden Hinweis auf Haushaltsrecht also betritt eine neue Figur die politische Bühne: der um seine Transformationszukunft betrogene deutsche Stahlarbeiter. Das heißt, er betritt die Bühne nicht leibhaftig. Aber zumindest spricht jemand in Berlin Mitte seinen Text.

Dieser Stellvertreter des revolutionären Subjekts auf Erden heißt Andreas Audretsch, er bekleidet den Posten des grünen Fraktionsvizes, außerdem den des grünen Wirtschafts- und Finanzsachverständigen im Parlament. In diesen Funktionen klagte er im Bundestag die Union und besonders Friedrich Merz an, weil der durch die Klage in Karlsruhe 60 schon fest für die Subventionierung von grünem Stahl, „den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft“ (Robert Habeck) und andere gute Dinge verplanten Milliarden weggehext hätte. „Wie erklärt er das dem Stahlarbeiter, der die Hoffnung hat, künftig für guten Lohn klimaneutralen Stahl zu produzieren?“ fragte Audretsch mit Tremolo in den Saal: „Merz Populismus ist zerstörerisch.“

Wie erklärt er das dem Stahlarbeiter, der die Hoffnung hat, künftig für guten Lohn klimaneutralen Stahl zu produzieren?

Merz Populismus ist zerstörerisch. (1/2) pic.twitter.com/R5VNZHtTBZ

— Andreas Audretsch (@AnAudretsch) November 19, 2023

Bei dem Stahlarbeiter bei Thyssen und Saarstahl, der von der grünen Zukunft träumt (bis die Union sie ihm raubt, versteht sich), bei diesem Arbeiter handelt es sich um den direkten Nachfahren des Arbeiters, der in den sechziger Jahren von der proletarischen Revolution und dem Sozialismus an Ruhr und Rhein zu träumen hatte, jedenfalls nach Vorstellung der damaligen Kader, die sich Träume für die Arbeiterklasse ausdachten. In dieser Zeit träumte ein westdeutscher Arbeiter in Wirklichkeit von einem Eigenheim, einem Auto und zwei Urlaubsreisen im Jahr. Sein ostdeutscher Kollege übrigens auch, nur eben nicht so erfolgreich. Dort hatten Kader, die sich Vorhut der Arbeiterklasse nannten, nämlich schon allerhand Träume verwirklicht.

Auch die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann und die saarländische Regierungschefin Anke Rehlinger mahnen vereint, bei der grünen Transformation ginge es um „viele tausend Arbeitsplätze“. Das müsse Merz, der 60-Milliarden-Dieb, endlich begreifen.

Um tausende Jobs geht es tatsächlich – nur auf etwas andere Weise, als die beiden Politikerinnen meinen. Der Getriebehersteller ZF in Saarbrücken will demnächst gut 6.000 Arbeitsplätze abbauen – wegen des Verbrennerverbots der EU. Bei der Dillinger Hütte könnten durch die Umstellung auf grünen, also mit Energie aus teurem Wasserstoff hergestellten und damit international nicht konkurrenzfähigen Stahl bis zu 20.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Der Spezialchemie-Hersteller Lanxess kündigte die Streichung von 460 Stellen in Köln, Krefeld und Leverkusen an, um den steigenden Energiekosten und der schwachen Konjunktur hinterherzusparen. Und der Solaranlagen-Hersteller Meyer Burger investiert lieber in den USA als – wie ursprünglich geplant – in Sachsen-Anhalt. Um es mit den Worten von Ninotschka in Ernst Lubitschs gleichnamigen Film zu sagen: „In der grünen Zukunft wird es weniger Industriearbeiter geben – aber bessere.“

Aus diesem Grund erwärmen sich die allermeisten Arbeiter heute so wenig für die große Transformation wie ihre Großväter in den Sechzigern für die große Revolution. Sie wissen: Es ist einfach nicht ihre Sache. Damals fiel ihnen die Erkenntnis generell leichter, weil den Arbeitern im Westen, wie schon erwähnt, das Beispiel des verwirklichten Traums im Osten realexistierend vor Augen stand. In der DDR hieß es bekanntlich: „Arbeiter- und Bauern-Staat ist wunderbar. Du solltest dort aber besser weder Arbeiter noch Bauer sein.“

Es stimmt, kürzlich gab es breite Berichte in Qualitätsmedien über Stahlarbeiter, die Robert Habeck um Subventionen für grünen Stahl baten. Sie sind Geiseln eines opportunistischen Managements, das ihnen und anderen einredet, der Transformationsstahl, leider doppelt so teuer wie normaler, sei die einzige Chance, überhaupt noch Stahl in Deutschland herzustellen. Und der Staat würde den Preis schon heruntersubventionieren. Also die Beschäftigten selbst mit ihrem Steuergeld. Dass es von diesem guten Zukunftsstahl wegen der gigantischen Kosten nur sehr, sehr wenig geben kann, wissen die Beschäftigten. Sie würden deshalb lieber wie früher Produkte herstellen, die sich durch ihre Qualität am Markt durchsetzen, statt ihre Existenz voll und ganz in die Hand des Staates zu legen.

Denn sie kennen den Staat gut, der ihnen 2021 zum Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten ein „Bürgerenergiegeld“ versprochen hatte, das es bis heute nicht gibt. Und der 2024 trotzdem die CO2-Steuer von 30 auf 40 Euro pro Tonne anhebt. Sie kennen den vergesslichen Bundeskanzler, der erst versprach, die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie sei „für immer“, und der sich jetzt partout nicht mehr daran erinnern kann. Mit dieser Erfahrung trauen sie es dieser oder irgendeiner nächsten Regierung auch problemlos zu, plötzlich zu verkünden, in Deutschland dürfe wegen des Klimas überhaupt kein Stahl mehr hergestellt werden. Auch nicht mit Wasserstoff. Oder es erzählt jemand aus der Regierungskoalition, ein schöner Haushaltstrick sei leider, leider schiefgegangen, und deshalb würden jetzt 60 Milliarden Euro Transformationskleingeld fehlen.

Oh verflixt, gerade passiert.

Übrigens spricht auch vieles dafür, dass der nach einem ähnlichen Prinzip gebildete Transformationsfonds des Saarlands gegen die Verfassung verstößt, und demnächst einer Klage zum Opfer fällt.

Der grüne Patron der Stahlarbeiter Andreas Audretsch, um auf ihn zurückzukommen, demonstriert seine Kompetenz für Wirtschaft und Finanzen vor allem dadurch, dass er es nach dem Studium der Politikwissenschaften, der Soziologie und Publizistik nach einer kurzen Arbeitsepisode bei der ARD zur reinen Partei- und Staatskarriere brachte.

Der verantwortungsvollen Tätigkeit, Träume für andere zu entwerfen, können nur Leute nachgehen, die sich selbst nicht durch wertschöpfende Tätigkeit belasten, und sich auch keine Sorgen um ihre Altersversorgung zu machen brauchen. Erst das schafft einen freien Kopf.

Während er und andere Grüne darüber klagen, dass die Wasserstoffrevolution in Deutschland wegen Staatsgeldmangel leider ausfallen muss, gibt es gute Nachricht für den Süden. Nein, nicht für Bayern – dort kommen eher die nötigen Mittel her –, sondern für Länder „ein paar hunderttausend Kilometer von hier“ (Annalena Baerbock). Gerade verkündete Olaf Scholz, die EU-Afrika-Wasserstoffinitiative mit vier Milliarden Euro aus Deutschland zu unterstützen.

Das spricht für umsichtiges Handeln durch den Kanzler: schnell weg mit dem Geld, bevor es die Opposition auch noch verschwinden lässt.

Anzeige

Unterstützung
oder