Einwanderung oder Wanderarbeiter?

Erwerbsmigranten finden mit dem sicheren Grundeinkommen Sozialhilfe den Weg in die Schattenwirtschaft plus Erwerbskriminalität öfter als in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt: einfach deswegen, weil dann zum Nachhauseschicken mehr übrigbleibt.

Einen „(ultra-)liberalen Sonderweg in der Einwanderungspolitik“ nennt Roland Springer in seinem Buch SPURWECHSEL das, was Angela Merkel als Politik der Bundesregierung betreiben lässt. Eine Politik, über die sich ganz unterschiedliches sagen lässt, nur eines nicht: planvolles Handeln. Trotzdem erhebt Merkel nichts weniger als den Anspruch, ihre Politik zum EU-Standard erheben zu wollen.

Springer sagt, „Dieser Anspruch kann freilich allenfalls dann erhoben werden, wenn sich erweisen sollte, dass der deutsche Sonderweg in der Flüchtlingspolitik das hält, was seine Protagonisten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden, Medien und Zivilgesellschaft sich selbst und anderen von ihm versprechen: eine staatsfinanzierte Beförderung des Wirtschaftswachstums durch die gesellschaftliche Integration zusätzlicher, aus Kriegs- und Elendsgebieten importierter Arbeitskräfte und Konsumenten, unabhängig von deren Anzahl sowie von deren mitgebrachten qualifikatorischen und soziokulturellen Assets.“

Der Autor hat sich nicht weniger vorgenommen als: „Vorgeschlagen wird ein Spurwechsel, der es nicht nur erlaubt, aus integrationswilligen und integrationsfähigen Flüchtlingen möglichst schnell Arbeitsmigranten zu machen, sondern auch eine protektionistische Wende weg von einer (ultra-) liberalen Flüchtlingspolitik beinhaltet.“

Verwaltungschaos: nichts passt zu nichts

Wasser in seinen Wein schüttet im Nachwort Volker Neumann aus sozial- und verfassungsrechtlicher Perspektive. Doch davon später. Erst mal kommt solches Wasser aus einem Artikel der ZEIT. Er berichtet, dass nach dem Willen der Kanzlerin die unbearbeiteten Asylanträge von illegal Eingewanderten bis Ende Mai entschieden sein sollten (laut Statistik des BAMF rund 1,2 Millionen bis Ende 2016 eingewandert, davon mehr als 400.000 Fällen anerkannt). Doch davon ist das Amt weit entfernt. Erstens, weil es nicht so schnell ist, und zweitens, weil es neue Probleme gibt.

Flüchtlinge und Migranten seit Anfang 2015
Zweieinhalb Jahre Migration – Status in Deutschland Mitte 2017
Mit Franco A. brachte Ursula von der Leyen nicht nur die Bundeswehr und sich selbst unter Druck, sondern löste eine Kettenreaktion aus. Der Innenminister verlangte rückwirkende Kontrollen der Entscheidungen, das verstopft das Bundesamt in einer Zeit, wo dieses auf Zeit zusätzlich Eingestellte wieder entlässt. Bis Mai wollte Merkel die offenen Asylanträge aus dem Feld haben – es ist schließlich Bundestagswahlkampf. Doch die ZEIT weiß: Vor dem Wahltermin werden weder die Asylanträge bearbeitet, noch die rückwirkenden Kontrollen durchgeführt worden sein.

Springers Spurwechsel könnte aber nur gelingen, wenn der Flaschenhals BAMF erweitert wird oder wegen laufender Erledigung neuer Anträge wegfällt, doch danach sah es schon vor Franco A. nicht aus:

„Gegen eine solche Beschleunigung spricht allerdings die tatsächliche Verlängerung der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer eines Asylantrags durch das BAMF von 5,2 Monaten in 2015 auf 7,1 Monate in 2016 (siehe Zeit online 23.02.2017).“

Für die Behörden in der Fläche ist der Stau beim BAMF ein reiner Segen, denn sie könnten mit einer zügigen Bearbeitung dort an Ort und Stelle nicht Schritt halten. Wer Springers empirische Beobachtungen liest, beginnt zu begreifen, dass das real existierende Verwaltungshandeln ein Ziel unmöglich macht: die rasche Integration der Einwanderer in den deutschen Arbeitsmarkt. Die Reihenfolge geht nämlich so: Die illegalen Einwanderer kommen, stellen Asylanträge, warten in Sammelunterkünften auf die Entscheidung der BAMF. Arbeiten dürfen sie nicht, bevor sie einen Integrations/Deutschkurs nicht bestanden haben. Wer das schafft, hat bis dahin, ja was?, zwei Jahre (?), die meiste Zeit totschlagen müssen. Wie viele dem und anderem entgehen, indem sie schwarz arbeiten, wissen die Behörden nicht oder sagen sie nicht. Springer:

„Nach Anerkennung als bleibeberechtigt werden die Flüchtlinge von den Landratsämtern an die regionalen Jobcenter weitergereicht und müssen dort unter anderem eine Verpflichtungserklärung zur Integration abgeben. Konkret geht es dabei um den Besuch eines Sprachkurses (Integrationskurs), in dem jeder Flüchtling Deutschkenntnisse bis zu dem gemäß des europäischen Referenzrahmens definierten Kompetenzniveau B1 erlernen muss. Entsprechende Kurse mit insgesamt 600 Unterrichtseinheiten werden von Volkshochschulen und anderen Bildungsträgern angeboten und durchgeführt. Sie dauern in der Regel etwa ein Jahr und schließen mit einer Prüfung ab.“

Gegenseitig Behinderung ist Programm

Bevor sie nicht Basisdeutsch können, dürfen sie nicht arbeiten. Dabei würde sie in der Arbeit schneller Basisdeutsch und das deutsche Arbeitsleben kennen lernen, weil „es im Niedriglohnbereich durchaus Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, bei denen nur wenige Deutschkenntnisse gefordert sind. Sie spielen bislang bei der amtlichen Vermittlung in Arbeit allerdings so gut wie keine Rolle.“ Der eine Teil des Regierungshandelns widerspricht dem anderen, da gibt es keinen „Plan“. Jeder Verwaltungszweig plant für sich – ohne Zusammenhang:

„Insofern wird auf Betreiben der Bundesregierung seitens der Jobcenter bei den Flüchtlingen in Kauf genommen, dass sie im Interesse des Erlernens der deutschen Sprache zunächst nicht in Arbeit vermittelt werden. Wäre dies nicht so, würde der Anteil der in Arbeit Vermittelten schon Ende 2016 höher ausfallen als die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gemeldete Zahl von nur 34 000 Erfolgsfällen.“

Der eine Teil behindert den anderen und immer so weiter. Es passiert alles irgendwie oder eben nicht. Nächstes Beispiel:

„… eine vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gemeinsam durchgeführte Studie … berichtet, dass 53 Prozent der befragten Flüchtlinge, von denen ein Teil schon seit 2013 in Deutschland lebt, nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, um daraus (recht missverständlich) den Schluss zu ziehen, »der Großteil der Geflüchteten wohnt in einer privaten Unterkunft« (Brücker et. al. 2016, S. 39). Mit »privaten Unterkünften« sind allerdings nicht Wohnungen gemeint, die Privatpersonen an Flüchtlinge vermietet haben; gemeint sind vielmehr in erster Linie Wohnungen, die die Kommunen angemietet haben, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Somit wohnen vermutlich fast 100 Prozent der seit 2013 eingewanderten Befragten in öffentlich verwalteten Immobilien, die zum Teil als Gemeinschaftsunterkünfte und zum Teil als Wohnungen oder Häuser ausgelegt sind. Dies lässt darauf schließen, dass der private (erste) Wohnungsmarkt den Flüchtlingen bislang noch mehr als der (erste) Arbeitsmarkt verschlossen ist.“

Das Gespenst der Überalterung
Demografischer Wandel und Armutsmigration
Die Eingewanderten wohnen also in zentralen und dezentralen Unterkünften. Den von den früheren Einwanderern gebildeten Parallelgesellschaften fügen die Behörden also neue, bürokratisch organisierte hinzu. Kaum noch polemisch lässt sich sagen: Die Politik redet von Integration, mal unabhängig davon, ob und wie weit das überhaupt und vor allem in welchen Zeiträumen gelingen kann. Das Staatshandeln entspricht dem Abarbeiten von Aktenvorgängen, einer nach dem anderen. Um wen und was es geht, das Individuum, verschwindet in der Akte.

Zwei sprechende Fallbeispiele

Roland Springer schildert zwei Fallbeispiele aus eigener Erfahrung. Springer übernahm die ehrenamtliche Patenschaft für einen 18-Jährigen aus dem Osten Afghanistans. Als er ankam, war er 17, durfte daher sofort die Schule besuchen und außerhalb von Sammelunterkünften in einer Wohngruppe leben. Das kann das Jugendamt bis zum 21. Lebensjahr verlängern, was es hier auch tat. Springer berichtet von den vielen bürokratischen Hürden, denen die einzelnen Migranten, aber auch die Bürokratie selbst nicht gewachsen sind. Parallel zur Patenschaft half Springer auch in einer Flüchtlingsunterkunft mit über hundert Personen. Während der Afghane über keine Vorbildung verfügte, waren unter diesen Flüchtlingen aus Syrien, Irak und Afghanistan mehrere zwischen 20 und 35, die zuhause ein Studium unterschiedlicher Fachrichtungen abgeschlossen oder vor ihrer Flucht noch begonnen haben, darunter auch einige junge Frauen, die in ihrer Heimat ein Studium der Informatik und/oder des Ingenieurwesens abschlossen.

Springer bildet aus seinen Erfahrungen „zwei exemplarische Fälle, die strukturell für zwei Typen von Flüchtlingen stehen, die mit der Flüchtlingswelle der Jahre 2015/2016 in großer Zahl ins Land gekommen sind:

  1. Der Typus des in einer prosperierenden Großstadt wohnenden, alleinstehenden minderjährigen muslimischen jungen Mannes ohne Ausweispapiere und Bildungszertifikate, der kein Deutsch oder eine andere europäische Fremdsprache spricht und über nur geringe schulische und berufliche Qualifikationen verfügt, und
  2. der Typus der in einer prosperierenden ländlichen Region wohnenden, jungen muslimischen Flüchtlingsfamilie (mit nur einem Kind), die mit Ausweispapieren sowie mit schulischen und akademischen Zertifikaten ausgestattet ins Land gekommen ist, ebenfalls kein Deutsch, dafür aber etwas Englisch spricht und im Falle des Ehemanns auch über mehrjährige berufliche Erfahrungen verfügt.“

Daneben gibt es nach Springer eine Reihe von weiteren Typen, die gemeinsam haben, dass ihre Chancen auf das Hineinfinden in die deutsche Gesellschaft äußerst schlecht sind. Nicht weil es etwa für den allein gekommenen Türken im mittleren Alter mit wenig formaler Bildung, aber viel praktischer Berufserfahrung hier keinen Bedarf im Arbeitsmarkt gäbe, sondern weil er in das hiesige Aktenschema nicht passt.

Fähigkeitenprofil und Gesellschaftszustand
Folgen der Migration für Produktivkraft und Wohlstand in Deutschland
Springer konzentriert sich auf die zwei Typen, weil er über sie genug weiß. Wobei er die Angaben der Zuwanderer kritisch einordnet, weil alle von Schleusern und deutschen Betreuern auf die „richtigen“ Antworten auf die wichtigen Fragen, die ihnen auf den Amtswegen gestellt werden, gut vorbereitet werden. Vor Untersuchungen warnt Springer am Beispiel der Adenauer-Stiftung, die aus 100 Prozent ja auf die Frage nach der Bereitschaft, die deutsche Sprache zu lernen, den nicht zulässigen Schluss ableitete: „Migranten wollen sich an deutsche Kultur anpassen“ (t-online vom 17.12.2016). Springer: „Jeder, der direkten Kontakt zu Flüchtlingen hat, weiß aus Erfahrung, dass viele von ihnen willens sind, die nur mühsam zu erlernende deutsche Sprache tatsächlich zu erlernen und sich dafür auch entsprechend anstrengen. Andere wiederum lehnen dies offen ab, und wiederum andere bekunden zwar ihre Lernbereitschaft, verhalten sich aber nicht entsprechend oder scheitern an den Schwierigkeiten der deutschen Sprache.“

Was hier von ihm gewollt wird, kann er nicht verstehen

Der junge Afghane lebte „in einer vom Jugendamt Stuttgart finanzierten und betreuten Wohngruppe mit drei anderen jungen Afghanen und wusste, dass er Anspruch auf monatliche Sozialhilfe für den privaten Verbrauch hat, die ihm von seiner Betreuerin jeden Monat in Höhe von 400 Euro bar ausbezahlt worden ist. Darüber hinaus wusste er, dass im Falle einer Erkrankung die Kosten für ärztliche Behandlung und Medikamente ebenfalls übernommen werden.“ Bei ihm verfestigte sich schnell der Eindruck, hier ist es weit besser für ihn als zuhause (mit Ausnahme des Essens). Dem Jahr Wartezeit auf Stellung seines Asylantrags folgte die von eineinhalb Jahren auf einen Anhörungstermin, der Ende April 2017 stattfand. Das Ergebnis steht nicht in Springers Buch, da dieses vorher erschien. Er merkt an, „dass der junge Afghane selbst im Fall einer Ablehnung seines Asylantrags vorerst weiter in Deutschland bleiben wird, da er mit Unterstützung einer lokalen Flüchtlingshilfeorganisation gegen einen solchen Entscheid mit hoher Wahrscheinlichkeit Rechtsmittel einlegen wird, die seinen Duldungsstatus verlängern.“

Die jungen Männer in der Wohngruppe lernten, dass sie mit Hilfe des Jugendamtes auch an Privatwohnungen kommen können, wovon sie sich mehr Freiheit und Lebensstandard versprechen. Da seine Betreuerin vom Jugendamt dem inzwischen volljährigen Afghanen zur Privatwohnung nicht zügig entsprach, verlangte er vom Chef des Jugendamtes eine andere Betreuungsperson. Das führte dazu, dass das Jugendamt ihn als Volljährigen dem Sozialamt überstellte, was zum Verlust aller Privilegien des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings (UMF) führte. Die Folgen: Umzug in eine Flüchtlingsunterkunft, dort in eine Dreizimmerwohnung mit sechs anderen Afghanen, Schulwechsel in ein „Vorbereitungsjahr Arbeit/Beruf“ in einer Berufsschule (hauptsächlich Sprachunterricht) nahe der Unterkunft:

„Anschließend kann er innerhalb eines weiteren Jahres den deutschen Hauptschulabschluss nachholen, sofern er bis Ende dieses Jahres nicht nur die sprachlichen, sondern auch andere fachliche Voraussetzungen (etwa beim Rechnen) erfüllt.“

Der Migrationsmythos, Teil VI
Afrika-Migration: Lernen von Frankreich
Der junge Mann war nach Deutschland gekommen, um hier schnell Arbeit zu finden. Zuhause arbeiten sie nach kurzer Schulausbildung, hier stößt er auf lauter Bedingungen, die er nicht versteht, zumal er leidlich deutsch lesen, schreiben und reden kann, warum soll das nicht zum Arbeiten reichen? Ein Praktikum in einem Autohaus brach er nach einem Tag ab, weil es dafür kein Geld gab. Die sozialen Kontakte sind andere Afghanen, Treffpunkt eins Fitness-Studio, Treffpunkt zwei Stuttgarter Schlossplatz. Erfahrungsaustausch über Behördenumgang, Internetsurfen und Ausschau nach gleichaltrigen Frauen. Unter sich können sie ihre mitgebrachten Sitten und Bräuche weiterleben: ihr Halt im fremden Land.

Auch die integrationswillige Familie findet nur Probleme

Springers zweiter Anschauungsfall: „Die Familie stammt aus einer Großstadt in Nordsyrien, wo der achtunddreißigjährige Ehemann gleich nach seinem Abitur (mit geisteswissenschaftlichem Schwerpunkt) im Jahr 2006 aus familiären Gründen kein Studium aufnahm, sondern in der Apotheke eines Bekannten zu arbeiten begann und damit nach eigener Aussage bis zum Beginn des Krieges in Syrien ein gutes Auskommen hatte. Vor sieben Jahren heiratete er seine heute 29-jährige Ehefrau, die nach einem naturwissenschaftlichen Abitur im Jahr 2009 an der örtlichen Universität ein Bachelor-Studium der Informatik mit dem Schwerpunkt Software-Engineering aufgenommen hat, das sie 2013 erfolgreich mit der Note »Sehr gut« abschloss.“ (Die Familie hat eine kleine Tochter.)

2015 entschied die Familie, Syrien als aussichtsloses Pflaster zu verlassen. Sie hatten gehört, in Deutschland gäbe es einen Mangel an jungen Ingenieuren. Über Verwandte in der Türkei kamen sie mit einer Schlepperorganisation binnen neun Tagen über die Balkanroute nach Ungarn: von dort ins Aufnahmelager nach Baden-Württemberg, wo sie anhand ihrer syrischen Pässe registriert wurden. Der Asylantrag führte ohne Anhörung zu einem dreijährigen Aufenthaltstitel. Da sie französisch und englisch sprachen, ging es mit dem Deutschlernen leichter als bei dem jungen Afghanen, aber Deutsch ist eben keine leichte Sprache.

Den Weg zu Arbeit und Wohnung begleitete ehrenamtlich unser Autor in Absprache mit dem Jobcenter. Die kleine Tochter kriegte einen Kindergartenplatz, die Eltern besuchten den Integrations/Sprachkurs. Die drei lebten in der Flüchtlingsunterkunft in einem Zimmer auf 15 Quadratmetern in einer ländlichen Gemeinde:

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„Ein erster Schwerpunkt war die Suche nach einem Praktikumsplatz für die Ehefrau. Da sie über einen akademischen Abschluss als Informatikerin verfügt, sind wir gemeinsam zunächst davon ausgegangen, dass ihre Vermittlungschancen am regionalen Arbeitsmarkt besser wären als die ihres Mannes. Dieser verfügt zwar auch über das Abitur und darüber hinaus über langjährige berufliche Erfahrungen im Bereich des Medikamentenhandels. Diese Erfahrungen sind am deutschen Arbeitsmarkt, vor allem im Bereich der Apotheken, aber weitgehend wertlos. Ohne formale Ausbildungsabschlüsse bestehen in Deutschland, anders als in Syrien, keine Möglichkeiten, in diesem Berufsbereich arbeiten zu können. Eine Arbeit als Pharmavertreter kam kurz- und mittelfristig aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse ebenfalls nicht in Frage.“

Ein vierwöchiges Praktikum der Frau in einem IT-Betrieb verlief fachlich positiv, eine anschließende Beschäftigung scheiterte an den zu rudimentären Sprachkenntnissen. Inzwischen gelang es zufällig, eine private möblierte Dreizimmerwohnung zu beziehen. Springer erkundete mit dem Mann Jobchancen in der Leiharbeit, Vollzeitjobs im Mindestlohnbereich und fand folgendes heraus:

„Die Annahme eines solchen Vollzeitjobs hätte für den Ehemann bedeutet, dass er seinen Integrationskurs hätte abbrechen müssen. Hinzu kam, dass ihm erstmals vor Augen geführt wurde, dass eine Vollzeitarbeit mit einer entsprechenden Bezahlung durch den Arbeitgeber damit einhergeht, dass nicht nur er selbst, sondern auch seine Ehefrau den Anspruch auf Arbeitslosengeld II und die Übernahme der Mietkosten durch das Jobcenter verliert. Beide waren bislang aber davon ausgegangen, dass sie die staatliche Unterstützung nach Sozialgesetzbuch II weiter erhalten, auch wenn sie eine bezahlte Arbeit aufnehmen. Der überschlägige Abgleich (Saldo) zwischen den staatlichen Leistungen und dem Verdienst bei einem Zeitarbeitsunternehmen ergab, dass sich ein Vollzeitjob für den Ehemann rein monetär für die Familie nicht lohnt, wenn damit sich außerdem auch noch der Verzicht auf einen bezahlten Sprachkurs verbindet.“

Nichts passt mit nichts zusammen

Aber der Syrer machte in den diversen Gesprächen einen guten Eindruck, machte ein vierwöchiges Praktikum in einem 10-köpfigen Team für Produktion und Logistik mit einer Frau an der Spitze. Das verlief gut, so dass sich ein befristeter Teilzeitarbeitsvertrag – Minijob – anschloss. Die entsprechenden Kürzungen bei den Sozialleistungen sind für die Familie trotz Arbeit ein Nullsummenspiel. Der Mann ist zu einem „Aufstocker“ geworden. Verbessern wir sich seine Lage erst mit zunehmender Arbeitszeit, die jedoch die Weiterbildung gefährdet. Die Frau macht ein zweites Praktikum zeigte, dass sie ihre Sprachkenntnisse mit dem Ziel B2/C1 fortsetzen muss, ein halbes Jahr ist notwendig, ein Wettrennen mit dem Wertverfall ihres fünf Jahre alten IT-Universitäts-Abschlusses.

Springer schildert viele Umstände und Abläufe, vor allem auch, in wie vielen Einzelheiten die großen und kleinen Dinge den Zugereisten völlig fremd sind, mit nichts davon haben sie vorher gerechnet. Am Ende bleiben die Einwanderer unter sich und bauen sich über Facebook ein Netzwerk zu den Daheimgebliebenen oder anderswo Untergekommenen auf, in dem sie ihre Erfahrungen mit der Lage da wie dort austauschen. Dass sie hier je ankommen werden, ist unwahrscheinlich.

Vom Niedergang des Westens
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Schwer haben es die Frauen: Sie „sind in besonderer Weise damit konfrontiert, dass sich einheimische Frauen, gemessen an den muslimischen Verhaltensnormen, in vielerlei Hinsicht sittenwidrig, um nicht zu sagen unsittlich verhalten. Viele der muslimischen Frauen akzeptieren ein solches Fehlverhalten der Mehrheit ihres sozialen Umfelds zwar notgedrungen, beugen sich ihm aber nicht, sondern halten sich etwa mit dem Tragen des Hijab (Kopftuchs), langer Hosen und langarmiger Hemden außerhalb der eigenen vier Wände an ihre gewohnten Regeln der körperlichen Verhüllung gegenüber den Blicken fremder Männer. Dass sie damit die Blicke der Einheimischen besonders auf sich lenken, spielt für sie offenbar, verglichen damit, eine geringe Rolle.“

Springer plädiert als Spurwechsel dafür, den Vorschlag von Gabriel aus 2016 aufzunehmen, „ein »Integrationsfördergesetz«, das so konzipiert sein soll, »wie wir es vom BAföG kennen. Wer dauerhaften oder einen langen Aufenthalt in Deutschland hat, kann einen ›Integrationskredit‹ bekommen, der ihm zusätzliche integrationsspezifische Leistungen und Lebensunterhalt ermöglicht. Gelingt ihm der Weg in die Erwerbsarbeit, zahlt er den Kredit zurück.«“ Dazu steht für Springer fest:

„Durch einen solchen, gesetzlich gewiss nicht einfach zu regelnden Spurwechsel könnte nicht nur die Eigenverantwortlichkeit der Asylbewerber gestärkt, sondern ihnen auch das für eine Hochleistungsgesellschaft so wichtige Prinzip von Leistung und Gegenleistung, das nicht nur für Einheimische, sondern auch für andere Migranten gilt, nahegebracht werden. Gemäß ihres hybriden Charakters würden sie so schon frühzeitig stärker als leistungsbereite Arbeitsmigranten und nicht ausschließlich als hilfsbedürftige Flüchtlinge behandelt werden.“

Als Basis dafür, die Einwanderer, die sich auf eigene Beine stellen wollen, von den anderen zu trennen, sieht er einen kompletten Umstieg zu einer kontingentierten und sorgfältig vorbereiteten Einwanderungspolitik, die er im einzelnen darlegt.

Erwerbsmigranten

Wasser in den Wein Springers gießt Volker Neumann in seinem Nachwort:

„Ob die Typisierung, ja ob das gesamte Konzept »Spurwechsel« greift, hängt nicht zuletzt davon ab, dass der »Gegenpol« funktioniert, das heißt dass diejenigen Asylbewerber etc., die gegen den »Spurwechsel« votiert haben, nach dem Widerruf ihrer Berechtigung auch wirklich Deutschland verlassen. Einen Automatismus kann es hier allerdings nicht geben, da vor einer Ausweisung und der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht zu prüfen ist, ob Rechtsgründe, insbesondere nach Art. 6 GG zu beachtende familiäre Bindungen, entgegenstehen. Dass in Deutschland die Ausreisepflicht nur höchst selten durchgesetzt wird, liegt jedoch kaum an solchen Rechtsgründen, auch nicht an tatsächlichen Hindernissen, die übrigens wie beispielsweise die vorsätzliche Vernichtung oder Vorenthaltung von Ausweispapieren seit Jahrzehnten der Politik bekannt sind, sondern an der Weigerung von Landesregierungen, das einschlägige Bundesrecht durchzusetzen. Dokumentiert ist diese Weigerung in rot-grünen Koalitionsverträgen, in denen in geschwurbelten Worten aufenthaltsbeendende Maßnahmen ausgeschlossen (Thüringen Koalitionsvertrag vom 5.12.2014, S. 26) oder entgegen den bundesrechtlichen Vorgaben so erschwert werden, dass sie nicht mehr praktizierbar sind (Berlin Koalitionsvereinbarung 2016–2021, S. 113 f.). Solange das so ist, solange insbesondere die Bundesregierung gegen solche Praktiken nicht mit den Mitteln der Bundesaufsicht vorgeht, solange ist es Asylberechtigten etc. nicht zu verdenken, dass sie sich gegen das ehrliche Konzept des »Spurwechsels« entscheiden.“

Gedanken zum Advent
Migration und Islam: 2016 wird ein Entscheidungs-Jahr
Für den Rezensenten ist Springers Buch weniger ein Plädoyer für den Spurwechsel, sondern eine Fundgrube dafür, warum solcher Spurwechsel nicht stattfinden kann: schon allein deshalb, weil ihm das chaotische Verwaltungshandeln entgegensteht. Noch mehr aber, weil die meisten, die vor allem aus Afrika kommen, als Wanderarbeiter von ihren Familien ausgeschickt wurden mit der Pflicht, Geld nachhause zu schicken. Fast alle von dort sind keine Flüchtlinge, auch keine Wirtschaftsflüchtlinge, sondern Erwerbsmigranten, die hier mit dem sicheren Grundeinkommen Sozialhilfe den Weg in die Schattenwirtschaft plus Erwerbskriminalität öfter finden als in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt: Schwarzarbeit und Erwerbskriminalität auf der Basis Grundeinkommen aus Sozialhilfe einfach deswegen, weil dann zum Nachhauseschicken mehr übrigbleibt.

In Springers Buch kann jeder lernen, wie das Chaos im Staatshandeln aussieht, wie der Einzelne systemisch gar nicht im Blick der Bürokraten sein kann: Wie alles irgendwie geschieht oder eben nicht. Ein erhellendes und ernüchterndes Bild, von dem die Verantwortlichen – je weiter „oben“, je mehr – keine Kenntnis nehmen.

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Kommentare ( 20 )

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Fritz Goergen
6 Jahre her

Vielleicht sollten Sie die Rezension lesen.

chris
6 Jahre her

die „falschen Versprechungen“ und Erwartungen ergeben sich doch schon alleine aus den Umständen. Fast jeder Mensch in der Welt kennt Detuschland als den Ort, an dem die glitzernden und glänzenden Autos gebaut werden, von dem die reichen Touristen auf ihren Nil- oder sonstigen Kreuzfahrten kommen, und wo alle in schicken Häusern wohnen. Amerikanische Filme und Fernsehwerbung tun das ihre hinzu. und jetzt öffnet Frau Merkel die Grenzen und sendet grinsende Einladungs-Selfies in die Welt …

chris
6 Jahre her

hier nur ein Wort zu der syrischen „Ingenieurin“: wenn sie englisch kann, und annähren nennenswerte Kenntnisse in Software-Programmierung, dann kann sie sich einen Job in jeder deutschen Großstatdt aussuchen. Allerdings sind das harte Jobs, mit 8-10 Stunden-Arbeitstagen, eng integrierten Teams und stringenten Leistungsforderungen. Die Dame hätte meinen Respekt, wenn sie sich darauf einließe – was aber nicht der Fall zu sein scheint. Würde mich nicht wundern, wenn die wenigsten der Zuwanderer auch nur eine entfernte Vorstellung davon hätten, wie hart hier das Geld vielfach verdient wird.

Mabell
6 Jahre her

Danke für ihre ausführlichen und sehr interessanten Antworten!
Schönes Wochenende. Mabell.

Hubert Paluch
6 Jahre her

Pech, dass wir keine Möglichkeit haben diese kleine Clique linker Internationalisten durch eine Volksabstimmung zu stoppen. Die Schweizer haben das getan.

Hubert Paluch
6 Jahre her

Das ist tatsächlich eine skurille Eigenschaft eines nicht kleinen Teils unserer Landsleute: Sie lassen einen Bürokratie-Berg kreißen, der am Ende eine Maus gebiehrt.

Hubert Paluch
6 Jahre her

Erschütternd: Die Masseninvasion geht weiter! Auch dieses Jahr werden es wieder 300 000 Migranten werden (nach der Bundestagswahl wird die Kanzlerin Italien entlasten) und die Familiennachzügler zählt keiner mehr.

Hubert Paluch
6 Jahre her

Danke für diese ausgezeichnete Rezension! In meiner Heimatstadt (160 000 Einwohner) sind von ca. 4000 Migranten der letzten zwei Jahre im März diesen Jahres genau 93,7% erwerbslos. Die Arbeitsagentur sieht Vermittlungspotential fast ausschließlich im Sektor der Geringqualifizierten. Die bundesweite Arbeitslosigkeit liegt in diesem Segment bei über 20% unter denen „die schon länger hier leben“. In unserer eher strukturschwachen Region dürfte sie sich 30% nähern. In Bremen kann man den Ausgang des Integrationsexperiment an ehemals ca. 1000 „Bürgerkriegsflüchtlingen“ aus dem Libanon jetzt nach fast dreißig Jahren bewerten: Aus 1000 kurdischen Migranten sind über 3500 geworden, die nach Berichten der Lokalpresse in… Mehr

Fritz Goergen
6 Jahre her

Sie irren, habe in verschiedenen Fabriken gearbeitet und erlebt, wie nicht deutsch Sprechende arbeiteten UND dabei so viel deutsch lernten, dass es für die Arbeit und grundlegende Dinge ganz gut reichte.

Hubert Paluch
6 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Leider sind die Arbeitsabläufe in Fabriken mittlerweile deutlich komplexer geworden. Die schwedische Arbeitsverwaltung hat deshalb vor der Vermittlung von Migranten mit geringen Sprachkenntnissen in die Produktion kapituliert. Es bleiben Gastronomie und Raumpflege.

Ghost
6 Jahre her

Es wird wahrscheinlich so kommen wie in Frankreich: die Migranten bleiben in ghettoähnlichen Vierteln unter sich, profitieren von Sozialleistungen, kommen mit den westlichen Standards nicht zurecht, nur wenigen gelingt der Übergang zur langsamen Integration – Ausnahmen gibt es immer und wo auch immer.
Ich finde, die Deutschen überschätzen sich und unterschätzen die Problematik, die Migranten aus aussereuropäischen Regionen verursachen.
Selbst für europäische Ausländer, die nicht aus einem deutschsprachigen Land kommen, kann Integration voller Hürden sein und eine Zeit lang dauern. Aber aussereurpäische Ausländer stossen zudem noch oft auf Ablehnung – zu Recht oder zu Unrecht.

Hubert Paluch
6 Jahre her
Antworten an  Ghost

„Die Deutschen überschätzen sich“ – wie wahr, Hybris als Teil eines schwierigen Nationalcharakters.