Ein Glücksfall: „Glückskinder“ von Michael Wolffsohn

Die Jugendbuchversion seiner Familiengeschichte hat Michael Wolffsohn für seine Enkel verfasst. Zum richtigen Zeitpunkt. Denn ein – teilweise als Israelkritik kaschierter – Antisemitismus aus drei Richtungen macht sich wieder breit: aus der rechtsextremen, aus der linksextremen und aus der islamistischen Ecke.

Es kommt selten vor, dass renommierte Wissenschaftler und erfolgreiche Sachbuchautoren Kinder- und Jugendbücher schreiben. Vielleicht ist das ganz gut so. Aber es gibt Ausnahmen, und zwar gewinnbringende und gelungene. Michael Wolffsohn gehört an vorderer Stelle dazu. Soeben hat er für Heranwachsende bei dtv eine 225 Seiten starke „deutschjüdische Familiengeschichte“ veröffentlicht, so der Untertitel. „Wir waren Glückskinder – trotz allem“ lautet der Haupttitel des Buches.

„Glückskinder – trotz allem“? Ja, denn Wolffsohn verschweigt nichts aus den dunkelsten Jahren deutscher Geschichte und deren Folgen. Aber das Buch erklärt auch, warum sich der Autor „trotz allem“ bereits vor geraumer Zeit selbst als „deutscher Patriot jüdischen Glaubens“ bezeichnet hat.

Michael Wolffsohn ist nicht irgendwer. Der am 17. Mai 1947 in Tel Aviv in eine deutsch-jüdische Familie hineingeborene und mit seiner Familie 1954 nach Deutschland zurückgekehrte Mann wurde zu einem der renommiertesten Historiker neuester Geschichte. Er wurde mit zahlreichen, rund zwanzig Preisen geehrt, unter anderem 1993 mit dem Deutschen Schulbuchpreis und 2017 als „Hochschullehrer des Jahres.“ Darauf hat er sich nie ausgeruht. Im Gegenteil: Bis heute ist er wissenschaftlich und publizistisch tätig – nicht selten auch gegen den politischen und medialen Mainstream bürstend. Im wahrsten Sinn des Wortes hat der Professor sich immer als einer verstanden, der die Bedeutung dieser Berufsbezeichnung aus dem lateinischen Verb „profiteri“ herleitete und vorlebte.

Interview
Michael Wolffsohn - Deutschjüdische Glückskinder
Nun also sein Kinder- und Jugendbuch einer deutschjüdischen Familiengeschichte. Er hat es für seine Enkel geschrieben. Und es kommt in mehrfacher Hinsicht zum richtigen Zeitpunkt: Seit exakt 1700 Jahren, nämlich seit 321 nach Christus, leben Juden auf dem Gebiet, das heute Deutschland heißt. Und es kommt auch deshalb zum richtigen Zeitpunkt, weil sich in Deutschland wieder ein – teilweise als Israelkritik kaschierter – Antisemitismus aus drei Richtungen breitmacht: aus der rechtsextremen, aus der linksextremen und vor allem aus der islamistischen Ecke.

Dennoch ist es kein Buch mit dem Zeigefinger. Nein, es ist ein Buch, das über jüngste Geschichte, über Vernichtung und Errettung von Juden aufklärt. „Authentisch“, wie man heute leider etwas inflationär sagt. Also in jeder Hinsicht glaubhaft und spontan Empathie erzeugend. Es ist ein liebevolles Buch, eine Hommage des Autors an seine Familie, die aus Bamberg und Berlin stammt. Es ist ein Buch ohne jede Eitelkeit; der Autor schreibt auch kaum über sich selbst, nicht einmal darüber, dass er nach dem Abitur in Berlin 1967 für drei Jahre nach Israel ging, um dort den dreijährigen Pflichtwehrdienst abzuleisten, und das unmittelbar im Anschluss an den „Sechstagekrieg“ vom Juni 1967, dem dritten arabisch-israelischen Krieg.

Als historisches Gerüst dient am Ende des Buches eine Zeittafel der Ereignisse von 1919 bis Mitte der 1960er Jahre: Weimarer Republik, Machtergreifung, Rassengesetze, Pogromnacht, Shoa, Weltkrieg, Kapitulation, Wiederannährung der Bundesrepublik und Israels mit Adenauer und Ben Gurion. Parallel dazu, ebenfalls in einer Zeittafel dokumentiert: die Geschichte Palästinas bzw. Israels.

Das Buch sollte Eingang in den Schulunterricht finden – besonders in den Fächern Deutsch, Geschichte, aber auch Religionslehre/Ethik. Und zwar als Klassenlektüre vor allem der sechsten bis achten Jahrgangsstufen, also für Heranwachsende zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr. Die genannte Altersgruppe ist die, in der man bei Kindern und Jugendlichen genügend historisches Denken voraussetzen kann, zumal die Lehrpläne der genannten Fächer hier einiges hergeben. Für diese Verwendung kann man dem Verlag nur empfehlen, auch eine preiswerte Taschenbuchausgabe aufzulegen.

Im Kampf um die Fakten
Michael Wolffsohn - Historiker wider die Fachidiotie
Weiter zum Buch: Der Wissenschaftler Wolffsohn kann überzeugend altersgerecht schreiben. Da merkt man ihm die vielen Gespräche mit seinen Enkeln Anna, Noah, Talina, Eva und Jonathan an. Seine Sprache ist nicht kindlich, sondern sehr anspruchsvoll, der Satzbau dennoch überschaubar, der Wortschatz bereichernd, vor allem auch, wenn Wolffsohn an Beispielen hebräischen und deutsch-jüdischen Wortschatz einführt. Wolffsohn spricht hier eine Sprache, gelegentlich auch jugendlich-flapsig, wie man es sich von Heranwachsenden wünscht. Insofern ist das Buch zugleich Sprachunterricht im besten Sinn des Wortes.

Empathie vermittelnd ist das Buch dort, wo Wolffsohn – mit mehr als sechzig Bildern veranschaulicht – die Erfahrungen vermittelt, die seine Großeltern und seine Eltern bis 1939 und mit ihrer Emigration in Hitler-Deutschland erleben mussten oder auch im positiven Sinn erleben durften: in der Schule, im öffentlichen und im geschäftlichen Leben, bei der Ausreise aus Deutschland, aber auch als nicht nur Willkommene im damaligen Palästina, später in Auseinandersetzungen um Wiedergutmachung für Güter, die vom NS-Regime enteignet wurden.

Topaktuell wird das Buch zum Ende hin, wo es um „Judenhass heute“ geht. Die Beispiele, die Wolffsohn hier zu berichten weiß, sind erschreckend, auch die Erlebnisse seiner bald hundertjährigen Mutter Thea, die dergleichen als 92-Jährige 2014 in Berlin erleben musste. Wolffsohn nimmt solche Beispiele zum Anlass, für ein Verstehen, für eine wechselseitige Achtung verschiedener Ethnien, verschiedener Religionen zumal des Christentums, des Judentums und des Islams zu werben.

Es ist dem Buch gerade in den genannten Altersgruppen eine große Leserschaft zu wünschen. Und den interessierten Lehrern die Courage, dieses Buch auch in Klassen mit multiethnischer Zusammensetzung lesen zu lassen und zu besprechen.

Diese Besprechung verfasste Josef Kraus für Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Michael Wolffsohn, Wir waren Glückskinder – trotz allem. Eine deutsch-jüdische Familiengeschichte. dtv junior, 240 Seiten, 14,95 €


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Kommentare ( 10 )

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j.heller
2 Jahre her

Es gibt allerdings keine „islamistische“ Ecke, denn „Islamismus“ ist nur ein intellektuell grunddummer, aber offenbar perfide wirksamer Propagandabegriff.
Seine Verwendung ist der Indikator, dass die Juden nicht geschützt werden, weil man nicht aufhören will, den Moslems …
Der muslimische Antisemitismus gehört zur DNA des Islam, KOran, Hadithen und Sira, ist Normalität im Mainstream. Generell IST der Islam politisch, da er konkrete Herrschaft ausübt.

elly
2 Jahre her

Vor über 10 Jahren war ich bei meinem Hausarzt, der bei den Linken aktiv war und für die Linke im Stadtrat saß. Er fragte mich, ob er mir mein Schilddrüsen-medikament von einem anderen Hersteller verschreiben dürfe. Auf meine Rückfrage weshalb, erklärte er mir, dass der Hersteller meine aktuellen Medikamentes aus Israel käme und er die Israelis nicht unterstützen wolle.
Aus Altersgründen praktiziert der Arzt schon lange nicht mehr
Der Antisemitismus ist gerade bei den Linken sehr tief verwurzelt.

Joerg Mathes
2 Jahre her

Professor Michael Wolffsohn habe ich immer als angenehmen und zutiefst
sympathischen Gast in Talkshows und Gesprächsrunden erlebt.Ich lernte ihn
2002 im Bordrestaurant eines ICE ’s kennen und führte ein nettes,freundliches Gespräch mit ihm, als ich-Lokführer-per Gastfahrt von Berlin nach Bayern unter-
wegs war.

Urbanus
2 Jahre her

Unsere Kultur ist christlich und jüdisch. So soll es auch bleiben für immer. Keine Experimente.

Last edited 2 Jahre her by Urbanus
Hannibal ante portas
2 Jahre her
Antworten an  Urbanus

„Nichts unter der Sonne hat Bestand.“ Und dafür wurde politisch gerade auch unter derzeitiger Regierung ja kräftig gearbeitet. „Unsere Kultur ist christlich und jüdisch.“ Diese Feststellung hätte wohl in der gesamten über zweitausendjährigen Geschichte im heutigen Deutschland (fast) niemand bis vor etwa 40/50 Jahren so getroffen. Ich habe mir mal den Spaß erlaubt und den Begriff „christlich-jüdisch“ in historischen Zeitungen (18. Jh. bis etwa Kriegsende) gesucht. Erstens: er taucht nur sehr selten auf. Zweitens: er taucht als negativ belegter Begriff im Zusammenhang von Mischehen auf ( auch schon vor 1933). Wahrscheinlich muss man sich eingestehen, dass es die ganzen Jahrhunderte… Mehr

bkkopp
2 Jahre her

Bei aller Hochachtung und Sympathie für Herrn Wolffsohn: ich möchte einen Punkt herausgreifen. Die Juden in der römischen Colonia Claudia Ara Agrippinensium ( CCAA ) waren in der römischen Kolonie am Rhein. Von einem Germanien, aus dem Deutschland wurde, konnte damals noch niemand sprechen. Wir wissen nicht einmal ob die Juden von damals überhaupt mit Personen germanischer Stämme Kontakt hatten. Deshalb beginnt auch das Jüdische Museum in Berlin mit der Geschichte der Juden in “ Deutschland “ im Mittelalter, Speyer, Worms, Mainz, Trier und Köln, als es dann tatsächlich jüdische Gemeinden in christlichen, deutschen Mehrheitsgesellschaften gab. In dieser Zeit wurzelt… Mehr

Hannibal ante portas
2 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Ihren Hinweis auf die jüdische Gemeinde in einer römischen Kolonie im römisch besetzten und römisch kultivierten Teil Germaniens finde ich richtig. Herr Kraus hat dies mit seiner Formulierung „…auf dem Gebiet, das heute Deutschland heißt.“ äußerst elegant und zutreffend beschrieben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Juden damals in irgendeiner Form Kontakt auch zu germanischen Bewohnern hatten. Römische Städte – gerade auch in Germanien – wurden ja nicht komplett von ursprünglichen Römern und auch nicht nur aus schon länger romanisierter Bevölkerung aus dem Mittelmeergebiet bewohnt. Nein, man legte explizit größten Wert darauf der einheimischen Bevölkerung die Segnungen der römischen… Mehr

Waehler 21
2 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Eventuell sollte man noch hinzufügen, dass die German zu dieser Zeit keine Christen waren und somit von der katholischen Kirche nicht nicht zu einer „kritischen“ Haltung gegenüber Juden angehalten wurden, für die Germanen waren es Römer.

Hannibal ante portas
2 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Naja, für die damaligen Bewohner der römischen Städte Germaniens (ob „Römer“ oder Germane) waren Juden mit Sicherheit exotische Mitbewohner mit Ihrem exklusiven Monotheismus nahöstlicher Prägung. Wie das tägliche Miteinander tatsächlich ablief, lässt sich objektiv wahrscheinlich nur indirekt mehr erahnen als erschließen. Bei dünner Quellenlage sollte man sich mit Mutmaßungen zurückhalten und weiter ERGEBNISOFFEN forschen.

Waehler 21
2 Jahre her
Antworten an  Hannibal ante portas

Das muss dann aber auch für die Bayern gelten, denn die hat das Imperium Romanum von dem heutigen Syrien nach Süddeutschland umgesiedelt um die Germanen besser zu kontrollieren.