Die heutige Krise Italiens ist die Draghi-Krise

Mario Draghi beabsichtigt Maßnahmen zu ergreifen, die den italienischen Bankensektor und zugleich den Euro retten sollen – zulasten der EU-Nordländer, allen voran Deutschland

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Wie gut, dass es Italien gibt! Denn der Schuldenweltmeister der europäischen Währungsunion mit insgesamt ca. 2,3 Billionen Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand schickt sich an, vor den Augen der ungläubig staunenden europäischen Eliten den lang im Verborgenen gehegten italienischen Traum in aller Öffentlichkeit beim Namen zu nennen.

Noch bevor es zu einer Regierungsbildung zwischen der alten Lega-Partei und der neu entstandenen 5-Sterne-Bewegung in Italien gekommen war, sprachen ihre Führer unter dem Beifall diverser italienischer Ökonomen das aus, woran vielleicht auch manche italienische Beamte innerhalb der EZB insgeheim schon seit langem gedacht haben. Sie wollen einen beträchtlichen Teil der italienischen Schulden im Eurosystem für immer dort lassen, wo er gegenwärtig ist: in den Bilanzen der Zentralbanken. Dies käme fürs Erste einem Schuldenerlass von ca. 250 Mrd. Euro gleich. Denn eine Schuld, die nicht zurückgezahlt wird, sondern auf ewig im Roll-over-Prinzip in der Bilanz einer Zentralbank verbleibt, spürt der italienische Staat nicht mehr.

Dass die neuen Führer Italiens über diesen Traum sogar öffentlich reden, während er für die Euro-Oberen in der EZB und in Brüssel ein Albtraum ist, erscheint nicht wirklich erstaunlich. Zu groß ist die Versuchung, dass die von Herrn Draghi energisch forcierte Aufkaufpolitik, die bisher insgesamt 2,6 Billionen öffentlicher Schulden in die Bilanzen von EZB und Eurosystem packte, die Frage aufwirft, ob die so in den Bilanzen der Zentralbank geparkten Schulden nicht ein für alle Mal im „EZB-Sarkophag“ verschwinden könnten. Die aus Deutschland mit verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Argumenten inbrünstig bekämpfte Aufkaufpolitik der EZB macht den Regelverstoß zum Gegenstand von Prozessen.  Die Kläger vor dem Verfassungsgericht als auch vor dem Europäischen Gerichtshof begehren ein Urteil: dass nämlich Draghis Aufkaufprogramm das Verbot der monetären Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 des AEUV verletzt.

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Zwischenzeitlich hat sich die fest installierte italienische Regierung dazu entschieden, einen „Haushalt des Volkes“ vorzulegen: mit staatlich garantiertem Grundeinkommen, Steuersenkungen und vielen Geschenken an diverse Klientel. Die Brüsseler Kommission lehnt den Haushaltsentwurf mit geplanter Neuverschulung in Höhe von 2,4% des BIP ab und droht ein Strafverfahren an. Doch was ist diese Kommission mit ihrem torkelnden Chef Juncker und seinem französischen Kollegen Moscovici noch wert? Hatte nicht Juncker seinen Freund Moscovici bei der Camouflage der französischen Regelverstöße unterstützt, weil „Frankreich halt Frankreich“ sei?!

Doch liegen die Dinge viel schlimmer. Dadurch, dass Draghis EZB im Rahmen seines Ankaufprogramms Hunderte von Milliarden Euro an Anleihen dem Handel entzogen hat und bis zu deren Endfälligkeit in die Zentralbankbilanzen verlagerte, hat er der italienischen Politik einen Köder hingelegt, den logischen, zweiten Schritt nachfolgen zu lassen und ökonomisch zu einer „Neutralisierung“ der Schulden beizutragen.

Dies rückt ein Land in den Vordergrund, das nicht nur Gegenstand endloser formalästhetischer Sehnsüchte ist.  Vielmehr geben die Forderungen der neuen italienischen Regierung an ihre nördlichen Nachbarn Anschauung und Gelegenheit, Italien mit wachsendem Realismus als ökonomisch besonders wichtiges Mitglied der europäischen Währungsunion zu betrachten. Draghi und seine vielen italienischen Mitstreiter in der europäischen Zentralbank (Ignazio Angeloni, Chiara Zilioli, Concetta Brescia Morra, um nur einige zu nennen) werden aufgeschrien haben, als ihre italienischen Landsleute am 16.5.2018 die entblößenden Vorschläge der Öffentlichkeit präsentierten. Denn der EZB-Chef und seine treuen italienischen Mitstreiter betreiben die Privilegierung italienischer Staatsschuld im Rahmen der von ihnen geenterten supranationalen europäischen Zentralbank auf viel subtilere Art und Weise. Hört man die Diskurse des autokratischen EZB-Chefs in den Pressekonferenzen, die den Zusammenkünften des EZB-Rats folgen, so muss man mit ungläubigem Staunen erfahren, dass diese riesigen Aufkaufprogramme allein dem Ziel der Erreichung der Preisstabilität, also eines Verbraucherpreisanstiegs von unter, aber nahe 2% dienen. Dass selbst die dort versammelten andächtigen Journalisten Signor Draghi dieses Märchen nicht mehr abnehmen und das Wort Forward Guidance mittlerweile einen ironischen Beiklang hat, ist indessen nur der eine Teil der Geschichte.

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Denn Draghi steht für viel mehr. Jener Chef der EZB, der die Vertreter anderer Länder, wie Bundesbank-Präsident Weidmann und Herrn Knot aus den Niederlanden, so zu marginalisieren verstand, als würden sie Volkswirtschaften von der Größe Maltas und Luxemburgs repräsentieren, hat eine große Vergangenheit, die es wert ist, beleuchtet zu werden. Als Draghi sich vor fast acht Jahren anschickte, Chef der mächtigsten europäischen Institution zu werden, wusste er ganz genau, welche Vergangenheit ihn verfolgte. Damit ist nicht seine ruhmreiche Karriere als Direktor des italienischen Schatzamtes gemeint. Noch weniger interessieren in diesem Zusammenhang seine wissenschaftlichen Tätigkeiten beim MIT in Amerika sowie seine Beratertätigkeit bei Goldman Sachs. Nein, entscheidend ist, dass Draghi als Gouverneur der italienischen Zentralbank und Notenbank Banca d’Italia (von 2006 bis 2011) umfassend für die Beaufsichtigung der italienischen Kreditinstitute zuständig war.

Die italienischen Kreditinstitute sind mehr als Pfandhäuser und Geldverleiher. Sie sind in dem großen Geschäft der italienischen Staatsfinanzierung das entscheidende Scharnierstück. Ohne sie ist Italien pleite. Sie müssen den Italienern nahebringen, die Schuldtitel des italienischen Staates zu erwerben, bzw. den internationalen Investoren eine solche Kaufneigung nahelegen. Daher dürfen sie auch nicht zum Gegenstand von Zweifeln an ihrer Bonität werden oder gar einem Liquidationsverfahren unterworfen werden. Wenn nun eine Reihe von regierungsnahen Banken sanierungsbedürftig ist oder gar abwicklungsbedürftig würde und darüber hinaus die drittgrößte Bank, die Banca Monte dei Paschi, 2016 nur durch eine Rekapitalisierung des italienischen Staates gerettet werden konnte, so liegen die Gründe dieser Misere weit zurück, aber nicht soweit, als dass man die Spuren von Herrn Draghi nicht noch gut erkennen könnte. Denn er war als Chef der Banca d’Italia für die Bankenaufsicht zuständig. Er ist für den gruseligen Zustand der italienischen Kreditwirtschaft verantwortlich. Die Vergangenheit holt Signor Draghi ein.


Markus C. Kerber

Der Autor ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, Gründer des Thinktanks Europolis und – ausweislich seiner zahlreichen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht – einer der streitbarsten Kritiker der EZB-Politik.

Hier weiterlesen: Markus C. Kerber, Die Draghi-Krise. Wie die EU plant und Deutschland bezahlt. FinanzBuch Verlag, 128 Seiten, 9,99 €


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Kommentare ( 11 )

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udostolze
5 Jahre her

Prof. Thomas Mayer: „Italien passt einfach nicht in den Euro – und das sehen wir jetzt!“ Kommt jetzt möglicherweise eine Parallelwährung?

https://aktien-boersen.blogspot.com/2018/11/prof-thomas-mayer-italien-passt-einfach.html

Absalon von Lund
5 Jahre her

Nun steht Italien wieder am Pranger, und die Spanier können es natürlich auch nicht, die Franzosen sind Pfeifen und erst die Griechen. Und dann diese bösen Briten, die man gar nicht zu fassen kriegt, die so unerhörst eigenständg sind. Warum muß der Michel sich denn mit sochen vernetzen, die so gar nicht seinen Ansprüchen genügen. Doch halt, da gibt es diese Stelle in der Bergpredigt, wo es heißt: „Warum beklagst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht“ Was ist dieser Balken? Der Michel geht an Krücken, er kann nicht eigenständig laufen,… Mehr

Amerikaner
5 Jahre her

Gemein haben doch all diese Probleme der EU nur eines: Hals über Kopf hat man gemeinsame Institutionen geschaffen, bei denen die Durchsetzung von Recht an Freiwilligkeit gebunden ist. Dies stellt sich nun ein ums andere mal als katastrophal heraus, wie etwa im Grenzschutz, dem Euro, der Asylpolitik usw.

Nun kann man zwei Dinge tun. Entweder diese Institutionen funktionsfähig machen, oder die Rolle rückwärts. Allein, wir machen lieber gar nichts!

W aus der Diaspora
5 Jahre her

„mit staatlich garantiertem Grundeinkommen“

weniger als bei uns Harz-4 – und es soll ebenfalls mit Forderungen, wie in D verbunden sein. Also nett es bitte Sozialhilfe und nicht Grundeinkommen!

Wibke Nolte
5 Jahre her

Es wird so kommen, wie Draghi es plant. Wenn Jens Weidmann die bisherigen Aufkaufprogramme der EZB auch immer kritisiert, so habe ich von ihm bislang noch keine Alternative gehört. Dass Draghi immer noch damit durchkommt, seine Geldpolitik als Mittel zur Steuerung der Inflation zu verkaufen, ist unglaublich.

F.Peter
5 Jahre her

Draghi hat vor allem mit der sogenannten Griechenland -Rettung sein Pulver verschossen. Denn dass diese „Rettung“ erfolgreich ist, wird sich nicht bewahrheiten und Draghi war einer der Befürworter, die Griechen „an die Kette“ zu legen und das Land damit zu lähmen. Er weiß jedoch ganz genau, dass diese mit den Italienern und auch aufgrund seiner beruflichen Vergangenheit nicht funktionieren wird. Daher können wir getrost die nächsten Wochen abwarten und zusehen, wie sich die Situation eskaliert bis zum Crash.
Da kann man heute schon sagen: Frohe Weihnachten

Werner Brunner
5 Jahre her

Ja , und …. ?
Ist doch alles prima !
Die verblödeten Deutschen werden schon für den Schaden aufkommen …..
Die CDU , SPD , Grünen , FDP und Linke , und deren Politiker werden schon
dafür sorgen …..
Welche Konsequenzen hat eigentlich Mister Draghi denn zu befürchten ?
Ich befürchte , gar keine !
Wie es halt so üblich ist in dieser korrupten EU ……
Man / frau fragt sich , wie lange wird das noch “ gutgehen “ …..
Eigentlich sind diese Gestalten schon überfällig !

Heinrich Niklaus
5 Jahre her

Die Euro-Mafia um Herrn Draghi ist unangreifbar. Die europäischen Staatschfs werden nicht daran rühren und der EuGH schon gar nicht. Und das BVerfG hat sich freiwillig dem EuGH unterstellt. Aber auch die Märkte haben kein Interesse, diese Währungs-Fatamorga

CarolusMagnus
5 Jahre her

Draghi kann gegenüber Italien nie neutral sein. Hier hat man auch den Bock zum Gärtner gemacht.

Michael Theren
5 Jahre her

sicher alles dreht sich um die Finanzwirtschaft, aber das die italienische Realwirtschaft in den letzten Jahren um 20 – 30% abgebaut hat, das das Land schlicht auf den Weg in die wirtschaftliche 3. Welt ist und nur durch die EU (Zentralbank) Subventionen einen westlichen Lebensstandard halten kann, sollte vielleicht auch erwähnt werden, ebenso daß der Hauptgläubiger aus französischen Banken besteht, weswegen Herr Miaron ja so gerne mit Frau Merkel kuschelt….

EU = Armut für Alle , Reichtum für die Eliten