Seyran Ateş über einen Multikulturalismus, der in der sozialen Katastrophe endet

Seyran Ateş: Ursächlich für das Versagen einer Idee von Multikulturalismus in Deutschland sei die Akzeptanz selbst noch autoritärster Weltbilder, die gutgeheißen würden aber „letzten Endes ein Weg in die soziale Katastrophe“ bedeutet.

imago images / snapshot

Seyran Ateş gehört sicher zu den mutigen Deutschen der Gegenwart. Die Lebenswelt der Rechtsanwältin mit türkischen Wurzeln könnte gar als Schande für Deutschland bezeichnet werden, wenn man sich erst einmal darüber Klarheit verschafft, welche Verfolgungen, Morddrohungen, Anfeindungen übelster Machart und Übergriffigkeiten die Streiterin für einen gemäßigten Islam, für Demokratie, Feminismus und Menschenrechte in diesem Lande ausgesetzt ist.

Die Leidensgeschichte – so darf man es wohl nennen, wenn Ateş Mitte der 1980er Jahre nur knapp ein Attentat überlebt hat – der heute 55-Jährigen liest sich wie ein Katalog des Versagens der Sicherheitsbehörden dieses Landes. Immer wieder waren die Bedrohungen gegen Seyran Ateş und ihre Familie so massiv, dass sie ihre Tätigkeit als Anwältin mehrfach über Jahre niederlegen musste, um neuen Mut für ein neuerliches öffentliches Engagement zu fassen.

Ateş ist zu so etwas wie einer Hassfigur der islamistischen Szene geworden. Aber sie wird nicht nur aus der illegalen Szene heraus angegriffen.

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Auch wenn wir es hier sonst nicht empfehlen, aber wer Seyran Ateş noch nicht kennt, wer sich interessiert, der soll gerne ihren Wikipedia-Eintrag lesen als ersten Einblick darüber, welchen Drangsalierungen und Gefahren die 1963 Geborene über Jahrzehnte hinweg ausgesetzt ist – und das nicht etwa in irgendeinem Land jenseits der Demokratie, sondern mitten unter uns, mitten in Deutschland.

Sicher aus einer Vielzahl bester Gründe ist sie heute Trägerin des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse – immerhin eine symbolische Geste, aber letztlich auch ein schwacher Trost und eine schwache Entschuldigung des deutschen Staates, hier so kolossal versagt zu haben.

Ateş ist Initiatorin und Mitbegründerin der gemäßigten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, in der Frauen und Männer gemeinsam beten sollen. Und sie hat sich zur Imamin ausbilden lassen. Ateş erhielt nach Gründung der Moscheegemeinde weitere Morddrohungen und wird seitdem Tag und Nacht von der Polizei bewacht.

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Einer der Kommunikationskanäle, der Seyran Ateş noch bleibt, ist ihr Facebook-Account. Der Respekt vor einer mutigen Frau gebietet es deutschen Redaktionen, hier regelmäßig zu lesen und zu schauen. Ein aktueller Bericht der Rechtsanwältin, die auch Autorin und Frauenrechtlerin ist, beschäftigt sich mit den Verwerfungen eines Landes, das als Einwanderungsland versagt.

Ateş beklagt, dass es eine Reihe von vermeidbaren Problemen mit sich bringen würde, wenn an Migranten in Deutschland keine Forderungen gestellt werden würden. Schlimmer: Dieses Versagen würde Kräften Vorschub leisten, die an einem „ausschließlich durch ethnische Zugehörigkeit“ definiertem Deutschland“ interessiert seien. Das aber könne laut Ateş nicht im Sinne demokratisch denkender Bürger sein.

Für die Rechtsanwältin stellt sich die Sache simpel da: „Wer Einwanderung zulässt, ist dazu aufgerufen, ihre Kehrseiten zu minimalisieren. Und das kann nur mit einem Mindestmaß an Ehrlichkeit gelingen. Probleme müssen erst einmal benannt werden, bevor man zu ihrer Lösung schreiten kann.“

Die Schuldigen macht Ateş in den Leitmedien und Universitäten des Landes aus. Dort würde die Meinung vorherrschen, „Integration werde sich quasi von selbst einstellen, wenn nur die Hürden dafür möglichst niedrig seien. Manche gehen sogar soweit, zu behaupten, eine Nicht-Thematisierung von Integrationsproblemen könne dabei behilflich sein. Das ist nicht nur höchst ideologisch und demokratiepolitisch bedenklich, sondern auch empirisch fragwürdig.“

Besonders verwerflich für die engagierte Berlinerin ist es auch, dass beispielsweise die Zustimmungsraten für die von der AKP unterstützten türkischen Verfassungsreform von 2017 gerade „in den Everything-Goes-Paradiesen Deutschland, Frankreich und Belgien“ so hoch seien, während diese „in selbstbewusst-strengen, aber fairen Ländern wie Kanada und den USA weitaus niedriger“ ausfalle. Ateş beklagt, dass selbst in der Türkei nicht derart hohe Prozentsätze erreicht würden wie beispielsweise in ihrem Heimatland Deutschland.

heute journal
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Ursächlich für das Versagen einer Idee von Multikulturalismus sei die Akzeptanz selbst noch autoritärster Weltbilder, die gutgeheißen würden, aber „letzten Endes ein Weg in die soziale Katastrophe“ bedeuten.

Ateş beendet ihren Weckruf via Facebook so:

„Sehen wir der Wahrheit ins Auge: Wohlwollende Ignoranz schafft blinde Flecken – und blinde Flecken werden ausgenützt. Das Beste, das man hier seitens der Politik gegen den Vormarsch illiberaler und autoritärer Ausformungen der Kultur von Einwanderern aufzubieten weiß, ist das Bemühen von ausgelutschten Floskeln und eine verdatterte Bitte, doch den Zusammenhalt zu wahren.“

Eine tapfere Frau, die viel erlitten hat. Eine deutsche Muslimin, die nicht anders kann, als für ihre Ideale einzutreten. Und die dafür in Deutschland streng bewacht und beschützt werden muss vor Muslimen, die das alles ganz anders sehen. Die nichts anfangen können mit den Idealen dieses Landes. Die in Seyran Ateş offensichtlich so etwas wie eine Verräterin sehen, weil sie sich mit der deutschen Sache gemein macht.

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Kommentare ( 120 )

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Rosenwasser
4 Jahre her

Ein „säkularer Isam“, wie er von Seyran Ates u. a. propagiert wird, ist ein irreales Konstrukt (viereckiger Kreis). Als aufgeklärte Europäer sollten wir uns an die Fakten, d.h. an die tatsächlichen Inhalte und Statusmerkmale halten, die den orthodoxen Mainstreamislam prägen. Siehe Koran, Hadithsammlung und Scharia. Eine prägnante Darlegung dazu kann man hier sehen. Initiative an der Basis, mit Hartmut Krauss:
https://www.youtube.com/watch?v=KBT80DJlfw0
https://basisinitiative.wordpress.com/video/

Rosenwasser
4 Jahre her

Ein „säkularer Isam“, wie er von Seyran Ates u. a. propagiert wird, ist ein irreales Konstrukt (viereckiger Kreis). Als aufgeklärte Europäer sollten wir uns an die Fakten, d.h. an die tatsächlichen Inhalte und Statusmerkmale halten, die den orthodoxen Mainstreamislam prägen. Siehe Koran, Hadithsammlung und Scharia. Eine prägnante Darlegung dazu kann man hier sehen, Initiative an der Basis, mit Hartmut:
https://www.youtube.com/watch?v=KBT80DJlfw0
https://basisinitiative.wordpress.com/video/

wat nu
4 Jahre her

„unter den Menschen und gegen die Menschen zu behaupten“, einen nie endenden Kampf der Kulturen um die Ausdifferenzierung des vermeintlich richtigen Weges von Lebensart,Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte usw., “ . . . nur kämpfen kann man eben auch mit Worten, das ist weniger schädlich. Eine wesentlicher Voraussetzung hierfür ist Bildung. Davon gibt es nicht mehr wirklich viel. Man schaue sich um. Machen Sie mal einen Test und fragen auf der Straße wer A.E. war. Wer Macht ausübt führt meist die Dummen. Dumme sind besser führ- verführbar usw. Jemand der an der Macht ist, hat ein Interesse daran, dass… Mehr

hubert paluch
4 Jahre her

Wie hat der Starjournalist und Erfolgsautor Tom Wolfe die Zustände in der ersten US-amerikanischen Großstadt beschrieben, in der die Weißen zur Minderheit wurden: „Hier hasst jeder jeden!“
Tom Wolfe, Back to blood, 2012
(der Wikipedia-Eintrag zum Roman gibt den Inhalt erstaunlich deutlich wieder, das Hörbuch in englischer Sprache ist ein Genuss).

Danton
4 Jahre her

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, Frau S.

Konservativ_DasGuteBewahren
4 Jahre her

Kardinal aus Irak fordert Stärkung des christlichen Erbes in Europa und Bestrafung der IS-Terroristen – die der Westen in den Nahen Osten geschickt hatte ! (Quelle Breitbart.) ABER DAZU SAGT weltlicher Globalisten-PAPST FRANCISCUS NICHTS. ;-( Iraqi Cardinal Sako Warns of ‘Christianophobia’ in Europe ! The Patriarch of the Chaldean Church, Louis Raphael Sako takes part in a mass for Easter celebrations led by Cardinal Fernando Filoni (unseen), Pope Francis‘ special envoy to Iraq and attended by Iraqi Christians who fled the violence in the northern Iraqi city of Mosul, on April 4, 2015 in … Europe must rediscover its Christian… Mehr

Th.F.Brommelcamp
4 Jahre her

Tango Franz steht stellvertretend für den sozialistischen Geist in der Kath. Kirche. Sein Verhalten hat auch einen Anteil der mehr als 200.000 Kirchenaustritte jährlich.
Wenn der Vorstand eines Fußballvereins lieber ein Domino Club daraus macht, muss man nicht Mitglied bleiben.

wat nu
4 Jahre her

Lieber Frank, nochmal, ich bezweifle nicht, dass bereits Vieles an die Wand gefahren wurde, durch laxe oder vielmehr unrechtlicher Anwendung bestehender Gesetze. Aber ich bezweifle auch nicht, dass viele, zwischenzeitlich Passdeutsche Muslime hier leben, denen eine Rückkehr in die Heimatländer ihrer Eltern/Großeltern teils nicht mehr möglich ist, teils auch nur unmöglich erscheint (warum bleibt jetzt mal dahingestellt). Ich weiß auch, dass die Integration derer nur teilweise gelungen ist. Einen wesentlichen und verantwortlichen Teil an diesem Misserfolg sehe ich eben in der angeblichen Unreformierbarkeit dieser Steinzeitreligion. – Aber ich kann daran eben nichts ändern. Und weil ich eben, als nurdeutscherBiomichel nur… Mehr

H. Priess
4 Jahre her

Ein sehr guter Kommentar zum Thema Islam-Mohamed ist heute in der NZZ zu lesen dort geht es auch um die Frau Seyran Ates und ihr Irrtum einen säkulären Islam zu schaffen. Wo Islam drauf steht ist Mohamed drin und seine Worte sind Unumstößlich.

Judith Panther
4 Jahre her

Autsch! Eine Welt ohne Islam wäre eine bessere, in einer Welt ohne Männer würde die Kriminalitätsrate um 90 % sinken und eine Welt ohne Menschen wäre das Paradies.

Kassandra
4 Jahre her
Antworten an  Judith Panther

Judith Panther – unsere westliche Welt war tatsächlich ohne Islamangehörige, die sich nicht anpassen dürfen und wollen, eine Bessere.
https://www.achgut.com/artikel/was_wollen_walid
Umfänglich auf 39 Seiten zu finden bei Bill Warner – Scharia für Nichtmuslime.
Alles, was Integration und einvernehmliches Zusammenleben verhindert und uns auf Dauer schadet.

honky tonk
4 Jahre her
Antworten an  Judith Panther

Ohne Männer würde die Infrastruktur zusammenbrechen und der weibliche Teil der Menschheit zum größten Teil verhungern,erfrieren.Paradies ist ein transzendentes Konstrukt und mit Sicherheit nicht auf Erden machbar weder mit noch ohne Menschen.In der Natur herrschen alles andere als paradiesische Zustände.Und jetzt sagen Sie doch mal weshalb der Islam moralisch gleichwertig oder besser als andere Religionen ist,ansonsten wäre die Welt in der Tat eine bessere ohne Islam.Mit einem bisschen Logik klappt es besser mit dem Denken.

Judith Panther
4 Jahre her

Frau Ates bezeichnet „die in den Leitmedien und Universitäten des Landes vorherrschende Meinung“, derzufolge „Integration sich quasi von selbst einstellen“ würde, wobei „eine Nicht-Thematisierung von Integrationsproblemen dabei behilflich sein könne“ als „nicht nur höchst ideologisch und demokratiepolitisch bedenklich, sondern auch empirisch fragwürdig.“ Ich finde, man muß nicht jede vorherrschende Meinung im Modus des elaborierten Sprachcodes bewerten. Man kann sie restriktiv-relaxed auch einfach als das bezeichnen, was sie ist: Gequirlte Ausscheidungen eierlegenden Federviehs. Und was ihre abgespeckte Islam-Version angeht: ich glaube nicht, daß Allah überhaupt noch Zeit hat, seine Gläubigen nach Farbe zu sortieren. Der ist viel zu sehr damit beschäftigt,… Mehr