Murswiek: Verbotsbegründung mit angeblichen „Rechten“ glatt verfassungswidrig

Das Verbot der Corona-Demonstration ist klar verfassungswidrig, wenn angebliche Rechtsradikale als Begründung herangezogen werden, erklärt der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek. Es muss politische Gleichbehandlung gelten.

imago Images/Stefan Zeitz

Die Berliner Versammlungsbehörde hat heute mehrere Demonstrationen verboten, die am kommenden Wochenende in Berlin stattfinden sollten. Wir geben die Pressemitteilung wieder und haben dazu den Verfassungsrechtler Dieter Murswiek um eine Beurteilung gebeten.

Die Verbots-Begründung

In einer Pressemitteilung der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport heißt es:

Die Verbote werden maßgeblich damit begründet, dass es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen wird. Besondere Auflagen – wie zum Beispiel das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – als milderes Mittel seien bei den angemeldeten Versammlungen nicht ausreichend. Die Versammlungen vom 01.08.2020 hätten gezeigt, dass die Teilnehmenden sich bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen hinweggesetzt haben.

Innensenator begrüßte Entscheidung wegen „Rechtsextremisten“

Berlins Innensenator Andreas Geisel begrüßte die Entscheidung: „Das ist keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz. Wir sind noch mitten in der Pandemie mit steigenden Infektionszahlen. Das kann man nicht leugnen. Wir müssen deshalb zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden.“ Versammlungsfreiheit bedeute nicht, sich über geltendes Recht hinwegsetzen zu können, sagte Andreas Geisel. „Die Anmelder der Versammlungen, die Anfang August in Berlin stattfanden, haben ganz bewusst die Regeln gebrochen, die sie vorher in Gesprächen mit der Polizei akzeptiert hatten – dazu gehörten das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und das Einhalten des 1,5-Meter-Abstands. Ein solches Verhalten ist nicht akzeptabel. Der Staat lässt sich nicht an der Nase herumführen.“

Innensenator Geisel kündigte ein konsequentes Vorgehen der Polizei an, sollten sich dennoch große Menschenansammlungen bilden. „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen“, sagte Berlins Innensenator.

Andreas Geisel kündigte zudem an, dass die im Vorfeld angekündigten Zeltlager in Berlin nicht geduldet werden. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Berlin zu einem großen Campingplatz für vermeintliche Querdenker und Verschwörungsideologen gemacht wird.“

Ist das verfassungsgemäß? 

TE hat den anerkannten Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek um eine aktuelle Einschätzung gebeten, nachdem er dazu bereits grundsätzlich auf Bitten des Landtags von Rheinland-Pfalz gutachterlich tätig geworden ist. Murswiek erklärt:

Die Antwort auf Ihre Frage muss auf zwei Ebenen gegeben werden: Erstens: Sind bei der geplanten Demonstration tatsächlich Verstöße gegen Hygienevorschriften in einem Umfang zu befürchten, der unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht hingenommen werden kann? Oder ist dies nur ein Vorwand, um eine politisch unerwünschte Demonstration zu verhindern? Dafür könnte sprechen, dass der Berliner Innensenator laut Spiegel folgendes erklärt hat:

„Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird“, erklärte der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Der Staat lässt sich nicht an der Nase herumführen.“ Er erwarte auch, dass sich alle „Demokratinnen und Demokraten“ klar von diesen distanzierten.

Wenn das die eigentliche Motivation des Verbots ist, ist das Verbot klar verfassungswidrig. Das Verwaltungsgericht, das über das Verbot wird entscheiden müssen, wird auch zu berücksichtigen haben, ob Demonstrationen mit anderer politischer Zielsetzung und vergleichbarem Verhalten der Teilnehmer hinsichtlich der Beachtung der Hygieneregeln vom Berliner Senat verboten worden sind. Wenn nicht, wäre das ein Indiz für Missbrauch der Verbotsmöglichkeit und eventuell ein Verstoß gegen das Willkürverbot.

Warum wurden Blacklivesmatter-Demos anders behandelt?

Dietrich Murswiek: Die zweite Ebene ist eigentlich vorgelagert, doch wird sie beim verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz vermutlich keine Rolle spielen. Es geht um die Frage, ob sich die Abstands- und Maskenpflichten bei Demonstrationen überhaupt noch rechtfertigen lassen. Dies wäre nicht der Fall, wenn sie zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie nicht mehr erforderlich wären. Hier wäre beispielsweise zu prüfen, ob die Massendemonstrationen von BLM oder die Massendemonstration von Gegnern der Corona-Politik am 1. August, bei denen die Hygieneregeln laut Presseberichten weitgehend nicht beachtet wurden, nachträglich als Hotspots für die Verbreitung des Virus erwiesen haben. Darüber müsste das RKI mittlerweile gesicherte Erkenntnisse haben. Wenn es danach kein auffälliges Infektionsgeschehen gab, ist dies ein Argument für die Ungefährlichkeit solcher Demonstrationen.

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Kommentare ( 240 )

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Micha.hoff
3 Jahre her

Nur Schafe, die man an „die Leine nehmen muß“, halten sich ohne eine sachliche Begründung an Vorschriften. Es gab und gibt keine Epidemie. Das kann jeder feststellen, der nicht vor der Glotze sitzt, sondern mit offenen Augen durch die Welt geht. Selbst Ärzte konnten mir bisher nicht den Gegenbeweis antreten. Wenn es tatsächlich eine Seuche gäbe, würde sich fast jeder in seinem Haus eingraben und solche Diskussionen wie wir sie hier führen, würden nicht stattfinden.

Skeptiker
3 Jahre her

So ist es: „Der Staat lässt sich nicht an der Nase herumführen.“
Lieber führt er selber die Bürger daran herum!

moorwald
3 Jahre her

Ob Mutti mal kurz telefoniert hat…? Geisel hat einen Fehler gemacht: er hat ausdrücklich gewisse Gruppen genannt (Reichsbürger, Corona-Leugner), deren Teilnahme an einer Demonstration er unterbinden will.
Eher unbeabsichtigt hat er er damit sein Motiv verraten. Wird vor Gericht keinen guten Eindruck machen.

Micha.hoff
3 Jahre her

Allein die Tatsache, daß die Schutzmaßnahmen vor einem angeblich gefährlichen Virus nur durch äußerst repräsive Maßnahmen im Volk durchgesetzt werden können, beweist schon die Ungefährlichkeit der angeblichen Epidemie. Denn kein Mensch wäre so blöd, sich nicht mit allen Mitteln vor einer tatsächlichen Infektionsgefahr schützen zu wollen.
Der Innensenator geht offensichtlich davon aus, daß sich in Berlin tausende Menschen versammeln und sich gegenseitig im vollen Bewußtsein mit einem gerfährlichen Virus anstecken. Es wird immer irrer und der ganze Corona-Hype zerschellt an der Wirklichkeit.

Deutscher
3 Jahre her

In jedem Deutschland gab es Leute, deren Versorgung jederzeit sichergestellt war. Insofern ist Ihre Beurteilung mäßig relevant.

hoho
3 Jahre her

wenn man lange sucht findet man auch. Ich frage mich schon länger wieso merken das die Leute nicht. Was die Eliten mit uns allen in fast allen westlichen Länder machen ist obendrauf links und grün innerlich aber kaum zu unterscheiden von Ideen der Ultrarechten. Beide Seiten sind extrem auf Rasse uns Geschlecht als entscheidende Merkmal konzentriert und ignorieren dabei komplett dass es der Rechtsstaat nur dann wirklich funktionieren kann wenn alle gleich behandelt und Redefreiheit garantiert werden. Corona ist ein Geschenk Gottes für die und sie nutzen auch die Gelegenheit um „Menschenleben zu retten“. Die meiste Menschen haben entweder keine… Mehr

Dr. Michael Kubina
3 Jahre her

Auf der Wiki-Seite zu Geisel ist gerade echt was los. Plötzlich findet sich da ein langes, nicht belegtes Zitat zur Erklärung seiner SED-Mitgliedschaft, das heute morgen noch nicht drin war. Die Aussage, er sei „nach“ dem Massaker am Platz des himmlischen Friedens aus der SED ausgetreten, ist allein mit seiner Homepage belegt. Ich vermute, das ist pure Legendenbildung. Ein SED-Austritt war eine so einschneidende Sache, da weiß man wann das genau war! „Nach“ ist ein dehnbarer Zeitraum und heißt zudem auch nicht „wegen“. Auch sein Demo-Verbot ist übrigens schon drin.

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Dr. Michael Kubina

Analog dazu Haseloff, welcher wegen eines einzelnen Nazispinners das gesamte Demonstrationsrecht eindampfen will:
https://amp.mz-web.de/halle-saale/nach-liebich-demos-in-halle-haseloff-beauftragt-aenderung-zu-demonstrationsrecht-37240258

Auch er: Seinerzeit Blockflöte und damit privilegierter DDR-Systemprofiteur!

Hat, wie Merkel, nicht vergessen, was man ihm drüben beigebracht hat.

Ekelerregend! Deutschland muß endlich entgenossifiziert werden!

Skeptiker
3 Jahre her
Antworten an  Deutscher

… und vor allem entgrünifiziert!

hoho
3 Jahre her

Wenn man dem machen lässt, werden sie es tun. So lief das bis jetzt.
Bis der Punkt erreicht ist an dem Widerstand größer als der Willkür und Unterdrückung ist, werden sie es weiter machen. Immer weiter.
Vlt fahre ich dahin. Aus Prinzip. Konsequenzen wird es so oder so geben.

drnikon
3 Jahre her

Die Nazis, sie sprachen von sich selbst als Linke, kämpften auch gegen rechts. Dort ist das Bürgertum verortet. In Deutschland hat mannender auch ein großes Problem zwischen Nationalismus und Patriotismus zu unterschieden. Nationalismus paßt gar besser zu den, ebenfalls kollektivistisch gesonnenen, Linken.
Der Kampf gegen Rechts ist nicht anderes, als die von Marx u. a. vehement geforderte Zerstörung des Bürgertums (freiheitlich, Familie, gebildet, belesen, demokratisch, fleißig, emphatisch etc.).

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  drnikon

Richtig. Auch der braune Sozialismus war zuallererst ein Sozialismus. Unterschiede zum roten S waren nur Modalitäten, während die Strukturen und Methoden dieselben und ursozialistisch waren.

Fred Schneider
3 Jahre her

Die Gefährlichkeit des Virus sollte man primär an der Sterberate messen. Weil die von Anfang an jedenfalls nicht hoch oder sehr hoch (derzeit ca. 4% der Infizierten in Deutschland) war, liegt weit überwiegend keine Lebensgefährlichkeit vor, die einem Angst machen müsste. In Relation zu den insgesamt in 2020 Verstorbenen beläuft sich der Anteil der Corona-Toten auf ca. 1,5%, ist somit schon fast vernachlässigbar, was das allgemeine Lebensrisiko betrifft, dem wir uns von Geburt an stellen. Angesichts dieser Fakten ist beinahe jeder auf Corona begründete einschränkende Eingriff in die Grundrechte von vornherein verfassungswidrig, wenn man den Grundrechten die Bedeutung beimisst, wie… Mehr

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Fred Schneider

„Die Gefährlichkeit des Virus sollte man primär an der Sterberate messen.“

…oder am politischen Mißbrauch.