Verkehrsminister Schnieder schickt Bahnchef Lutz in die Wüste

Richard Lutz geht. Doch das Versagen hat System. In der Vergangenheit wurden Mitarbeiter entlassen, um kurzfristige finanzielle Entlastung zu erreichen. Das rächt sich jetzt. Kompetentes Personal wurde gekündigt, Ersatz scheint es dafür aber nicht mehr zu geben. Verkehrsminister Schnieder führt diese kurzfristige Politik fort.

picture alliance/dpa | Harald Tittel

Bahnchef Richard Lutz muss gehen – zwei Jahre vor Vertragsende. Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will damit die Neuaufstellung des kriselnden Staatskonzerns einleiten. Überraschend ist das nicht, es hatte sich seit Monaten angekündigt. Überraschend – oder eigentlich auch nicht – ist lediglich die Stümperhaftigkeit, mit der dies in die Wege geleitet wird. Es ist sowieso schon erstaunlich, den Mann an der Spitze zu feuern, ohne Nachfolge zu haben. Stattdessen soll der Alte noch maximalbeschädigt weitermachen, bis ein Nachfolger gefunden ist. Dass der es dennoch tut, spricht ebenfalls Bände. Eine Figur mit Statur wäre sofort gegangen.

Lutz übernahm den Vorstandsvorsitz 2017. Damals lag die Pünktlichkeit im Fernverkehr noch bei 78,5 Prozent – schon nicht gut, aber deutlich besser als heute. Unter seiner Führung sank die Quote auf zuletzt 57,1 Prozent im Juni 2025, was bedeutet, dass nahezu jeder zweite ICE oder IC mehr als sechs Minuten zu spät ans Ziel kommt. Parallel stieg die Unzufriedenheit der Kunden, während die wirtschaftliche Lage sich zuspitzte: 2024 schrieb die Bahn ein Minus von 1,8 Milliarden Euro, in der Corona-Krise 2020 waren es sogar 5,7 Milliarden Euro.

Dürftige Bahnbilanz
Deutsche Bahn fährt weiter herbe Verluste ein
Zentraler Schwachpunkt ist das Schienennetz. Jahrzehntelanges „Kaputtsparen“ hat Gleise, Weichen und Stellwerke in einen Zustand gebracht, der tägliche Störungen zwangsweise hervorbringt. Wartungsrückstände wurden so lange aufgeschoben, bis akute Schäden nur noch durch direkte Bundeshilfen behoben werden konnten.
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Zweiter Schwachpunkt: gravierender Personalmangel. Stellwerke, die entscheidend für den Zugverkehr sind, können nicht mehr richtig besetzt werden, weil streckenkundige Mitarbeiter fehlen. Dies übrigens schon seit Vorgänger Rüdiger Grube, der mal selbst unangemeldet das Stellwerk Mainz besuchte und sich vor Ort informieren wollte, als über längere Zeiten keine Züge fahren konnten.

Erinnert sei an den unglückseligen Hartmut Mehdorn, von 1999 bis 2009 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Bei Heidelberger Druck klatschten sie erleichtert Beifall, als der von Gerhard Schröder zur Bahn gerufen wurde. Heidelberger Druck hat mit Ach und Krach Mehdorns Wirken überlebt. Sein Rezept: massive Stellenstreichungen, Reduzierung von Werkstatt- und Instandhaltungskapazitäten und Abreißen von Schienen, auch wichtigen Überholgleisen. Eben Tafelsilber verkaufen wie bei Heidelberger Druck. Kurzfristig senkte das die Kosten – langfristig führte es zu Qualitäts- und Zuverlässigkeitsproblemen im Netz und im Fahrzeugbestand. Heute gibt es zu wenige Ausweichstrecken, auf denen langsamere Züge von schnelleren überholt werden könnten.

Mehdorn ließ kleinere Bahnhöfe und Strecken schließen. Man könne nicht an jeder Milchkanne halten, sein Spruch damals. An „Milchkannen“ allerdings steigen auch Fahrgäste ein und aus, ohne viele Zusteigemöglichkeiten ist ein „System Bahn“ wenig sinnvoll. Die wenigsten wohnen neben Hauptbahnhöfen.

Qualifizierte Eisenbahner wurden reihenweise entlassen oder frühpensioniert. Die konnten später nicht einfach ersetzt werden – so ist Fachkräftemangel bis heute ein Problem. Dabei gibt es wohl kaum ein System, dessen Funktionieren so davon abhängt, dass fast jeder weiß, wie die Zusammenhänge sind, wie bei der Bahn. Das gilt bis in die obersten Etagen.

Deutsche Bummelbahn 2025
Nur jeder zweite Fernzug fährt noch pünktlich
Die Bahn ist ein hochkomplexes Gesamtsystem aus Infrastruktur, Fahrzeugen, Fahrplänen, Personal, Kundenprozessen und Finanzen. Wenn nur ein Bereich schwächelt, kippt der ganze Betrieb. Führungskräfte müssten nicht nur ihre eigene Sparte kennen, sondern verstehen, wie alles ineinandergreift – und Entscheidungen so treffen, dass keine Kettenreaktionen entstehen.

In den letzten Jahrzehnten hat es zu oft Manager an die Spitze gespült, die die Bahn wie ein Einzelunternehmen führen wollten und dabei die hochgradige Vernetzung der Abläufe unterschätzten. Wenn sie überhaupt zwischen den extremen Revierkämpfen in den oberen Stockwerken der Berliner Bahnzentrale dazu kamen, sich um so etwas Niederes wie Betriebsabläufe und Funktionieren der Bahn zu kümmern.

Solange jedenfalls eine Systemkompetenz fehlt und politischer Aktionismus Vorrang vor operativer Stabilität hat, bleibt jeder Chefwechsel ein symbolischer Akt – und die Züge kommen weiter zu spät.

Dabei gibt es nur wenige Betriebe, die so viel politischen Rückenwind wie die Bahn bekommen. Aus Klimagründen soll jeder nur noch Bahn fahren dürfen. Jeder grüne Lausbub sondert Sprüche wie „Güter auf die Schiene“ im Sekundentakt ab – ohne dass etwas passiert.

Die DB Cargo Chefin, auch beim vormaligen Berliner Verkehrsbetrieb im maximalen Abgreifen gut geübt, entlässt trotz erheblichem Personalmangel Mitarbeiter. DB Cargo hat in den letzten Jahren vor allem auf Kostensenkung durch Personalabbau und die Reduzierung des Einzelwagenverkehrs gesetzt, statt in große technische Modernisierungen zu investieren. Das Management hat damit kurzfristige Einsparungen über langfristige Produktivitätsgewinne gestellt. So sind die wirtschaftlichen Verluste bei DB Cargo legendär.

Pleiten, Pech und Pannen
Deutsche Bummelbahn fährt aufs Abstellgleis
Zu wenig wird bei der Bahn in umfangreiche technische Modernisierung investiert. Bei DB Cargo wird noch immer beim Zusammenstellen neuer Güterzüge meist mit Schraubenkupplung und manuell zu bedienenden Luftbremsleitungen gearbeitet. Das bedeutet: Jeder Wagen muss von Hand angekuppelt, die Kupplung festgeschraubt, die Bremsleitungen verbunden und anschließend Bremsproben gemacht werden. Das ist zeitaufwendig, personalintensiv und gefährlich, weil Rangierer zwischen die Wagen treten müssen. In den USA und in vielen anderen Ländern kuppeln Waggons automatisch und schnell.

Die sogenannte „Generalsanierung“ der Hauptkorridore, unter der Ampel angekündigt, sollte die Wende bringen: Vollsperrungen für mehrere Monate, um Strecken grundlegend zu erneuern. Doch der Fortschritt ist schleppend. Erst zwei von rund 40 Korridoren – Riedbahn und Hamburg–Berlin – sind im Bau. Statt einer Fertigstellung 2030 wird nun von 2036 gesprochen. Das bindet Milliarden und sorgt für langanhaltende Einschränkungen, ohne kurzfristig sichtbare Verbesserungen zu bringen. Noch nicht einmal das europäische Zugsteuersystem ETCS ist bei der Bahn hierzulande breit eingeführt worden. Das ist EU-weit seit 2002 für neue Hochgeschwindigkeitsstrecken vorgeschrieben.

Volljurist Schnieder, den es im Mai auf den Chefsessel des Verkehrsministeriums gespült hat, sagt das, was bisher fast jeder Verkehrsminister gesagt hat: Die Bahn müsse „pünktlicher, sauberer und sicherer“ werden. Eingetreten ist jedesmal das Gegenteil. Am 22. September will er seine Sanierungsstrategie vorstellen, zu der auch personelle Verschlankungen gehören. Die Generalsanierung wichtiger Strecken – aktuell Hamburg–Berlin – stockt; das Kernnetz soll nun erst 2036 fertig sein. Lustigerweise ein Jahr, nachdem der letzte Diesel- oder Benziner verkauft werden darf.

Lutz hatte 2024 selbst ein Sanierungsprogramm aufgelegt, inklusive tausender Stellenstreichungen, er warnte vor unzureichender Finanzierung. Er kommt aus einer Eisenbahnerfamilie, trat früh in die Dienste der Bahn und weiß mit Sicherheit, woran es hapert und was getan werden müsste. Er konnte sich weder politisch noch im Bahntower durchsetzen.

Mit dem neuen Minister verschärfte sich der Konflikt. Gewerkschaft EVG und Ländervertreter mahnen nun, ein „Führungsvakuum“ zu vermeiden und rasch Klarheit über die Nachfolge zu schaffen. Der Verkehrsminister sucht jetzt einen Mann für die Spitze, der das umsetzt, was im Verkehrsministerium an Direktiven ausgegeben wird. Einen gehorsamen Managervasallen, der was kann, wird er so nicht finden. Ein Wechsel des Chefs lässt keinen Zug pünktlicher fahren.


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Kommentare ( 49 )

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Chrisamar
3 Monate her

Herrn Lutz Gehalt dafür zu zahlen, dass er nicht mehr zur Arbeit kommt, passt irgendwie nicht zum politischen Ziel, Deutsche Arbeitnehmer bis 70 arbeiten zu lassen. Oder muss verhindert werden, dass Herr Lutz dem Ansehen der DB tatsächlich oder vermeintlich weitere Schäden zufügt? Die offenkundigen Tatsachen: Die Verkehrswende ist gescheitert. Daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Jeder der dieser Propaganda blind hinterher gerannt ist, hat sich in meinen Augen als Idiot entpuppt. Ersatzweise als ein nützlicher Idiot, der sich Steuergelder parasitär in die private Tasche hat schaufeln lassen. Schlicht und ergreifend: Geldgierig, aber ohne Führungskompetenz. Denn die Deutsche Infrastruktur… Mehr

November Man
3 Monate her

Es ist erstaunlich wie die Deutsche Bahn bei diesen horrenden Ticketpreisen überhaupt Verluste einfahren kann. Die oberen Herren in diesem Verein müssen vermutlich total überbezahlt sein.
Diesen „Experten“ von der CDU ist durchaus zuzutrauen, das sie in ihrer Verzweiflung mal wieder den Hartmut Mehdorn holen. Die Bahn ist nicht nur unpünktlich, sie zeigt auch das gesamte Versagen der deutschen Verkehrspolitik.

MeHere
3 Monate her

Dachte immer, dass der Lutz kein Eisenbahner ist … denke die Probleme liegen klar in der Politik … wie zwischenzeitlich ursächlich für alle Probleme …

hansgunther
3 Monate her

Der ganze Murks, überall, hat seine Wurzeln in den Niederungen von „Kohlemachen ohne Anstrengung“! Damit meine ich nicht all die Malocher, die alles noch so am Laufen halten, nicht wenige mit Engagement und Verantwortung, aber sie werden ausgebremst. Die Prioritäten dieses Staates stehen nicht auf Progression, sondern auf geplantem Zerfall. Oder den zweifelhaften Akteuren ist einfach alles egal, Hauptsache, die Kasse stimmt. Wer Fahne und Vaterland in die Ecke schmeißt, hat nur noch sich selbst im Sinn. Da stehen wir heute! Die Linksverdrehten können noch nicht mal mehr geradeauslaufen, ist jede Gerade schon ein Verrat und rechts. Es tut sich… Mehr

Victor Meldrew
3 Monate her

Die Bahn hat den großen Fehler gemacht die Vorstehende für das Ressort „Digitalisierung und Technik“ Professor Doktor Sabina Jeschke ziehen zu lassen. Die renomierte, wahnsinnig tolle Wissenschaftelnde stand kurz davor, mittels KI und so, alles auf Vordermann zu bringen bei der Bahn. Dass Danisch ihr Wirken sehr kritisch kommentierte, sollte getrost ignoriert werden – also nicht nachlesen!

Endlich Frei
3 Monate her

Bei der Bahn ist nichts mehr zu retten. Sie sollte erstmal anfangen, Bahnhöfe und Gleise zu jäten.

Haba Orwell
3 Monate her

> Die konnten später nicht einfach ersetzt werden – so ist Fachkräftemangel bis heute ein Problem.

Deswegen werden jetzt so viele aus dem berühmten Eisenbahnen-Traditionsland Afghanistan eingeflogen. Bei Gelegenheit können sie gleich afghanische Managementprinzipien implementieren. Wenn ich mich nicht täusche, letztes Jahr gab es in Afghanistan keinen einzigen verspäteten Personenzug! (Einen pünktlichen allerdings auch nicht…)

Lennart Schulz
3 Monate her

Ich bin zwar erst zarte 31, aber immerhin DBler in dritter Generation. Und ich finde es bei der DB (und auch bei vielen anderen großen Konzernen) immer wieder seltsam, wie überzeugt die Führungskräfte davon sind, dass man Unternehmen großschrumpfen könnte. In dem Werk in dem ich arbeite, haben wir uns von 4000 Mitarbeitern auf 350 geschrumpft. Klar geben wir jetzt weniger für Personal aus. Aber dafür produzieren wir auch kaum noch was…

MeHere
3 Monate her
Antworten an  Lennart Schulz

Warst du das, der mich neulich aus dem ICE geworfen hat, weil ich um 23 h in Ingolstadt wegen Zugausfall und Fahrrad im Gepäck gestrandet war und Hängeringend nach Hause wollte …?
Keine Fahrradmitnahme möglich …. aussteigen bitte …

Edwin
3 Monate her

Ich habe noch in den letzten Jahren des Konzernvorstandes Ludewig, der aber damals bereits durch den Schattenvorstand Mehdorn entmachtet war in der Konzernentwicklung gearbeitet. Ich war dort als Projektleiter natürlich nur ein kleines Licht. Aber ich habe damals schon innerhalb des Kollegenkreises die Aufspaltung in sogenannte Führungsgesellschaften, DB Fernverkehr, Nahverkehr, Cargo Stationen & Services (Bahnhöfe) und Netz als schweren Fehler bezeichnet. Damit wurde ein einheitliches System intern zerschlagen. Das ging soweit, dass sich die Mitarbeiter der verschiedenen Führungsgesellschaften als Konkurrenten betrachteten und nicht mehr an einem Strang für die Erbringung der besten Leistung für ihre Kunden, die ihre Jobs bezahlten,… Mehr

Last edited 3 Monate her by Edwin
Chrisamar
3 Monate her
Antworten an  Edwin

Bahnhöfe, wenn noch vorhanden, sind überwiegend privatisiert. Die Räumlichkeiten wurden und werden noch von der DB angemietet.
II.
Alleine in Ba-Wü gibt es 21 Verkehrsverbünde und die DB Regio.
III.
Im Fernverkehr werden die Strecken u.a. von ausländischen Verkehrsbetrieben, z.B. SBB, ÖBB oder TGV bedient und auch von privaten, deutschen Anbietern u.a. „Flix-Train“ bedient.
IV.
Die DB wird die CH nicht mehr anfahren. Weil die Deutschen Fahrzeuge nicht über die technischen Voraussetzungen verfügen.

RMPetersen
3 Monate her

Schon vor 40 Jahren hätte man besser qualifizierte Bahnmanager aus der Schweiz an die Spitze der DB holen sollen.
Und die ganze „Privatisierung“ war schädlich.

Chrisamar
3 Monate her
Antworten an  RMPetersen

Die vermeintliche Privatisierung hatte für die Teppichetage den Vorteil, nicht an die Tarife des ÖD gebunden zu sein. Entsprechend hoch sind die Versorgungen z.B. für Herrn Lutz.
Für das operative Personal waren und sind es eindeutig Einkommenseinbußen. Welche sich allerdings auf den Steuerzahler positiv auswirken.
Wären die DBler noch Beamte, hätte sich die Zusammensetzung der Reisende ebenfalls im Laufe der Jahrzehnte verändert. Die Verkehrswende und die Energiewende im Rahmen des „Great Reset“ / WEF, wären durchgeführt worden. Die Folgen wären gleich.