Gute Kurse, böse Erinnerung

Einiges erinnert Börsianer gerade an vergangene Zeiten. Das Gezocke mit Zombie-Werten über Trader-Portale etwa weckt Erinnerungen an die Dotcom-Phase vor der Jahrtausendwende.

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Heute wird die Aktie des angeschlagenen Kinokettenbetreibers AMC gehypt, vor gut 20 Jahren trieben Hasardeure Kurse defizitärer Internetklitschen wie Pets.com in die Stratosphäre. Viele sind heute offensichtlich sehr unbekümmert, trotz Warnzeichen wie der anziehenden Inflation. Dass die Risikobereitschaft wieder so hoch ist wie kurz vor dem Corona-Crash, zeigt der Stress-Indikator der Bank of America. Das Instrument namens GFSI soll der hG zufolge das Risiko an den Märkten akkurater einschätzen als die gängigen Crash-Indikatoren, weil es neben Optionssignalen auch das Verhalten von Hedgefonds berücksichtigt. Die üblichen Ampeln, an denen sich Trader orientieren, stehen derweil alle auf Grün: Der vielbeachtete -Volatilitätsindex VIX der Chicagoer Optionsbörse sinkt Richtung Jahrestief, der Frankfurter VDAX notiert auf niedrigem Niveau. Auch unser Crash-Signal VaR blieb zuletzt unauffällig. Die Pandemie war ein starker exogener Schock. Solange es kein neues Ereignis solcher Art gibt, dürfte die positive Grundstimmung andauern.​

Weniger, niedriger, schlechter — die Konjunkturdaten für Deutschland vergangene Woche fielen enttäuschend aus. So sanken die deutschen Auftragseingänge im April um 0,2 Prozent gegenüber dem Vormonat, die Industrieproduktion in Deutschland gab im April um ein Prozent gegenüber März nach und die ZEW-Konjunkturerwartungen sind im Juni von 84,4 auf 79,8 gefallen. Und trotzdem sehen Experten die Minuszahlen mit großer Gelassenheit. Einerseits, weil die Industrie durch den Mangel an Vorprodukten wie etwa Halbleiter aktuell ausgebremst wird. Soll heißen: In der Industrie kann es zu kräftigen Nachholeffekten kommen, sobald Material in ausreichendem Maß vorhanden ist. Und bei den Aufträgen steht trotz des Minus zum Vormonat ein kräftiges Plus zum Vorjahresmonat von fast 80 Prozent zu Buche. Auch die etwas schlechtere Stimmung der Finanzprofis löst keine Panik aus. „Wenn alle Konjunkturampeln auf Grün stehen, kann es nicht noch grüner werden. Sind die Nachholeffekte vorbei, wird die wirtschaftliche Entwicklung sukzessive zu einem Normalmaß zurückkehren“, erklärt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. „Dies heißt nicht, dass der Aufschwung vorbei ist, doch die Wachstumsraten werden kleiner.“

Zum Wochenende sind die US-Aktienmärkte in Lethargie verfallen. Auch überraschend gute Konjunkturdaten konnten die Investoren am Freitag nicht mehr aus der Reserve locken. Damit ging für den Dow Jones Industrial eine alles in allem eher triste Börsenwoche lustlos zu Ende. Der Leitindex schloss mit 0,04 Prozent im Plus bei 34.480 Punkten. Auf Wochensicht verbuchte das Börsenbarometer ein Minus von 0,8 Prozent. Der den breiten Markt abbildende S&P 500 legte um 0,2 Prozent auf 4.247 Zähler zu, nachdem er sich am Vortag zu einem weiteren Rekordhoch aufgeschwungen hatte. Der technologielastige Auswahlindex NASDAQ 100 lag am Ende mit 0,3 Prozent im Plus bei 13.998 Punkten. Hier sah die Wochenbilanz mit einem Gewinn von 1,6 Prozent besser aus als beim Dow.

Auch erfreuliche Konjunkturdaten trieben die Kurse nicht mehr an. Eine monatliche Umfrage der Uni Michigan förderte im Juni eine bessere Stimmung der Verbraucher zutage als von Analysten erwartet worden war. Daten zum Konsumklima sind nicht selten marktbewegend, hängt doch ein großer Teil der US-Wirtschaft vom privaten Verbrauch ab.

Kursbewegende Unternehmensnachrichten waren im allgemeinen Mangelware. Zur Sache ging es allerdings im Sektor der Pharma- und Biotechnologie-Unternehmen. So brachen die Aktien von Vertex Pharmaceuticals um elf Prozent ein. Das Unternehmen musste eine herbe Enttäuschung hinnehmen bei der experimentellen Behandlung einer Erbkrankheit, die Leber und Lunge befällt. Die Beendigung des Projekts sei ein großer Rückschlag für die Bemühungen, die eigene Produktpalette zu verbreitern, hieß es an der Börse.

Einen Rückschlag mussten auch die Aktionäre des deutschen Impfstoffherstellers CureVac hinnehmen, deren Papiere hauptsächlich in New York gehandelt werden. Sie sackten um 7,5 Prozent ab, nachdem es hieß, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plane wegen der jüngsten Probleme im Zulassungsprozess für die laufende Impfkampagne nicht mehr mit dem Corona-Vakzin von Curevac.

Mit Biogen und Eli Lilly gerieten zwei weitere Titel aus der Pharmawelt unter Druck. Beide Aktien verloren mehr als vier Prozent. Allerdings nahmen Anleger hier Kursgewinne mit. Eli Lilly waren am Vortag auf ein Rekordhoch gestiegen, bei Biogen belaufen sich die Aufschläge im Juni auf fast 50 Prozent.

Nach einem zunächst schleppenden Freitagshandel erhielt der DAX doch noch Auftrieb. Kurzzeitig übersprang der deutsche Leitindex dabei wieder die Marke von 15.700 Punkten und näherte sich seinem am Montag erreichten Rekordhoch deutlich. Der MDAX, in dem sich die mittelgroßen Unternehmen finden, übersprang zudem erstmals in seiner Geschichte die Marke von 34 000 Punkten.

„Die Börsianer gehen mit den Notenbanken. Auf dem Parkett überwiegt die Meinung, dass sich der aktuelle Inflationsanstieg als vorübergehend herausstellen wird“, kommentierte Portfoliomanager Thomas Altmann von QC Partners und verwies auf die Entwicklungen am US-Rentenmarkt und damit auch auf die Entspanntheit an den Aktienbörsen. Eine klare Entscheidung über die künftige Richtung des Dax gebe es damit aber immer noch nicht. Letztlich stieg der Dax um 0,8 Prozent auf 15.693 Punkte und schloss auf Wochensicht damit mehr oder weniger unverändert.

Vor allem die Aktien der Deutschen Bank stachen mit minus 1,7 Prozent hervor. Im MDax verlor die Commerzbank 1,8 Prozent. Autowerte nahmen nach der vorübergehenden Unterbrechung ihrer jüngsten Kursrally wieder Fahrt auf. Unter den Dax-Favoriten gewannen Continental sowie Daimler und BMW bis zu zwei Prozent.

Das G-7-Steuerabkommen lieferte große Schlagzeilen. Einigten sich doch die führenden Wirtschaftsnationen auf eine weltweite Mindeststeuer für globale Konzerne. Für Anleger dürfte dieses Thema allerdings keine große Rolle spielen, meint Mark Hawtin, Investmentchef für Aktien „Disruptives Wachstum“ bei der Fonds-gesellschaft GAM Investments. Denn die Gewinne pro Aktie bei den betroffenen Unternehmen würden in Zukunft nur um etwa zwei bis drei Prozent sinken. So benötigten sämtliche Maßnahmen eine gewisse Zeit der Umsetzung. Währenddessen könnten Firmen zahlreiche Gegenmaßnahmen ergreifen, um die negativen Auswirkungen abzumildern, beispielsweise durch die Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und technischen Ressourcen. Außerdem müssten bei Einführung eines globalen Steuersatzes Länder wie Frankreich im Gegenzug auf ihre dreiprozentige Digitalsteuer auf Einnahmen verzichten.

Windeln und China sind ein explosives Gemisch. Das beweist der rapide Kursanstieg von windeln.de, der einige Parallelen zur US-Zocker-Aktie Gamestop aufweist, die in sozialen Netzwerken gepusht wurde. Das Papier des deutschen Onlinehändlers für Baby- und Kleinkinderprodukte schoss in den vergangenen Tagen über 600 Prozent in die Höhe. Grund waren euphorische Berichte auf dem Onlineportal Reddit über die Wachstumschancen des Konzerns in China, dessen Regierung sich in der vergangenen Woche von seiner Ein-Kind-Politik verabschiedet hat. Zuletzt hatte windeln.de 70 Prozent seines Umsatzes im Reich der Mitte generiert. Zudem wird offen über eine Übernahme des angeschlagenen Unternehmens spekuliert. Ein User auf Reddit schrieb völlig zurecht zum exzessiven Kursanstieg: „Germany is crazy.“​


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Kommentare ( 7 )

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Felicitas21
2 Jahre her

Irgendwann platzt die Blase. Die Frage ist nur wann. Bis dahin wird gezockt, die Aktien weiter auf Höchstkurse getrieben, die nur noch wenig mit dem realen Wert diverser Unternehmen zu tun haben. Die grossen milliardenschwere US Fonds bestimmen den Markt, shortseller manipulieren Kurse wie im Spielkasino. Wer sich als Privatanleger nicht absichert, oder noch zu Höchstkursen einsteigt, kann nur verlieren.

Peterson82
2 Jahre her
Antworten an  Felicitas21

Wer Geld hortet kann nur verlieren. Es gibt keinen Grund für einen heute 18-50 jährigen nicht einen großen Teil seines Vermögens in ein breit diversifiziertes Aktienportfolio zu stecken. Selbst ein 15 jahre seitwärts laufender Markt oder große Kurseinbrüche dürften bei einer Haltedauer von >20 Jahren egal sein. Market-Timing hat noch nie funktioniert und wird es auch nie. Die Illusion viele Institutioneller-Anleger und Privatanleger zu erkennen wann der richtige Zeitpunkt ist einzukaufen ist seit Jahrzehnten von jeder halbwegs seriösen Statistik widerlegt, genauso wie der Versuch den Markt outzuperformen. Es bleibt eigentlich nur eine Sache über die jeder Privatanleger tun kann. Seine… Mehr

horrex
2 Jahre her
Antworten an  Peterson82

Sagt ein offensichtlich „alter Hase“ 😉
Und ich stimme ihm zu 100% zu!!!
Nur ein kleine Ergänzung ganz nach „Kosto“ hätte ich:
Kaufen sie die Branche (Unternehmen) von denen sie WIRKLICH und aus eigener täglicher/beruflicher Anschauung etwa verstehen. –

Thorsten
2 Jahre her

„Den Letzten beißen die Hunde“ – dieses Sprichwort sollten sich alle diese Zocker an den Monitor heften, denn erst ist die die eherne Börsen-Wahrheit.
Und nicht wenige verlieren, entweder Alles oder doch so viel, dass es ein heftiger Einschnitt in ihrem Leben ist.
Ich empfehle neben ETFs und REITs auch ca 10% Gold und Silber. Das sind bleibende Werte.

horrex
2 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Wir brauchen einen neuen „Kosto“.
Einen ECHTEN, in Jahrzehnten im Leben gestählten, nicht solches „crowd-funding-Getier“ wie die „neuen Milchmädchen“ es heute versuchen. Es wird laufen wie immer seit Menschen „handeln“: Am Ende haben ganz sicher die Einen das Geld und die Anderen Aktien die nichts wert sind. –

Rafael
2 Jahre her

Eine Schande für die USA, dass sich Biden um eine internationale Mindeststeuer bemüht. Wie immer ist das der erste Schritt, das wird es aber auch bald für private Einkommen geben. Anschließend wird der Satz von 15% ansteigen.
So müssen die Staaten sich nicht mehr um gute Haushaltspolitik bemühen, davonlaufen können die Leistungsträger dann nicht mehr. Wohin auch, wenn es überall hohe Steuersätze gibt.
Die Antwort wird Schwarzarbeit sein.

Anna Log
2 Jahre her
Antworten an  Rafael

Oder, wer es sich leisten kann, reduziert die Arbeitszeit.