Börse nur mit Schluckauf nach Jamaika-Aus

Starkes Verbrauchervertrauen, Black Friday treibt Amazon-Kurs, wieder Bankenrettung in Italien, Krise in Saudi-Arabien.

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Zum Scheitern der Sondierungsverhandlungen kann man zuallererst den berühmten Ausspruch Willy Brandts nach dem Fall der Berliner Mauer variieren: „Es kann nicht zusammenwachsen, was nicht zusammengehört.“ Das einzige Ärgernis ist auch eine Woche nach dem Scheitern, dass man sich für diese Erkenntnis so lange Zeit gelassen hat. Das Jamaika-Bündnis wäre eine noch größere Koalition als die Große Koalition aus SPD und Union geworden, merkte zu Recht Jasper von Altenbockum in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ an. Und diese hätte wahrscheinlich noch lähmender auf das Land gewirkt als die bisherige Regierung. Dass die FDP jetzt die Reißleine gezogen hat, ist deshalb gut – und überhaupt kein Unglück, wie uns manche Kommentatoren weismachen wollen. Für Jamaika bestand absolut kein Wählerauftrag. Die freundliche Börse nach einem ersten Schluckauf zeigt, dass es als besser angesehen wird, wenn Schwarz-Gelb-Grün nicht zustande kommt.

Die FDP hat der Verführung durch die Beteiligung an der Macht widerstanden. Sie hat ihre programmatischen Kernaussagen über eine identitätsverleugnende Kompromisslösung gestellt und dürfte deshalb allen Unkenrufen zum Trotz gestärkt in mögliche Neuwahlen gehen. Die fürchtet aber die SPD. Und flirtet nun doch mit einer Regierungsbeteiligung. Eine Fortsetzung der GroKo dürfte an der Börse indes keine Jubelstürme auslösen. Die Bürger wollen einen Personalwechsel. Mal sehen, wann die Union diese Kurve kriegt.

Der Totensonntag war noch nicht vorbei, da ließen Glitzerschmuck und festliche Beleuchtung in den Fußgängerzonen der Republik bereits keine Zweifel mehr aufkommen: Die Adventszeit und der Dezember sind fast da. Auch Börsianer haben Grund zur Vorfreude: Nur sechsmal seit 1988 hat der DAX in diesem Monat ein Minus abgeliefert. Der Wermutstropfen: Mit 2014 und 2015 lagen gleich zwei dieser Enttäuschungen in den vergangenen drei Jahren. Findet die berühmte Jahresendrally etwa immer früher statt? Der beinahe euphorische Kursverlauf des DAX im September, einem traditionell schlechten Börsenmonat, ist jedenfalls verdächtig. Die Stimmung auf den Einkaufsmeilen hingegen ist blendend, das dürfte der Konsumklimaindex der GfK kommende Woche bestätigen. Die Wirtschaft insgesamt läuft auf Hochtouren. Nicht nur die Konsumenten gehen mit Inbrunst ihrer definitionsgemäßen Bestimmung nach und kaufen ein, was die Brieftasche hergibt. Die Prognosen für die Unternehmensgewinne im kommenden Jahr sind wegen der boomenden Weltwirtschaft vor allem bei exportstarken Unternehmen überaus positiv. Steigende Gewinne dürften den DAX mittelfristig weiter nach oben treiben. Auch wenn es womöglich an der Börse zu Beginn der Adventszeit etwas besinnlicher zugehen könnte.

Nach dem gestrigen „Thanksgiving“-Feiertag endete der Handel an der Wall Street am Freitag bereits um 19.00 Uhr MEZ und damit drei Stunden früher als üblich. Der „Black Friday“ ist für die Amerikaner traditionell ein Brückentag, der sich durch viele Sonderangebote auszeichnet und für den stationären Einzelhandel als Start in die Weihnachtseinkaufsaison gilt. Insofern standen an diesem Freitag vor allem die Aktien von Einzelhändlern im Anlegerfokus. Am „Cyber Monday“ drei Tage später locken hingegen traditionell die Internet-Shops die Konsumenten mit vielen Schnäppchenofferten. Beide Tage sind auch wichtige Indikatoren für die aktuelle US-Konsumstimmung.
Die Aktien des weltgrößten Online-Händlers Amazon stiegen in Erwartung guter Feiertagsumsätze um 2,58 Prozent auf 1186 Dollar und waren damit Spitzenreiter im Nasdaq 100. Allein in den vergangenen vier Wochen summiert sich das Kursplus auf mehr als 20 Prozent. Im bisherigen Jahresverlauf gewannen die Amazon-Titel fast 60 Prozent.

Schritt für Schritt haben sich die Energiepreise im vergangenen Jahr erholt. Das Barrel Rohöl der Sorte WTI kostet auch dank der Ende 2016 beschlossenen Produktionskürzungen der OPEC und aktueller Pipelinestörungen in Kanada über 58 US-Dollar, ein Plus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nun richten sich alle Augen auf die OPEC-Sitzung am Donnerstag. Zuletzt untermauerten Äußerungen des iranischen Öl-Ministers die Erwartung, wonach viele OPEC-Mitglieder eine Verlängerung der Kürzungen unterstützen werden. Diese dürfte allerdings nicht für einen weiteren rasanten Anstieg der Notierungen reichen, da das Angebotsdefizit auf dem Weltmarkt derzeit gering ausfällt. Wichtiger scheint, ob sich die Situation in der Golfregion beruhigt.

Vor allem die andauernde Krise in Saudi-Arabien infolge der Anti-Korruptionskampagne sorgt weiter für Unruhe im Nahen Osten. Seit Anfang November werden Dutzende Prinzen, Ex-Minister und Unternehmer auf Anordnung von Kronprinz Mohammed bin Salman im Ritz-Carlton Hotel in Riad festgesetzt. Unter ihnen ist Saudi-Prinz und Großinvestor al-Walid ibn Talal, der Anteile anTwitter und Time Warner hält. Eine Freilassung hänge davon ab, ob die Festgesetzten jeweils bis zu 70 Prozent ihres Vermögens dem -saudischen Staat überschreiben, vermeldete die „Financial Times“. Mehrere Hundert Milliarden US-Dollar könnten so zusammenkommen. Derweil läuft Business as usual. Henri Poupart-Lafarge, CEO des französischen Transportkonzerns Alstom, erklärte bei einem Termin am Golf diplomatisch, Alstom wolle „Begeisterung für das erzeugen, was wir liefern, egal ob in Dubai oder Riad“. In der saudischen Hauptstadt sollen 69Alstom-Zugeinheiten Ende 2018 für die Riad Metro die Fahrt aufnehmen.

Italiens Bankensektor kommt nicht zur Ruhe. Einen Monat nach der Börsenrückkehr der vom italienischen Staat vor der Pleite geretteten Krisenbank Monte dei Paschi di Siena ist Rom jetzt mit einem neuen Brandherd konfrontiert. Gezittert wird um die börsennotierte Banca Carige, das neuntgrößte Geldhaus Italiens. Die Sparkasse aus Genua muss auf Geheiß der Europäischen Zentralbank frisches Kapital einsammeln und faule Kredite in Höhe von vier Milliarden Euro abschreiben. Die Bank hatte für die ersten neun Monate 2017 ein Bilanzvolumen von 25,5 Milliarden Euro und Verluste von 210 Millionen Euro gemeldet. Unter neuer Führung des ehemaligen Unicredit-Managers Paolo Fiorentino wird nun versucht, die am Mittwoch gestartete Kapitalerhöhung erfolgreich abzuschließen. Die Großaktionäre, zu denen die Unternehmerfamilie Malacalza gehört, verpflichteten sich, mindestens 30 Prozent der Kapitalerhöhung zum Schleuderpreis von einem Cent pro Aktie zu decken. Sollte die Kapitalerhöhung scheitern, muss der italienische Staat erneut eingreifen. Nur mit Mühe hatte sich das Garantiekonsortium für den Start der Kapitalerhöhung gebildet.


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Kommentare ( 2 )

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Gregor
6 Jahre her

Die Börse ist zur Zeit das Spiegelbild unserer desolaten Politik, nicht nur innerhalb der EU, sondern auch das Theater, das zur Zeit in Amerika statt findet. Herr Trump lässt zur eit zusätzliche die Börsen beben.

Talleyrand
6 Jahre her

„der vom italienischen Staat vor der Pleite geretteten Krisenbank Monte dei Paschi di Siena“. Woher stammt eigenlich das Geld dazu? Banco di Mario Draghi?