BDI-Präsident kritisiert Kurs der Bundesregierung – sanft

BDI-Präsident Peter Leibinger übt im dpa-Interview Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Leibinger wiederholt die Forderung der Verbände nach sinkenden Standortkosten und einer Schwerpunktsetzung für Infrastrukturinvestitionen. An die Wurzel der Krise, den Green Deal, wagt er sich jedoch nicht heran.

IMAGO / Jens Schicke

Wenn sich der Präsident des mächtigen Industrieverbandes BDI an die Presse wendet und Kritik am Kurs der Wirtschaftspolitik übt, hört die Politik in der Regel genau hin. BDI-Präsident Peter Leibinger formulierte am Dienstagmorgen in einem dpa-Interview zentrale Forderungen der Industrie und sprach – mit Blick auf den Niedergang der Produktion am Standort Deutschland – von einem „freien Fall“ der deutschen Industrie.

Dramatischer Tiefpunkt

Das Jahr 2025, so Leibinger, markiere einen dramatischen Tiefpunkt für den Wirtschaftsstandort, der sich in der historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik befinde.

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Wie sieht nun die Rezeptur des BDI aus? Im Großen und Ganzen fokussiert sich Leibingers Kritik darauf, dass der Staat nicht entschlossen genug an einer wirtschaftspolitischen Wende arbeite, mit klaren Prioritäten für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum. Vor allem das große Sondervermögen, das ursprünglich für Investitionen in die Infrastruktur gedacht war und nun weitgehend für sozialpolitische Zwecke entfremdet werde, steht im Zentrum der Kritik.

Geld sei offenbar vorhanden – etwa für die umstrittene Ausweitung der Mütterrente, so Leibinger. Doch die ursprünglichen Vorhaben, die marode Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen, blieben liegen und würden nicht weiterentwickelt.

Auch ein politischer Klassiker steht im Raum: die Forderung nach Bürokratieabbau. Ganz ungeachtet der Tatsache, dass der Staat allein, um die in den kommenden Jahren fällige Steuerung von Hunderten Milliarden an Schulden zu bewältigen, wahrscheinlich Zehntausende neue Stellen im öffentlichen Dienst schaffen muss.

Es passt alles nicht mehr zusammen: Die Forderung nach einem starken Staat und immer neuen Schuldenprogrammen auf der einen Seite und nach einer Verschlankung des Bürokratie-Monsters Deutschland auf der anderen.

Industrie verfällt ungebremst

Leibinger verweist zu Recht auf die prekäre Lage in den Kernsektoren der deutschen Industrie und nennt als Beispiel die Chemiebranche, deren Kapazitätsauslastung unter dem Druck explodierender Energiekosten auf historische 70 Prozent gefallen ist. Unter solchen Rahmenbedingungen lässt sich in Deutschland kaum noch ein Unternehmen profitabel führen.

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Und auch für das laufende Jahr rechnet der BDI-Präsident mit einem weiteren Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland um zwei Prozent. Damit bewegt sich das Land in das vierte Jahr seiner Dauerrezession.

Die unausgesprochene Schlussfolgerung: Beim BDI wartet man im Grunde bereits auf die nächste Subventionsrunde. Der subventionierte Industriestrompreis für ausgewählte energieintensive Betriebe mag eine Mogelpackung sein, weil er an einen Dschungel regulatorischer Auflagen gekoppelt ist und die Unternehmen in die grüne Flanke der Ökonomie drängt. Doch die Richtung ist eindeutig.

Die neue E-Autoprämie ist beschlossen – und die Politik signalisiert, dass die Subventionsmaschine weiter unter Volllast laufen wird. Damit dürfte das wichtigste Ziel des BDI erreicht sein.

Wohlfeile Kritik

Im Großen und Ganzen fällt die Kritik des BDI viel zu sanft aus – angesichts des dramatischen Ausverkaufs der deutschen Wirtschaft. Sie bleibt im Rahmen des Erwartbaren, sie bleibt nebulös. Und was grundsätzlich einmal gesagt werden muss: Eine kreditfinanzierte staatliche Investitionspolitik kann niemals die Kraft einer über den freien Kapitalmarkt gesteuerten, angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ersetzen.

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Dort, wo der Staat aktiv wird, entzieht er dem freien Kapitalmarkt Mittel, treibt die Finanzierungskosten für die Privatwirtschaft in die Höhe und setzt eine Maschine systematischer Fehlallokation von Kapital in Gang. Die deutsche Wachstumskrise ist in erster Linie eine Staatskrise. Sie ist eine Krise des Glaubens an die Machbarkeit durch zentrale Planung – vorgetragen im ökosozialistischen Duktus unserer Zeit.

Das Zurückweichen vor marktwirtschaftlichen Positionen, wie sie auch die Alternative für Deutschland vertreten könnte, ist auch bei Leibinger mit Händen zu greifen. Der mediale Schock, den der Kontaktversuch des Verbandes „Die Familienunternehmer“ mit der AfD ausgelöst hat, hallt in diesem Interview nach. Es ist ein Stabilisierungsversuch, die bisherige Kommunikationsregeln wiederherzustellen und den allgemeinen Diskurs, wie die Politik ihn vorgibt, einzugrenzen.

Keine Verantwortungsethik

Was Leibinger in seiner Kritik unterschlägt, sind die eigentlichen Wurzeln der gegenwärtigen Krise. Kein Wort zum deutschen Atomausstieg, kein Wort zur Brüsseler Green-Deal-Strategie, die die grüne Zerstörungstransformation, das CO₂-Regime und eine EU-Regulierungsflut hervorgebracht hat, die die deutsche Industrie regelrecht an den Abgrund drängt.

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Der BDI vertritt als exklusiver Verband die Interessen großer Konzerne, die sich mit einem überzogenen Regulierungsrahmen vor allem die innovative mittelständische Konkurrenz vom Leib halten. Man darf nicht vergessen, dass in den meisten Fällen genau diese Branchenriesen federführend bei der Ausformulierung bestimmter Gesetze und Regulierungsvorschriften mit am Tisch sitzen.

Deshalb lässt Leibinger die ab 2027 greifende Skalierung des CO₂-Zertifikatehandels, die der deutschen Industrie milliardenschwere Zusatzkosten aufbürden wird, auch beiläufig unter den Tisch fallen. Da wird sich sicherlich schon zeitnah die nächste Staatshilfe auf Kosten der Steuerzahler auftreiben lassen. Das Bundeskanzleramt ist ja lediglich einen Telefonanruf entfernt – „Made for Germany“, Sie erinnern sich?

Doch gerade diese Weichenstellungen sind es, die den Ausverkauf des Wirtschaftsstandorts Deutschland verursachen und sichtbar beschleunigen.

Die großen Industrieverbände binden sich mit dieser Strategie willentlich fest an die Brüsseler-Berliner Agenda der Net-Zero-Politik und Dekarbonisierung der Produktion. Sie weichen keinen Millimeter vom vorgegebenen Regulierungsdesign ab – Korporatismus in Reinform. Und es ist tatsächlich keine Spur einer Ethik der Verantwortung für die Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland zu erkennen.

Sie lassen den Ausverkauf der Wirtschaft geschehen, in der Hoffnung, auch künftig zu den Profiteuren der immer weiter wachsenden Subventionsmaschine der grünen Transformation zu gehören.

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Kommentare ( 1 )

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Biskaborn
14 Tage her

Grandioser Artikel der endlich die verräterische, opportunistische Rolle der Wirtschaft beleuchtet! Eine Wirtschaft ganz weit Links und Grün und nur dem Kampf gegen die AfD verpflichtet. Arbeitsplätze, Wohlstand sind denen völlig egal, allenfalls noch das eigene Wohlergehen! Was für miese Typen stehen da an der Spitze, genau wie in dieser Regierung, den Medien, Kirchen usw..