Amerikas Reindustrialisierung durch die Hintertür – und was sie für uns bedeutet

Opas Ökonomie-Gesetz der komparativen Vorteile eines freien Welthandels ist tot – dafür lebt ein neuer amerikanischer Merkantilismus! Die Midterms und die Kongresswahlen werfen ihre Schatten voraus. Betroffen ist vor allem die deutsche Exportwirtschaft.

IMAGO / ZUMA Wire
US-Präsident Joe Biden bei einer Rede in einer Fabrik von General Motors im November 2021

Vor kurzem haben wir an dieser Stelle auf die Deindustrialisierung Deutschlands als Folge strukturell und dauerhaft veränderter Preisniveaus für importierte Rohstoffe und Energie hingewiesen. Im Ökonomen-Kauderwelsch kann man das auch als Verschlechterung der Terms of Trade der deutschen Volkswirtschaft bezeichnen. 

Doch es gibt auch noch andere Gründe, die nicht auf der Importseite der deutschen Industrie angesiedelt sind, sondern auf der Exportseite. Nämlich die politisch forcierte Reindustrialisierung der US-Wirtschaft durch die Hintertür der vorgeblichen Inflationsbekämpfung durch die Biden-Administration (US-Inflationsrate September 2022: 8,2 Prozent). 

Es geht um den Inflation Reduction Act of 2022 (IRA) der Regierung Bidens. Der IRA ist laut Wikipedia ein Bundesgesetz der Vereinigten Staaten, das darauf abzielt, die Inflation einzudämmen, indem das Außenhandelsdefizit reduziert, die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente gesenkt und in die heimische Energieerzeugung investiert wird, während gleichzeitig saubere Energie gefördert wird. Es wurde vom 117. Kongress der Vereinigten Staaten verabschiedet und am 16. August 2022 von Präsident Joe Biden als Gesetz unterzeichnet. 

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Das soll 738 Milliarden US-Dollar aufbringen und 391 Milliarden US-Dollar für Ausgaben für Energie und Klimawandel, 238 Milliarden US-Dollar für die Reduzierung des Defizits usw. Das Gesetz stellt die größte Investition für die Bekämpfung des Klimawandels in der Geschichte der Vereinigten Staaten dar. Es beinhaltet auch große Expansions- und Modernisierungsbemühungen für den Internal Revenue Service (IRS). Durch das Gesetz wollen die USA bis 2030 Treibhausgasemissionen um 40 Prozent unter das Niveau von 2005 reduzieren. 

In Wirklichkeit wird eine Reindustrialisierung der USA durch Ersatz von Importen in die USA durch Produktion in den USA selber angestrebt. Local-Content-Vorschriften erzwingen die Substitution von Importen durch Inlandsproduktion, die Idee des Merkantilismus aus dem Zeitalter des französischen Sonnenkönigs Ludwigs XIV. erlebt eine fröhliche Wiederauferstehung. Be- und getroffen ist vor allem die Autoindustrie, und hier vor allem die deutsche.

Das altehrwürdige Gesetz der komparativen Kosten wird dadurch ausgehebelt. Die von David Ricardo (* 1772, † 1823) entwickelte Theorie der komparativen Kosten besagt, dass sich jedes Land auf Produktion und Export derjenigen Güter spezialisieren sollte, die es mit dem kleinsten absoluten Kostennachteil, respektive größtem relativen, komparativen Kostenvorteil produzieren kann.

An der Stelle des freien Warenaustauschs nach den Gesetzen der komparativen Kosten verfolgt die Administration Biden eine Wiederauferstehung des Merkantilismus, diesmal nicht französischer, sondern amerikanischer Prägung. Die Tage, an denen der Glaube vorherrschte, die Administration Joe Bidens unterscheide sich grundlegend von der nationalistischen Philosophie des America First der Vorgänger-Regierung Donald Trumps sind verschwunden. Reindustrialisierung der USA heißt das Zauberwort, das die US-Handelspolitik umtreibt. 

Dieser verkappte Merkantilismus kommt nun im Gewand des Inflation Reduction Act of 2022 (IRA) daher. Ein Gesetz, das die Automobilindustrie nachhaltig verändern wird – in den USA selber, aber auch im Rest der Welt, überall dort, wo Automobile oder Autoteile und Rohstoffe für den Bau von Elektroautos eingesetzt oder für den Export nach den USA produziert werden, vor allem in China.

Die Auswirkung des Gesetzes auf die Inflation ist umstritten, auf die Automobilindustrie aber nicht. Und die ist gravierend!

Zeitenwende
Die deutsche Autoindustrie muss sich auf Entzug einstellen
Statt Fahrzeuge aus Europa zu importieren, müssen die OEMs zukünftig vor Ort produzieren, um Neuwagen-Kunden einen Steuervorteil von bis zu 7500 Dollar zu ermöglichen, den Rivalen wie Tesla, oder GM und Ford mühelos erhalten. Konkret besagt das Mitte August verabschiedete neue Gesetz zur Stärkung der lokalen Wirtschaft und Bekämpfung der Inflation in den Vereinigten Staaten (im September 8,2 Prozent), dass künftig nur Fahrzeuge subventioniert werden, deren Endmontage in Nordamerika stattfindet, deren Batterien größer sind als 7 kWh und deren Preis unter 55.000 (Pkw) beziehungsweise 80.000 Dollar (SUVs/Pick-ups) liegt (Angaben laut Automobilwoche).

Der bisherige Deckel von 200.000 geförderten Fahrzeugen pro Hersteller jährlich soll in Zukunft wegfallen. Das kommt vor allem Tesla zugute. Dazu kommt der wohl komplizierteste Aspekt des neuen Gesetzes: Ab 2023 müssen 40 Prozent der kritischen Rohstoffe (unter anderem Lithium, Nickel, Grafit) der Batteriebestandteile in den USA oder einem Land, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen unterhalten, abgebaut oder verarbeitet werden. 2026 werden es sogar 80 Prozent der Rohstoffe sein. 50 Prozent des Batteriepacks müssen zudem ebenfalls in den USA endmontiert werden. Auch dieser Wert steigt bis 2028 auf volle 100 Prozent. 

Konkret heißt das, dass eine Förderung von Elektrofahrzeugen nur bei einem hohen Anteil der Wertschöpfung und einer Endfertigung in Nordamerika stattfindet. Damit ändern sich die Marktvoraussetzungen in den USA für deutsche Hersteller komplett. 

Für deutsche Hersteller von Elektroautos auf dem US-Markt ist das ein massiver Wettbewerbsnachteil. Entsprechend groß ist die Aufregung. Experten sehen ein großes Umdenken für die Autoproduktion in den USA voraus. Insbesondere Hersteller, die einen Großteil ihrer Fahrzeuge importieren, werden unter Druck geraten. Wie einschneidend die Auswirkungen sind, zeigt ein Blick auf die Modelle, die laut US-Energieministerium ab dem Jahr 2023 förderfähig sind (alle nachfolgenden Angaben entstammen der Automobilwoche, 02.11.2022). Demnach schrumpft das Portfolio von BMW von derzeit acht Modellen auf nur noch zwei: die Plug-in-Hybride 330e (gebaut im mexikanischen San Luis Potosí) und X5 aus dem Werk in Spartanburg in South Carolina.

Audi trifft es noch härter. Die Ingolstädter haben aktuell noch sieben förderfähige Hybride und Elektroautos im Verkauf. Nach den Kriterien des Inflation Reduction Acts bleibt im Jahr 2023 davon nur der Q5 aus dem Werk im mexikanischen San José Chiapa übrig.

Deutschland im Deindustrialisierungs-Modus
Der Abstieg vom Wohlstandsgipfel hat begonnen
Bei Mercedes wird ausschließlich der neue EQS SUV als förderfähig eingestuft. Hart trifft es bislang auch VW: Der VW ID.4, seit Sommer im Werk in Chattanooga/Tennessee gefertigt, ist aus Sicht der US-Behörden aktuell noch nicht für eine Förderung berechtigt. Die Prüfung laufe, teilte Volkswagen auf Anfrage mit. Die Wolfsburger gehen davon aus, bis Ende 2022 noch eine Zertifizierung für ihren Elektro-Hoffnungsträger zu erhalten. 

Alle Hersteller sind sich darüber einig, dass die Biden-Initiative kurzfristig den Absatz von E-Autos deutscher Provenience dämpfen wird. Audi denkt bereits über Gegenmaßnahmen nach und prüft laut Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann sogar den Bau eines Werks in den USA. BMW ist da schon einen Schritt weiter: Die Münchner investieren 1,7 Milliarden Dollar in den Standort Spartanburg, um bis 2030 sechs vollelektrische Modelle im US-Werk zu bauen. Doch auch in München sieht man die großen Herausforderungen durch das neue US-Gesetz.

Fakt ist, dass mit dem IRA Produktion aus China und Deutschland nach den USA abwandern muss, will man den US-Markt nicht verlieren. Das sieht auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) so. Der VDA beurteilt den Weg der US-Regierung skeptisch. Präsidentin Hildegard Müller unterstützt zwar den Hochlauf der Elektromobilität in den USA und  begrüßt grundsätzlich die Förderung der Elektromobilität. „Allerdings sehen wir kritisch, dass diese Förderung an Auflagen gebunden ist, die sich auf lokale Wertschöpfung beziehen …“

Die EU-Kommission hat die neuen Regelungen der US-Regierung, die bald in Kraft treten sollen, mit Recht kritisiert und deren WTO-Konformität angezweifelt. Die Bundesregierung sollte nun die rechtliche Analyse der EU unterstützen und sich für eine WTO-konforme Regelung einsetzen, damit die deutsche Automobilindustrie nicht benachteiligt und E-Mobilität in den USA nicht ausgebremst wird.“

Betroffen sind vor allem auch die ausländischen Zulieferer, vor allem aus dem Batteriebereich. Denn nicht für die OEMs, auch für die Zulieferer ändert sich das US-Geschäft. Für die Zulieferer wird vor allem die Frage nach den Verarbeitungsprozessen der kritischen Rohstoffe ausschließlich in den USA spannend. Alexander Timmer, Partner bei der Strategieberatung Berylls, sagte der Automobilwoche: „Das führt dazu, dass in Nordamerika immense Zellkapazitäten von chinesischen und koreanischen Unternehmen wie LG, Samsung und CATL aufgebaut werden. Auch Hyundai errichtet in Nordamerika ein neues Werk. Dafür werden viele europäische Zulieferer angefragt, um vor Ort Werke aufzubauen.“

Kongresswahlen stehen an, am  8. November sind Zwischenwahlen, die sogenannten Midterms, zum Senat und Repräsentantenhaus angesetzt. Die regierenden Demokraten haben jeweils nur eine knappe Mehrheit. Erobern die von Ex-Präsident Donald Trump dominierten Republikaner eine der beiden Kammern in Washington, wird es für die Biden-Regierung grundsätzlich deutlich schwieriger, ihre Politik durchzusetzen.  

Optimisten aus der deutschen Autobranche, die dann auf eine mögliche Entschärfung in der Auslegung des Inflation Reduction Acts hoffen, dürften sich allerdings täuschen. Unter der Parole „America First“ könnten Trump und Gefolge eher eine zusätzliche Verschärfung anstreben.

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Kommentare ( 41 )

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41 Comments
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Endlich Frei
1 Jahr her

„Konkret heißt das, dass eine Förderung von Elektrofahrzeugen nur bei einem hohen Anteil der Wertschöpfung und einer Endfertigung in Nordamerika stattfindet. Damit ändern sich die Marktvoraussetzungen in den USA für deutsche Hersteller komplett.“
Im Grunde genommen eine Handelsbarriere, welche die selbe Wirkung wie erhöhte Importzölle entfaltet. Soviel Intelligenz und Pragmatismus gestattet unsere deutsche Politik nicht.
Derweil fördert Deutschland großzügig Gott und die Welt – und Tesla oben auf.

nomsm
1 Jahr her

Die Chinesen sichern sich die verbrennertechnologie. Und dann produzieren sie halt für den heimischen Markt, aber eben auch für andere Länder die weiterhin liebend gerne verbrenner kaufen.

Phil
1 Jahr her

„Allerdings sehen wir kritisch, dass diese Förderung an Auflagen gebunden ist, die sich auf lokale Wertschöpfung beziehen …“ Der Merkantilismus ist mit einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft schwerlich vereinbar, er kostet den Steuerzahler (Konsumenten) viel Geld und schafft keine nachhaltigen Firmen oder Arbeitsangebote, da jede subventionierte bzw. geschützte Firmen oder Arbeitsangebote ein auf die Zeit der Subvention oder des Schutzes beschränkte Firmen oder Arbeitsangebote sind und bleiben. Eine solche Wirtschaft kann in letzter Konsequenz nur bestehen bleiben, wenn Staat und Zentralbanken eine dauernde Umverteilung gewährleisten können, was ihrer Substanz und dem Vertrauen der Bürger in diese Institutionen schadet und immer in… Mehr

armin wacker
1 Jahr her

Wir begegnen dem Fachkräftemangel dadurch, dass wir die Arbeitsplätze exportieren. Bedarf an EAutos besteht eh nicht, weil uns der Strom dazu fehlt. Dafür bekommen wir das Beste Klima der Welt und Hunger. So tickt die komplette EU. Wir reduzieren unseren Kalorienbedarf auf 1400 kcal und fallen in Dornröschenschlaf.

Ante
1 Jahr her

Wie oft wurde Amerika schon industriell abgeschrieben? Alles Wunschdenken von Russland- und Chinaverstehern. Amerika war und ist immer imstande gewesen, sich konsequent und schnell zu reformieren und zu alter Stärke zurückzufinden. Auch diesmal wird es so sein. Kapitalismus und Freiheit sind eine unschlagbare Kombination für breiten Wohlstand. Fehler passieren. Entscheidend ist, sie schnell zu erkennen und zu korrigieren.

Ede
1 Jahr her

Die deutsche Automobilindustrie ist schon lange für mich gestorben. Aktien habe ich keine mehr und werde auch keine mehr kaufen. Wie bereitwillig sie sich dem grünen Narrativ gebeugt und ohne Gegenwehr ihr Kerngeschäft abgewickelt haben – das werde ich denen nie verzeihen. Tja, das war´s wohl.

FranzJosef
1 Jahr her

Das ist halt „America First“. Macht nicht nur der böse Trump sondern auch der gute Biden. Müssen jetzt viele ihr Weltbild korrigieren.

Mausi
1 Jahr her

Diese Vorgaben ändern den Markt nicht nur für deutsche Hersteller. Der US Markt war doch bisher kein e-Auto-Markt.

Es bedeutet den Tod, weil deutsche Autobauer auch diesen Verbrennermarkt verlieren. Weil er verboten wird. Und mit Batterieautos ist kein Blumentopf zu gewinnen. Den Blumentopf kann jeder.

Im übrigen rechnet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC damit, dass in ein paar Jahren aufgrund des ansehbaren Verbrenneraus damit, dass D mehr Fahrzeuge importiert als exportiert. Was bedeutet, die Verbrennerindustrie mitsamt Zulieferern Arbeitskräfte freisetzt, ohne dass neue entstehen. Zusehen und dann Abhängigkeiten beklagen oder keine Maskenproduktion in D wird nicht helfen.

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Endlich Frei
1 Jahr her

Die Reindustrialisierung in den USA kommt am besten voran, indem man in Deutschland tätige NGOs und grüne Politik sponsort und gleichzeitig den Umzug hiesiger Unternehmen mit attraktiven Angeboten fördert. Etwa die Anwerbung der deutschen Verbrenner-Autoindustrie (auch in 50 Jahren noch maßgebend in der globalen Mobilität), die sonst nach China oder Indien umzieht oder die energie-intensive deutsche Chemie- und Aluminiumindustrie, die längst nach neuen Standorten sucht.
Die grüne Bundesregierung könnte die Abwrackung ihrer Industrie auf ihre grünen Erfolgslisten schreiben und mit Hilfe der ÖR Medien so tun, als ob Klma an der Grenze halt macht. Ihre Wähler werden es glauben.

Thorsten
1 Jahr her

Wenn Deutschland die SPD und die Grünen wählt, dann ist nichts Anderes zu erwarten.
Das die Menschen sich durch die „Leitmedien“ manipulieren lassen – ist ihr Problem. Kein Wunder, dass dies im Osten Deutschlands (aus historischen Gründen) klarer erkannt wird.