Die deutsche Autoindustrie muss sich auf Entzug einstellen

Nicht nur Fahrverbote und schwindendes Interesse an Automessen signalisieren der Autobranche eine Zeitenwende. Die Anzeichen aus dem wirtschaftlichen, konjunkturellen Umfeld verdichten sich, dass die Branche nach zehn Jahren Prosperität und Wachstum in Europa auf eine Rezession zusteuert.

IMAGO / Zoonar
Symbolbild

Die deutsche Autoindustrie ist immer für eine Überraschung gut! Sei’s Dieselskandal, sei´s spektakuläre Personalrochaden im Führungscorps beim Branchenprimus, sei’s Gewinnexplosion trotz schrumpfender Absatzzahlen und widrigster Produktionsbedingungen. Immer wieder weiß sie das Publikum zu unterhalten, wenngleich nicht immer gelungen. Und vor allem drängt sich der Eindruck auf, dass sich die deutsche Autoindustrie insgeheim bereits seit längerem für härtere Zeiten einrichtet. Produkte werden abgespeckt, Automessen missachtet, Fahrverbote drohen – oder werden sogar angemahnt.

Den jüngsten Coup hat Audi-Chef Markus Duesmann gestartet. Der Top-Manager aus Ingolstadt überraschte jüngst (Süddeutsche Zeitung, 26.10.2022) die staunende Öffentlichkeit, nebst Kollegen und Verbandspräsidentin Hildegard Müller vom Branchenverband VDA, mit dem Bekenntnis: „Ich sehe schon auf der Autobahn, dass den Leuten das Geld knapp wird … Im Land des unbegrenzten Rasens fahren nun viele rechts mit 100km/h.“ Duesmann ist für ein Tempolimit offen. Aber Geld ist für Duesmann nicht der einzige Regler und er fordert: „Wir müssen umdenken, uns klarwerden, dass sich unser Leben ändert!“ Sagte ein Mann, der auf dem Motorrad schon ganz Europa abgefahren ist.

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Ein Tempolimit alleine sei hilfreich, reicht für Duesmann als Symbol aber nicht aus. Damit auch der letzte Petrolhead mitbekommt, dass durch den Putin-Krieg ein neues Zeitalter der Enthaltsamkeit angebrochen ist, greift er zur automobilen Bazooka: „Um uns in Deutschland besser einzustimmen auf die Lage und die Notwendigkeit des Sparens, könnte es wieder autofreie Tage geben, so wie in den 1970er-Jahren.“ Das bleibt nicht ohne heftigen Widerspruch, zum Beispiel von Seiten des VDA. Spötter empfehlen sogar eine Kombination der Maßnahmen: Tempolimit an autofreien Tagen!

Der Audi-Manager würde „den positiven Effekt eines Fahrverbotes“ selber ebenfalls nutzen, „wenn es ein Sonntag ist“, um mit dem Rennrad über die gesperrte Autobahn zu brettern. E-Bike und Rollator-Fahrer wurden von Duesmann explizit nicht genannt, hätten aber sicher auch ihr Vergnügen an der verordneten automobilen Enthaltsamkeit.

Duesmann denkt nicht alleine so. Unterstützung erhält er vom Münchner Stadtrat, der zeitgleich in die gleiche Kerbe der Verkehrsbeschränkung haut mit einem rigorosen Dieselfahrverbot im Stadtgebiet. So hat das grün-rote Stadtparlament am Mittwoch, den 26. Oktober 2022, die Einführung eines Diesel-Fahrverbots in München beschlossen. Ab Februar 2023 sollen damit rund 70.000 Diesel-Fahrzeuge der Euro-4-Norm und älter aus dem Innenstadtbereich einschließlich dem vielbefahrenen Mittleren Ring ausgeschlossen werden. Ab Oktober 2023 soll das Fahrverbot dann auch Euro 5 Diesel treffen und damit weitere 70.000 Fahrzeuge aus München zur Verringerung der Stickstoffoxidbelastung verbannen.

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In Summe würden damit 140.000 Diesel-Autos, die eigentlich alle eine grüne Umweltplakette auf der Windschutzscheibe haben, von der Stadteinfahrt ausgeschlossen werden. Das Fahrverbot trifft vor allem Pendler aus dem Umland, aber auch viele ältere Menschen, Familien und kleine Unternehmer und Dienstleister, die auf „ihren“ Diesel angewiesen sind und bisher freien Zugang hatten, sollten sie für den abgeriegelten Innenstadtbereich keine Ausnahmeregelungen erhalten. – Dies schafft zwangsläufig viele neue Arbeitsplätze in der grün-roten Stadtverwaltung.

Der Automobilclub Mobil in Deutschland e.V. ist entsetzt. Zurecht! Denn „140.000 Autobesitzern wird quasi die Nutzung ihres Eigentums versagt. Von heute auf morgen. Diesel-Fahrverbote sind unverhältnismäßig und nicht sozial verträglich. Ein Milliardenschaden für viele Menschen in München und Umgebung.“

Und das Ganze ohne großen Nutzeffekt für die Umwelt. Der Automobilclub weist darauf hin, dass sich die Stickstoffoxidwerte in München seit Jahren nachweislich positiv entwickeln. Es sei davon auszugehen, dass selbst auf den beiden meist belasteten Straßen (Tegernseer Landstraße und Landshuter Allee) im Gesamtjahr 2022, spätestens aber 2023, alle Stickoxidgrenzwerte zum Teil deutlich unterschritten werden. Und das ganz ohne Fahrverbote. „Die Luft in München ist gut. Und sie wird immer besser!“ Was richtig ist, da sich der Alt-PKW-Bestand Jahr für Jahr verjüngt und durch schadstoffarme Neuwagen ersetzt wird.

Audi hat als erster Autohersteller den Verbrennerausstieg angekündigt

Schwerer als diese geplante regionale Einschränkung der freien Nutzung des Automobils wiegt im Quervergleich die grundsätzliche Bejahung von generellen Fahrverboten durch Audi-Manger Duesmann als immerhin hochrangigem Vertreter eines deutschen Premium-Autoherstellers. Der Vorgang als solcher erinnert fatal an Ereignisse, die sich vor 2000 Jahren in der Bibel abspielten. Auch Auto-Manger Duesmann war einst ein glühender Anhänger von Verbrennermotoren: „vorgestern“ als Entwicklungschef des Formel-1-Teams bei Daimler Benz, „gestern“ als Entwickler- und Einkäufer-Vorstand bei BMW. Und hat sich „heute“ als Chef-Entwickler und Audi-CEO-Mitglied im Vorstand von Volkswagen zum begeisterten Anhänger der Elektromobilität gewandelt. Ex-VW-Chef Herbert Diess lieferte die Vorlage.

So hat Audi 2021 als erster deutscher Autobauer völlig überraschend einen totalen Verbrennerausstieg angekündigt: Von 2026 an sollen keine neuen Benziner und Diesel mit den vier Audi-Ringen mehr auf den Markt kommen. Bis 2033 will Duesmann den Umstieg auf Elektroautos komplett vollzogen haben. Daran ändere auch die neue Lage bei den Energiekosten nichts. „Wir werden unsere Strategie deshalb nicht ändern.“

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Wirklich nicht? Spitzenmanager in der Autoindustrie sind vielbeschäftigte Leute und sehen ihr Büro häufig nur noch ganz selten vor lauter Aufsichtsratsmandaten, Ausschussberatungen und Konzernarbeitskreis-Sitzungen. Auch Audi-Chef Duesmann, zumal zuvor lange Zeit schwer an Covid erkrankt, mag es nicht anders ergehen. So könnte ihm völlig entgangen sein, was sein Haus jetzt zeitgleich mit seinen Überlegungen zum Sonntagsfahrverbot veröffentlichte. Was lange Gerücht war, ist nunmehr offiziell: Audi erwirbt das Schweizer Traditions-Rennstall-Formel-1-Team Sauber und wird den Rennstall bis zum offiziellen Einstieg in die Formel-1 2026 zu seinem Werksteam umbauen.

Audi Sport benutzt laut Automobilwoche bereits seit längerem den modernen Windkanal von Sauber in Hinwil (Schweiz). Dieser ist aus Ingolstadt in nur vier Fahrstunden erreichbar. Das entstehende Audi-Formel-1-Team wird den Renn-Motor – natürlich ein Verbrenner – und alle zugehörigen Bereiche home made bei Audi Sport in Neuburg an der Donau entwickeln, Sauber-Standort im Schweizer Hinwil wird Sitz des Teams sein, auch für den operativen Betrieb an der Rennstrecke.

Laut Audi-Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann läuft der Umbau des Standorts in Neuburg a.D. bereits seit längerem, 120 Mitarbeiter sind bereits klammheimlich für Audis Formel-1-Projekt tätig. Den Verbrennerausstieg bei Audi 2026 erwähnte Hoffmann nicht. Audi steigt also in den Formel-1-Zirkus ein – noch vor Porsche! Und natürlich mit Verbrennermotoren. Da kann ein Schelm nur hoffen, dass der Formel-1-Kalender für Deutschland keine Veranstaltung an einem autofreien Sonntag vorsieht!

Große Automobil-Messen befinden sich im Wandel

Da braut sich VW-intern ein neues Unterhaltungs-Kapitel für die Medien zusammen! Anders als Volkswagen-Schwester Porsche haben die Ingolstädter mit diesem Coup alles für einen Formel-1-Einstieg unter Dach und Fach gebracht. Die Porsche-Kollegen aus Zuffenhausen konnten sich demgegenüber nicht mit Red Bull auf eine Zusammenarbeit einigen und werden 2026 nicht wie geplant ebenfalls in die Königsklasse des Motorsports einsteigen. VW-Chef Oliver Blume mag das vielleicht gar nicht oder sogar sehr gefallen.

Dieser Einstieg in die Formel-1 passt insgesamt wenig ins Bild, das die gesellschaftliche Stellung der Branche in den zurückliegenden Monaten widerspiegelt. Da war zum einen der Pariser Autosalon – er firmiert seit 2018 als Mondial Paris Motor Show und ist eine Automobil-, Motorrad- und Mobilitätsmesse –, der in diesem Herbst 2022 nach zwei Jahren Pause die Messehallen immerhin wenigstens wieder öffnete. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Eigentlich hätte der Salon nicht als Messe, sondern als Requiem firmieren müssen.

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Fakt ist: Große Automessen befinden sich im Wandel, sofern es sie überhaupt noch gibt. Der Genfer Autosalon, das Mekka der globalen Autoindustrie, fiel 2022 aus und findet auch 2023 nicht statt, die deutsche Internationale Automobilausstellung (IAA) samt neuem Mobilitätskonzept, wird im kommenden Jahr nach nur einer Ausgabe bereits wieder ein neues, tragfähiges Konzept brauchen, um künftig die Großen der Branche anzulocken. Die Detroit Motor Show wurde mehrfach verschoben und inzwischen auf Herbst 2023 vertagt.

Und auch der Pariser Autosalon, die Mondial, einst eine zuverlässige Standortbestimmung für den europäischen Automarkt, hat nicht mehr die Anziehungskraft vergangener Tage, vor allem nicht bei den Herstellern selber. Amerikaner und Japaner fehlten weitgehend als Aussteller, deutsche Schwergewichte wie BMW, Audi und VW waren nicht dabei, Und Mercedes zog es vor, eine eigene Veranstaltung in der Stadt hochzuziehen. Lediglich die nationalen französischen Hersteller wie Renault und – in stark abgespeckter Form der Multimarkenkonzern Stellantis mit Peugeot, aber ohne Citroen – waren stärker präsent, nebst einer Reihe von kleinen Exoten und vor allem chinesischen Elektro-Marken, die den Salon als Sprungbrett für den europäischen Markt ansahen.

Kurz: Aus der Mondial wurde eine Regional! Im Zentrum der Messe sollten in diesem Jahr der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und der Wandel hin zur Elektromobilität stehen. Die Initiatoren hofften mit einem erlebnisorientierten Programm auf autobegeisterte Besucher, die mehr Möglichkeiten als bisher haben sollten, mit den Fahrzeugen auf Tuchfühlung zu gehen.

Alles vergebene Liebesmüh, der globale Messe-Abwärtstrend blieb friend. Die anhaltende Diskussion in Europa um den Klimaschädling Verbrennerauto und dessen Ächtung und Bannung, dann der Marsch der Elektromobiliät als umweltfreundliche, aber völlig unsexy Innovation der Mobilität durch die Köpfe und Märkte, schließlich die Corona-Pandemie, die Großveranstaltungen untersagte, gefolgt vom Ukraine-Krieg sowie den Sorgen und Nöten der Menschen um eine sichere und auch noch bezahlbare Energieversorgung und vor allem auch bezahlbare Benzin- und Dieselpreise: All das zeigte Wirkung.

Au revoir, mon Mondial! – Globaler Messe-Abwärtstrend

Das Resultat war deprimierend, mögliche Besucher genossen Paris, die leeren Messehallen weniger. Wäre da nicht der Besuch von Staatspräsident Emmanuel Macron gewesen und dessen Ankündigung, er wolle im Jahr 2030 zwei Millionen Elektroautos aus französischen Werkshallen rollen sehen und Frankreich bis dahin zur Elektroauto-Nation Nr. 1 in Europa machen, der etwas Farbe ins Messeleben brachte. Au revoir, mon Mondial!

Nicht nur Fahrverbote und schwindendes Publikumsinteresse an Automessen signalisieren der Autobranche, dass sich eine Zeitenwende anbahnt. Die Anzeichen aus dem wirtschaftlichen, konjunkturellen Umfeld verdichten sich, dass die Branche nach zehn Jahren Prosperität und Wachstum in Europa auf eine Rezession zusteuert.

Ungemach droht vor allem von Seiten der allgemeinen Konjunkturentwicklung. In Europa trudelt die Wirtschaft nach Meinung aller Experten in eine Wachstumsschwäche, die deutsche Wirtschaft schrumpft 2023, begleitet in Europa nur von Italien; in den USA beginnt die Rückkehr der Hochzinspolitik zu wirken; in China – bislang Motor der Weltwirtschaft – droht der Kollaps des Bausektors die Volkswirtschaft in die größte Wachstumskrise seit 30 Jahren zu reißen. – Fortsetzung ungewiss.

VDA-Chefin Hildegard Müller
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Der Automobilindustrie ist die rapide Verschlechterung der Rahmenbedingungen für Absatz und Wachstum nicht verborgen geblieben. Zu groß sind die Löcher in den Konsumenten-Budgets, die die Explosion der Energiepreise reißen wird, zu belastend der Zinsanstieg bei Autokrediten, um ignoriert zu werden. Audi-Chef Duesmann sieht in seinem Haus erste Anzeichen, dass der Bestelleingang in Europa zurückgehe. Bei VW halten Werksunterbrechungen an, BMW und Daimler schweigen sich aus.

Selbst Toyota-Europachef Matt Harrison warnte jüngst beim Automobilwoche-Kongress: „ Wir müssen bereit sein für eine problematische Situation.“ Er rechnet in Europa mit einer längeren Schwächephase im Automobilgeschäft. „Ein Markt, der unter 15 Millionen (Neufahrzeuge pro Jahr) liegt, ist Grund für Sorgen.“ Doch Toyota sieht sich gewappnet. Für Harrison ist „Diversität der Schlüssel, um zu überleben … Das ist wie in der Natur: Diversität ist die Voraussetzung, um sich auf verändernde Umweltbedingungen anzupassen.“

Der Toyota-Europachef erklärte, Toyota gehe auf dem Weg zur CO2-Neutralität einen etwas anderen Weg als viele Wettbewerber“ (Automobilwoche). Dies werde von manchen als langsameres Voranschreiten bei der Dekarbonisierung interpretiert, sei es aber nicht. Entscheidend sei für Toyota, für die sehr unterschiedliche Ausgangslage auf den verschiedensten Märkten dieser Welt die jeweils besten Antworten bereitzuhalten. Deshalb gehe Toyota nicht einzig und allein den Weg des batterieelektrischen Fahrzeugs. Das klassische Hybridfahrzeug spiele für Toyota auch noch in vielen Jahren eine große Rolle, weil es in Märkten mit geringerer Kaufkraft oder mit einer schwächeren Ladeinfrastruktur die bessere Lösung sei für viele Verbraucher.

Back to the roots – das neue Zauberwort

Und offensichtlich als Seitenhieb für den großen globalen Rivalen Volkswagen gedacht bekennt der Toyota-Chef: Wer nur mit einer einzigen Technologie auf eine grundlegende Marktveränderung reagiere, der setze sich einem größeren Risiko aus. „Nur mit Vielfalt wird man überleben.“ Der Volkswagen-Konzern setzt demgegenüber offenkundig auf „Einfalt“. Und folgt dabei in vielen Belangen offensichtlich der Produktstrategie von Tesla. Nicht nur, was die einseitige Ausrichtung der künftigen Antriebe unter Ex-CEO Herbert Diess ausschließlich auf den Elektroantrieb und die völlige Aufgabe der Verbrennertechnologie anbelangt. Sondern auch was die „Ent-Komplizierung“ des Produktes Auto betrifft.

Back to the roots heißt das Zauberwort. Früher war auch in der Autoindustrie alles viel einfacher: das Auto an sich, simpel, robust, ohne Schnickschnack, nur gerade mit dem Nötigsten ausgestattet wie Blinker, Hupe, Scheibenwischer, Dosenhalter und Aschenbecher; der Produktionsprozess in Einzelteilen, nicht in Modulen und auf Zuruf, nicht just-in-time via Satellitensteuerung.

Von Henry Ford stammte der legendäre Werbeslogan: „Sie können einen Ford in jeder Farbe haben, Hauptsache er ist schwarz.“ So verkündet zur Bewerbung seiner Tin Lizzy, des robusten, einfachen und einzigen Automodells, das Ford ab 1913 ausschließlich in der Lackfarbe schwarz bis 2027 fünfzehnmillionenfach vom Fließband rollen ließ. Was allerdings damals schon Anlass zur Anekdote bot: Als Henry Ford einmal von einem Kunden gefragt wurde: „Ist es wahr, dass Ihre Firma in der Lage ist, ein Auto in 11 Minuten herzustellen?“, antwortete er wahrheitsgemäß: „Ja, das ist wahr.“ „Dann“, sagte der Kunde traurig, „muss das der Wagen sein, den ich gekauft habe.“

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Fakt ist, technischer Fortschritt und gesetzliche Vorschriften führten im Verlauf der nächsten 100 Jahre zu einer Lawine an Innovationen im Auto als Produkt wie im Produktionsprozess, in der Gegenwart zumeist basierend auf einer fortschreitenden Ausweitung im Einsatz winziger elektronischer Helferlein oder der Chemie, zum Beispiel im Batteriebau. Und die Automobile wurden zunehmend komplexer und teurer. Wettbewerbsdruck und Zwang zur fortwährenden Differenzierung erzwangen von den Herstellern eine zuvor nie gekannte Anzahl an Varianten und Produktderivaten. Die Elektronik liefert dazu das notwendige Produktions- und Logistik-Tool.

Die „technische Aufrüstung“ der Automobile zusammen mit Sicherheits- und Emissionsvorgaben ließen die Autopreise im Trend in die Höhe schnellen. Was aber heute bei Premium-Automobilen von Audi, BMW und Daimler noch angehen kann, ist bei Modellen für den Massenmarkt kosten- und wettbewerbsmäßig nicht mehr zuträglich. Selbst Autos wie der VW Golf, obwohl millionenfach verkauft, sind selbst heute noch potenziell als Unikate zu erhalten. Wer zum Beispiel seinen Golf am Computer konfiguriert, hat in der Kombination von Modellvarianten, Ausstattungspaketen und Farben etc. rein rechnerisch 10 Millionen Kombinationen als Möglichkeiten – alles Unikate. Bei den Premium-Herstellern sind die Größenordnungen noch abstruser.

Vorreiter beim neuen Trend war mal wieder Tesla

Die Energiekrise, vor allem die Perspektive, dass die Verhältnisse nie mehr so werden wie vor dem Ukraine-Krieg, haben branchenweit ein Umdenken provoziert. Das Zauberwort im modernen Automobilbau heißt heute Kostensenkung. Zum einen durch Automatisierung, sprich Verkürzung der Produktionszeit beim Bau eines Autos, zum anderen durch „Entfeinerung“ des Produktes Auto selber, auch um den Automatisierungsprozess noch effizienter zu machen. Ein wesentlicher Hebel dazu ist die Verringerung der Komplexität beim Auto selber durch drastische Reduzierung der Varianten und Ausstattungspakete (Farben, Sitzen, Rädern, Lenkräder etc.).

Vorreiter bei diesem neuen Trend war … abermals Tesla! Zumindest, was die Vielfalt der Wagenfarben und Innenausstattungen anbelangt, scheint Tesla-Chef Elon Musk Anleihen bei Henry Fords Produkt-Philosophie genommen zu haben. So ließ Musk sein neues Model Y in der Gigafabrik Shanghai nur in Blau, und in der Gigafabrik Grünheide bei Berlin nur in den Farben Schwarz und Weiß lackieren. Diese Meldung der Automobilwoche sorgte im Sommer 2022 für viel Heiterkeit in der Automobilbranche.

In der Tat war das Model Y aus Teslas Gigafabrik Grünheide bislang nur in den Farben Schwarz und Weiß zu haben. In der dritten Farbe Blau wird bisher das Model Y für Europa aus der Gigafabrik Shanghai zugesteuert. Damit soll nach Angaben des US-Herstellers jetzt Schluss sein. Wie das Unternehmen Anfang Oktober via Twitter verkündete, wird das Model Y aus Grünheide zukünftig in zwei weiteren Farben, nämlich in „Midnight Cherry Red“ und „Quicksilver“ angeboten. Diese speziellen Farbvarianten in Rot und Silber seien nur in Europa und dem Nahen Osten verfügbar und zudem eigens in der neuen Lackiererei von Grünheide entwickelt worden, so die Meldung der Automobilwoche.

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Elon Musk fand diese Verdopplung des Farbangebotes nach den vielen Pannen und Zwischenfällen rund um den Anlauf der Gigafabrik Grünheide (zum Beispiel Brand auf dem Werksgelände) so bemerkenswert, dass er sich dazu höchst selbst via Twitter sehr detailliert äußerte. Das Model Y ist also jetzt neben schwarz und weiß sowie blau zusätzlich in den Farben Rot und Silber auf der Website von Tesla über den Konfigurator bestellbar. Offen ist allerdings, ob Tesla diese moderne deutsche Lackiertechnik und Farbgebung wirklich auf Dauer vom chinesischen Markt fernhalten kann. Oder ob Elon Musk, sollte Chinas Präsident Xi Jinping den Wunsch äußern, künftig das Model Y in der Farbe Midnight CherryRed, lackiert in Giga-Shanghai, auch auf Chinas Straßen zu sehen, verwehren kann.

Teslas Farbenlehre zeitigt Wirkung. Auch wenn Musk-Fan Herbert Diess als CEO bei Volkswagen inzwischen Geschichte ist, wirkt sein Geist dort offensichtlich weiter – könnte man meinen. Denn auch VW will beim für 2026 geplanten Premium-Elektromodell Trinity die Zahl der Varianten radikal reduzieren. Außerdem will VW bei diesem Zukunftsmodell den Ausstattungs- und Derivate-Wildwuchs radikal auf weniger als 100 Varianten beschneiden. Nach Informationen der Automobilwoche plant VW intern sogar mit nur 60 Varianten. Und macht dabei selbstverständlich auch vor der Farbpalette nicht halt. „Wir wollen auch die Farben reduzieren … Derzeit planen wir mit fünf Farben…“ (Projektleiter Tettenborn, Automobilwoche).

Nachdem selbst Elon Musk erkannt hat, dass das anspruchsvolle Hochpreissegment im europäischen und arabischen Automobilmarkt nicht nur ausschließlich mit Klavierfarben auf Dauer zufriedengestellt werden kann, dürfte beim VW Trinity eine Mini-Farbpalette von fünf Lacken eher nur eine Hausnummer für den Anlauf sein – Kosten hin oder her!


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Kommentare ( 44 )

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Fui Fujicato
1 Jahr her

Es stört mich immens, daß ein überaus wichtiger Aspekt der Demobilisierungsbestrebungen der Politnomenklatura überhaupt keine Berücksichtigung findet, nämlich die Tatsache, daß alle Fahrzeuge, die sich jemals auf deutschen Straßen bewegten, ursprünglich ordnungsgemäß zum Straßenverkehr zugelassen worden sind !!! Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Anschaffung + der Unterhalt eines Fahrzeuges an zweiter Stelle aller Aufwendungen eines Durchschnittshaushaltes stehen, stellt sich mir die Frage, warum es – bei der Einführung neuer Grenzwerte – nicht wenigstens einen Bestandsschutz für alle bereits zugelassenen Altfahrzeuge gegeben hat ??? Und wo blieb der massive Widerstand der Altautobesitzer, die sich z.T. keine Neuwagen mehr leisten konnten… Mehr

Helfen.heilen.80
1 Jahr her
Antworten an  Fui Fujicato

Diese lebhaften Zustände, die seit einigen Jahren eingesetzt haben, hören gar nicht mehr auf. Immer neue Alarmmeldungen, alle Gewissheiten scheinen davonzuschwimmen. Die Bürger sind erschöpft und verunsichert, verstehen die Richtungsentscheidungen vermutlich nur noch teilweise. Wenn dieser Wirbel noch lange anhält, werden die Menschen viel zu desorientiert sein, um noch auf den Tisch zu hauen und ihre Rechte einzufordern. Ich beobachte, dass Bürger entweder auffallend ausfallend werden, weil ihnen die Nerven langsam durchgehen, oder aber, dass sie sich, wohl aus Überforderung zurückziehen, und nur noch auf ihre wichtigsten Belange achten.

Helfen.heilen.80
1 Jahr her

Aus der kurzsichtigen Profitbetrachtung ist die Parteinahme für das E-Auto verständlich: bei geringeren Kosten lässt sich (noch) ein höherer Preis erzielen, wie Diess einst vor Mitarbeitern sinngemäss andeutete. Die Logik finanzkapitalistischen Denkens ergötzt sich an der derzeit noch grossen Auswahl verschiedener Produktionsstandorte, die man preislich gegeneinander ausspielen kann. Ist Shenzen zu teuer, wählt man eben einen Konkurrenten aus einem mittelamerikanischen oder ostasiatischen Entwicklungsland. Dieser Denke typisch ist der Irrglaube, die ganze Welt sei ein einziger grosser Markt (zu dessen Schaffung gelegentlich etwas nachgeholfen wird). Tatsächlich existieren jedoch „Keyplayer“, die die Welt mit eigenen geostrategischen Planungen formen wollen (USA, RU, China,… Mehr

Boris G
1 Jahr her

„Nicht nur Fahrverbote und schwindendes Publikumsinteresse an Automessen signalisieren der Autobranche, dass sich eine Zeitenwende anbahnt.“
Ja, die Babyboomer-Generation mit ihrer Auto- und Motorenbesessenheit verabschiedet sich als Käufer der mittlerweile zwei Tonnen wiegenden Panzerwagen, die selten mehr als 1.5 Passagiere bewegten.

Delegro
1 Jahr her

Verfolgen wir doch einfach mal den zukünftigen Berufsweg von Herrn Duesmann. Wer so grob fahrlässig sein ihm anvertrautes Unternehmen schadet, hat wohl schon einen neuen Job in der Tasche. Und die Bezahlung erfolgt mit vielen „grünen“ Scheinen. Da stellt sich jemand als zukünftiger Politiker zur Verfügung und ebnet sich selbst den Weg! Wo ist der Aufsichtsrat? Eigentlich wären solche Aussagen für einen CEO ein Grund für eine sofortige Kündigung, da schwer geschäftsschädigend!

Josef Fischer
1 Jahr her

Warum sollte ich mir jetzt noch einen Neuwagen kaufen, wenn ich diesen in acht Jahren verschrotten soll?
Und E-Karre?
Kommt für mich nicht in Frage, da meine Straßenlaterne keinen Anschluß hat und ich sowieso nie den gleichen Parkplatz bekomme.
Zum Glück bin ich bald in Rente und dann fahre ich einmal die Woche mit dem Taxi zum einkaufen.

Ede
1 Jahr her

Ich fahre zwar noch einen deutschen Wagen, aber auch nur weil es ein Geschäftswagen ist. Als Aktionär habe ich schon vor Jahren mit der deutschen Autoindustrie abgeschlossen und zwar in dem Moment, als sie anfingen dem grünen Narrativ hinterherzulaufen. Die folgenden Jahren haben mir Recht gegeben. Deutsche Autoindustire, das war mal – leider, denn vor lange Zeit war auch ich mal etwas stolz darauf.

Werner Holt
1 Jahr her

„Nicht nur Fahrverbote und schwindendes Interesse an Automessen signalisieren der Autobranche eine Zeitenwende. Die Anzeichen aus dem wirtschaftlichen, konjunkturellen Umfeld verdichten sich, dass die Branche nach zehn Jahren Prosperität und Wachstum in Europa auf eine Rezession zusteuert.“

Wollen sagen: Die gerade im Westen dominierenden grün-woken Politiker, allen voran in Deutschland, sägen gerade mit allem ideologischem Furor am Filetstück der deutschen Wirtschaft. Wenn Dekadenz und Übersättigung einer politmedialen Klasse, die in dritter Generation im absoluten Wohlstand aufgewachsen ist, sich mit Hybris und Weltrettungsphantastien paaren, kommt so etwas dabei heraus.

Klaus D
1 Jahr her

Wundert mich nicht bei den preisen! Was wir jetztr brauchen wäre ein günstiger PKW für die masse. Eine art „volks-wagen“ = klein, günstig, zuverlässig….

Ohanse
1 Jahr her

„Diversität ist die Voraussetzung, um sich auf verändernde Umweltbedingungen anzupassen.“ – Da widerspricht Herr Harrison einfach mal der Natur. Tatsächlich ist es die Spezialisierung, die zu einer besseren Angepasstheit führt. Die besser spezialisierten Individuen verdrängen in der Folge die weniger spezialisierten, Diverse eingeschlossen. Diversität ist nützlich, wenn man darauf angewiesen ist, in verschiedenen Umgebungen gleichermaßen überleben zu müssen. Da hat Toyota wohl Pech gehabt bei der Personalauswahl. Ein bißchen zu offensichtlich und primitiv, nur um das Zauberwort unterzubringen.

Helfen.heilen.80
1 Jahr her
Antworten an  Ohanse

Sie haben grundsätzlich sicherlich recht. Allerdings scheint mir diese Taktik Merkmal eines konstanten Marktes zu sein. Vermutlich diversifiziert Toyota, weil die Welt in ein Jahrzehnt grosser Verwerfungen eintritt, und damit Lieferwege, Absatzmärkte, Rohstoffzugang und politische Vorgaben unvorhersehbar sind.

LF
1 Jahr her

Der Kunde glaubt tatsächlich das Duesmann sich Gedanken um seine Kunden macht! Zwischen Hersteller und Kunde steht der Händler. Der Hersteller macht dem Händler druck. Der Händler kämpft, (mehr oder weniger) um die Kunden. Die Hersteller hauen immer mehr ab ins Ausland. Der Verbrenner wird weiterhin im Ausland verkauft und der deutsche Michel soll, wenn er es sich leisten und umsetzen kann, ein E-Auto kaufen! Eins, und das ist klar, die Hersteller, also die obere Führungsriege, das sind nur wenige, die lachen sich schlapp! Der Arbeiter in DEU verliert seinen Job, auch bei den Zulieferer Firmen, und im Ausland werden… Mehr