Die Selbstabschaffung der wohlmeinenden Medien in der Zeit von hit pieces

Der Journalismus erzwingt den Vergleich geradezu: Sowohl im Fall Aiwanger als auch in der Geheimdienst-Affäre Faeser sehen sich Mitarbeiter von Blättern und Sendern offenbar als Zuarbeiter. Das können sie tun. Nur: Warum dafür zahlen?

IMAGO - Collage: TE
Zwei Fälle führen auf jeweils unterschiedlichen Wegen zu einer Frage einschließlich der passenden Antwort: Wozu gibt es Medien, jedenfalls diejenigen, die schon länger existieren? Informationsverbreitung kommt schon einmal nicht in Frage. Bei Fall eins handelt es sich um den Versuch der Süddeutschen und des gesamten Kommentariats unter starker Beteiligung der Öffentlich-Rechtlichen, Hubert Aiwanger aus dem Amt zu schreiben und zu senden. Also um eine Affäre, deren faktische Substanz noch nicht einmal ausreichte, um das „Streiflicht“ der Süddeutschen bis ganz ans Spaltenende zu füllen.

Fall Nummer zwei betrifft Innenministerin Nancy Faeser, das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch das Böhmermann-ZDF. Es handelt sich schon nach dem jetzt vorliegenden Material um den größten politischen Skandal seit Jahren, der in einer Medienlandschaft, der in Zeiten eines Rudolf Augstein und eines Fritz Pleitgen unvermeidlich zum Sturz der Personen an der Spitze von Innenressort und Geheimdienst geführt hätte. In diesen früheren Zeiten existierten selbstverständlich auch Vorlieben und die neigten eher nach links. Andererseits gab es auch bestimmte publizistische Mindestmaßstäbe.

Eine Innenministerin, die den Chef der Cyberabwehr, den sie loswerden möchte, vom Verfassungsschutz illegal mit dem Ziel belauschen lässt, überhaupt irgendetwas Belastendes gegen ihn in die Hände zu bekommen und die ihn dann aus dem Amt mobbt, obwohl die Lauschaktion nicht das gewünschte Ergebnis brachte – diese Kabale hätte sich kein Spiegel in der Klassikversion entgehen lassen, keine Zeit. Und mindestens ein Politmagazin von ARD und ZDF hätte dabei zumindest etwas mitgestochert, auch ganz unabhängig vom Parteibuch der Beteiligten.

Selbst jetzt, da Unterlagen aus dem Bundesinnenministerium belegen, dass Faeser den Verdacht gegen den Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), er unterhalte Kontakte zum russischen Geheimdienst, als „zu dünn“ bezeichnete und deshalb von einem vertrauten Beamten verlangte, Belastungsmaterial zu liefern, selbst jetzt herrscht beim ZDF, der Süddeutschen und Spiegel Online dazu nahezu völliges Schweigen. Bei der Tagesschau gibt es ein kleines Stück, in dem es die Verantwortlichen der ARD-Hauptnachrichtensendung schaffen, alle wichtigen Aspekte der Affäre auszusparen.

Da es nur wenige Zusammenfassungen des Faeser-Skandals gibt, soll hier erst einmal ein Blick auf seine wichtigsten Stationen folgen. Am Anfang steht der Grund (nicht die Begründung), warum die Innenministerin den Chef der Cyber-Abwehr dringend loswerden wollte. Arne Schönbohm, Sohn des früheren CDU-Politikers Jörg Schönbohm und früherer Manager bei dem Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen EADS, leitete seit 2016 das BSI, zu dessen Aufgaben der Schutz des privaten Mailverkehrs und der kritischen IT-Infrastruktur gehört, etwa die der Bahn. Mit Faeser geriet er über eine sicherheitspolitische Frage in Streit. Er plädierte dafür, Mobilfunkplattformen auf Sicherheitslücken in deren Betriebssystem aufmerksam zu machen, die es ermöglichen, von außen in die Kommunikation einzudringen.

Die Bundesinnenministerin sprach sich dagegen aus – denn diese Lücke erlaube es auch Geheimdienst und Polizei, heimlich mitzulesen und mitzulauschen (ausländischen Diensten natürlich auch). Irgendwann im Lauf des Jahres 2022 entschied sie sich dafür, Schönbohm loszuwerden, und suchte nur noch nach einem Grund für die Öffentlichkeit. Denn mit dem zutreffenden Satz ‚ich würde gern mehr und vor allem leichter abhören lassen, aber mein BSI-Chef hindert mich daran‘ hätte sie die Personalie kaum verkaufen können. In diesem Konflikt gab es also von vornherein eine gemeinsame Interessenlage von Geheimdiensten und anderen an der Kommunikationsüberwachung Interessierten einerseits und dem BSI-Chef auf der anderen Seite.

Verdächtigungen gegen Schönbohm kamen schon deutlich vor Faesers Dienstantritt auf, beispielsweise in einer Monitor-Sendung von 2019. Das Konglomerat der Vorwürfe bestand aus zwei Teilen: zum einen in der Unterstellung, in dem von Schönbohm mitgegründeten und zeitweise durch ihn geführten Verein „Cybersicherheitsrat Deutschland“ (CSRD) gebe es Mitglieder – natürliche wie juristische Personen –, die ihrerseits Kontakte zu russischen Nachrichtendiensten unterhielten. Konkret ging es um die Firma Protelion, bei der das Bundesamt für Verfassungsschutz eine entsprechende Verbindung vermutete. Protelion wiederum reichte eine Software zur Zertifizierung beim BSI ein.

Der Verdacht lautete also: Eine Firma, bei der es sich eigentlich um eine Agentur eines russischen Dienstes handelte und die als Mitglied einem Verein angehört, den Schönbohm einmal leitete, versucht jetzt, sich beim BSI unter Schönbohm eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für ein Programm zu holen, das sich durch eine sogenannte ‚Hintertür‘ möglicherweise zu Spionagezwecken nutzen lässt. Hier verhilft ein Blick in die Chronologie zum besseren Verständnis.

  • Schönbohms BSI lehnte am 13. März 2021 die Zertifizierung der Protelion-Software ab – also lange, bevor Faeser überhaupt Innenministerin wurde.
  • Das Bundesamt für Verfassungsschutz startete die Operation „Steinbeis“, um mögliche Kontakte von Hans-Wilhelm Dünn, Nachfolger von Schönbohm an der Spitze des Cybersicherheitsrats Deutschland, zu einem Mann auszuforschen, der in Verdacht stand, für einen russischen Nachrichtendienst zu arbeiten. Die Operation „Steinbeis“ endete ohne belastendes Ergebnis – und das deutlich vor Faesers Kampagne gegen Schönbohm.
  • Weil es tatsächlich Zweifel am Charakter der Firma Protelion gab, schloss der Cybersicherheitsrat Deutschland das Unternehmen am 10. Oktober 2022 als Mitglied aus.

Es gab also unmittelbar nichts Konkretes gegen den Chef des BSI, und noch nicht einmal mittelbar, also nach dem Muster: Sein Nachfolger im Verein unterhält Kontakte zu jemandem, der unter Verdacht steht. Vor 2022, als es immerhin Verdachtsmomente gegen den ihr unterstellten Spitzenbeamten gab, kümmerte sich Faeser offensichtlich nicht um die Angelegenheit. Jedenfalls gibt es dazu bis jetzt keine Hinweise.

Am 7. Oktober 2022 kochte der ZDF-Zuarbeiter Jan Böhmermann in seiner Sendung unter dem Titel „Wie eine russische Firma ungestört Deutschland hackt“ die schon hinlänglich bekannten und nie unterfütterten Narrative gegen Schönbohm noch einmal auf. Dabei bezeichnete er den BSI-Präsidenten als „Cyberclown“.

Irgendwelche eigenen Recherchen steuerte der Grimme-Preisträger nicht bei. Trotzdem kam erst nach dieser Sendung, die nicht einen Funken Neues und erst recht nichts Substanzielles enthielt, das offizielle ministerielle Mobbing gegen Schönbohm erst richtig in Gang. Der für Cybersicherheit zuständige Staatssekretär Markus Richter drängte Schönbohm in einem Telefonat am 14. Oktober, von sich aus die BSI-Spitze zu räumen und seine Versetzung zu beantragen. Anderenfalls drohe ihm ein Disziplinarverfahren wegen der Russland-Vorwürfe. Richter besitzt das erste und zweite juristische Staatsexamen. Er musste wissen, dass eine Behörde ein Disziplinarverfahren einleiten muss, wenn die Verantwortlichen dort glauben, dass es den Verdacht eines Dienstvergehens gibt.

Daran hätte auch eine Versetzung Schönbohms, freiwillig oder nicht, kaum etwas geändert. Gibt es keine Anhaltspunkte, dann darf selbstverständlich nicht mit einem Disziplinarverfahren gedroht werden. Der Staatssekretär bewegte sich offenbar nah an der Grenze zur Nötigung. Die Vorstellung, er hätte das ohne Rückendeckung von Faeser getan, erscheint lebensfremd. Dazu kommt, dass es keinen Hinweis auf eine persönliche Feindschaft Richters gegen Schönbohm gibt. Alles spricht dafür, dass er als verlängerter Arm seiner Ministerin handelte.

Am 18. Oktober 2022 verbot Faeser Schönbohm die Fortführung der Dienstgeschäfte. Für die Öffentlichkeit musste das so wirken, als besäße sie neues Material, das nun doch irgendwelche Verfehlungen durch ihn belegen würde. Doch nun geschah allerdings etwas sehr Interessantes: Obwohl der mediale Vorwurf im Raum stand, der Chef der deutschen Cyberabwehr unterhalte Kontakte zu einem russischen Nachrichtendienst oder verhalte sich zumindest grob fahrlässig, und obwohl Faeser diesen Riesenverdacht zu teilen schien, leitete sie kein Disziplinarverfahren gegen Schönbohm ein. Offensichtlich deshalb, weil sie wusste, dass dabei nichts herauskommen würde.

Stattdessen beantragte der Geschasste ein Disziplinarverfahren gegen sich. Es wurde nie förmlich eröffnet, weil schon die Vorprüfung ergab, dass keine der gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen Substanz besaß. Noch bevor dieses Ergebnis vorlag, versetzte die Ministerin den Beamten an die Spitze der Berufsakademie für öffentliche Verwaltung – sehr viel kleiner und weniger bedeutend als das BSI –, hob aber schnell noch die Bezüge des Akademiechefs an, um ihm das gleiche Gehalt wie vorher zu garantieren.

Damit hätte die Affäre vorerst enden können. Das tat sie aber nicht, weil schon vorher etwas Entscheidendes passierte. Faeser wollte offenbar die Möglichkeit ausschließen, Schönbohm rehabilitieren zu müssen. Sie selbst wollte kein Disziplinarverfahren, aber da es nun einmal lief, ging ein Auftrag an das Bundesamt für Verfassungsschutz, der sinngemäß lautete: ‚Finden Sie irgendwas‘. Unter dem Stichpunkt „Disziplinarverfahren Schönbohm“ heißt es in einem Vermerk über die Ministerin: „Sie war […] sichtlich unzufrieden. Sie fand die Dinge, die wir ihr zugeliefert haben, zu ‚dünn‘ – wir sollten nochmals BfV abfragen und alle Geheimunterlagen zusammentragen. Ich habe ihr gesagt, dass wir alle relevanten Behörden und Abteilungen bereits beteiligt hätten und es schlicht nicht mehr gäbe.“

Selbstverständlich ordnete Faeser die Telefonüberwachung Schönbohms nicht schriftlich an. Aber sie fand statt. Vor dem Hintergrund der bekannten Ereignisse und Unterlagen gibt es nur den Schluss, dass der Inlandsgeheimdienst wenigstens im Nachhinein etwas erlauschen sollte, was irgendein Vergehen des Beamten belegt. Ein Lauschangriff ohne jeden konkreten Anhaltspunkt, nur, um der Ressortchefin Belastungsmaterial zu liefern – das geschah ohne jeden Zweifel am Gesetz vorbei. Und es ist kaum vorstellbar, dass BfV-Chef Thomas Haldenwang nichts davon gewusst haben sollte.

Auch diese Lauschaktion brachte nicht das, was Faeser sich wünschte. Sondern überhaupt nichts.

Unter dem kryptischen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bevölkerungsstatistikgesetzes, des Infektionsschutzgesetzes und Personenstands und dienstrechtlicher Regelungen“ winkte der Bundestag am 15. Juni 2023 übrigens eine Regelung durch, die den Leitungsposten des BSI ab jetzt zu einer politischen Beamtenstelle umdefiniert. Was bedeutet: In Zukunft kann sich, wer auch immer das Innenministerium führt, die Verrenkungen sparen und den Leiter des Amtes ohne Begründung entlassen.

Um einer geplanten Befragung durch den Innenausschuss in dieser Woche zu entgehen, meldete sich Faeser krank, obwohl sie noch am gleichen Tag einen Wahlkampftermin in Hessen absolvierte. In ihrer unvermeidbaren Rede zum Haushalt ihres Ministeriums vor dem Bundestag griff sie dann zu einer Mischung aus Verdrehung und Ablenkung. Die Verdrehung bestand darin, dass sie erklärte, Schönbohm habe das Disziplinarverfahren gegen sich ja „selbst“ eingeleitet – so, als wäre er irgendwie daran schuld, dass es einen Verdacht gegen ihn gab. Dann stilisierte sie sich zum eigentlichen Opfer der Affäre, und fuhr gleichzeitig mit der Verdächtelei fort: „Ich verstehe ja, dass Sie in den nächsten Wochen alles tun werden, um mich mit Dreck zu bewerfen. Ich kann Ihnen aber sagen, liebe Union, ich mache meine Arbeit und mir ist die Cybersicherheit wichtig in diesem Land. Denn ich habe das BSI angesichts der aktuellen Bedrohung gestärkt und das werde ich auch weiter tun. Dafür war eine Neuaufstellung der Spitze notwendig.“

Warum das BSI mit Schönbohm an der Spitze schlecht aufgestellt gewesen sei – dazu sagte sie kein Wort. Die gründlichste Irreführung allerdings bestand in dem Satz, bei dem Disziplinarverfahren gegen Schönbohm seien „keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt worden“. Damit betreibt sie ein albernes Hütchenspiel. Natürlich gehörte die Abhöraktion formal nicht zu dem Verfahren. Das behauptet aber auch keiner. Unterstützer von ihr erklärten auf Twitter, bisher gebe es ja keinen schriftlichen Beleg, dass sie die Abhöraktion persönlich angewiesen habe. Ach?

Eine Nachfrage zu ihrer Rede ließ Faeser bei ihrem Parlamentsauftritt nicht zu.

Faeser: „…Dabei sind keine nachrichtendienstlichen Maßnahmen gegen Herrn Schönbohm eingesetzt worden. Diese Behauptung ist völliger Unsinn…“

„Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu aus der Unionsfraktion?“

Faeser: „Nein, Frau Präsidentin.“

Im Jahr 1977 musste der damalige FDP-Innenminister Werner Maihofer gehen, weil er die politische Verantwortung für die Verfassungsschutz-Abhöraktion gegen den Nuklearmanager Klaus Traube trug. Der Geheimdienst belauschte Traube damals ebenfalls wegen eines substanzlosen Vorwurfs, und wie im Fall Schönbohm sollten die Wanzen überhaupt erst das nötige Belastungsmaterial liefern. Der Unterschied zum Fall Faeser liegt darin, dass Maihofer keinen privaten Feldzug gegen Traube führte und dafür den Geheimdienst mobilisierte. (Und natürlich darin, dass er mit seiner Demission die Konsequenzen zog).

Schon in ihrer bisherigen Amtsführung erweckte die SPD-Politikerin nie den Eindruck, Recht und Verfassung sonderlich zu respektieren. Jetzt trägt sie nicht nur die politische, sondern auch die höchstpersönliche Verantwortung für den größten politischen Skandal seit vielen Jahren: den Missbrauch des deutschen Inlandsgeheimdienstes zu eigenen Zwecken. Hätte der polnische oder ungarische Innenressortchef den Geheimdienst in Marsch gesetzt, um auf Biegen und Brechen etwas Kompromittierendes gegen einen in Ungnade gefallenen Spitzenbeamten zu beschaffen, dann hätte sich die Bundesregierung unter Garantie des Themas angenommen. Und die meisten Medien im Gleichtakt auch.

Aber jetzt, da der Skandalort nur ein paar Schritte von den ARD-und ZDF-Hauptstadtstudios entfernt liegt? Und wenn es sich bei der Skandalperson außerdem nicht um einen Landesminister handelt, von dem das journalistische Korps schon seit seiner Rede in Erding gegen das Heizgesetz wusste, dass er weggehört, sondern um eine SPD-Politikerin, die unbedingt Ministerpräsidentin von Hessen werden will? Da liegen die Dinge gründlich anders. Das muss niemand behaupten. Es genügt die Dokumentation.

Am 6. September, als der Skandal eigentlich nicht mehr unter der Decke zu halten war, weil Faeser sich mit einer absurden Ausrede vor dem Innenausschuss drückte, veröffentlichten ZDF – immerhin durch Böhmermann einer der Beteiligten –, die Süddeutsche, Spiegel Online und Zeit: nichts. Dunja Hayali vom ZDF-Heute-Journal teilte immerhin auf Twitter mit, warum der mit mehr als einer Milliarde Euro Gebührengeld pro Jahr alimentierte Sender dazu nichts senden konnte: keine Zeit.

— Dunja Hayali (@dunjahayali) September 6, 2023

Was war stattdessen wichtig? Natürlich die Haushaltsrede von Olaf Scholz. Aber auch der Kuss-Skandal des spanischen Fußballverbandes, in dem es zwar nicht die geringste Neuigkeit gibt, aber immerhin das Label ‚Sexismus‘, das auch Wochen nach dem Ereignis noch einen Reporter mit Mikro vor Ort rechtfertigt.

 

In der Süddeutschen an diesem Tag wichtig: Unwetter in Südeuropa, Meldungen der EU-Klimaagentur. Und natürlich auch: Kuss-Skandal in Spanien. Ganz unten auf der Online-Seite des Münchner Blattes fand sich noch ein kurzer Bericht darüber, dass Aiwangers Freie Wähler um vier Prozentpunkte zulegten. Und zwar ohne dass die Zeitung irgendeinen Bezug zu ihrer eigenen Berichterstattung hergestellt hätte.

Die Tagesschau liefert immerhin, womit die anderen Medien dann am nächsten Tag nachzogen, nämlich einen Bericht darüber, wie Faeser dem Innenausschuss fernblieb. Das bietet die Gelegenheit, sich auf den unwichtigsten Nebenstrang zu konzentrieren und den Fall im Übrigen nach dem Muster ‚der eine sagt so, der andere so‘ abzuhandeln. Also ein Muster, das es bei Aiwanger praktisch nie gab. Dort galt jede anonyme Beschuldigung praktisch schon als festgestellte Tatsache. In der Faeser-Affäre dagegen jede Tatsache als Meinung, die man so oder so sehen kann, idealerweise aber gar nicht.

Die Zeit ragt in gewisser Weise heraus; die suggerierte noch in dieser Woche, Schönbohm würden immer noch illegale Russland-Kontakte vorgeworfen (selbstverständlich ohne einen Beleg).

Vielleicht lag es daran, dass die Redaktion gleichzeitig auch die Nachhut des Rückzugs in dem suboptimalen Aiwanger-Feldzug bildete.

Beide Affären, die Aiwanger-Kampagne und die Aufklärungsverweigerung in Sachen Faeser ähneln einander in ihrer Struktur, um Karl Kraus zu bemühen, wie ein faules Ei dem anderen. In beiden gab es das, was in der Branche hit piece heißt, also einen Artikel, der jemandem gezielt die Beine wegschlagen soll. Einmal von der Süddeutschen mit Unterstützung eines SPD-nahen Ex-Beamten und im Interesse mehrerer wahlkämpfender Parteien gegen Aiwanger. Und einmal von Böhmermann/ZDF mit einer noch aufzuklärenden Unterstützung gegen Schönbohm.

Die enge Verbindung zwischen Medien und Apparat zeigte sich übrigens auch nach der rechtswidrigen Abhöraffäre gegen den Publizisten Markus Krall, wohlgemerkt Zeuge, nicht Beschuldigter in dem Ermittlungskomplex gegen die angeblichen Putschisten um Prinz Reuß. In seinem Fall überwachte das LKA Hessen (höchstwahrscheinlich rechtswidrig) die Kommunikation zwischen ihm und seinem Anwalt Hans-Georg Maaßen. Auszüge daraus landeten bei Spiegel Online. Und Teile von Kralls Steuerakte bei der Zeit.

Dass Jounalisten auch mit Nachrichtendienstlern sprechen und angebotenes Material nicht zurückweisen, gehört zum Geschäft. Der Autor dieses Textes hatte in mehr als 30 Berufsjahren immer wieder Unterlagen erhalten, die er eigentlich nicht hätte sehen dürfen. Dagegen ist so lange nichts einzuwenden, wie ein Journalist das, was er erhält, auch unabhängig beurteilt und sich nicht zum Sprachrohr einer staatlichen Stelle machen lässt.

Die Öffentlichkeit kann gerade in Echtzeit nachverfolgen, wie sich ein Komplex aus professioneller Politik, Sicherheitsapparat und Medien herausbildet. Der Begriff Medien, also Mittler bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Auch der Satz: Das Medium ist die Botschaft. Es stellt sich nur die Frage, warum jemand noch Kunde von Magazinen und Blättern sein sollte, die sich sowieso nicht mehr als Kontrolleure der Macht sehen, neuerdings aber als deren Megaphon, gelegentlich auch als Vollstrecker.

Zumal diese Funktion die künstliche Intelligenz demnächst schnell und günstig übernehmen dürfte.

ChatGTP kann eigentlich alles, was der schon länger existierende Journalismus braucht. Nur zwei Dinge nicht, weder jetzt noch in Zukunft: Zeitungen kaufen. Und Rundfunkgebühren bezahlen.

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