Wie man beim MDR ganz offiziell auf die Staatsferne pfeift

Im wichtigsten Aufsichtsgremium des Mitteldeutschen Rundfunks MDR sitzen deutlich mehr Regierungsmitglieder, als der Staatsvertrag festlegt. Das untergräbt die Unabhängigkeit. Doch weder Anstalt noch Regierungen wollen etwas ändern.

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Ganz entgegen unserer Erwartung sind Rechtstexte manchmal klar wie Kloßbrühe. „Der Rundfunkrat setzt sich zusammen aus: – je einem Vertreter der Landesregierungen, – je drei Vertretern der Landtage (…).“ Dazu kommen dann noch 38 weitere Mitglieder, die von „gesellschaftlich relevanten Organisationen“ entsandt werden. Das sind zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. So steht es im MDR-Staatsvertrag zwischen den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (§ 16 Abs. 1).

Die Regelung soll die Staatsferne der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Anstalt absichern. Diese weitgehende Unabhängigkeit wurde 2014 vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben.

Mit einfacher Schulmathematik kommt jeder also sofort auf diese Rechnung: Drei Bundesländer, jeweils ein Regierungsmitglied – das macht insgesamt drei Regierungsmitglieder im Rundfunkrat. Eins, zwei, drei. Einfacher geht’s nicht, sollte man denken.

Falsch gedacht.

Im MDR-Rundfunkrat sitzen aktuell nämlich nicht drei Mitglieder einer Landesregierung, sondern fünf (in Zahlen: 5). Das sind satte 66 Prozent mehr, als der Staatsvertrag vorsieht. Und das kommt so:

Im Jahr 2022 hatten die Landesregierungen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – wie vorgesehen – jeweils ein Regierungsmitglied in den Rundfunkrat geschickt. Dazu hatten die drei Landtage – wie vorgesehen – jeweils drei Abgeordnete entsandt. Da war noch alles gut.

Doch zwei Jahre später, 2024 also, mutierte einer der entsandten thüringischen Abgeordneten zum Regierungsmitglied: Mario Voigt (CDU) wurde Ministerpräsident seines Bundeslandes. Dasselbe passierte mit einem der entsandten sächsischen Abgeordneten: Dirk Panter (SPD) wurde bei sich zuhause Wirtschaftsminister.

Aber beide blieben im MDR-Rundfunkrat.

Ob das etwas damit zu tun haben könnte, dass jeder Rundfunkrat jeden Monat eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 834,23 Euro erhält sowie zusätzlich ein Sitzungsgeld in Höhe von 69,54 Euro pro Sitzungstag? Darüber kann nur spekuliert werden.

So oder so ist der Zustand erkennbar rechtswidrig. Fünf Regierungsmitglieder statt drei, Staatsferne und so. Das monierte auch der ÖRR-kritische Verein „Ständige Publikumskonferenz e. V.“ in einem Brief an die beiden betroffenen Staatskanzleien. Die Reaktionen von dort sind einigermaßen verblüffend.

Aus der Sächsischen Staatskanzlei in Dresden heißt es: Alles in Ordnung. Denn entscheidend sei ja gar nicht, welches Staatsamt oder welches Mandat ein Rundfunkratsmitglied hat, sondern nur, von wem es geschickt wurde. Dirk Panter sei zwar jetzt Minister, aber er war ja vom Landtag in den Rundfunkrat entsandt worden. Nur darauf komme es an. Die Thüringer Staatskanzlei in Erfurt argumentiert für Mario Voigt nahezu wortgleich.

Nicht nur für Nicht-Juristen klingt das einigermaßen spitzfindig. Auch Fachleute für Medienrecht schütteln ziemlich einhellig den Kopf.

Die „Ständige Publikumskonferenz“ lässt sich nicht so leicht abspeisen. Der Verein hat den Juristischen Direktor des MDR formal um rechtliche Prüfung gebeten. Jens-Ole Schröder heißt der Mann, und er ist qua Amt dafür zuständig, die ordnungs- und rechtsgemäße Berufung des Rundfunkrats seiner Anstalt sicherzustellen.

Das Ganze ist nicht trivial. Zum einen dürfte die aktuelle Zusammensetzung des MDR-Gremiums gleich gegen drei einschlägige Rechtsnormen verstoßen, nämlich gegen:

– § 15 Abs. 4 MDR-Staatsvertrag (Inkompatibilität)
– § 16 Abs. 1 Nr. 1 MDR-Staatsvertrag (nur ein Regierungsvertreter pro Land)
– das schon erwähnte „Staatsferneprinzip“ des Bundesverfassungsgerichts.

Zum anderen könnten alle Beschlüsse und Entscheidungen des Aufsichtsgremiums seit dem Wechsel von Mario Voigt und Dirk Panter ins Regierungslager anfechtbar sein.

Mindestens, was den thüringischen Ministerpräsidenten angeht, ist allerdings nicht ganz klar, ob er sich dafür überhaupt interessiert. Nach Angaben der „Ständigen Publikumskonferenz“ hat Mario Voigt seit dem 13. März 2024 an keiner Sitzung des MDR-Rundfunkrates mehr teilgenommen.

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Kommentare ( 25 )

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Dr. Rehmstack
27 Tage her

Entschuldigung, fällt das hier denn keinem auf? Was überhaupt haben Regierungen beziehungsweise deren Mitglieder überhaupt in Rundfunkgremien zu suchen? Die so genannte vierte Gewalt wird von denen kontrolliert, die sie kontrollieren sollen? Wird auch ein Regierungsvertreter in die Zeitungs-Redaktionen geschickt (obwohl dieses bereits normal scheint)? Das ist doch völlig irre. Die gehören alle ausgesperrt. Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der dieser Beschreibung gerecht wird, wird von einem Gremium kontrolliert, dass vom Gebührenzahler bestimmt wird und von niemand anderem! Alle relevanten Verträge beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind Zeitverträge, die Intendanten Gehälter haben sich an der Besoldungsgruppe für Richter zu orientieren! Moderatorengehälter müssten sich auf… Mehr

Budgie
27 Tage her

Was interessiert uns eigentlich noch dieser Deppenfunk? Das funktioniert genauso wie in der Irrenanstalt in welcher die Patienten als Ärzte praktizieren dürfen. Und sage keiner das es so etwas bei uns nicht gibt.

yeager
28 Tage her

Wäre die AfD in der Regierung, dann gäbe es sicherlich ganz viel Staatsferne.
Dem ÖRR ist auch weniger Staatsnähe als vielmehr eine extrem Grün-Linke Ausrichtung vorzuwerfen. Die Staatsnähe ergibt sich dann daraus, dass das „UnsereDemokratie“-Parteienkartell an der Macht ist.
Mit Kritik an der CDU wird ja beim ÖRR z.B. nicht gegeizt.

Dellson
28 Tage her

Ach isses wahr, fehlende Staatsferne? Eher fehlendes Demokratieverständnis! Denn obwohl im gesamten Sendegebiet dieses Senders, in den einzelnen Bundesländern, die AfD unisono an der 40% Marke kratzt, kratzt das den MDR nicht die Bohne. Wer an die Hömopathie glaubt ist bei dem Vorkommen der AfD im Programm des MDR gut aufgehoben. Da werden die Grünen, die entweder APO oder um die 5% haben, öfters aufgeboten, zu Wort gelassen, wie die stärkste Partei im Osten. Hat wohl sicher auch was mit der Unparteilichkeit der Moderatoren zu tun? Ironie aus! Fachleute sprechen in dem Kontext lustigerweise sogar davon, das die Anzahl der… Mehr

Minusmann
28 Tage her

Sehr verehrte Mitforisten, der ÖRR muss nicht weg, er muss entpolitisiert bzw. gezwungen werden, politische Neutralität zu gewährleisten. Ich höre fast jeden Tag MDR Kultur, alles ist ok, solange es nicht politisch wird. Ich bezweifle, dass rein kommerzielle Sender je Features über spezifische regionale Themen, über Kulturveranstaltungen bringen würde, ich bezweifle, dass rein kommerzielle Sender Literaturlesungen ermöglichen oder sich je mit z.B. denkmalpflegerischen Themen befassen würden. Hört euch doch mal den Müll der kommerziellen Sender an: Hits der 80’iger und 90’iger, Wetterbericht und Staumeldungen, die Blitzer nicht vergessen, Werbung: Trash-Radio vom Übelsten. Der ÖRR leidet, wie Politik, Medien, Kirche, Gewerkschaften… Mehr

J. Braun
28 Tage her
Antworten an  Minusmann

Aber warum soll jemand, der sich für diese speziellen Themen nicht interessiert, trotzdem dafür bezahlen? Ohne den alles erstickenden Staatsfunk könnten sich bequem lokale Sender etablieren, die diese „Lücke“ ausfüllen. Und wenn man diese Anstalten abschafft, gibt es ja auch genug freigestelltes Personal für so etwas.

Minusmann
28 Tage her
Antworten an  J. Braun

Lokale Sender können sich nur über Werbung finanzieren. Ich persönlich weiß es zu schätzen, dass man auf ÖRR-Radio-Kanälen davon nicht belästigt wird.

Dr. Rehmstack
27 Tage her
Antworten an  Minusmann

um dafür aber durchgängig, einseitig, penetrant und rechtswidrig mit grün linkem Schrott belästigt zu werden.

Axel Fachtan
28 Tage her

Weg mit dem ÖRR.
Weg mit den Zwangsgebühren.
Weg mit Goebbels Erben.
Weg mit der Propaganda.
Bis dahin:
Rundfunkrat durch Losverfahren bestimmen.
Jeder Einzahler hat ein Los.

Harry Hirsch
28 Tage her
Antworten an  Axel Fachtan

Es kommt nicht auf die Anzahl der Lose, sondern auf die „Losfee“ an. Es ist, wie mit den „zufällig“ zusammengestellten „Bürgerräten“, die jedesmal ganz „zufällig“ sozialistische Vorschläge hervorbringen. Von daher kann nur die sofortige Abschaffung die einzige Option sein.

Brauner Bodensatz
28 Tage her

MDR = kann weg.

thinkSelf
28 Tage her

Wie kann man etwas „untergraben“ das schon im Ansatz gar nicht vorhanden sein kann?

Matthias
28 Tage her

Diesen Rundfunkrat sollte man abschaffen und einen etablieren, der durch die Beitragszahler gewählt wird, mit freier Kandidatenaufstellung (nicht so wie in Ludwigshafen und anderswo – Sie wissen schon…). Gegenwärtig ist der Rundfunkrat ein Machtinstrument der Blockparteien und nichts Demokratisches.

Harry Hirsch
28 Tage her

Die Altparteien haben sich den Staat und seine staatsnahen Institutionen zur Beute gemacht. Diese Beute werden sie freiwillig nicht wieder hergeben. Die muss sich das Volk schon selber wieder holen.