RBB: Gutachten hält Abstimmung für „rechtswidrig“

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg kommt nicht zur Ruhe. Das Gutachten eines anerkannten Juristen kommt zu dem Schluss, dass die Wahl der neuen Intendantin Ulrike Demmer zwingend wiederholt werden muss.

IMAGO / epd
Die Journalistin und Juristin Ulrike Demmer nach der Wahl zur neuen Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), 16.06.2023

Glück und Pech kommen bekanntlich in Strähnen. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB ist die öffentlich-rechtliche Zwangsgebührenverbrennungsanlage der Hauptstadtregion, und vom Glück ist das Haus schon längere Zeit nicht mehr verfolgt worden.

Erst kam raus, dass die später gefeuerte Intendantin Patricia Schlesinger sich ein Luxusgehalt, einen Luxusdienstwagen, eine ganze Luxusetage am Arbeitsplatz und Luxusabendessen bei sich zuhause vom Sender bezahlen ließ. Dann kam raus, dass die meisten Mitglieder ihrer Geschäftsleitung das nicht nur wussten – sondern auch selbst kräftig zum eigenen Vorteil in den Gebührentopf gegriffen hatten.

Von den früheren Direktoren wurden vier gefeuert, ebenso die rechte Hand der Ex-Intendantin. Dabei kamen dann noch Dinge ans Tageslicht, die bei jedem Compliance-Beauftragten in der freien Wirtschaft zum plötzlichen Herztod führen würden: Zum Beispiel, dass zwei RBB-Direktorinnen miteinander verheiratet sind und ausgerechnet von der damaligen Vorsitzenden des Rundfunkrats – im Hauptberuf Pfarrerin – getraut wurden.

Der RBB hat Filz und Selbstbedienung auf eine neue Stufe gehoben.

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Auch mit dem verbliebenen Personal läuft es nicht rund.

Der einzige Top-Manager aus der Schlesinger-Ära, dem es gelang, seinen Job zu retten, ist Chefredakteur David Biesinger. Dem wird seit längerem vorgeworfen, detailliert über die stetig steigenden Kosten eines neuen und hochumstrittenen RBB-Protzbaus Bescheid gewusst zu haben. Als Leiter des zuständigen Lenkungsausschusses soll er die tatsächlichen Zahlen gegenüber dem Verwaltungsrat aber verschleiert haben.

Biesinger bestreitet die Vorwürfe. Inzwischen ist aber auch er sturmreif geschossen.

Deshalb starteten die anderen ARD-Anstalten zusammen mit der Politik in Berlin und Brandenburg die Operation „Frischer Wind“: Es sollte schnell ein tageslichttauglicher Nachfolger für die dunkle Fürstin Schlesinger gefunden werden, auf dass der RBB möglichst schnell aus den Schlagzeilen käme (und die ohnehin wachsende Skepsis gegenüber dem öffentlich-rechtlichen System in Deutschland nicht noch weiter befeuert).

So, wie es gerade aussieht, ist das gründlich misslungen.

Zwar wurde die SPD-nahe ehemalige stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in einem Hauruck-Verfahren zur neuen Intendantin gemacht. Doch Ruhe kehrt dadurch nicht ein, im Gegenteil. An den in der Tat dubiosen Umständen von Demmers Inthronisierung gab es von Anfang an heftige Kritik.

Und jetzt steht der begründete Verdacht im Raum, die Intendantenwahl beim RBB könnte insgesamt ungültig gewesen sein.

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Die Mitarbeitervertretungen im RBB haben bei Marcus Schladebach, Professor für Öffentliches Recht und Medienrecht an der Universität Potsdam, ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das identifiziert bei Demmers Wahl zahlreiche gravierende formale und inhaltliche Fehler.

Der anerkannte Experte für Medienrecht kommt zu dem Schluss, dass – Zitat: „… nur eine Neuwahl den eingetretenen rechtswidrigen Zustand beheben kann“.

Zentraler Kritikpunkt des Gutachtens ist, dass die entscheidende vierte Abstimmung bei Demmers Wahl gar nicht habe stattfinden dürfen. Im dritten Wahlgang war Demmer schon die einzige verbliebene Kandidatin gewesen. Dennoch verfehlte sie die notwendige Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden 25 Wahlberechtigten. Das Gutachten schreibt dazu:

„Ist jedoch nur eine Kandidatin verblieben und erhält sie im – allein von ihr bestrittenen – dritten Wahlgang nicht die erforderliche Mehrheit, so ist ihre Wahl gescheitert. Die Ansetzung eines vierten Wahlgangs ignoriert eine getroffene demokratische Entscheidung.“

Anders: Dreimal hatte Demmer nicht die notwendige Mehrheit. Damit hätte die Wahl rechtlich beendet werden müssen. Den vierten Wahlgang – in dem sie dann die Mehrheit bekam – hätte es nicht geben dürfen.

Das Gutachten erkennt aber auch schon im gesamten Bewerbungsverfahren vorher zahlreiche relevante Rechtsverstöße. Schon die Bewerbungsunterlagen wurden demnach nicht vorschriftsmäßig gesichtet. Wegen angeblichen Zeitdrucks seien Standards ignoriert worden, die zwingend notwendig seien, um Bewerber miteinander vergleichen zu können. So habe man 45 Interessenten das verbriefte Recht auf Chancengleichheit vorenthalten.

Fünf Kandidaten aus der „engeren Auswahl“ hätten dann extern überprüft werden müssen. Das sei für eine hochrangige Position wie die RBB-Intendanz unerlässlich – wurde aber unterlassen. Auch bei den Bewerbungsgesprächen listet das Gutachten formale Fehler auf. Für Medienrechtler Schladebach fehlt Ulrike Demmer selbst wegen ihrer vorherigen mehrjährigen Tätigkeit als Sprecherin der Bundesregierung überdies die gebotene Staatsferne.

Schließlich bemängelt Schladebach einen Brief, den Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor der Wahl an die Mitglieder des Verwaltungsrats geschickt hatte. Darin verlangte Woidke, dass „die Hinweise der Rechnungshöfe zur Begrenzung der Vergütung der künftigen Intendanz bei der Neubesetzung“ geprüft und berücksichtigt werden. Das sei als versuchte Einflussnahme auf die Kandidatenauswahl und als „Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsferne zu beurteilen“.

Unterm Strich: Die Intendantenwahl beim RBB müsse zwingend wiederholt werden.

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Die Hauptverantwortung für die Fehler im gesamten Bewerbungs- und Wahlverfahren sieht das Gutachten bei zwei Männern:

Oliver Bürgel (der leitete seinerzeit die sechsköpfige Findungskommission vor der Intendantenwahl; seit diesem Jahr ist Bürgel Vorsitzender des Rundfunkrats) und Benjamin Ehlers (seit April Vorsitzender des Verwaltungsrats). Beide seien „zwingend abzuberufen und durch fachlich kompetente und im Öffentlichen Medienrecht ausgewiesene Experten zu ersetzen“.

Zudem müsse laut Gutachten die Zusammensetzung des Verwaltungsrats kritisch überprüft werden.

Der RBB sieht das, wenig überraschend, ganz anders.

Man gehe unverändert davon aus, dass die Intendantenwahl rechtmäßig war. Daran ändere das Gutachten nichts, lässt man mitteilen: „Nach erster Durchsicht erkennt der RBB allerdings weder neue Argumente oder neue Aspekte, vielmehr ergeben sich bereits jetzt ernsthafte Zweifel an der juristischen Haltbarkeit der dort gefundenen Ergebnisse.“

Und weiter: „Der Sender hat keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl von Ulrike Demmer. Die Wahl wurde unter Anwesenheit der Rechtsaufsicht durchgeführt, die ebenfalls keinerlei Beanstandungen geäußert hat.“ (Die Rechtsaufsicht des RBB liegt bei den betroffenen Bundesländern.)

Dann mault man noch ein bisschen über den „Ton“, der nicht zur Versachlichung der Debatte beitrage, sowie über „Zuspitzungen und Polemik“, die weder der Sache noch dem RBB helfen würden.

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Nun sind Rechtsvorschriften nicht dazu da, dem RBB zu helfen. Umgekehrt muss sich auch eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt an geltendes Recht halten – selbst dann, wenn es möglicherweise Mühe macht oder der Anstalt vielleicht gerade nicht so in den Kram passt.

Die RBB-Mitarbeiter hatten offenbar von Anfang an den Eindruck, dass bei der Nachfolge von Patricia Schlesinger vieles buchstäblich nicht mit rechten Dingen abläuft – schon wieder. Schon die Arbeit der Findungskommission sei damals im Haus heftig kritisiert worden, sagt Personalratschefin Sabine Jauer heute.

Man sei damit aber nicht durchgedrungen und habe zunehmend das Gefühl gehabt, „als Feigenblatt missbraucht zu werden“. Mehrfach hätte die Mitarbeiterseite deshalb erwogen, sich aus der Findungskommission zurückzuziehen. Aber: „Dann hätten wir überhaupt keine Chance der Mitsprache und Mitwirkung mehr gehabt.“ Wegen des Verdachts, bei der Kandidatenfindung und später beim Wahlvorgang nicht angemessen und rechtlich korrekt beteiligt worden zu sein, hätten die Mitarbeitervertretungen das Gutachten in Auftrag gegeben.

Das Ergebnis lässt jetzt die Wogen hochgehen. Neu-Intendantin Demmer – um deren Job es letztlich geht – versucht erkennbar, die Gefühlslage der Mitarbeiter zu beruhigen und gleichzeitig den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Die Frage der Schlesinger-Nachfolge sei insgesamt sehr emotional gewesen. Demmer sagt:

„Es ist richtig, wenn damit zusammenhängende Rechtsfragen nüchtern geprüft werden. Ich habe einen transparenten und konstruktiven Dialog versprochen und begonnen. Diesen Weg werde ich mit dem rbb auch weitergehen, um das Beste für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer zu bewirken.“ Der RBB dürfe nicht erneut zum Stillstand kommen.

Aber könnte man die Wiederholung einer rechtswidrigen Wahl als Stillstand bezeichnen?

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Kommentare ( 3 )

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Clemens Anton
6 Monate her

Ich komme immer mehr zu der Ansicht, daß das Geflecht aus Parteien + ihren Siftungen, bestimmten NGO´s, dem ÖRR und den Mainstreammedien organisierte Bandenkriminalität zum Schaden des deutschen Volkes ist, die unbedingt strafrechtlich verfolgt werden muß…

Sagen was ist
7 Monate her
  • Wahl…“???
  • „…zwingend wiederholt werden muss.“
  • ???

You made my day

Zwingend ist nur die Zwangsabgabe in diesem dystopischen System

Last edited 7 Monate her by Sagen was ist
Kassandra
7 Monate her

„Für Medienrechtler Schladebach fehlt Ulrike Demmer selbst wegen ihrer vorherigen mehrjährigen Tätigkeit als Sprecherin der Bundesregierung überdies die gebotene Staatsferne.“ Wobei Demmer ja nicht die Erste ist, die aus diesen Kreisen in ein derartiges Amt „flutscht“. Wer erinnert sich nicht an den Regierungssprecher im Kabinett Merkel I + II, Ulrich Wilhelm, der danach dann Intendant beim Bayrischen Rundfunk wurde? Allerdings wohl ganz und gar ohne 4. Wahlgang. Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim schrieb bereits 2001 in seinem Werk: Das System – Die Machenschaften der Macht: „Das Grundübel unserer Demokratie liegt darin, dass sie keine ist. Das Volk, der… Mehr