Aufmarsch der Bösen bei Maischberger?

Das Programm der AfD kommt in den nächsten Tagen auf den Markt. „Was wollt Ihr wirklich?“ wird dann möglicherweise deutlicher werden. Bei Maischberger ließ es sich jedenfalls trotz eines halben dutzend Düstereinspieler inklusive der immer gleichen Björn-Höcke-Talkshow-Bestseller nicht klären.

Screenshot: ARD, Maischberger

Fanden Sie die ersten 15-20 Minuten bei Maischberger noch befremdlicher als sonst sowieso schon? Dann kann das daran gelegen haben, das man zunächst in der dritten Person über jemanden sprach, der allerdings leibhaftig mit in der Runde saß. Die Rede ist von Thilo Sarrazin, der zum einen sein neues Buch „ Wunschdenken: Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum Politik so häufig scheitert“ promoten muss und zum anderen bei Maischberger gemeinsam mit der Europa-Abgeordneten und stellvertretenden Vorsitzenden der AfD, Beatrix von Storch, die Rolle der deutschen Populisten, der „Nein“-Sager einnehmen sollte. Thema des Abends: „Maischberger“: AfD – Wie gefährlich sind die deutschen Populisten?“

Weitere Gäste sind Gregor Gysi von den Linken, Elmar Brok, Europaabgeordneter der CDU und ein unsäglicher Selbstdarsteller, der Politologe Albrecht von Lucke. Aber zu ihm später mehr.

Gysi erschrickt mit kaum zu überbietenden Harmlosigkeiten: Der alte Kämpfer für das Gute, für die Arbeiter und Bauern, für die Armen und noch Ärmeren präsentiert sich in einem für jeden engagierten Linken geradezu bemietleidenswerten Rentnermodus. Wer soll bloß diese klaffende linke Lücke füllen? Wird am Ende alles auf den Schultern von Sahra Wagenknecht ruhen? Aber sogar von der distanziert sich Gysi im Laufe der Sendung – namentlich von ihrer Aussage nach den Ereignisse in Köln, das, wer sein Gastrecht missbraucht, selbiges verwirkt hätte. Es ginge hier nicht um Gastrecht, sondern um das Völkerrecht, so Gysi mit letzter Empörung. Und er fragt dann noch nach, wann denn nun das Gastrecht verfallen würde. Wenn man falsch parkt? Nein, Gregor Gysi, nach Köln darf man annehmen, das Sahra Wagenknecht zum Beispiel Vergewaltigung und bandenmäßigen Diebstahl gemeint haben könnte. Also alles richtig gesagt hat. Die rechtlichen Grundlagen dafür muss ja auch nicht Sahra Wagenknecht schaffen, sondern Heiko Maas in die Wege leiten und dem Parlament zur Abstimmung vorlegen. So einfach.

Kommen wir zu Thilo Sarrazin, dessen Auftritt sich kaum unterschied von denen der letzten Jahre und Bücher. Der ehemalige SPD-Politiker, Autor und Banker bringt immer die Aura des Kriegsveteranen mit in die bundesdeutschen Talkshows. Körperliche Gebrechen dominieren das Gesamterscheinungsbild, aber der Rücken bleibt erstaunlich gerade. Geradezu aufrichtig. Wo alle anderen im Laufe des Abends in den Sesseln versinken und irgendwann müde aus der Horizontalen pöbeln, sitzt Sarrazin steif und fest auf der äußeren Sesselkante. Man muss es erwähnen: sprachlich wird es immer schwerer für ihn. Man leidet mit. Man freut sich fast, wenn er einen Satz mal über alle Stolpersteine nach Hause fährt. Der Mann hatte 2004 einen Tumor überstanden, der seine rechte Gesichtshälfte teilweise gelähmt hat. Nachteil in solchen Diskussionen: Wer für jeden einzelnen Satz soviel Kraft und Selbstbeherrschung aufbringen muss, den kann man leichter unterbrechen, aus der Fassung bringen, überstimmen. Und die Mitdiskutanten nebst Moderatorin Maischberger machen davon natürlich üppig Gebrauch, Das Ergebnis ist dann die geringste Redezeit für Sarrazin. Aber wie man im Verlaufe des Abends erleben durfte nicht die schlechteste Wahl. Frau von Storch hat das auch ohne leidige Sprachprobleme längst verstanden und lässt die anderen reden. Sie lächelt dabei zwar nicht so provokant, wie Frauke Petry in ihren Talkshows, aber sie arbeitet erfolgreich daran.

Zuverlässig geraten dann die anderen aneinander. Gysi streitet ein bisschen mit Elmar Brok, der seine besten Jahre wohl auch schon hinter sich hat – alles kommt schleppend, jeder Satz, jedes Argument formiert sich in Zeitlupentempo. Auf einer gemütlichen Parkbank in der Nachmittagssonne wären die beiden sicher besser aufgehoben. Weniger aufregend, Herz schonender.

Der agile Stänkerer des Abends ist Albrecht von Lucke, der Jüngste in der Runde. Der gebürtige Rheinländer macht keine Gefangenen. Frau von Storch sitzt ihm direkt gegenüber und bekommt die ganze angesammelte Pseudo-Wut der Anti-AfD-Debatte der letzten Monate noch einmal unisono übergekübelt. Aber was schon bei Augstein und Petry an selber Stelle nicht klappen wollte, passiert auch hier nicht. Die AfD-Frontfrau lässt es einfach über sich ergehen. Abperlen. Auch hier hat sie wohl dazugelernt.

Immerhin schafft es von Lucke ein neues Wort in die Debatte einzuführen: Die „Entdifferenzierung“. Aber das ist dann auch nur eine weitere verzweifelt verkopfte Umschreibung für dieses seltsam andauernde AfD-Bashing Namens „Populismus“ und ebenso wirkarm. Warum? Weil man nicht ernsthaft irgendeinem etablierten Politiker attestieren könnte, nicht populistisch zu agieren. Populismus ist Teil des politischen Geschäftes – nur wer Stimmung macht, kann man Ende mit Stimmen rechnen. Wo soll da der Gradmesser sein?

Ebenfalls aus dem Weg geräumt wurde im Verlaufe der Diskussion die Eingangsbehauptung, die AfD würden nur aus der Ablehnung der politischen Arbeit der anderen Kapital schlagen. Nein, „nein“ sagen ist und bleibt nun mal erstes Privileg jeder Opposition gegenüber der Regierung. „Wir schaffen das nicht“, ist dann auch keine Miesepeterei, sondern legitimer Ausdruck des Protestes. Die Veränderung, die Verbesserungsvorschläge sind dann nachgereicht. Aber kommen müssen sie natürlich. Das erledigen die Parteiprogramme. Das der AfD kommt in den nächsten Tagen auf den Markt. „Was wollt Ihr wirklich?“ wird dann möglicherweise deutlicher werden. Bei Maischberger ließ es sich jedenfalls trotz eines halben dutzend Düstereinspieler inklusive der immer gleichen Björn-Höcke-Talkshow-Bestseller nicht klären.

Ach so, Sarrazin schafft es sogar, sich überzeugend von der AfD zu distanzieren, als er schlüssig erklärt, warum man nicht sagen kann, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Religion sei eben Privatsache. Also kann es kein Zugehörigkeitsgefühl geben, das irgendwie staatstragend sei. Und natürlich hat er damit Recht. Seine Sorge ist eine ganz andere: eine Millionen Zuwanderer würden unweigerlich bald zu fünf Millionen Zuwanderern. Der Faktor 5 wäre hier der Erfahrungswert aus dem Zuwachs der deutschen Gastarbeiter des 20. Jahrhunderts. Keiner widerspricht. Wie auch? In Sachsen Statistik ist Sarrazin der bestgebildete Alchemist in der Runde. Das ist dann allerdings auch sein größtes Handicap. In einer durchemotionalisierten Gesellschaft, in von Facebook und Twitter weichgeklopften Zeiten ist das Pendant zum Katzenfoto die umfassende Betroffenheitsgeste. Eine, die Thilo Sarrazin so wenig beherrscht, wie Albrecht von Lucke die leisen Töne.

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