Anne Will – Auf einen Blick in die türkische Glaskugel

Die Frage „Was macht Erdogan jetzt?“ ist natürlich ziemlich blödsinnig, vor allem, wenn man sie Cem Özdemir stellt. Woher, bitte, soll der Grüne das wissen? Aber geschenkt, irgendwie muss Anne Will ja über das Thema „Putschversuch in der Türkei“ sprechen.

Screenshot: ARD, Anne Will

Wer nicht wie Claudia Roth regelmäßig in die Türkei reist und auch kaum Menschen aus der Region persönlich kennt, der weiß nun wenigstens Folgendes:
Das Land ist tief gespalten. Die Menschen reden kaum noch vernünftig miteinander. Entweder sie sind für Erdogan oder gegen Erdogan. Männer zeigen ihre Frauen an, und Frauen ihre Männer.

Neben dem Konflikt Kurden-Türken gibt es den zwischen Islamisten und Laizisten. Zudem – unter den Islamisten – den zwischen Anhängern Erdogans und Anhängern Fethullah Gülens, eines Predigers, der sein Exil in den USA genießt.

Früher waren Erdogan und Gülen dicke Buddies, inzwischen soll Gülen in der Türkei sogenannte Parallelstrukturen zur eigenen Machtergreifung aufgebaut haben, weshalb Erdogan ihn als Drahtzieher des Putschversuchs bezeichnet und von Obama seine Auslieferung verlangt.

Zur Vorstellung der Gäste wollen wir kurz die jeweilige Position nach dem Putschversuch berichten:

Für Fatih Zingal von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, die als AKP-nah gilt, war die Niederschlagung des Putsches ein Tag der Zivilcourage und ein Sieg der Demokratie und er kann sich sehr gut vorstellen, dass der Samstag zum Nationalfeiertag erklärt wird.

Die Rechtsanwältin Seyran Ateş, halb Türkin, halb Kurdin, ist sich sicher, dass Erdogan den Putschversuch nutzen wird, um noch klarere Verhältnisse zu schaffen und jede Art von Opposition als Terroristen- oder Putschistenfreunde zu verfolgen.

Cem Özdemir ist aufgefallen, dass wenige Stunden nach der Niederschlagung des Putsches gut 3000 Richter und Staatsanwälte aus ihren Ämtern entfernt wurden, aber er war wohl zu höflich, um klar zu sagen, an welchen Teil seines deutschen Geschichtsunterricht ihn das erinnert.

Norbert Röttgen, CDU, fand den Erdogan-Spruch, der Vorfall sei ein Geschenk Allahs, zynisch.

Mit Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, wollen wir uns ein wenig länger befassen, schließlich ist er ein militärischer Fachmann, und der Putschversuch wirft schon Fragen auf. Kujat führte die drei im öffentlichen Raum schwirrenden Thesen an:

1. Der Putsch sei dilettantisch inszeniert, und deshalb zum Scheitern verurteilt gewesen.
2. Erdogan oder seine Leute hätten den Umsturzversuch selber initiiert, um auf diesem Weg die Präsidial-„Demokratie“ zu errichten.
3. Die Regierung wusste Bescheid und nutzt die Lage nun für sich aus.

Punkt Zwei schloss Kujat aus, weil „man nie weiß, wie so etwas ausgeht. Das Risiko ist zu groß.“ Auf jeden Fall blieben viele Ungereimtheiten. Gegen Punkt Zwei spricht übrigens auch der doch recht unheroische Handy-Aufruf des Präsidenten, die Leute mögen doch bitte auf die Straße gehen.

Leider konnte Kujat nicht ausführen, wie man solch einen Putsch richtig inszeniert – Verhaftung des Präsidenten, Verhaftung der Regierungsmitglieder, Besetzung aller TV-Sender – , um nur ein Paar Punkte aus dem Internationalen Handbuch für Umstürze zu zitieren. Aber wir wollen vermuten, dass der Generalinspekteur auf „Dilettantismus“ plädiert.

Nicht unwichtig Kujats leidenschaftlicher Einwurf, dass die Niederschlagung kein Sieg der Demokratie gewesen sei. „Die Menschen auf der Straße haben das gestoppt. Nicht die Demokratie. Die Menschen auf der Straße haben den Soldaten, die sich ergeben hatten und größenteils wohl gar nicht wussten, was vor sich ging, die Kehle durchgeschnitten“.

Fakt ist, dass die Mehrheit der Türken keinen weiteren Militärputsch akzeptierte, ein Umstand, der die Putschisten wohl mehr erschütterte als der Widerstand der Erdogan-treuen Polizeieinheiten.

Denn ein Militärputsch hat in der Türkei durchaus Tradition. 1960, 1961, 1980 und einmal in den 90er Jahren versuchte das Militär, das sich dem Laizismus Atatürks verpflichtet fühlt, das Land davor zu bewahren, in die Hände der extremen Linken oder Islamisten zu fallen. Das dürfte nun wohl das letzte Mal gewesen sein.

Natürlich wurde auch über die Bundeswehr in Incirlik gesprochen. Trotz des „Besuchsverbots“ für Mitglieder unseres geschätzten Parlaments, will ebensolches tatsächlich eine zweite Awacs-Mission in die Türkei beschließen.

Für Cem Özdemir ist es unabdingbar, dass Abgeordnete „unsere Soldaten besuchen dürfen“. Und dann rutschte ihm der herrliche Satz heraus: „Putin zeigt, dass Erdogan durchaus versteht, wenn man Klartext mit ihm redet.“

Das gibt uns die Gelegenheit, Norbert Röttgen doch noch einen mitzugeben. Im Prinzip hatte der CDU-Mann wider Erwarten ganz vernünftige Sachen gesagt, aber dann kam es doch noch: „Keiner redet so Klartext mit Erdogan wie Angela Merkel!“ Schöner geht’s nicht!

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