»lechts und rinks / kann man nicht velwechsern« – oder doch?

Zu Peter Hoeres bedeutendem Essay über rechts und links

Selten in der Geschichte der letzten zweihundert Jahre spielte die geradezu manichäische Unterscheidung zwischen rechts und links als politische Grundkoordinaten eine so große Rolle und wohl noch nie als totale bis totalitäre Unterscheidung, als moralische Beurteilung eines Menschen, wobei „rechts“ inzwischen die Liste der Pejorationen anführt, wie in unseren Tagen.

Wer als „rechts“ markiert wird, gilt als größter Verbrecher, als Unmensch, anscheinend schon als Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz. Doch dort, wo man nicht mehr rechts sein darf, befindet man sich in einer linken Diktatur, und dort, wo man nichts mehr links sein darf in einer rechten. So weit, so einfach.

Doch wie kommt man eigentlich dazu, Worte, die eine Orientierung im Raum ermöglichen, zu Begriffen zu machen, die für politische Richtungen stehen? Wie konnte aus einem harmlosen Adverb ein bitterböses oder grundgutes Adjektiv werden? Zwar sind die Zuordnungen rechts und links in aller Munde, doch stellt die Begriffsanalyse, die diese Bezeichnung verdient, ein schmerzliches Desiderat dar.

Profunde und gelehrte Abhilfe schafft jetzt der luzide Essay des Würzburger Historikers Peter Hoeres „Rechts und links. Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart“ über die Begriffe und die Begriffswerdung von „rechts“ und „links“, der gerade im Verlag zu Klampen erscheint. Angesichts der hemmungslosen Emotionalisierung und der völligen Entrationalisierung im gesellschaftlichen Diskurs und in den informellen Normsetzungsprozessen grenzt es an ein Wunder, mit welcher gedanklichen und sprachlichen Sicherheit es Hoeres gelingt, Leichtigkeit und Evidenz, Evidenz und Leichtigkeit der Darstellung und des Gedankenganges in schöner Balance zu halten. Kühle Betrachtung, analytische Präzision trotzen der Verführung, in den Ton eines Pasquills oder einer Philippika zu verfallen.

Aus dem Maschinenraum des Nonsens
Konservativer Philosoph dekonstruiert die Lieblingstheorien der Linken
In einer Zeit, in der Begriffe entleert und zu Emblemen und Etiketten im politischen Kampf unserer Tage werden, fragt Hoeres nach der Begrifflichkeit emblematisierter Begriffe und folgt damit einer Einsicht, die vor 2500 Jahren der chinesische Philosoph Konfuzius seinem Schüler vermittelte. Konfuzius hatte auf die Frage des Schülers: „Wenn Euch der Herrscher des Staates Wei die Regierung anvertraute − was würdet Ihr zuerst tun?“, geantwortet: „Unbedingt die Namen richtigstellen.“ Worunter man auch die Begriffe verstehen kann.  Und dann dem Schüler, der sich über diese Antwort wunderte, erklärt: „Stimmen die Namen und Begriffe nicht, so ist die Sprache konfus. Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Misserfolg. Gibt es Unordnung und Misserfolg, so geraten Anstand und gute Sitten in Verfall. Sind Anstand und gute Sitten in Frage gestellt, so gibt es keine gerechten Strafen mehr. Gibt es keine gerechten Strafen mehr, so weiß das Volk nicht, was es tun und was es lassen soll. Darum muss der Edle die Begriffe und Namen korrekt benutzen und auch richtig danach handeln können. Er geht mit seinen Worten niemals leichtfertig um.“

Um die Begriffe und Namen korrekt zu benutzen, muss man Etymologie, Begriffsgeschichte, Bedeutung und Bedeutungswandel, sowohl denotativ als auch konnotativ, kennen. Nichts Geringeres unternimmt und glückt Hoeres, wobei er methodisch korrekt der Phänomenologie folgt.

Die Analyse gliedert sich methodisch in drei große Teile. Im ersten Teil untersucht der Historiker Ursprung, Nutzung und Normierung des Begriffspaares, das sich gegenseitig bedingt, denn es existiert kein rechts ohne links und kein links ohne rechts, wie es kein oben ohne unten und kein vorn ohne hinten gibt. In der instruktiven Einleitung weist Hoeres daraufhin: „Die Rechts-links-Unterscheidung geht aber weit über das Politische hinaus, hat tiefere Wurzeln. Sie ist vielmehr eine fundamentale anthropologische Form der Orientierung. Die Orientierung im Raum ist dem nicht umweltgebundenen Mängelwesen Mensch (Arnold Gehlen) eine stete Aufgabe; er muss in der Welt seinen Platz finden.“ Hoeres untersucht zunächst die anthropologische Seite, den Vorrang der rechten Seite vor der linken in Biologie, Sprache, Ethnologie, Rechtsschreibung, Rechtsverkehr und in der Geschichte als „rechts und oben“.

Im zweiten Teil verfolgt Hoeres die Politisierung des Rechts-Links-Dualismus zum Rechts-Links-Gegensatz als Orientierungs- und Bewertungskriterium mit dem Aufkommen der modernen Politik seit der Französischen Revolution. Ausgehend von der politischen Gesäßgeographie in der Französischen Nationalversammlung verfolgt Hoeres die Entwicklung des Rechts-Links-Gegensatzes als bestimmende politische Orientierung vom Vormärz über das Kaiserreich, über die Weimarer Republik und schreckt auch nicht vor der verminten Diskussion zurück, ob der Nationalsozialismus eine rechte oder linke Bewegung gewesen sei.

Narrativkapitalismus
Jenseits des Links-Rechts-Rasters
Der nüchterne, distanzierte Blick des Historikers, die Epoché, zeigt gerade dadurch, dass er hier kein eindeutiges Urteil zu geben vermag, die Grenzen der Begriffsunterscheidung auf und mithin den Beginn der Entbegrifflichung des Gegensatzpaares. Man könnte sogar zu dem Schluss kommen, dass durch den Prozess der Emblematisierung und der begrifflichen Entleerung die Unterscheidung zwischen rechts und links so ausgezeichnet schlechte Dienste leistet. Doch alle Versuche, auch das kann man bei Hoeres lernen, dieser Dichotomie oder diesem Schema zu entkommen, führen letztlich zu Konfusionen, Komplikationen und im besten Falle zu Umständlichkeiten.

Allerdings gibt es schon eine Unterscheidung, die nicht deckungsgleich mit der Rechts-Links-Zuordnung ist, was auf die Grenzen dieser Bestimmung hinweist.  Vielleicht beginnt für Europa und für die USA auch erst dort die von der Emblematisierung und Etikettierung der Rechts-Links-Opposition überdeckte, die wirkliche Auseinandersetzung, nämlich die zwischen Individualismus und Kollektivismus. So gesehen ist der Nationalsozialismus so kollektivistisch wie der Kommunismus.

Hoeres trifft präzise den Kern der vom Gegensatzpaar rechts und links überlagerten Auseinandersetzung, wenn er schreibt: „Das Antibürgerliche, Antikapitalistische, Antireligiöse, Anti-Traditionale samt entsprechendem Hass und Militanz verbindet die Extreme, ebenso die Geschichtsutopien, die ganzheitlichen Vorstellungen von der Gesellschaft und die Zukunfts- und innerweltliche Heilsgewissheit. Freilich ist es auch auf der linken Seite nicht so, dass man bei Radikalisierung einer linken Haltung zwangsläufig beim Kommunismus oder gar Stalinismus landet. Der Gang eines Linken kann ihn auch in Richtung Anarchismus führen, wo er unter libertären Staatsgegnern auf Verbündete trifft.“

Der Essay des Würzburger Historikers erfüllt glänzend seinen Zweck, eine Handreichung zu bieten für das Verständnis und die Diskussion der gesellschaftlichen Entwicklung in Zeiten, in denen große Teile der Linken zu den Methoden des Klassenkampfes zurückkehren möchten – und die den Gegensatz von rechts und links zur Kampflinie erklären, nur um jeder wirklich inhaltlichen Diskussion aus dem Weg zu gehen.

In diesem Zusammenhang ist der Essay von Peter Hoeres nicht nur lesenswert, sondern wichtig, um die Begriffe und Namen korrekt zu benutzen und dadurch richtig handeln zu können.

Peter Hoeres, Rechts und links. Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart. Zu Klampen Verlag, Hardcover, 212 Seiten, 25,00 €.


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Kommentare ( 9 )

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LiKoDe
27 Tage her

Bornierte Kleinbürger sind weder Sozialisten noch Liberale oder Konservative sondern einfach nur bornierte Kleinbürger. Sie haben eine hypermoralische Haltung aber keine Weltanschauung. Sie suchen deshalb seit Beginn der Arbeiterbewegung nach einem ‚dritten Weg‘, weil sie weder zur Arbeiterbewegung noch zum Bürgertum gehörten/gehören. Sie waren und sind aber Wasserträger reaktionärer Bourgeois [Globalisierer]. Verbalradikale und linkssektiererische Teile dieses bornierten Kleinbürgertums führen einen autoritären und totalitären Kampf gegen Sozialisten, Durchschnittsbürger, Liberale und Konservative. Sobald Sozialisten, Durchschnittsbürger, Liberale und Konservative das erkennen, können sie gemeinsam das bornierte Kleinbürgertum in seine Schranken weisen.

Jens Frisch
27 Tage her

„Der mit 20 nicht links ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 noch ist, hat kein Hirn.“
Traditionen sind geronnene Erfahrungen und Einsichten – aber Jugend bedeutet Erneuerung. Den meisten Menschen wird das im Laufe des (Erwerbs-) lebens auch klar – bis auf die ganz Blöden – da sind einfach Hopfen und Malz verloren.

Peter Pascht
27 Tage her

Lieber Herr Klaus-Rüdiger Mai,
ein brilliantes Essay gegen menschliche Dummheit, 
das haben sie vortrefflich mit Wortwitz und einer brillianten Sprache formuliert. ! – ich würde sagen, gehobene Sprachkultur.
Aber „Gegen Dummheit kämpften selbst die die Götter schon vergebens“ – sagten die alten Helenen.

Peter Pascht
27 Tage her

Lieber Herr  Klaus-Rüdiger Mai, das haben sie vortrefflich mit Wortwitz und einer brillianten Sprache formuliert. ! ich würde sagen, gehobene Sprachkultur.

Peter Pascht
27 Tage her

»lechts und rinks / kann man nicht velwechsern« – nein, wirklich nicht denn »lechts und rinks / kann man nicht voneinander unterscheiden« – weil es das gleich ist. Es ist alles relativ – sagte angeblich Einstein 😉 Sich einmal um 180° drehen und schon ist „links“ zu „rechts“ und umgekehrt. Dazu muss man nur sein Mäntlein in den Wind hängen. So wie uns das die „Sonnenkönigin aus der Uckermark“ vorgemacht hat. Zuerst dem Honecker den Arsch gewaschen, dann hinterher sich zum „stalinistischen Opfer“ religiöser Verfolgung erklären. Aber dazu braucht es immer ebenso eine Menge auf der eigenen Schleimspur kriechender verlogener… Mehr

Fatmah
27 Tage her

Als ich am Samstag nebenbei das Radio laufen hatte, fühlte ich mich wieder an DDR Zeiten erinnert. Man müsse jetzt den Kampf gegen Rechtsextremismus verstärken. Und das wo uns die US Regierung grad bescheinigt hat, das die Antifa eine Terrorvereinigung ist. Dafür ruft der neutrale Steingeier als „Präsident ALLER Deutschen zum Kampf gegen Oppositionelle auf. Das macht nicht mal der verhasste Putin so unverholen.

Haba Orwell
27 Tage her

> Doch dort, wo man nicht mehr rechts sein darf, befindet man sich in einer linken Diktatur, und dort, wo man nichts mehr links sein darf in einer rechten. So weit, so einfach.

Röper grübelt gerade, was der Allerheiligste in Venezuela anstellen mag: https://anti-spiegel.ru/2025/wie-geht-es-zwischen-den-usa-und-venezuela-weiter/ Sind Zweifel am Allerheiligsten rechts, links oder einfach normal, wenn man weder Ami noch Untertan-Michel ist, der verzweifelt nach einer Führenden Person:in zum bedingungslosen Folgen sucht?

Ich bin RECHTS
27 Tage her

Wenn KI-basierte Regierungen (endlich) die Menschen ablösen, dann lösen sich auch „rechts“, „links“ und „grün“ als Ideologien in Luft auf.
Dann zählen nur noch Intelligenz, Pragmatismus und Rationalität – und ich freu mich drauf.

MaxVanMoritz
28 Tage her

Ich kenne einen Segler, der ist Steuerbordextrem, er will aber gar nicht in diese Richtung fahren. Die Wortprogromer haben eben ganze Arbeit geleistet, die DDR hat uns eben überfallen und unterjocht!