Eine Politik der Angst führt aus der Freiheit in den Totalitarismus

Erneut hat der Weltklimarat seine Warnungen verschärft: wenn wir jetzt nicht handelten, so der Tenor seines jüngsten Berichts, sei die „Klimakatastrophe“ unausweichlich. Noch „hätten wir es selbst in der Hand“. Aber: ist es denn nicht schon lange „fünf vor zwölf“? Ist die Uhr stehen geblieben oder ist diese Rede von der letzten Chance nichts weiter, als ein Instrument des politischen Drucks und der Willkür?

Die postchristliche Gesellschaft ist nicht weniger religiös geworden, sondern  hat Ersatzreligionen hervorgebracht, zum Beispiel den Glauben an Erlösung durch Gesundheit. Oder den Glauben an Selbstverwirklichung durch Selbstoptimierung. Der Klima-Aktivismus hat ebenfalls religiöse Züge, wenn Protestgruppen in Endzeitstimmung verfallen und die Politik diese Stimmung für ihre Zwecke nutzt. Nicht wenige Medien machen  dabei mit und präsentieren ihren  Rezipienten Umweltapostel, die für die Rettung der Welt Kunstwerke zerstören, sich auf Strassen festkleben und die Menschheit zur Umkehr bewegen wollen, zur Abkehr vom konsumistischen westlichen Lebensstil.

Ein zentrales Dogma vieler Aktivisten lautet: „Seit der Industrialisierung zerstört der Mensch das Klima, deswegen müssen Regierungen, Konzerne und Bürger zum grünen Handeln gezwungen werden.“ Das Problem: der Aktivismus  klagt nicht  Länder wie China oder Indien an, die seit Jahrzehnten die Umwelt mit Abstand am meisten verschmutzen, sondern Aktivismus und Alarmismus zielen auf Westeuropa, insonderheit Deutschland, das nicht einmal zwei Prozent zur Verbesserung der Lage beitragen könnte. Mit anderen Worten: der Protest richtet sich  gegen das westliche System, obwohl dieses im Vergleich mit dem Rest der Welt nicht nur die besten Umweltstandards hat, sondern auch in Sachen Menschenrechte und Tierschutz besser abschneidet.

Abgesehen davon, dass die Klimaforschung viele offene Thesen kennt. Eine wenig populäre These lautet: der Klimawandel wird von der Tatsache verursacht, dass wir uns am Ende einer Eiszeit befinden. Die Erde hat im Laufe der Jahrmillionen grosse Klimaveränderungen erlebt: Eiszeiten mit globalem Winter, Schmelzen der Polarkappen mit globalem Sommer. Es ist fraglich, ob  der Mensch mit seinen Maschinen diese Phasen, die mit kosmischen Jahreszeiten vergleichbar sind, wesentlich beeinflussen kann.

Säkularismus und Wertegemeinschaft
Das Ringen um die Trennung von Macht und Moral
Klimaaktivisten wie die «Letzte Generation» oder «Extinction Rebellion» halten den Klimawandel für eine Sünde des Menschen, ja eine Erbsünde des Kapitalismus. Daraus resultiert die Forderung nach dem Systemwechsel, nach dem Ende freiheitlicher Lebensmodelle. Der Staat soll nicht mehr Diener der Bevölkerung sein, sondern umgekehrt.

Der Systemwechsel wird allerdings allein vom Westen gefordert, ohne den Rest der Welt zu betrachten. Obwohl China und Indien die mit Abstand grössten Umweltverschmutzer sind und Westeuropa im Vergleich dazu kaum etwas für das Klima tun kann. Dennoch sind die Aktivisten nicht daran interessiert, westliche Umwelt-Standards mit den Standards in China, Indien oder Russland zu vergleichen. Sondern man fragt: wie lange dauert es, bis Europa und die USA emissionsfrei sind? Dabei dominiert  die sogenannte „non-human-perspective“, die die Auswirkungen der Menschheit auf die Umwelt nach dem utopischen Ideal einer Umwelt ohne Menschen und ihrer Maschinen beurteilt.

Man fragt nicht: wie viele Jobs, wieviel Gesundheit und Schutz gegen Kälte und Sturm bringen geheizte Häuser in Entwicklungsländern? Wie viele Millionen von Leben werden gerettet, wieviel Grundversorgung und Sicherheit geleistet durch die Energiewirtschaft seit Beginn der industriellen Revolution? Wie groß ist der medizinische Fortschritt seit Beginn der Chemieindustrie? Das interessiert nicht, sondern man fragt: wie wäre es, wenn alle diese Techniken und Umweltbelastungen nicht wären? Und letztlich: können wir nicht so leben, als wären wir gar nicht da, damit der Planet seine Ruhe hat? Die Zumutungen realer menschlicher Zivilisation scheinen nicht mehr tolerabel.

Ich persönlich fliege selten. Ich besitze kein Auto und pendle seit zwanzig Jahren mit dem Zug. Ich betrachte mit Sorge unsere verkehrsverstopften Metropolen. Am liebsten hätte ich überall Fußgängerzonen und betrachte unsere Wegwerf-Kultur als zivilisatorisches Armutszeugnis. In diesen Fragen bin ich ein Grüner. Aber ich kann den religiösen Eifer nicht teilen, mit dem politische Gruppen die Klimadiskussion dominieren, um Andersdenkende als Klimaleugner oder schlechte Menschen zu diffamieren. Das verhindert eine offene Debatte. Eine Debatte, die wir brauchen, um gute Lösungen zu finden.

Die Sorge um die Umwelt sowie die Entwicklung des Weltklimas  sind zu wichtig, um sie totalitären Apokalyptikern und Angstmachern zu überlassen. Es ist entscheidend zu erkennen, dass eine Politik der Angst aus der Freiheit heraus und in den Totalitarismus hinein führen kann. Deshalb sollte man der Sorge um die Natur mit Augenmaß und Vernunft begegnen – und mit Vertrauen in die Kreativität und das Potential von Menschen, die in einer freiheitlichen Kultur leben und arbeiten können. Gerade heute brauchen wir nicht noch mehr Pessimismus, sondern wieder den Optimismus der Aufklärung. Die Aufklärer haben an den Menschen geglaubt, an die Kraft seines Verstandes und seine Fähigkeit, herauszutreten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Sie haben an Freiheit und Kreativität geglaubt, wichtige kulturelle Kräfte, um auch große Probleme zu lösen.

Giuseppe Gracia, Jahrgang 1967, ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman handelt von terroristischen Klimaaktivisten.

Giuseppe Gracia, Schwarzer Winter. Roman. Fontis Verlag, Klappenbroschur, 272 Seiten, 19,90 €.


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Kommentare ( 18 )

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18 Comments
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thinkSelf
1 Jahr her

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Idee des „Umweltschutzes“ entstammt einer totalitären Ideologie. Nicht umsonst ist ihre erste rechtliche Verankerung im Faschismus entstanden.

Nix fuer ungut
1 Jahr her

Was genau ist mit Weltklima gemeint, wo finde ich das? Ich dachte immer es gibt Klima- und Vegetationszonen, die in ständiger Bewegung sind. Ich denke das ist immer noch so.

Waldorf
1 Jahr her

Das frühe Christentum war lange Jahre eine Endzeitsekte im Judentum, das Reich Gottes als großes Weltengericht und als Ende der bekannten Zeit wurde zu Lebzeiten erwartet. „Johannes“ dürfte um ca 200 nach Christus seine Apokalypse bzw Offenbarung geschrieben haben – das Ende der Zeit ließ sich Zeit. Rom hatte Bestand, seine Vielgötter-Welt auch, Judäa blieb eine ziemlich uninteressante Provinz mit vielen internen Streitigkeiten um die eher mageren Ressourcen des Flecken Erde. Erst der römische Kaiser Constantin öffnete der „Endzeitsekte“ Christentum die Tore der Macht und ermöglichte so deren Siegeszug durch das römische Reich. Allerdings blieben „die alten Götter“ noch lange… Mehr

giesemann
1 Jahr her
Antworten an  Waldorf

Ja, die ältesten Berufe der Welt schlagen immer wieder erneut zu: Die Schamanen, Druiden, Brahmanen, Rebbe, Priester, Pfarrer, Imame. So hangeln die sich bequem durch die Zeitläufte – besser als selber malochen ist das allemal.

thinkSelf
1 Jahr her
Antworten an  Waldorf

Was Konstantin gemacht hat ist nicht die Macht für das Christentum zu öffnen (das war nämlich daran gar nicht interessiert), sondern es zu kapern, da er dessen Potenz als Herrschaftsbegründungsersatz für die zerfallenden alten Mythen erkannt hat. Und das hat dann ja auch fast 2000 Jahre ganz gut funktioniert.
Bis dann Hegel den Staat sakralisiert hat, was notwendig wurde da das Christentum seit Beginn des 18. Jahrhunderts eben auch zunehmend schwächelt.

Waldorf
1 Jahr her
Antworten an  thinkSelf

Staatsreligionen müssen für die herrschenden Strukturen nützlich sein, sonst würden sie verboten, verfolgt, zerstört. Dass die Symbiose in den folgenden Jahrhunderten sehr nützlich war, steht außer jeden Zweifel. Heute ist die wechselseitige Nützlichkeit unter deutlichem Druck, weil beide Strukturen erodieren. Der Kirche laufen die Mitglieder weg, dem Staat bzw. der Politik als vorgeblich wohlmeinende Struktur der Volksherrschaft zerrinnt die Glaubwürdigkeit, Politikverdrossenheit und spirituelle Entfremdung von „Kirche“ gehen Hand in Hand. Vielleicht führt die digitale Moderne tatsächlich zu aufgeklärteren selbstbewußteren Bürgern, vielleicht endet es aber auch einfach nur im Zerfall der Gesellschaft. Politik und Kirche und Gewerlschaften und Vereine und und… Mehr

na sowas
1 Jahr her

Lasst die Strassenkleber, noch etwas gewähren, dann ist der Begriff „Klimaschutz“ so negativ besetzt, dass keiner mehr diese hohlen Phrasen hören und das „Grüne Personal“ sehen will

Der Person
1 Jahr her

„Ich persönlich fliege selten. Ich besitze kein Auto und pendle seit zwanzig Jahren mit dem Zug […] Am liebsten hätte ich überall Fußgängerzonen und betrachte unsere Wegwerf-Kultur als zivilisatorisches Armutszeugnis. In diesen Fragen bin ich ein Grüner.“ Oder Anhänger der Linken, SPD, CDU, CSU, AfD. Umweltschutz und Sparsamkeit ist kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, das ist nur eine weitere Lüge dieser Kommunisten. Oder kurz: „Die Mao-Fratze hinter der Sonnenblume“, wie ich es einmal gelesen habe. „Es ist entscheidend zu erkennen, dass eine Politik der Angst aus der Freiheit heraus und in den Totalitarismus hinein führen kann.“ Ja, Angst und Demokratie schließen… Mehr

Teiresias
1 Jahr her

Der Markt für Kohlenwasserstoffe ist angebotsorientiert. Da Deutschland praktisch nichts mehr selber fördert, ist der Einfluß gleich null. Kauft Deutschland kein russisches Gas, kaufen es eben die Chinesen. Die Förderländer fördern, und was gefördert wird, wird verkauft und verbrannt. Innerhalb der Wahnwelt der Klimahysteriker kann deshalb nur ein GLOBALES Vorgehen die Emissionen senken. REGIONALE Ausstiege (EU-Emissionsfrei bis 2050) bewirken zum einen nur eine Verlagerung von Emissionen (und damit Wohlstand), zum anderen senken sie die Preise für die nicht-aussteigenden Marktteilnehmer, was Kohlenwasserstoffe für diese nur noch attraktiver macht. Wer NICHT aussteigt, wird VON DEN AUSSTEIGERN mit Wettbewerbsvorteilen und höherem Wohlstandsniveau belohnt,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Teiresias
Steuernzahlende Kartoffel
1 Jahr her

Totalitäre Züge sind seit längerem bereits auszumachen, und sie nehmen zu bzw. verfestigen sich. Das alles ist bei weitem nicht auf die Klimathematik beschränkt. Erinnert sei an das Rechtsschutzversagen gegenüber den teilweise unsinnigen (und gleichwohl wiederholten und verschärften) Corona-Zwangsmaßnahmen. Auch bei der Migration zahlreicher kulturfremder junger Männer in die Sozialsysteme wurde das Volk – Verzeihung für den Ausdruck, so weit ist es schon gekommen – nicht gefragt (paar teddybärenwerfende geschiedene Mittvierzigerinnen sind sicher nicht das Volk). Ursächlich für diesen Weg ist nach meiner Einschätzung allerdings weniger Angst (von der Polit-„Elite“ hat niemand Angst, uns mit Windrädern zuzupflastern, Opernbesuche wiederholt zu… Mehr

Klaus D
1 Jahr her

„wenn wir jetzt nicht handelten“…..wer ist hier mit WIR gemeint! Es wäre kein problem von heute auf morgen viel zu tun wenn WIR privatjets, yachten, koiteiche, supersportwagen, firstclass und anderen luxus einfach verbieten würden. Gerade dieser luxus belastet unsere umwelt extrem so verursachen im privaten bereich die oberen 10% über 70% der umweltbelastung. Warum handeln die klima-extremisten (aktivisten) nicht hier und kleben sich auf dem flugfeld für privatjets fest? Ist das nur mir aufgeallen das die ganze bewegung von den „reichen“ geführt wird? Wie kann sich eine 18 jährige eine 2 zimmer wohnung in der innenstadt von stockholm leisten dazu… Mehr

Fritz Mueller
1 Jahr her

„Ich persönlich fliege selten. Ich besitze kein Auto und pendle seit zwanzig Jahren mit dem Zug. Ich betrachte mit Sorge unsere verkehrsverstopften Metropolen. Am liebsten hätte ich überall Fußgängerzonen und betrachte unsere Wegwerf-Kultur als zivilisatorisches Armutszeugnis“.
Man sollte sich nie mit den Idealen seiner Gegner ins Einvernehmen setzen. Damit wird man nicht glaubwürdiger.

na sowas
1 Jahr her

würde China, Indien und Afrika „nur“ jeweils max. 80 Millionen Bürger haben ( gerne auch weniger), wäre der Umwelt, sprich, dem Klima, schon viel geholfen. Verhütung ist gefragt, das kann doch nicht so schwer sein.