Der erfolgreichste Kernkraftexporteur der Welt: Russland

Die Fortschritte Russlands in Sachen Kerntechnik werden im Westen stark unterschätzt. Das Land investiert massiv in den Ausbau der kommerziellen Nutzung der Atomenergie, exportiert seine Technologie in die ganze Welt und steht kurz vor Inbetriebnahme der neuesten Reaktorgeneration.

Es gibt Länder, wo weitsichtige Politik durchaus für eine langfristige, ja generationenübergreifende Energiestrategie sorgt. Russland zum Beispiel fährt eine solche Strategie, die selbst unter verschiedenen Gesellschaftsmodellen nach und nach zum systematischen Aufbau einer soliden Energieversorgung geführt hat. Man muss dies anerkennen, ohne die sonstige Politik der Sowjetkommunisten, ihrer Nachfolger oder Putins für richtig zu halten.

Lenins berühmte Formel „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ stammt aus einer Rede vom 22. Dezember 1920 vor dem VIII. Gesamtrussischen Sowjetkongress. Sie brachte seine Vision für den Aufbau eines kommunistischen Staates auf den Punkt – und war viel mehr als ein technokratischer Slogan. Sie war die Basis einer Strategie, der Russland seit mehr als 100 Jahren folgt und die zu einer Energieunabhängigkeit und einer gesunden Energieversorgung mit ausgewogenem Strommix geführt hat. Lenin sah die Elektrifizierung als Schlüssel zur Modernisierung und Industrialisierung. Auf dem Gebiet der Energiewirtschaft waren die Bolschewiken keine Ideologen. Sie wollten in der Weltspitze mitmischen – dafür brauchten sie jeden Zipfel Energie, den sie kriegen konnten.

Es dauerte viele entbehrungsreiche Jahre, um dem Ziel näher zu kommen. Rückschläge mussten verkraftet, Irrtümer und Fehler korrigiert werden. Aber immer wurde versucht, die energetische Basis des Herrschaftsbereichs zu diversifizieren, auszubauen und zu modernisieren. Kein Russe käme auf die Idee, irgendwelche Energieträger plötzlich als Teufelszeug zu definieren und daraus „auszusteigen“.

Uran aus Ostdeutschland auf Vorrat

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in den ostdeutschen Betrieben der SDAG Wismut das reichhaltige Uranerz Ostdeutschlands aus dem Boden gekratzt. SDAG stand für „Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft“ – etwas, was es im Sozialismus eigentlich gar nicht geben durfte. In der Praxis sah das Gemeinschaftsprojekt so aus: Die Ostdeutschen scharrten das reichhaltige Uranerz aus dem Boden. Die Russen verplombten die mit Uranerz gefüllten Güterwaggons und fuhren sie nach Sibirien, wo das Uranerz ungenutzt in Täler verfüllt wurde – für später. Die Lieferungen waren Teil der Reparationsleistungen, die nach dem – auch für Russland verheerenden – Zweiten Weltkrieg fällig wurden, und gehörten zur sowjetischen Energiestrategie.

Zukunfts- und Freiheitsenergie
Die dümmste Energiepolitik der Welt und der klügste Weg aus der Falle
Russland war und ist selbst reich an energietragenden Bodenschätzen. Es besitzt riesige Gas- und Ölfelder, die sogar gewaltige Energieträgerexporte erlaubten. Diese konnten darüber hinaus strategisch genutzt werden – indem man die Importländer von sich abhängig machte und dabei noch reich werden konnte. Die Russen setzten von Anfang an auf einen Strommix, der auch Kernenergie einschloss. Dass es dabei in der totalitären Sowjetunion zu Rückschlägen kommen musste, war eigentlich vorhersehbar. 1987 explodierte der RBMK-Reaktorblock 4 von Tschernobyl, und eine radioaktive Wolke breitete sich, Panik erzeugend, über fast ganz Europa aus.

Ein RBMK, ein „Reaktor großer Leistung mit Kanälen“, war eine Missgeburt des Kalten Krieges. Ursprünglich war die gigantische Konstruktion zur Erzeugung von Waffenplutonium für die sowjetischen Atombomben ersonnen worden. An den ersten RBMK-Reaktor hatte man gar keine Turbine angeschlossen, sondern einfach einen Fluss aufgeheizt. Beim RBMK gibt es kein Druckgefäß für den Reaktorkern, über 1000 Rohre sind zusammengeschaltet, in denen die Brennelemente vor sich hin kochen und Wärme erzeugen. Hatten sie die höchste Anreicherung von Plutonium erreicht, konnten sie während des Betriebs aus dem Reaktorrohr entnommen werden, um der Plutoniumextraktion zugeführt zu werden.

Später hatten die Russen genug Atombomben, und die RBMK-Konstruktion wurde zur Stromerzeugung umgenutzt. Doch die Schwächen im Sicherheitsdesign blieben. Der RBMK hat kein Schutzcontainment, er steht in einer einfachen Maschinenhalle. Ein riesiger Ring von brennbaren Graphitbausteinen übernimmt die Moderation. Kurz gesagt, der RBMK hat mit einem kommerziellen Kernreaktor so viel zu tun wie eine Straßenbaumaschine mit einem Pkw. Immer noch sind zehn von einst 17 RBMK-Reaktoren in Betrieb.

Nuklearstrategie trotz Gasreserven

Wären die russischen Eliten so dumm gewesen, wie der Westen über sie dachte, hätten sie sich nach 1987 fragen können: „Wir haben Gas für die nächsten 500 Jahre, warum sollen wir uns mit der Atomenergie rumärgern?“ Aber die Nuklearkatastrophe führte in Russland nicht zu einer Anti-Atom-Haltung. Die Reaktorexplosion von Tschernobyl führte in den energiesatten Ländern des westlichen Europas zu einer überwiegend linken Anti-Atom-Bewegung. Die Russen unterstützten den Protest unauffällig.

TRENDWENDE
Der Siegeszug der Ökorealisten
Zielstrebig entwickeln die Russen ihre Reaktortechnik weiter. Die modernen Reaktoren der Bauart WWER-1000, -1200 und-1300 sind westlichen Anlagen durchaus ebenbürtig und mit über einem Dutzend laufender Projekte die weltweit meistverkauften Anlagen. Russland ist somit der erfolgreichste Kernkraftexporteur weltweit. Auf dem zweiten Platz liegt China. Südkorea hat mit dem Barakah-Projekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten einen großen Erfolg erzielt und strebt weitere Exporte an. Frankreichs EPR-Reaktor ist leistungsstark, aber teuer und komplex, was die Exportzahlen begrenzt. Die USA waren früher im Kernkraftwerksbau führend, haben aber an Boden verloren. Und die Deutschen sind weg vom Fenster.

Die russische Nuklearindustrie wird meist maßlos unterschätzt. Rosatom, die staatliche russische Atomenergiebehörde mit 250000 Mitarbeitern, verfügt über umfangreiche Erfahrungen mit großen und kleinen Reaktoren und nahezu unbegrenzte Entwicklungskapazität. Sie ist auch für den Betrieb der kommerziellen Kernkraftwerke sowie den Ausbau der Atomkraft verantwortlich. Rosatom baute und betreibt auch die zwei 40-Megawatt-Reaktoren (SMR) des schwimmenden Kernkraftwerks Akademic Lomonossow. Russland hat auch kleine Reaktoren für die Eisbrecherflotte und Atom-U-Boote.

Die Behörde hat ein Programm „Proryv“ (Durchbruch) aufgelegt. Es baut an einem System, das aus drei Komponenten besteht: Brennelementefabrik, Brutreaktoren/herkömmliche Reaktoren und Wiederaufbereitungsanlage. Damit ist der Brennstoffkreislauf Kernenergie geschlossen, und aus jedem Gramm Uran kann zehnmal so viel Strom gewonnen werden, wie wir es von den herkömmlichen Wasserreaktoren gewöhnt sind. Deren „radioaktiver Abfall“ ist nämlich ein höchstwertiger Rohstoff, da er noch 95 Prozent der Energie enthält.

Atomstrom für Hunderte von Jahren

Nach einer groben Abschätzung braucht Russland sechs Brutreaktoren, um 50 Druckwasserreaktoren mit Brennelementen zu versorgen. Allein mit den radioaktiven Brennelementabfällen aus den bestehenden Kernkraftwerken könnte Russland Hunderte Jahre Strom erzeugen. Seit vielen Jahren arbeiten die Russen deshalb an schnellen Brutreaktoren. Als einziges Land der Welt betreiben sie erfolgreich seit Jahren zwei natriumgekühlte Leistungsreaktoren von 600 und 800 Megawatt in Belojarsk. Der Autor hat die Belojarsk-Anlage 2020 besucht und beide Reaktoren im Leistungsbetrieb gesehen.

Auf den gesammelten Erfahrungen aufbauend entsteht ein neuer SMR (Small Modular Reactor) namens BREST-OD-300. Es handelt sich um einen bleigekühlten schnellen Brüter der Generation IV. Das Wichtigste zuerst:

Ber BREST-OD-300 ist – wie fast alle Reaktoren seiner Generation – inhärent sicher. Das bedeutet, er benötigt im Fall einer Störung keine Fremdenergie zur Not- und Nachkühlung und kann nicht „durchgehen“.

Umverteilungsmaschine von unten nach oben
Die Denkfehler der Energiewende
Seine Leistung ist elektrisch etwa 300 Megawatt. Der Projektstart war 2011, die Anlage soll 2026/27 in Betrieb gehen. Der Standort ist in Sewersk, einer sogenannten „geschlossenen Stadt“ in Sibirien, die von Ortsfremden nur mit Passierschein betreten werden kann. Der Reaktor soll, wenn er in Serie geht, Strom und Wärme für eine Fabrik oder Stadt und nebenbei Uran-235/Plutonium als Brennstoff für andere Kernkraftwerke erzeugen. Sollten es die Russen schaffen, den BREST zum Laufen zu bringen, gehören sie zur Spitzengruppe beim Wettlauf der Hochtechnologie-Nationen um die neue Reaktorgeneration.

Kaum neue Kohlekraftwerke

Russland baut kaum neue Kohlekraftwerke, sondern konzentriert sich auf den Ausbau der Atomkraft. Derzeit betreibt das Land 34 Reaktoren und baut sieben neue Anlagen. Russland ist auch einer der größten Exporteure von angereichertem Uran. Viele Länder – auch in der EU – sind auf russische Lieferungen angewiesen, insbesondere für Reaktoren sowjetischer Bauart. Durch langfristige Verträge für Bau, Betrieb und Brennstofflieferung sichert man sich so politischen Einfluss.

Die EU will neue Lieferverträge für russisches Uran beschränken und bis 2027 vollständig aus russischer Energie aussteigen, einschließlich Kernenergie. Russland hingegen verlagert seine Kooperation auf dem Energiesektor unter anderem auf Ägypten, die Türkei, Indien und China – um nur einige Länder mit konkreten Großprojekten zu nennen.

Russland ist ein riesiges Land mit enormen Vorräten an Energieressourcen. Eine Gefährdung der russischen Energieversorgung ist nach drei Jahren Krieg mit der Ukraine nicht abzusehen. Gleichwohl steht die Stromversorgung in Russland unter Druck: Die Ukraine hat mehrfach russische Energieanlagen mit Drohnen attackiert, darunter Transformatoren und Nebengebäude von Atomkraftwerken, etwa in Kursk.

Der Autor war selbst vor fünf Jahren im KKW Kursk. Dort stehen zwei stillgelegte RBMKs, doch die Blöcke 3 und 4, zwei RBMKs der zweiten Generation, sind nach wie vor in Betrieb. Angesichts ihrer Konstruktion wirkt der Krieg dort äußerst beunruhigend. Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses Seim entsteht derzeit das neue KKW Kursk-II, das mit modernen WWER- 1300-Reaktoren (Druckwasserreaktoren) ausgestattet wird – als Ersatz für die RBMK-Blöcke.

Es bleibt zu hoffen, dass der Krieg gegen die Ukraine ein baldiges Ende findet.


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Kommentare ( 4 )

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4 Comments
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Rainer Schweitzer
1 Monat her

„…weitsichtige Politik…“

Ah, das ist ja sowas von vorgestern, geradezu nazi, irgendwie! Da sind wir in Deutschland seit dem sozialistischen Maulwurf der CDU schon viel, viel weiter. Bei uns wird „auf Sicht“ gefahren, in der Politik, der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowieso. Mit unseren Internationalsozialisten sind wir sogar noch viel weiter, da wird unter der Erdoberfläche gebuddelt, ganz ohne Sicht.

Der Person
1 Monat her

„Russland ist auch einer der größten Exporteure von angereichertem Uran. Viele Länder – auch in der EU – sind auf russische Lieferungen angewiesen…“

Auch die USA, beziehen sie immerhin bis zu 25% ihres Uranbedarfs aus Russland. Vielleich haben wir hier den Grund, warum der amerikanische Milliardär der Bettelei des ukrainischen Milliardärs inzwischen abhold ist…

maps
1 Monat her

Wieder ein Beweis wie dumm die Mehrheit der Deutschen ist! Wir hätten die beste Kraftwerkstechnik (weiter) in alle Welt verkaufen können, die viel und günstige (und ohne CO2) Energie liefert und dabei auch noch Geld verdient. Stattdessen schrotten wir alle deutschen (erfolgreichen) Technologien und zerstören unseren Wohlstand. Die meisten Deutschen lieben das scheinbar. Ekelhaft.

Wolfgang Richter
1 Monat her
Antworten an  maps

Solange der Strom aus der Steckdose kömmt, und das Geld vom „Amt“, und die Medien verkünden, daß somit alles gut ist??