Die Leipziger Buchmesse im Rausch der Bekenntniskultur

Auf der Leipziger Buchmesse bestätigt sich das alte Motto: Sie sind vor Individualität ganz uniform. Wie auf Kommando will man dort ein „starkes Signal“ für die Demokratie setzen – wegen „zunehmender Angriffe“ auf demokratische Grundwerte wie etwa Diversität.

IMAGO, Screenprints via X - Collage: TE

Im Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ gibt es eine ikonische Szene. Brian, den die Masse für den Messias hält, versucht verzweifelt, die vor seinem Haus lagernde Schar zu vertreiben. Um den Menschen klarzumachen, dass Massenhysterien, blinde Gefolgschaft und Herdentrieb prinzipiell problematisch sind, ruft er ihnen zu, dass sie an sich selbst glauben sollten. „Ihr seid alle Individuen!“, ruft Brian. „Ja, wir sind alle Individuen!“, antwortet die Masse im Chor.

Jerusalem liegt heute in Leipzig. Denn nichts anderes passiert, wenn eine liberale Demokratie, in der angeblich nicht die bloße Mehrheit, sondern Pluralismus und Individuum im Mittelpunkt stehen, durch fragwürdige Aktionen auffällt, wie man sie – bleiben wir freundlich – in anderen Systemen wiederfindet. Ein Schelm, der Tocquevilles „Tyrannei der Mehrheit“ in Vollendung mitzuerleben glaubt.

— Leipziger Buchmesse (@buchmesse) March 20, 2024

Wie auf Kommando hielt die Masse ihr Bekenntnis empor: „Demokratie wählen. Jetzt.“ Die Frage bleibt freilich offen: Wenn man Demokratie jetzt wählen soll, was hat man dann vorher gewählt? Steht Demokratie überhaupt zur Abstimmung, oder ist sie nicht eher ein modus vivendi?

In einer Mitteilung heißt es: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Leipziger Buchmesse wollten vor dem Hintergrund „zunehmender Angriffe auf demokratische Grundwerte wie die Menschenwürde, Freiheit und Toleranz“ und im Hinblick auf anstehende Wahlen „ein starkes Signal von der Frühjahrsmesse der Buch- und Medienbranche aussenden“.

Weiter heißt es: „Freiheit, Demokratie und Diversität sind nicht selbstverständlich, sondern Werte, für die es sich immer wieder zu kämpfen lohnt.“ Bezeichnend: Man tritt für Diversität als demokratischen Wert ein, doch scheint darunter weder Meinungsvielfalt zu fallen, noch möchte man der politischen Minderheit einen gleichwertigen – nun ja – Wert einräumen. Es gilt das Credo von Regierung und Mehrheit.

Zurück zum Leben des Brian. Die erwähnte Szene bezieht ihren Reiz vor allem aus der Endpointe, dass, als die Masse im Chor schreit, dass sie alle Individuen seien, eine einzelne Stimme ruft: „Ich nicht!“ Paradoxerweise ist dies die einzige individuelle Reaktion. Einen Wiedergänger hat das Phänomen auch in Leipzig gefunden.

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